TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/17 99/20/0327

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Veröffentlicht am 17.10.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des MA in W, geboren 1967, vertreten durch Dr. Nikolaus Weselik, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ebendorferstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. März 1999, Zl. 204.866/0- XII/36/98, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, reiste am 27. März 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 1. April 1998 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er an, als Sicherheitsbeamter beim SNIP (Service National d'Intelligence et de Protection) in Kinshasa gearbeitet zu haben und Leibwächter der zweiten Frau des Generals Baramoto, eines ranghohen Freundes des früheren Staatspräsidenten Mobutu, gewesen zu sein. Nach dem Machtwechsel in der Demokratischen Republik Kongo sei er von Mai 1997 bis März 1998 wegen dieser von ihm ausgeübten Funktion inhaftiert gewesen, und man habe von ihm die Preisgabe von Geheimnissen des Generals und seiner Frau verlangt und ihn mit dem Tod bedroht. Von einem früheren Mitarbeiter des SNIP sei ihm schließlich zur Flucht verholfen worden. Der Beschwerdeführer gab an, der Bevölkerungsgruppe der Mungala anzugehören und ebenso wie Mobutu und General Baramoto aus der Provinz Equateur zu stammen. Die Dauer seiner Haft sei damit zu erklären, dass er ein Mungala sei und man "alle Mungala eliminieren" wolle. Er könne nirgendwo im Land Zuflucht suchen und fürchte wegen seiner früheren Tätigkeit, seiner Herkunft "aus der Gegend Mobutus" und seiner illegalen Ausreise verfolgt zu werden. Im Fall einer Rückkehr würde er inhaftiert und getötet werden, weil er für Baramoto gearbeitet habe und weil er ein Mungala sei.

Das Bundesasylamt erachtete die Angaben des Beschwerdeführers über die Gründe seiner behaupteten Gefährdung als unglaubwürdig, wies den Asylantrag mit Bescheid vom 6. August 1998 ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo sei zulässig.

Die belangte Behörde bestätigte - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - diese Entscheidung des Bundesasylamtes. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass zwar politisch Verbündete und Familienmitglieder sowie enge Mitarbeiter Mobutus, besonders vom Stamm der Ngbandi oder aus der Region Equateur, Verfolgung befürchten müssten, dies gelte aber "in der Regel nicht für Personen, die keine substantielle Rolle in ihrer politischen Partei gespielt haben". Den Sicherheitsdienst SNIP betreffend könne nicht festgestellt werden, dass jeder frühere Mitarbeiter des SNIP ohne weitere Umstände Verfolgung zu befürchten hätte. Aufgrund des mit Widersprüchen und Wissenslücken behafteten Vorbringens des Beschwerdeführers seien dessen Angaben zu seiner Tätigkeit beim SNIP und zu seiner Inhaftierung nicht glaubwürdig gewesen, hingegen könne die Herkunft des Beschwerdeführers aus der Provinz Equateur in der Demokratischen Republik Kongo festgestellt werden. Da sich "aus den Feststellungen zur allgemeinen Lage in der DR Kongo" kein Hinweis darauf ergebe, dass jede aus der Provinz Equateur stammende Person - ohne Hinzutreten weiterer Umstände wie führende politische Tätigkeit oder dgl. - einer asylrelevanten Verfolgung im Heimatland ausgesetzt wäre, habe der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Die Entscheidung über die Versagung des Refoulement-Schutzes begründete die belangte Behörde damit, aus "den Feststellungen zur allgemeinen Situation im Heimatland des Asylwerbers" ergebe sich nicht, dass etwa infolge eines Zusammenbruchs der Staatsgewalt jeder dorthin Abgeschobene einer Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG ausgesetzt wäre. Es liege auch "auf Basis der Sachverhaltsfeststellungen kein hinreichender Anhaltspunkt dafür vor, dass jede aus der Provinz Equateur stammende Person - ohne Hinzutreten weiterer Elemente wie z. B. politische Tätigkeit in führender Stellung unter Mobutu - unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder die Todesstrafe zu befürchten hätte".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Würdigung der behaupteten Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Tätigkeit für einen General des früheren Regimes der Demokratischen Republik Kongo als unglaubwürdig der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof - auch bei Bedachtnahme auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde - standhält. Insoweit die Beschwerde die Abweisung des Asylantrages mit Ausführungen zu einer Gefährdung des Beschwerdeführers "aufgrund seiner Tätigkeit für General Baramoto" bekämpft, geht sie nicht von den Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde aus.

In der Beschwerde wird jedoch zurecht aufgezeigt, dass der Beschwerdeführer seine Verfolgungsbehauptung auch auf seine Herkunft aus der Provinz Equateur und die Zugehörigkeit zur "Bevölkerungsgruppe Mungala", die vom neuen Regime verfolgt und unterdrückt werde, gestützt hat. In dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt finden sich zwar die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Berichte über die SNIP und über General Baramoto, nicht jedoch jenes Dokumentationsmaterial, aus dem die belangte Behörde ihre Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Demokratischen Republik Kongo abgeleitet hat. Insbesondere fehlt der von der belangten Behörde unter Bezugnahme auf einen darin enthaltenen "Punkt 124" ausdrücklich angeführte Bericht des US Department of State über die Menschenrechtslage in der DR Kongo im Jahr 1997. Es besteht daher für den Verwaltungsgerichtshof keine Möglichkeit, die von der belangten Behörde aus dem erwähnten Punkt dieses Berichtes oder aus anderen Quellen gezogenen Schlussfolgerungen, wonach aus der Provinz Equateur stammende Personen bzw. Angehörige der Volksgruppe Mungala - ohne Hinzutreten weiterer Umstände wie führende politische Tätigkeit oder dgl. - keiner asylrelevanten Verfolgung im Heimatland ausgesetzt wären, auf deren Richtigkeit nachprüfen zu können.

Das Fehlen nachvollziehbarer Feststellungen über die aktuelle Lage in der Demokratischen Republik Kongo ist im Übrigen auch deshalb von Relevanz, weil - wie dem Verwaltungsgerichtshof aus anderen die Demokratische Republik Kongo betreffenden Verfahren bekannt ist - schon aus vor der Erlassung des angefochtenen Bescheids erstellten Länderberichten hervorging, dass in der Demokratischen Republik Kongo ein Zustand von "Chaos und Anarchie" herrsche, wovon hunderttausende Zivilisten direkt betroffen seien (siehe insbesondere das im hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0410, zitierte Papier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12. November 1998, worin in Bezug auf den im August 1998 -neuerlich - ausgebrochenen Bürgerkrieg die Ansicht vertreten wird, eine Rückführung ausgewiesener Asylwerber in das krisengeschüttelte Land sei aufgrund der konkreten Gefährdungssituation nicht zumutbar und der Vollzug von "Wegweisungen" solle unverzüglich eingestellt werden; vgl. auch das Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 99/20/0419).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Begründungsmängel zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 17. Oktober 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999200327.X00

Im RIS seit

09.01.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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