TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/11 B2763/97

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Veröffentlicht am 11.10.1999
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
VVG §8
ASVG §347 Abs4

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch die Landesberufungskommission mangels Vorliegens einer Rechtsgrundlage zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Abweisung eines (zurückzuweisenden) Feststellungsbegehrens; keine willkürliche Abweisung eines Unterlassungsantrags eines Psychiaters betreffend Kontrollbefragungen seiner Patienten durch die Gebietskrankenkasse mangels rechtlicher Betroffenheit

Spruch

Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid, soweit dieser den Feststellungsantrag zu Punkt 1. abgewiesen hat, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Insoweit wird der Bescheid aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die §§344 und 345 ASVG lauten auszugsweise:

"Paritätische Schiedskommission

§344. (1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.

(2) Die paritätische Schiedskommission besteht aus vier Mitgliedern,...

(3) Die paritätische Schiedskommission ist verpflichtet, über einen Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach dessen Einlangen, mit Bescheid zu entscheiden. Wird der Bescheid dem Antragsteller innerhalb dieser Frist nicht zugestellt oder wird dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt, daß wegen Stimmengleichheit keine Entscheidung zustande kommt, geht auf schriftliches Verlangen einer der Parteien die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Landesberufungskommission über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Landesberufungskommission einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf Stimmengleichheit oder nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde (§73 AVG 1950) zurückzuführen ist.

...

Landesberufungskommission

§345. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesberufungskommission zu errichten. ...

(2) Die Landesberufungskommission ist zuständig:

1. zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission und

2. zur Entscheidung auf Grund von Devolutionsanträgen gemäß §344 Abs3.

..."

§347 Abs4 erster Satz ASVG lautet:

"(4) Die in den §§344, 345, 345a und 346 vorgesehenen Kommissionen haben auf das Verfahren das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 anzuwenden, sofern dieses Bundesgesetz nichts anderes anordnet."

2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde - nachdem die Zuständigkeit aufgrund eines Devolutionsantrages des Beschwerdeführers gemäß §344 Abs3 ASVG auf sie übergegangen war - die Anträge des Beschwerdeführers

"1. festzustellen, die Antragsgegnerin handle vertragswidrig, wenn sie beim Antragsteller in psychiatrischer Behandlung stehende Patienten ohne Einverständnis seitens des Antragstellers Kontrollbefragungen zur psychiatrischen Behandlung seitens des Antragstellers unterwirft,

2. die Antragsgegnerin bei Exekution zu verpflichten, derartige Kontrollbefragungen zur psychiatrischen Behandlung seitens des Antragstellers bei dessen Patienten ohne seine vorherige Einwilligung zu unterlassen,

3. der Antragsgegnerin und Gegnerin der gefährdeten Partei in Form einer Einstweiligen Verfügung für die Dauer dieses Rechtsstreites zu verbieten, psychiatrische Patienten der gefährdeten Partei ohne vorher einzuholendes Einverständnis seitens der gefährdeten Partei telefonischen oder persönlichen Kontrollbefragungen zur psychiatrischen Behandlung seitens der gefährdeten Partei zu unterziehen"

abgewiesen.

2.1. Zu den in der Begründung des angefochtenen Bescheides gemeinsam behandelten Punkten 1. und 2. der Anträge des Beschwerdeführers führt die belangte Behörde aus, daß sie hinsichtlich der telephonisch durchgeführten Kontaktaufnahmen der Gebietskrankenkasse mit Patienten des Beschwerdeführers keine näheren Feststellungen von deren Inhalt habe treffen können.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde aber die Auffassung, daß die beteiligte Gebietskrankenkasse berechtigt sei, Beteiligte und Auskunftspersonen zur Feststellung des Sachverhalts ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu vernehmen, wobei diese Befugnis durch §34 des Mustergesamtvertrages, wonach der Versicherungsträger alles zu unterlassen habe, was das Ansehen des Vertragsarztes und dessen Leistungen in den Augen der Anspruchsberechtigten oder der Öffentlichkeit herabsetzen könnte, beschränkt sei. Innerhalb dieser Grenzen bleibe die Form der Sachverhaltsfeststellung dem Versicherungsträger überlassen. Der Antragsteller übersehe, daß seine Patienten nicht nur in einem Vertrauensverhältnis zu ihm stünden, sondern auch in einem "Vertragsverhältnis" zur Gebietskrankenkasse, der Kontrollrechte "aus ihrem Vertragsverhältnis zum Antragsteller nicht abgesprochen werden können".

2.2. Zur Frage der Erlassung einer einstweiligen Verfügung vertrat die belangte Behörde die Auffassung, eine solche sei dem AVG fremd; zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §8 VVG fehle es an den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer insoweit, als sein Antrag auf eine Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgewiesen wurde, in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, im übrigen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 MRK als verletzt erachtet.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, sich jedoch zu der Beschwerde nicht geäußert; die beteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur Frage der Erlassung einer einstweiligen Verfügung:

Die belangte Behörde hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung mit der Begründung, die Erlassung einer solchen Verfügung sei dem AVG fremd bzw. es lägen die im §8 VVG normierten Voraussetzungen nicht vor, abgewiesen. Es kann auf sich beruhen, ob die Behörde damit den Antrag des Beschwerdeführers zurückweisen wollte (und sich im Spruch ihres Bescheides nur im Ausdruck vergriffen hat) oder ob sie den Antrag meritorisch abweisen wollte, da ihre Begründung jedenfalls rechtlich zutrifft und daher der Beschwerdeführer - wie immer man Spruch und Begründung deutet - nicht im geltend gemachten Grundrecht verletzt worden ist. Der Beschwerdeführer übersieht vor allem, daß die Landesberufungskommission gemäß §347 Abs4 ASVG zwar das AVG, nicht aber andere Verfahrensbestimmungen, insbesondere daher auch nicht das VVG anzuwenden hat, weshalb eine Erlassung von einstweiligen Verfügungen im Sinne des §8 VVG durch die Landesberufungskommission schon aus diesem Grunde nicht in Betracht kommt. Es ist auch sonst keine Norm ersichtlich, die der Landesberufungskommission das Recht einräumen würde, einstweilige Verfügungen - auf welcher Rechtsgrundlage immer - zu erlassen. Durch die als "Abweisung" seines Antrages zu Punkt 3. bezeichnete Erledigung wurde der Beschwerdeführer daher in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nicht verletzt.

2. Hinsichtlich der weiteren Anträge auf Feststellung, daß die - oben näher bezeichnete - Handlungsweise der beteiligten Partei vertragswidrig sei, sowie, daß sie verpflichtet sei, Kontrollbefragungen zur psychiatrischen Behandlung bei Patienten des Beschwerdeführers ohne seine vorherige Einwilligung zu unterlassen, war folgendes zu erwägen:

2.1. Die belangte Behörde hat sowohl den Feststellungsantrag als auch den Unterlassungsantrag abgewiesen ohne die Zulässigkeit dieser Anträge zu prüfen:

2.1.1. Nun ist aber ein Feststellungsbescheid nach ständiger Rechtsprechung beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nur dann zulässig, wenn er entweder in einem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, oder wenn eine gesetzliche Regelung hierüber zwar nicht besteht, die Erlassung eines solchen Bescheides aber im öffentlichen Interesse gelegen oder für eine Partei ein notwendiges Mittel zweckverfolgender Rechtsverteidigung ist (vgl. etwa VfSlg. 11764/1988 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes). Insbesondere ist ein Feststellungsbegehren dann unzulässig, wenn das gleiche Begehren - wesentlich effektiver - durch ein Begehren auf Unterlassung verfolgt werden kann (vgl. z.B. VwGH 14. Mai 1997, Zl. 96/07/0200 und 30. September 1997, Zl. 97/05/0190).

2.1.2. Ein solcher Fall liegt hier vor: Die Möglichkeit, den Rechtsschutz durch ein Unterlassungsbegehren zu erlangen schließt für sich allein schon die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens aus.

2.1.3. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).

2.1.4. Dadurch, daß die belangte Behörde zum Nachteil des Beschwerdeführers dessen Feststellungsbegehren abgewiesen hat, anstatt es als unzulässig zurückzuweisen, hat sie eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nach dem Gesetz nicht zukam; sie hat dadurch den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

2.2. Was schließlich das - zulässige - Unterlassungsbegehren betrifft, so vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen, daß die belangte Behörde das Gesetz in einer in die Verfassungssphäre reichenden Art und Weise verletzt hätte:

2.2.1. Insbesondere übersieht der Beschwerdeführer, daß er aus dem Behandlungsvertrag mit einem Patienten allein keine Rechtsposition erlangt, aufgrund welcher er Rechte auch dieser Patienten gegenüber der Gebietskrankenkasse geltend machen könnte. Der Beschwerdeführer wird auch als behandelnder Psychiater weder zu einer Art Sachwalter, noch ist er sonst zur Vertretung seiner Patienten berufen. Es berührt daher nicht die Rechtssphäre des Beschwerdeführers, wenn die beteiligte Partei mit Patienten des Beschwerdeführers etwa zum Zwecke der Überprüfung der Erbringung der verrechneten Leistungen Kontakt aufnimmt, soweit sie damit nicht gegen die Bestimmungen des Gesamtvertrages verstößt. Die belangte Behörde mußte daher auch auf die Frage nicht weiter eingehen, ob den Patienten die Befragung durch die beteiligte Gebietskrankenkasse gesundheitlich zumutbar gewesen ist, sodaß die unter dem Gesichtspunkt des "fairen Verfahrens" im Sinne des Art6 EMRK erhobene Verfahrensrüge des Beschwerdeführers ins Leere geht.

2.2.2. Auch §34 des Gesamtvertrages, wonach die beteiligte Gebietskrankenkasse ausdrücklich verpflichtet ist, alles zu unterlassen, was das Ansehen des Vertragsarztes und dessen Leistungen in den Augen der Sozialversicherten (Patienten) oder der Öffentlichkeit herabsetzen könnte (gem. §341 Abs3 ASVG Inhalt auch des Einzelvertrages), steht einer Vorgangsweise wie der im angefochtenen Bescheid beschriebenen nicht entgegen. Daß die Gebietskrankenkasse dabei die Grenzen des §34 überschritten hätte, ist nicht erkennbar und wird auch vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde nicht behauptet.

2.3. Die belangte Behörde hat daher dadurch, daß sie den Unterlassungsantrag des Beschwerdeführers abgewiesen hat, das Gesetz weder denkunmöglich angewendet, noch sonst Willkür geübt.

Ob das Verfahren in jeder Hinsicht rechtmäßig geführt wurde und ob die Entscheidung rechtsrichtig ist, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10565/1985, 10659/1985, 12697/1991, zuletzt E 15. Oktober 1998, B1664/97 uva).

3. Der angefochtene Bescheid war daher nur in seinem Ausspruch über die Abweisung des Feststellungsbegehrens aufzuheben; im übrigen war die Beschwerde abzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. Im Hinblick darauf, daß die Beschwerde überwiegend nicht erfolgreich gewesen ist, waren Kosten nicht zuzusprechen.

Schlagworte

Sozialversicherung, Anwendbarkeit AVG, Feststellungsbescheid, Vertreter, Verwaltungsvollstreckung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B2763.1997

Dokumentnummer

JFT_10008989_97B02763_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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