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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des G E in G, geboren 1976, vertreten durch Dr. Georg Hoffmann, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Friedrichgasse 6/III, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Februar 2000, Zl. 215.404/0-IX/27/00, betreffend § 6 Z. 3 und § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Russlands, reiste am 20. Dezember 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21. Jänner 2000 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, geflohen zu sein, weil er nicht einrücken und nach Tschetschenien in den Krieg geschickt werden wolle. Deshalb werde er auch gesucht. Von Ende 1998 bis zu seiner Flucht im November 1999 habe er in Grosny gewohnt. In Tschetschenien würden alle ermordet. Er kenne außer Grosny namentlich keine weiteren Orte in Tschetschenien. Er wisse auch keine sonstigen geografischen Gegebenheiten, die ihm aus Tschetschenien in Erinnerung wären. Ebenfalls wisse er nicht, an welche Länder bzw. russische Gebiete Tschetschenien grenze. Auf die Frage, wie der tschetschenische Präsident heiße, antwortete der Beschwerdeführer, dass dieser ermordet worden sei. Entgegengehalten wurde ihm, der Präsident heiße Aslan Maschadow und sei am Leben. Im Protokoll ist weiters festgehalten, dass der Beschwerdeführer Fragen bereits vor der entsprechenden Übersetzung zu beantworten begonnen habe. Auf die Frage, ob der Deutsch verstehe, antwortete er, er habe hier ein bisschen gelernt. Sein Fluchtgrund sei der Krieg in Tschetschenien. Es habe keine gegen ihn persönlich gerichteten Verfolgungshandlungen gegeben, doch töteten die Russen jeden. In Russland gebe es kein normales Leben. Menschen würden einfach getötet. Der Beschwerdeführer glaube, dass sie auch ihn töten würden. Damit meine er die Polizei, das Militär oder die normalen Leute auf der Straße.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z. 1 und 3 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Russland gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Gründe, weshalb der Beschwerdeführer sein Heimatland verlassen habe, wegen der völligen Unglaubwürdigkeit seiner Angaben nicht feststellbar wären. Es sei absolut unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer einen Einberufungsbefehl zur russischen Armee bekommen habe. Wie er selbst angegeben habe, sei er seit Jahren ohne festen Wohnsitz, durch ganz Russland vagabundiert und niemals irgendwo gemeldet gewesen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wohin man ihm hätte einen Einberufungsbefehl zustellen sollen. Die Zustellung eines Einberufungsbefehles an dem angeblich letzten Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Grosny, wo er sich seit Ende 1998 aufgehalten habe, sei angesichts der mangelnden russischen Staatsmacht in Tschetschenien und insbesondere der Entwicklung der letzten Monate auszuschließen. Es sei für die Behörde nicht nachvollziehbar bzw. völlig unglaubwürdig, dass sich der Beschwerdeführer jemals in Tschetschenien aufgehalten habe, da er über keinerlei Ortskenntnisse, abgesehen von Grosny, verfüge. Der Beschwerdeführer sei weder in der Lage, den Namen einer weiteren Stadt oder eines Ortes in Tschetschenien zu nennen, er kenne keine sonstigen geografischen Gegebenheiten und sei sogar über die allgemeine geografische Lage Tschetscheniens völlig ahnungslos. Des weiteren sei dem Beschwerdeführer auch der Name des amtierenden tschetschenischen Präsidenten nicht geläufig. Da auf Grund dieser Fakten der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Tschetschenien nicht glaubhaft sei, könne auch der dortige Krieg kein Auslöser für das Verlassen des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers gewesen sein. Es sei sehr wahrscheinlich, dass sich der Beschwerdeführer schon längere Zeit im deutschsprachigen Raum aufgehalten habe, da er im Zuge seiner Einvernahme oftmals mit der Beantwortung einer Frage vor deren Übersetzung begonnen habe. Die Behörde gelange ferner zu der Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Russland einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid hielt der Beschwerdeführer seine in der Einvernahme gemachten Aussagen aufrecht und gab darüber hinaus an, seine Mutter sei Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, weshalb er seit Ende 1998 in Grosny in Tschetschenien gelebt habe. Er habe nie behauptet, in anderen Orten Tschetscheniens außerhalb von Grosny gewesen zu sein. Als russischer Staatsbürger hätte er im Krieg gegen Tschetschenien kämpfen müssen. Er laufe in Russland Gefahr, als Deserteur verhaftet und unmenschlich bestraft zu werden. Ebenso drohe ihm in Russland eine neuerliche Einberufung zum Militärdienst gegen Tschetschenien. Er könne von keiner Seite Schutz erwarten, weshalb ihm bei einer Rückkehr Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohten.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z. 3 und § 8 Asylgesetz ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer bei seiner mündlichen Einvernahme angegeben habe, zu befürchten, dass ihn in Russland die Polizei, das Militär oder normale Leute auf der Straße töten würden. Außerdem habe er behauptet, Gefahr zu laufen, in Russland als Deserteur verhaftet und unmenschlich bestraft zu werden. Der Behörde erster Instanz sei daher insoweit nicht zu folgen, als sie die Abweisung des Asylantrages auf § 6 Z. 1 Asylgesetz gestützt habe. Im Übrigen sei es aber tatsächlich nicht erklärbar, dass der Berufungswerber, der von Ende 1998 bis November 1999 in Grosny gelebt haben wolle, keinerlei Angaben über die geografischen Gegebenheiten in Tschetschenien machen und nicht einmal einfachste Fragen beantworten könne, etwa hinsichtlich des Namens anderer Städte als Grosny. Dies zumal er nach seinen Angaben von 1997 bis Ende 1998 durch ganz Russland vagabundiert sei und seine Mutter der tschetschenischen Volksgruppe angehöre. Schließlich habe sich kein sonstiger Hinweis auf Verfolgung im Herkunftsland des Beschwerdeführers ergeben. Insbesondere ließen die Angaben des Berufungswerbers nicht erkennen, dass er in Russland auf Grund seiner armenischen Nationalität oder dem Umstand, dass seine Mutter der tschetschenischen Volksgruppe angehöre, mit Schwierigkeiten konfrontiert gewesen wäre. Auf Grund der offensichtlichen Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er einer Bedrohung im Sinne des § 57 Fremdengesetz iVm § 8 Asylgesetz ausgesetzt wäre.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 6 Z. 3 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren, was der Fall ist, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht.
Gemäß § 8 Asylgesetz hat die Behörde, wenn ein Asylantrag abzuweisen ist, von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 Fremdengesetz); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.
Die belangte Behörde hat ihren Bescheid erlassen, ohne zuvor eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Nach der Bestimmung des Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG kann die gemäß § 67d AVG grundsätzlich verpflichtend vorgesehene mündliche Verhandlung des unabhängigen Bundesasylsenates unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint.
Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass eine der Voraussetzungen für den Entfall einer mündlichen Verhandlung die schlüssige Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ist (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2001/20/0337). Dies ist im vorliegenden Fall schon deshalb nicht gegeben, weil es die Behörde erster Instanz als völlig unglaubwürdig bezeichnet hat, dass sich der Beschwerdeführer jemals in Tschetschenien aufgehalten habe, da er über keinerlei Ortskenntnisse verfüge. Die erstinstanzliche Behörde hat aber ausdrücklich dieses mangelnde Wissen über Ortskenntnisse nicht auf Grosny bezogen. Sie hat jedoch nicht dargelegt, woher der Beschwerdeführer Ortskenntnisse von Grosny hat und weshalb trotz solcher Ortskenntnisse "Offensichtlichkeit" im Sinne des § 6 Z. 3 AsylG vorliegt.
Abgesehen davon hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid die Beweiswürdigung durch die Behörde erster Instanz bekämpft und auch neue Tatsachen vorgebracht, sodass auch auf Grund dieser Berufungsausführungen eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen wäre (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0525).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 17. Oktober 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200270.X00Im RIS seit
20.01.2003