TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/3 99/08/0007

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Veröffentlicht am 03.10.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §1 Abs1 lita;
ASVG §4 Abs1 Z1;
AVG §1;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der M GesmbH & Co KG in W, vertreten durch Korn & Frauenberger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Argentinierstraße 20/1/3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 11. November 1998, Zl. 120.416/2-7/98, betreffend Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung (mitbeteiligte Parteien: 1. T in P, 2. Niederösterreichische Gebietskrankenkasse in 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner-Promenade 14-16,

3. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 4. Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Niederösterreich in 1013 Wien, Hohenstaufengasse 2, und 5. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der beschwerdeführenden Gesellschaft Aufwendungen von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Erstmitbeteiligte stellte bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse einen Antrag auf Selbstversicherung in der Krankenversicherung und gab bei einer dazu am 19. Dezember 1994 durchgeführten Befragung zu seiner Beschäftigung bei der Beschwerdeführerin an, er sei seit 8. November 1994 als Abonnentenwerber für die Beschwerdeführerin tätig. Seine Tätigkeit bestehe darin, Zeitungsabonnements für "..." und "..." zu verkaufen. Inkassotätigkeiten oder sonstige Tätigkeiten für die Beschwerdeführerin führe er nicht aus. Von dieser sei ihm ein Ausweis ausgestellt worden, damit er sich bei Kundenbesuchen legitimieren könne. Das Einsatzgebiet werde ihm zugewiesen. Die zu besuchenden Haushalte würden ihm von seinem Auftraggeber genannt. Die Haushalte in dem zu bearbeitenden Gebiet würden mit Postwurfsendungen auf die Möglichkeit eines Zeitungsabonnements hingewiesen; jene Haushalte, die eine Antwortkarte einsenden, würden sodann von Werbern aufgesucht. Manchmal würde er mit seinem privaten Pkw zum Einsatzgebiet fahren, manchmal würden mit anderen Werbern Fahrgemeinschaften gebildet. Die von der Beschwerdeführerin genannten Haushalte sollten tunlichst aufgesucht werden. Werden aufgelistete Haushalte nicht besucht, würde dies zwar zu keinen unmittelbaren Sanktionen führen, der Auftraggeber könnte jedoch das Vertragsverhältnis lösen. Der Erstmitbeteiligte müsse täglich seinem Gruppenleiter einen Bericht über seine Tätigkeit geben. Dieser Bericht enthalte die Angaben, wie viele Haushalte er besucht und wie viele Abonnentenverträge er abgeschlossen habe. Der Bericht werde entweder persönlich oder telefonisch erstattet und stelle die einzige Form einer Überwachung oder Überprüfung seiner Tätigkeit dar. Er könne auch für andere Unternehmen und Produkte tätig werden bzw. werben; ob dies auch für andere Zeitschriften gelte, sei ihm nicht bekannt. Er könne der Beschwerdeführerin jederzeit mitteilen, dass er für einen bestimmten Zeitraum nicht arbeiten könne oder wolle, ohne dafür Gründe nennen zu müssen. Wenn er seine Tätigkeit nicht ausübe, erhalte er kein Entgelt. Bei Beendigung seiner Beschäftigung erhalte er keine Abfertigung. Für den Fall der Vertragsauflösung sei eine dreitätige "Kündigungsfrist" vereinbart worden. Er habe keinen Anspruch auf ein Fixum oder den Ersatz von Reisespesen bzw. Diäten. Das Entgelt bestehe aus Provisionen, die auf Grund des wöchentlichen Verkaufs berechnet würden und bei einem oder zwei verkauften Abonnements S 400,-- je Abo, bei drei verkauften Abonnements je S 500,-- und ab vier verkauften Abonnements S 600,-- je Abo betrüge. Für die Versteuerung dieser Einkünfte habe er selbst zu sorgen. Über diese Tätigkeit habe der Erstmitbeteiligte mit der Beschwerdeführerin einen schriftlichen Werkvertrag geschlossen.

Auf Grund dieser Angaben des Erstmitbeteiligten leitete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse Ermittlungen dahin ein, ob er in einem versicherungspflichtigen Dienstverhältnis zur Beschwerdeführerin beschäftigt sei und übermittelte zu diesem Zweck der Beschwerdeführerin einen Fragebogen, in dem diese unter anderem folgende Antworten gab:

"...

2. Sind die Auftragnehmer berechtigt, für andere Unternehmen der gleichen Sparte ohne Rücksprache mit Ihnen tätig zu werden?

JA, AUSGENOMMEN GLEICHZEITIGE WERBUNG FÜR DIREKTE MITBEWERBER.

3. Sollte dies nicht der Fall sein, wie wird ein Verstoß gegen diese Vorschrift geahndet? GAR NICHT.

...

6. Wird den Werkvertragsnehmern ein bestimmtes Arbeitsgebiet zugeteilt? NEIN, ES WIRD NICHT ZUGETEILT SONDERN ANGEBOTEN, MIT

BEFRISTETEM GEBIETSSCHUTZ.

...

11. Wie wird verfahren, wenn die für Sie tätigen Personen die namhaft gemachten Kunden wiederholt nicht aufsuchen? SIEHE PUNKT 6, NACH ENDE DER SCHUTZFRIST WIRD DAS ADRESSENMATERIAL FÜR

NACHWERBUNG FREIGEGEBEN.

...

16. Werden die Werkvertragsnehmer vor Beginn ihrer Tätigkeit einer Einschulung unterzogen? JA, PRODUKT- UND VERKAUFSINFORMATION.

17. Zutreffendenfalls, welche Weisungen werden ihnen hiebei erteilt? KEINE.

...

20. Inwiefern werden die Werkvertragsnehmer kontrolliert? GAR

NICHT.

...

22. Besteht die Verpflichtung Ihrer Mitarbeiter zur regelmäßigen Berichterstattung? WV- PARTNER HABEN KEINE BERICHTE

ABZUGEBEN.

...

24. Sind die Werkvertragsnehmer zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet? NEIN.

..."

Mit diesem Fragebogen übersandte die Beschwerdeführerin der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse neben einem Preis/Leistungsverzeichnis und einem Verzeichnis ihrer "Werkvertragspartner" einen Vordruck eines "Werkvertrag(es) für Werbung" (ein solcher soll auch mit dem Beschwerdeführer abgeschlossen worden sein), in dem es unter anderem heisst:

"I.

Der Auftraggeber überträgt dem Auftragnehmer die Abonnentenwerbung für seine Vertriebsobjekte in einem vom Auftraggeber bezeichneten Gebiet. Die Zusammenarbeit auf Basis dieser Vereinbarung wird auf unbestimmte Zeit eingegangen und beginnt am ...

II.

Der Auftraggeber übergibt dem Auftragnehmer die jeweils notwendigen Unterlagen (Bestellformulare, Werbe- und Adressenmaterial). Nicht verbrauchte Unterlagen sind nach Beendigung der Werbeperiode unaufgefordert vom Auftragnehmer zurückzustellen. Der Auftragnehmer trägt die Verantwortung für einen ausschließlich widmungsgerechten Einsatz der übernommenen Unterlagen. Eigene Betriebsmittel, z.B. Pkw, Moped, Telefon, Karteien und sonstiges Büromaterial usw. sind, sofern erforderlich, auf Kosten und Gefahr des Auftragnehmers zur Verfügung zu stellen.

III.

Der Auftragnehmer teilt die ihm übertragenen Arbeiten selbständig ein. Überträgt der Auftragnehmer die vereinbarten Leistungen auf eigene Kosten und Gefahr an Dritte, haftet er dem Auftraggeber gegenüber für die ordnungsgemäße Leistungserbringung seiner Mitarbeiter bzw. Sub-Unternehmer. Schäden, welche durch mangelhafte Leistungserbringung bzw. durch Nichtleistung entstehen, werden dem Auftragnehmer angelastet bzw. gegen noch offene Ansprüche aufgerechnet. Der Auftragsnehmer erhält für jeden rechtsgültig und vereinbarungsgemäß abgeschlossenen Abonnementvertrag ein Honorar (zuzüglich 20 % Umsatzsteuer), dessen Höhe dem jeweils gültigen Preis-Leistungs-Verzeichnis zu entnehmen ist.

...

V.

Die Abrechnung und Zahlung erfolgt jeweils für die Leistung eines Kalendermonats und wird mittels Banküberweisung im Folgemonat durchgeführt.

...

VII.

Die Vertragspartner erklären übereinstimmend, daß mit diesem Vertrag kein Dienstverhältnis begründet wird. Seitens des Auftraggebers erfolgt daher weder ein Abzug von Lohnsteuer, noch eine Anmeldung bei der Sozialversicherung. Der Auftragnehmer nimmt zur Kenntnis, dass er die auf diese Einkünfte entfallenden Steuern und Abgaben selbst zu tragen hat.

...

VIII.

Die Auflösung des Vertrages kann sowohl vom Auftraggeber als auch vom Auftragnehmer mit einer dreitätigen Frist erfolgen. Dem Auftragnehmer ist es freigestellt, jedwede sonstige gewerbliche bzw. unselbständige Tätigkeit auszuüben. Tätigkeiten für andere Zeitungsverlage sind dem Auftraggeber mitzuteilen.

IX.

Änderungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform. ..."

In einem in der Folge von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse an den Erstmitbeteiligten "auf Grund divergierender Sachverhaltsdarstellungen" übersandten Fragebogen, gab der Erstmitbeteiligte folgende Antworten:

'1. Sind sie grundsätzlich verpflichtet, die von Ihnen übernommenen Agenden persönlich auszuüben? JA

2. Besteht Ihrerseits ein unmittelbares Interesse, die in Rede stehende Tätigkeit unter Weitergabe der an Sie ausgezahlten Entschädigung von Dritten ausführen zu lassen? NEIN

3. Sollte dies der Fall sein, welche Beweggründe liegen diesbezüglich vor? -

4. Haben Sie die vereinbarte Tätigkeit bereits durch von Ihnen namhaft gemachte Erfüllungsgehilfen durchführen lassen? NEIN

5. Zutreffendenfalls durch wen und von wann bis wann erfolgte dies konkret? -

6. Finden regelmäßig diverse Informationsveranstaltungen des Auftraggebers statt bzw. sind Sie verpflichtet an diesen teilzunehmen? JA, ABER NICHT VERPFLICHTEND.

7. Arbeiten Sie mit Dienstnehmern (nicht Werkvertragsnehmern) der (Beschwerdeführerin) zusammen? JA

8. Erhalten Sie von Ihrem Auftraggeber neben dem Kundenbetreuerausweis diverse Unterlagen (Bestellformulare, Werk- und Adressenmaterial, etc.) zur Verfügung gestellt? JA."

Mit Bescheid vom 30. November 1995 stellte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse fest, dass die Tätigkeit des Erstmitbeteiligten als Abonnentenwerber für die Beschwerdeführerin ab 8. November 1994 der Versicherungspflicht unterliege. In der Begründung werden die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargestellt, an die - ohne dass die Behörde Feststellungen getroffen hätte - die rechtliche Beurteilung anschließt, nach welcher bei der Tätigkeit des Erstmitbeteiligten für die Beschwerdeführerin die Merkmale der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber jenen der selbstständigen Ausübung der Erwerbstätigkeit überwögen.

Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl der Erstmitbeteiligte als auch die Beschwerdeführerin Einspruch. Die Beschwerdeführerin weist in ihrem Einspruch unter anderem darauf hin, der Erstmitbeteiligte habe in der Zeit vom 1. Dezember 1994 bis 12. April 1995 auf Grund seiner Tätigkeit für die Beschwerdeführerin insgesamt lediglich S 7.050,-- an Provisionen verdient.

Im Zuge des Einspruchsverfahrens nahm die Beschwerdeführerin wiederholt zur Beweisaufnahme bzw. zu von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vertretenen Standpunkten Stellung und bot zum Beweis dafür, dass den Erstmitbeteiligten keine persönliche Arbeitspflicht getroffen habe und er sich jederzeit beliebig habe vertreten lassen können, die Einvernahme dreier bei der Beschwerdeführerin beschäftigter Zeugen an. Bei einer - im Rechtshilfeweg durchgeführten - Einvernahme am 14. Oktober 1996 ersuchte der Erstmitbeteiligte um "Einstellung des Verfahrens".

Mit Bescheid vom 2. Dezember 1997 gab der Landeshauptmann von Niederösterreich beiden Einsprüchen keine Folge und bestätigte den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse mit der Maßgabe, dass "ausgesprochen wird, dass (der Erstmitbeteiligte) in seiner Tätigkeit als Abonnentenwerber für die (Beschwerdeführerin) vom 8. November 1994 bis 6. April 1995 der Teilversicherung in der Unfallversicherung unterlag." In der Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass bei Berücksichtigung der für die Jahre 1994 und 1995 geltenden Geringfügigkeitsgrenzen (S 3.288,-- bzw. S 3.452,--) der Erstmitbeteiligte nur der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung unterliege.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde nach geraffter Wiedergabe des Verwaltungsverfahrens und nach Darstellung der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen "hinsichtlich des Sachverhaltes (aus den Akten der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse und des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung) und der Beweiswürdigung" Folgendes aus:

"Es steht fest, dass (der Erstmitbeteiligte) während des streitgegenständlichen Zeitraumes für (die Beschwerdeführerin) als Abonnentenwerber tätig war. Grundlage für die gegenständliche Tätigkeit war eine als Werkvertrag bezeichnete Vereinbarung. Die Tätigkeit des Genannten gestaltete sich im einzelnen derart, dass diesem von (der Beschwerdeführerin) die Abonnentenwerbung in einem von (der Beschwerdeführerin) bezeichneten Gebiet übertragen wurde. Dies ergibt sich aus Art. I der Vereinbarung; wenn (die Beschwerdeführerin) im Rahmen des von ihr ausgefüllten Fragebogens meint, dass ein bestimmtes Arbeitsgebiet nicht zugeteilt, sondern angeboten und mit befristetem Gebietsschutz ausgestattet sei, so ist festzuhalten, dass diese Antwort nichts daran ändert, dass (der Erstmitbeteiligte), sobald ein bestimmtes Arbeitsgebiet für ihn festgelegt war, an dieses gebunden war. Das diesbezügliche Vorbringen (der Beschwerdeführerin) ist lediglich ein Scheinargument und entstand für das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Eindruck, dass die diesbezügliche Behauptung von (der Beschwerdeführerin) deshalb gemacht wurde, um zu vermeiden, dass für den Betroffenen das Bestehen der Pflichtversicherung festgestellt wird.

(Der Erstmitbeteiligte) verpflichtete sich, auf unbestimmte Zeit für (die Beschwerdeführerin) tätig zu werden. Bei Auflösung der gegenständlichen Vereinbarung ist eine dreitätige Kündigungsfrist einzuhalten. (Die Beschwerdeführerin) gab selbst zu, dass (der Erstmitbeteiligte) nicht uneingeschränkt für andere Unternehmen der gleichen Sparte tätig werden durfte. Es steht unbestrittenermaßen fest, dass er (der Beschwerdeführerin) die Tätigkeit für einen anderen Zeitungsverlag melden musste. Ebenfalls muss als gegeben angenommen werden, dass ihm die gleichzeitige Werbung für direkte Mitbewerber verboten war. Das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales erachtet die Aussage (der Beschwerdeführerin), daß Verstöße gegen dieses Verbot nicht geahndet worden wären, als unschlüssig. Es ist sinnwidrig und daher unglaubwürdig, einerseits ein Verbot, wenn auch ein eingeschränktes, aufzustellen und andererseits einen Verstoß dagegen nicht zu ahnden. Wäre dies so gewesen, hätte sich das Aufstellen eines Verbotes erübrigt. Die Angaben (der Beschwerdeführerin) sind auch noch in anderer Hinsicht inkonsequent: Diese behauptet einerseits im Verfahren, dass (der Erstmitbeteiligte) an keine bestimmte Arbeitszeit gebunden gewesen sei, bringt jedoch gleichzeitig vor, dass (der Erstmitbeteiligte) nur im Rahmen der von (der Beschwerdeführerin) veranstalteten Informationsabende über die zu bewerbenden Abonnenten Kenntnis erlangen könne. Dem Genannten blieb also gar nichts anderes übrig, als an diesen Abenden teilzunehmen und war jedenfalls insofern zeitlich gebunden. Der Verlag verfügt andererseits aufgrund von Testleseraktionen über die Informationen, welche Personen in einem bestimmten Gebiet sich bereits als Testleser für die Zeitung interessiert haben. Diese Personen sind potentielle Abonnenten und kommt dieser Personenkreis für den Abschluss eines Abonnements besonders in Betracht; es bestand daher ein Interesse (der Beschwerdeführerin) am Tätigwerden durch (den Erstmitbeteiligten) in einem bestimmten Ausmaß. Es bestand daher sehr wohl eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung im von (der Beschwerdeführerin) konkretisierten Umfang. Das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hält auch das Vorbringen (der Beschwerdeführerin), wonach (der Erstmitbeteiligte) nicht zur Berichterstattung verpflichtet gewesen sei und das Nichtaufsuchen der namhaft gemachten Kunden lediglich die Konsequenz gehabt hätte, dass das Adressenmaterial nach dem Ende der Schutzfrist für Nachwerbung freigegeben würde, als nicht stichhältig, ist doch eine derartige Vorgangsweise mit einer rationellen Unternehmensstrategie nicht vereinbar. (Dem Erstmitbeteiligte) wurden im Zuge seiner Tätigkeit von (der Beschwerdeführerin) Bestellformulare, Werbe- und Adressenmaterial zur Verfügung gestellt. Der Genannte wurde für diese Tätigkeit eingeschult. Die Einschulung bezog sich auf Produkt- und Verkaufsinformation. Der Abonnentenwerber hatte die abgeschlossenen Verträge an das Unternehmen weiterzuleiten, wobei sich der Zeitpunkt der Weiterleitung nach der zwischen Abonnent und Abonnentenwerber zustandegekommenen Vereinbarung richtete. Wie (die Beschwerdeführerin) selbst zugibt, bestand ein gewisses Maß an Berichterstattungspflicht. Die Entlohnung des Betroffenen erfolgte ein Form von Abschlussprämien laut dem Preis-Leistungsverzeichnis. (Der Erstmitbeteiligte) erhielt als Provision für den streitgegenständlichen Zeitraum insgesamt 7 050 S.

Laut Punkt III der gegenständlichen Vereinbarung ist mit (dem Erstmitbeteiligten) zwar ein generelles Vertretungsrecht vereinbart worden (argum: 'Überträgt der Auftragnehmer die vereinbarten Leistungen auf eigene Kosten und Gefahr an Dritte, ...'), es drängt sich jedoch die Frage auf, ob eine solche Vertretungsbefugnis ernstlich gewollt oder als Scheinvereinbarung zu qualifizieren ist. Wird die Vereinbarung als Scheinvereinbarung qualifiziert, ist sie für die Feststellung des Sachverhaltes ohne Bedeutung:

Gemäß § 916 ABGB ist eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber mit dessen Einverständnis zum Schein abgegeben wird, nichtig. Soll dadurch ein anderes Geschäft verborgen werden, so ist dieses nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen.

Gemäß § 539a Abs. 1 ASVG ist für die Beurteilung von Sachverhalten nach diesem Bundesgesetz in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes (z.B. Werkvertrag, Dienstvertrag) maßgebend.

Nach Abs. 2 leg. cit. können durch den Missbrauch von Formen und durch Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes Verpflichtungen nach diesem Bundesgesetz, besonders die Versicherungspflicht, nicht umgangen oder gemindert werden.

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung ist ein Sachverhalt so zu beurteilen, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu beurteilen gewesen wäre.

Gemäß § 539a Abs. 4 ASVG sind Scheingeschäfte und andere Scheinhandlungen für die Feststellung eines Sachverhaltes nach diesem Bundesgesetz ohne Bedeutung. Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Beurteilung maßgebend.

Nach Abs. 5 des § 539a ASVG gelten die Grundsätze, nach denen die wirtschaftliche Betrachtungsweise, Scheingeschäfte, Formmängel und Anfechtbarkeit sowie die Zurechnung nach den §§ 21 und 24 der Bundesabgabenordnung für Abgaben zu beurteilen sind, auch dann, wenn eine Pflichtversicherung und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten nach diesem Bundesgebiet zu beurteilen sind.

Es ist völlig lebensfremd anzunehmen, dass ein Beschäftigter, der vor Aufnahme seiner Tätigkeit eingeschult werden musste, eine Vertretungsmöglichkeit ins Auge fasst, zumal der Organisationsaufwand für eine Vertretung in keinem wirtschaftlichen und vernünftigen Verhältnis zum Vorteil stünde. Die Erwägungen sind als Indizien für eine Scheinvereinbarung zu werten. Auf der Seite des Dienstgebers spricht gegen eine tatsächlich gewollte Vertretungsbefugnis, dass der Einschulungsaufwand bei tatsächlicher Nichtausübung der Tätigkeit durch den Vertragspartner umsonst wäre. Im übrigen wurde auch von (der Beschwerdeführerin) nicht erklärt, worin das Regelungsbedürfnis für die Vereinbarung einer Vertretung gelegen wäre, etwa durch eine Inanspruchnahme (des Erstmitbeteiligten) durch andere Aufträge oder dergleichen. Es ist daher davon auszugehen, dass für (den Erstmitbeteiligten) persönliche Arbeitspflicht bestand."

In ihrer rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde davon aus, dass folgende Umstände nicht für das Vorliegen eines Werkvertrages bzw. nicht gegen die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprächen: Keine im Vorhinein konkretisierte und abgegrenzte Leistung; Abschluss des Vertrages auf unbestimmte Zeit; Zurverfügungsstellung der Arbeitskraft an Stelle der Erbringung eines geschlossenen Werkes; Entgelt nur für vermittelte Abonnements; Tätigkeit in einem geringen zeitlichen Ausmaß. Aus der Meldepflicht des Erstmitbeteiligten im Falle einer Tätigkeit für einen anderen Zeitungsverlag folgerte die belangte Behörde ein Konkurrenzverbot. Auf Grund der Berichtspflicht sei der Beschwerdeführerin die Möglichkeit gegeben - so die belangte Behörde weiter -, auf die Anzahl der Vertragsabschlüsse Einfluss zu nehmen und die Tätigkeit des Erstmitbeteiligten insofern auch zu kontrollieren. Durch die Testleserverzeichnisse sei dem Erstmitbeteiligten ein bestimmtes Einsatzgebiet und ein bestimmter Kundenkreis vorgegeben gewesen; die für seine Tätigkeit erforderlichen Betriebsmittel, wie Bestellformulare, Werbe- und Adressenmaterial, seien ihm von der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellt worden. Zusammenfassend würden bei der Tätigkeit des Erstmitbeteiligten für die Beschwerdeführerin die Merkmale der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber jenen der selbstständigen Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Unfallversicherungsanstalt und die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt - von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen; sie beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse entschied in ihrem erstinstanzlichen Bescheid - wie dem insoweit undeutlichen Spruch ("Versicherungspflicht") in Verbindung mit der Begründung ("welche gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll- und Arbeitslosenversicherung unterliegen") entnommen werden kann - über die Vollversicherung nach ASVG und AlVG ab 8. November 1994. Der Landeshauptmann von Niederösterreich war daher funktionell unzuständig, in seinem Bescheid über die Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung abzusprechen. Die Unfallversicherungspflicht ist nämlich im Verhältnis zur Vollversicherungspflicht keine modifizierte, sondern eine andere Rechtsfrage (vgl. das Erkenntnis vom 16. April 1985, Zl. 83/08/0191, mit weiteren Hinweisen auf die Vorjudikatur; aus jüngster Zeit etwa das Erkenntnis vom 3. Juli 2002, Zl. 99/08/0173). Die belangte Behörde hätte daher mit dem angefochtenen Bescheid diesen Abspruch im Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich beheben müssen. Weil dies nicht geschah, wurde der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

In der Sache hat die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht deutlich herausgearbeitet, welche Tatsachen sie aus welchen Erwägungen als festgestellt angenommen hat; zudem ist auch die rechtliche Beurteilung mit beweiswürdigenden Elementen vermengt. Im weiteren Verfahren wird die belangte Behörde daher vor dem rechtlichen Hintergrund des das Verhältnis einer vertraglich eingeräumten Möglichkeit, sich vertreten zu lassen bzw. Hilfskräfte heranzuziehen und der unterlassenen Inanspruchnahme dieser Möglichkeiten bei der praktischen Durchführung der Tätigkeit ausführlich behandelnden Erkenntnisses vom 16. Mai 2001, Zl. 96/08/0200, sowohl zum Inhalt des Vertrages als auch über die Durchführung der konkreten Beschäftigung - von der Beweiswürdigung getrennte - Feststellungen zu treffen haben, um diese dann - wiederum isoliert von den übrigen Teilen der Bescheidbegründung - einer rechtlichen Beurteilung unterziehen zu können.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wegen der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) war das auf Ersatz der Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren abzuweisen.

Wien, am 3. Oktober 2002

Schlagworte

sachliche Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999080007.X00

Im RIS seit

04.02.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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