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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Dr. M in W, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth und andere Rechtsanwälte in 1010 Wien, Petersplatz 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. November 2000, Zl. MA 65 - 11/45/2000, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf das hg. Erkenntnis vom 11. April 2000, Zl. 99/11/0351, hingewiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde der im Instanzenzug ergangene Bescheid der belangten Behörde vom 1. Oktober 1999, mit dem dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 und § 25 Abs. 3 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von drei Monaten ab der (am 9. April 1999 erfolgten) Zustellung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides entzogen worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Die Aufhebung erfolgte deshalb, weil die belangte Behörde zwar auf Grund der rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers wegen einer am 22. Jänner 1999 begangenen Übertretung des § 46 Abs. 4 lit. a StVO 1960 vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG auszugehen hatte, auf Grund des Fehlens entsprechender Sachverhaltsfeststellungen aber nicht beurteilt werden konnte, ob nicht im Rahmen des in § 7 Abs. 5 FSG genannten Wertungskriteriums der Gefährlichkeit der Verhältnisse Umstände zu berücksichtigen gewesen wären, die die ansonsten typische Gefährlichkeit des "Geisterfahrens" im konkreten Fall ausgeschlossen hätten.
Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers neuerlich keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Entziehungsbescheid. In der Begründung gab sie nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens die Aussage des Zeugen H. vom 17. Juli 2000 wieder und führte aus, auf Grund der glaubwürdigen Aussage dieses Zeugen sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer am 22. Jänner 1999 auf der S 33, nachdem er einen Teil des Verzögerungsstreifens zur Ausfahrt St. Pölten-Ost befahren habe, während des Rückwärtsfahrens den vom Parkplatz des Rasthauses Richtung Ausfahrt führenden Beschleunigungsstreifens benützt habe. Der genannte Verzögerungsstreifen und der Beschleunigungsstreifen bildeten eine bauliche Einheit. Hätte ein Fahrzeuglenker den Verzögerungsstreifen der Ausfahrt benützt, wäre es auf Grund der Rückwärtsbewegung des Beschwerdeführers zu einem Unfall gekommen. Die beiden Richtung Krems führenden Fahrstreifen seien von Kraftfahrzeugen mit einer Geschwindigkeit von ca. 130 km/h befahren worden. Außerdem sei es zur Zeit des Vorfalles bereits dunkel gewesen. Das Befahren einer Autobahn gegen die Fahrtrichtung geschehe regelmäßig unter gefährlichen Verhältnissen. Eine besondere Konstellation, in der das Befahren der Autobahn gegen die Fahrtrichtung keine besondere Gefahr darstellt, sei nicht hervorgekommen, zumal der Beschwerdeführer nicht nur auf dem Beschleunigungsstreifen sondern auch auf einem Teil des Verzögerungsstreifens zur Ausfahrt St. Pölten-Ost bei schlechten Sichtverhältnissen rückwärts gefahren sei. Im Rahmen der Wertung gemäß § 7 Abs. 5 FSG sei daher von der besonderen Gefährlichkeit eines solchen Verhaltens auszugehen gewesen. Der Beschwerdeführer sei als verkehrsunzuverlässig anzusehen gewesen. Mit der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit habe erst nach Ablauf der festgesetzten Entziehungsdauer gerechnet werden können. Der vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 2. Oktober 2000 vorgebrachte Einwand, der Zeuge habe sich nach seinen eigenen Angaben nicht mehr an genaue Details erinnern können, führe zu keinem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis. Die Angabe des Zeugen sei vielmehr dahin zu verstehen, dass er seine in der Folge protokollierten Beobachtungen nicht mehr näher beschreiben könne, nicht jedoch, dass er sich nicht mehr an den Vorfall bzw. an dessen sachverhaltsrelevante Bezüge erinnern könne. Von einer neuerlichen Vernehmung des Zeugen habe Abstand genommen werden können, weil aus der Beantwortung der vom Beschwerdeführer formulierten Fragen keine weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für den Beschwerdefall sind folgende Vorschriften des FSG von
wesentlicher Bedeutung:
"Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.
...
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
...
3. als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen;
...
(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
...
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung."
Wie bereits im eingangs zitierten Erkenntnis ausgeführt wurde, hatte die belangte Behörde auf Grund der Bindung an die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG auszugehen, weil das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen eines der aufgezählten Beispiele für ein Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, darstellt. Im Rahmen der gemäß § 7 Abs. 5 FSG zu berücksichtigenden Gefährlichkeit der Verhältnisse ist zu beachten, dass das Befahren einer Autobahn gegen die Fahrtrichtung regelmäßig unter besonders gefährlichen Verhältnissen geschieht. Nur in besonderen Konstellationen, die von der typischen Gefährlichkeit des Fahrens entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung erheblich abweichen, fällt ungeachtet des Vorliegens einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG das Wertungskriterium der Gefährlichkeit der Verhältnisse im Sinne des § 7 Abs. 5 FSG nicht entscheidend ins Gewicht. Eine solche besondere Konstellation hat die belangte Behörde unter Zugrundelegung des von ihr im angefochtenen Bescheid festgestellten Sachverhaltes mit Recht nicht angenommen. Das festgestellte Befahren des Verzögerungsstreifens entgegen der Fahrtrichtung bewirkt die große Gefahr von Unfällen mit schweren Folgen, weil der Verzögerungsstreifen, vor allem an seinem Beginn, regelmäßig mit den auf Autobahnen zulässigen hohen Geschwindigkeiten befahren wird, sodass für Brems- und Ausweichmanöver nur wenig Zeit zur Verfügung steht.
Der Beschwerdeführer rügt als Verfahrensmangel, dass die belangte Behörde trotz seines diesbezüglichen Antrages den Zeugen H. nicht neuerlich vernommen habe. Die Beantwortung der in der Stellungnahme vom 2. Oktober 2000 formulierten Fragen - von welcher Position der Zeuge erstmals das Fahrzeug des Beschwerdeführers gesehen habe, wo sich der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt befunden habe, über welche Zeitdauer er das Fahrzeug des Beschwerdeführers wahrgenommen habe, über welche Wegstrecke der Zeuge das Fahrzeug des Beschwerdeführers sich bewegen gesehen habe und welche Geschwindigkeit das Fahrzeug, in dem sich der Zeuge befunden habe, eingehalten habe - wäre für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers von Bedeutung gewesen, insbesondere weil die Frage der Geschwindigkeiten nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von Bedeutung sei.
Der Beschwerdeführer, der das Rückwärtsfahren auf dem Verzögerungs- und auf dem Beschleunigungsstreifen nicht bestreitet, vermag mit diesen Ausführungen keinen Verfahrensmangel aufzuzeigen. Dass der Beschwerdeführer mit einer hohen Geschwindigkeit rückwärts gefahren sei, hat die Behörde ohnedies nicht angenommen. Auch das Rückwärtsfahren mit geringen Geschwindigkeiten auf dem Verzögerungsstreifen bewirkt aus dem zuvor genannten Grund die große Gefahr von Unfällen mit schweren Folgen. Die Geschwindigkeit des Fahrzeuges, in dem sich der Zeuge befunden hat, ist deshalb nicht von entscheidender Bedeutung, weil eine konkrete Gefährdung der Insassen dieses Fahrzeuges, das den Verzögerungsstreifen nicht benützt hat, nicht angenommen wurde.
Der im Rahmen der Rechtsrüge enthaltene Hinweis, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Befahren des Pannenstreifens entgegen der Fahrtrichtung unter bestimmten Voraussetzungen nicht als besonders gefährlich anzusehen sei, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, weil dem Beschwerdeführer nicht das Befahren des Pannenstreifens (der gemäß § 46 Abs. 4 lit. d StVO 1960 auf Autobahnen - abgesehen von den in dieser Gesetzesstelle genannten, hier nicht vorliegenden Ausnahmen - nicht befahren werden darf), sondern das Befahren des Verzögerungsstreifens und des Beschleunigungsstreifens (siehe dazu die Begriffsbestimmungen des § 2 Abs. 1 Z. 6a, 6b und 6c StVO 1960) zur Last liegt. Im Hinblick darauf, dass nunmehr festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer auch den Verzögerungsstreifen zur Ausfahrt St. Pölten-Ost im Rückwärtsgang befahren hat - im Bescheid der belangten Behörde vom 1. Oktober 1999 war nur vom Befahren des vom Parkplatz der Raststätte wegführenden Beschleunigungsstreifens die Rede -, kann es auf sich beruhen, welche konkreten Verhältnisse auf dem Beschleunigungsstreifen, an dessen Beginn die auf Autobahnen zulässigen Geschwindigkeiten regelmäßig nicht gefahren werden, geherrscht haben. Aus dem vom Beschwerdeführer zitierten hg. Erkenntnis vom 29. Oktober 1996, Zl. 94/11/0251, ist für ihn nichts zu gewinnen, weil diesem ein völlig anders gelagerter Sachverhalt (es ging dort um das Befahren des Pannenstreifens, nachdem der Verkehr auf der Richtungsfahrbahn zum Erliegen gekommen war) zugrunde gelegen ist.
Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem Beschwerdeführer nur das am 22. Jänner 1999 gesetzte Verhalten zur Last gelegen ist, demnach im Rahmen des Wertungskriteriums der Verwerflichkeit zu berücksichtigende Vorstrafen nicht vorlagen, kann die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Auffassung, der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides als verkehrsunzuverlässig anzusehen gewesen und habe die Verkehrszuverlässigkeit erst nach Ablauf der festgesetzten Entziehungsdauer wieder erlangt, nicht als rechtswidrig angesehen werden. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 30. September 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001110010.X00Im RIS seit
07.11.2002