TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/6 B251/99

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Veröffentlicht am 06.10.1999
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
RAO §28 Abs2
RAO §30 Abs4
RAO §34 Abs1 lita
RAO §5a

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Verhängung der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte durch die OBDK nach bereits erfolgter Streichung von dieser Liste aufgrund rechtskräftiger Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Beschwerdeführers; keine Entscheidungsbefugnis der Disziplinarbehörden hinsichtlich nicht (mehr) in die Liste eingetragener Personen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer für Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 27.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer (im folgenden: Disziplinarrat) vom 23. April 1998 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen, daß er 1.) in der Zeit vom 14. November 1989 bis 21. Februar 1991 im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit G R sich betrügerischer Handlungen bediente und dadurch der Landesgirokasse Stuttgart einen Schaden von DM 11.148.690,49 zufügte, und 2.) am 8. November 1994 vor dem Bezirksgericht Kufstein in der Strafsache gegen G R anläßlich seiner Vernehmung im Rechtshilfeweg zu AZ Hs 137/94 als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch aussagte. Über den Beschwerdeführer wurde hiefür gemäß §16 Abs1 Z4 Disziplinarstatut 1990, BGBl. 1990/474, die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte verhängt.

Das Erkenntnis des Disziplinarrates stützte sich auf die Urteile des Landesgerichtes Innsbruck, 28 Hv 119/96, vom 18. März 1997 und des Obersten Gerichtshofes, 12 Os 108/97, vom 29. Jänner 1998, wonach der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen schweren Betruges nach den §§146, 147 Abs1 Z1 und Abs3 StGB und falscher Beweisaussage vor Gericht nach §288 Abs1 StGB zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war.

2. Der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen dieses Erkenntnis gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Bescheid vom 30. November 1998, 14 Bkd 8/98 (dem Beschwerdeführer zugestellt am 13. Jänner 1999), keine Folge.

3. Parallel zu diesem Disziplinarverfahren lief vor dem Ausschuß der Tiroler Rechtsanwaltskammer (im folgenden: Ausschuß) ein weiteres Verfahren, welches die Löschung des Beschwerdeführers von der Liste der Rechtsanwälte aufgrund rechtskräftiger Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Beschwerdeführers zum Gegenstand hatte:

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck (24 S 30/98 w) vom 16. April 1998 wurde aufgrund eines Antrags des Beschwerdeführers über sein Vermögen das Konkurs- bzw. Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Der Beschluß blieb unbekämpft. Die Rechtsmittelfrist gegen diesen Konkurseröffnungsbeschluß endete mit 1. Mai 1998. Mit Bescheid des Ausschusses vom 2. Juli 1998 wurde die amtswegige Löschung des Beschwerdeführers aus der Liste der Rechtsanwälte der Tiroler Rechtsanwaltskammer mit Wirkung vom 1. Mai 1998 "festgestellt". Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung an die OBDK. Mit Bescheid vom 30. Oktober 1998, Bkv 13/98-6, gab die OBDK der Berufung keine Folge und bestätigte den Bescheid des Ausschusses. Dieser Bescheid der OBDK wurde dem Beschwerdeführer am 19. Jänner 1999 zugestellt.

4. Gegen den Bescheid der OBDK vom 30. November 1998, 14 Bkd 8/98, richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, ferner eine Verletzung des Art6 Abs1 und 2 EMRK und der Art2 und 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erblickt der Beschwerdeführer darin, daß er durch den angefochtenen Bescheid rechtskräftig aus der Liste der Rechtsanwälte gestrichen wurde, obwohl er bereits zuvor wegen rechtskräftiger Eröffnung des Konkurses über sein Vermögen von dieser Liste gelöscht wurde. Er unterliege daher nicht mehr der Disziplinargewalt der Disziplinarbehörden. Das Disziplinarverfahren wäre daher jedenfalls vor der Verhandlung und Entscheidung der belangten Behörde und vor der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses des Disziplinarrates abzubrechen gewesen. Die belangte Behörde habe sohin in der Disziplinarsache "über ihn gerichtet, ohne sein gesetzlicher Richter zu sein".

2. Der Beschwerdeführer ist im Ergebnis im Recht:

2.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird ua. dann verletzt, wenn die Behörde eine Zuständigkeit in Anspruch nimmt, die ihr nach dem Gesetz nicht zukommt, insbesondere wenn sie eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, für die jegliche Rechtsgrundlage fehlt (VfSlg. 7985/1977, 9401/1982, 10137/1984).

2.2. Die maßgebliche Bestimmung des §34 RAO idF

BGBl. 474/1990 lautet:

"§34

(1) Die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erlischt:

a) durch den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, ferner durch den Verlust der Eigenberechtigung, solange dieser dauert, sowie durch die rechtskräftige Eröffnung des Konkurses bis zu seiner rechtskräftigen Aufhebung und die rechtskräftige Abweisung eines Konkursantrags mangels kostendeckenden Vermögens;

b) ...

c) ...

d) ...

(2) ..."

2.3. Den Disziplinarbehörden als Standesbehörden kommen Entscheidungsbefugnisse nur hinsichtlich der Personen zu, die der Disziplinargewalt der Rechtsanwaltskammern unterstehen. Nach §22 Abs1 RAO idF BGBl. 524/1987 werden die Rechtsanwaltskammern durch sämtliche in die Liste eingetragenen Rechtsanwälte gebildet. Dem Stand der Rechtsanwälte gehören sohin all jene Rechtsanwälte an, die in die Liste eingetragen sind (VwGH 29.3.1978, 1652/75).

Gemäß §34 Abs1 lita RAO idF BGBl. 474/1990 erlischt - wie dargetan - zwar die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft ex lege durch rechtskräftige Eröffnung des Konkurses, aus dem Rechtsanwaltsstand scheidet der Standesangehörige aber erst durch Streichung von der Liste aus (VfSlg. 7436/1974). Für diesen Fall unterliegt er ab Rechtskraft des Bescheides, mit dem die Streichung ausgesprochen wurde, nicht mehr der Disziplinargewalt der Disziplinarbehörden. Ein anhängiges Disziplinarverfahren ist entweder zu unterbrechen oder einzustellen (vgl. OBDK 30.3.1992, 13 Bkd 2/91).

Der Ausspruch der Löschung von der Liste der Rechtsanwälte ist vom Gesetz keinem bestimmten Organ zugewiesen. Gemäß §28 Abs2 RAO obliegt diese Aufgabe daher dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 12439/1990 dargetan hat, ist eine Berufung an die OBDK nur in den von der RAO ausdrücklich angeführten Fällen der §§5a und 30 Abs4 RAO zulässig (dagegen OBDK 25.4.1997, Bkv 1/97). (Seit Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 474/1990 mittlerweile auch in den Fällen des §1a Abs4 RAO). Da das Tatbestandsmerkmal "Erlöschen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft aufgrund rechtskräftiger Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Rechtsanwaltes" nicht unter diese Bestimmungen subsumierbar ist (VfSlg. 12439/1990) und der Bescheid des Ausschusses daher nicht mehr vor der OBDK bekämpft werden kann, ist dieser bereits vor der Entscheidung der OBDK im Disziplinarfall rechtskräftig geworden. Der Beschwerdeführer wurde daher mit Wirkung vom 1. Mai 1998 rechtskräftig von der Liste der Rechtsanwälte gestrichen. Indem die belangte Behörde in einer Disziplinarsache über eine Person abgesprochen hat, die nicht mehr Kammermitglied ist, hat sie eine Strafbefugnis in Anspruch genommen, für die jegliche Rechtsgrundlage fehlt. Der Beschwerdeführer wurde sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Der Bescheid war bereits aus diesem Grunde aufzuheben.

2.4. Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-- enthalten.

Schlagworte

Rechtsanwälte Berufsrecht, Rechtsanwälte Disziplinarrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B251.1999

Dokumentnummer

JFT_10008994_99B00251_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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