Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des J V in L, geboren 1970, vertreten durch Dr. Christian Pötzl, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Fabrikstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. November 2001, Zl. 203.327/13-V/13/01, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Liberia, gab, nach den Gründen seines Asylantrages befragt, am 3. Juni 1996 vor dem Bundesasylamt zu seiner Person an, er habe nach seiner fünfjährigen Volksschulzeit in Monrovia als Fischer gelebt und sich dort zweimal täglich auf Fischfang begeben. Im April 1996, als die Truppen des Charles Taylor in seiner Heimatstadt einmarschiert seien und der Bürgerkrieg neu aufgeflammt sei, habe er bei seiner Rückkehr vom Fischfang sein Haus niedergebrannt vorgefunden. Auch die gesamte Umgebung sei in Flammen gestanden. Er nehme an, dass sowohl seine Eltern als auch seine Frau und seine beiden Kinder in den Flammen umgekommen seien, sodass er sich entschlossen habe, Liberia zu verlassen. An den Bürgerkriegsauseinandersetzungen habe er sich nie beteiligt.
Mit Bescheid vom 3. Juni 1996 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab, wogegen dieser fristgerecht Berufung erhob. Dort führte er aus, dass seine Familie nach seiner Überzeugung auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit "und entsprechenden politischen Gesinnung" ermordet worden sei, wohingegen der Beschwerdeführer bloß durch einen Zufall, nämlich aufgrund seiner Abwesenheit von zu Hause, verschont geblieben sei. Die "in Monrovia allgemein bekannte und offen vertretene politische Gesinnung meiner Familie und von mir selbst" bestehe unter anderem darin, die Politik und die Ziele des Charles Taylor und dessen Gruppierung abzulehnen. Die einzige Chance, die der Beschwerdeführer und seine Familie gehabt hätten, um der Verfolgung zu entgehen, wäre die Unterstützung des Charles Taylor gewesen, was sie aber abgelehnt hätten. "Als Konsequenz unserer Gegnerschaft" sei die Familie des Beschwerdeführers ermordet und ihr Haus niedergebrannt worden.
Nachdem das Asylverfahren nach Erlassung des Berufungsbescheides des Bundesministers für Inneres vom 18. Februar 1997 gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 (im Folgenden kurz: AsylG) in das Stadium vor Erlassung dieses Bescheides getreten war und eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen wurde (dazu der hg. Beschluss vom 18. Februar 1999, Zl. 97/20/0242), führte die belangte Behörde am 18. Juni 2001 eine Berufungsverhandlung durch. Darin gab der Beschwerdeführer an, er sei in Monrovia geboren und aufgewachsen, als junger Mann aber hauptsächlich in der Küstenregion ansässig gewesen. Die Antwort auf die Frage, welcher Volksgruppe der Beschwerdeführer angehöre und welche seine Muttersprache sei, protokollierte die belangte Behörde dahingehend, dass er "zum Volk der Krio" gehöre, deren Vorfahren die ehemaligen Sklaven, die jetzt in den USA lebten, seien. "Krio", das dem Englischen ähnlich sei, sei auch die Muttersprache des Beschwerdeführers. Über Vorhalt des Verhandlungsleiters, dass "Krio" in Sierra Leone gesprochen werde und er noch nie gehört habe, dass man diese Sprache auch in Liberia spreche, wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass diese Sprache "überall entlang der atlantischen Küste" gesprochen werde.
In der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer eingehend über sein Faktenwissen betreffend Liberia, so etwa über die dortige Regen- und Trockenzeit, über die Verwaltungsgliederung und die Verbreitung von Volksgruppen bzw. über die ethnische Zuordnung politischer Personen in Liberia befragt. Dazu hielt die belangte Behörde im Verhandlungsprotokoll die an den Beschwerdeführer gerichteten Fragen und dessen Antworten, zum Teil aber nicht die von ihr erwarteten richtigen Antworten fest. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer in der Verhandlung aus, sein Vater sei Journalist gewesen und habe als Angehöriger der Opposition und "ehemaliger Schulkollege von Johnson" die Bewegung Ulimo unterstützt. Der Vater des Beschwerdeführers sei deswegen mehrmals im Gefängnis gewesen und habe sich "gegen diese Regierung gestellt". Der Beschwerdeführer selbst habe seine Hände "nicht mit Blut beflecken" wollen, habe sich jedoch - vor dem Krieg - eine Zeit lang einer "Militärausbildung" bei der Ulimo unterzogen. Nachdem sein Elternhaus niedergebrannt worden sei, habe er flüchten müssen. Im Falle seiner Rückkehr nach Liberia würde der Beschwerdeführer als einziger Sohn seines Vaters, der in oppositionelle Aktivitäten gegen Charles Taylor involviert gewesen sei, gesucht werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. In der Begründung ihres Bescheides stellte sie sinngemäß fest, Liberia sei nicht der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, denn dieser sei weder Staatsangehöriger von Liberia noch ein Staatenloser mit "früherem Wohnsitz" in Liberia. Da die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat "falsch sind", entsprächen auch die damit verbundenen, ins Treffen geführten Fluchtgründe nicht den Tatsachen.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde zu diesen Feststellungen aus, dass nach den ihr vorliegenden Unterlagen "Krio ausschließlich in Sierra Leone" gesprochen werde und es sich dabei "jedenfalls um keine in Liberia gängige" Sprache handle. Auch sei "das Volk der Krio" in Liberia "nicht ausgewiesen". Der Beschwerdeführer sei im Übrigen "in grober Unkenntnis einer Mehrzahl weiterer Fakten sowie Eckdaten" betreffend seinen angeblichen Heimatstaat, deren Kenntnis ihm zumutbar sei. Dazu listete die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid jene Themen auf, zu denen sie den Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung befragt hatte und führte (lediglich) die Quellen dieser Themen an, unterließ es aber auch an dieser Stelle, den Antworten des Beschwerdeführers die von ihr als richtig erachteten Antworten gegenüberzustellen. Letztlich habe der Beschwerdeführer auch seine ursprünglichen Angaben in der Berufungsverhandlung "unsubstantiiert gesteigert", wodurch sich auch Widersprüche zu seinen Erstangaben ergeben hätten. Weder in der Niederschrift über die Erstvernehmung des Beschwerdeführers noch in seinem Berufungsschriftsatz fänden sich Hinweise auf eine exponierte politische Gesinnung seines Vaters oder auf die eigene Militärlaufbahn des Beschwerdeführers. Dieser habe vor der Erstbehörde vielmehr ausgesagt, sich nie an den "Bürgerkriegshandlungen" beteiligt zu haben. Die Gesamtbetrachtung der Angaben des Beschwerdeführers vor beiden Instanzen lege somit den "zwingenden Schluss" nahe, dass der Beschwerdeführer nicht Staatsangehöriger von Liberia sei, weshalb ihm jegliche persönliche Glaubwürdigkeit und damit die Gewährung von Asyl zu versagen seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, die Beweiswürdigung der belangten Behörde bekämpfende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Beweiswürdigung der Behörde als Denkvorgang nur in dem Umfang einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als der Sachverhalt in einem mangelhaften Verfahren ermittelt wurde oder die Beweiswürdigung den Denkgesetzen oder den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspricht (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 unter E 262 ff zu § 45 AVG referierte Judikatur). Einer Schlüssigkeitsprüfung im genannten Sinn hält die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid aus folgenden Gründen nicht stand:
Soweit sich die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung auf das fehlende Faktenwissen des Beschwerdeführers über Liberia stützt (ob dem Beschwerdeführer, der eine bloß fünfjährige Volksschulausbildung genoss, die Kenntnis aller ihm in der Verhandlung abverlangten Fakten zumutbar ist, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben), finden sich, wie erwähnt, im angefochtenen Bescheid keine nachvollziehbaren Ausführungen darüber, aus welchen Gründen die belangte Behörde die an den Beschwerdeführer gerichteten Fragen über Liberia als nicht oder nicht richtig beantwortet befunden hat. So ordnete der Beschwerdeführer, wie die Beschwerde zu Recht beispielhaft einwendet, die Trockenzeit in Liberia den Monaten Jänner bis April und die Regenzeit dem Monat Juni zu, woraufhin dem Beschwerdeführer vom Verhandlungsleiter vorgehalten wurde, dass der stärkste Regen in Liberia in den Monaten Juni und Juli falle und die Trockenzeit von November bis April reiche und seine Angaben "also in keinster Weise mit der Realität" übereinstimmten. Vorhalte dieser und ähnlicher Art (wie etwa - laut Niederschrift der Berufungsverhandlung - "Ihre Aussagen sind lächerlich") können, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430, dargelegt hat, die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung beeinträchtigen. Insbesondere lässt der angefochtene Bescheid aber vielfach nicht erkennen, ob und gegebenenfalls welche Fragen vom Beschwerdeführer richtig beantwortet wurden - was nach der Verhandlungsniederschrift mehrfach der Fall zu sein scheint -, und ob bzw. mit welchem Gewicht zutreffende Antworten von der belangten Behörde in der Beweiswürdigung zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt wurden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 2000/20/0547 und, einen Fall des § 6 Z 3 AsylG betreffend, das Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0597). Der bloße Verweis auf Quellen, denen die richtigen Antworten allenfalls entnommen werden könnten, ist nicht geeignet, diesen Begründungsmangel zu kompensieren.
Was die von der belangten Behörde gewürdigte Steigerung im Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen betrifft, so hat der Beschwerdeführer schon in der Verhandlung (so wie nunmehr auch in der Beschwerde) auf die Kürze der erstinstanzlichen Vernehmung (nach dem Protokoll 20 Minuten) sowie (in Übereinstimmung mit der Aktenlage) darauf hingewiesen, dass er beim Bundesasylamt zu seinem Vater nicht befragt worden sei. In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer sehr wohl auf die "politische Gesinnung meiner Familie" und auf u.a. seine Ablehnung der Politik des Charles Taylor, die zur Ermordung der Familie des Beschwerdeführers geführt hätten, hingewiesen. Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht der belangten Behörde, es fänden sich auch im Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers "keine diesbezüglichen Hinweise auf eine exponierte politische Gesinnung seines Vaters" und der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen "unsubstantiiert gesteigert", nicht zu teilen. In den Aussagen des Beschwerdeführers im Rahmen der Verhandlung, er habe sich einer "Militärausbildung" unterzogen, habe aber seine "Hände (zu ergänzen: durch eine Teilnahme am Krieg) nicht mit Blut beflecken" wollen, ist entgegen der Ansicht der belangten Behörde auch kein Widerspruch zu seinen Erstangaben, er habe sich an den "Bürgerkriegsauseinandersetzungen nie beteiligt", zu erkennen.
Schließlich stützt die belangte Behörde ihre Auffassung, die Angaben des Beschwerdeführers über seinen Herkunftsstaat und damit über seine Fluchtgründe entsprächen nicht den Tatsachen, darauf, dass das Volk der "Krio", dem sich der Beschwerdeführer zurechne, nach den der belangten Behörde vorliegenden Unterlagen in Liberia "nicht ausgewiesen" sei, und dass auch die vom Beschwerdeführer bezeichnete Sprache "Krio ausschließlich in Sierra Leone" gesprochen werde bzw. keine "gängige" Sprache in Liberia sei. Dabei übersieht die belangte Behörde zunächst, dass einer der aktenkundigen Berichte - vgl. "KRIO: a language of Sierra Leone" - darauf hinweist, dass die in Sierra Leone verwendete Sprache "Krio" auch in anderen Staaten gesprochen wird. Weiteren den Verwaltungsakten angeschlossenen Unterlagen (vgl. insbesondere "Alltag in Liberia von A-Z", Seite 7, und "Facts about Liberia", Seiten 531 und 532) ist zu entnehmen, dass zu den zwölf größten ethnischen Gruppen Liberias jene der "Kru" zählen, die auch der "Kru-(Kruan- oder Kwa-) Sprachgruppe" zugehören. Nach der letztgenannten Dokumentation ist die ethnische Gruppe der Kru unter anderem entlang der Küste angesiedelt und ihre Vorfahren werden (vgl. dazu das Papier "Alltag in Liberia von A-Z", Seite 6) mit den vom Beschwerdeführer genannten ehemaligen Sklaven in Verbindung gebracht. Vor diesem Hintergrund und unter weiterer Berücksichtigung dessen, dass sowohl "Kru" als auch "Krio" als Mischsprachen aus kreolischen Dialekten und Englisch entstanden sind, macht auch die vom Beschwerdeführer bezeichnete Muttersprache und Volksgruppenzugehörigkeit (nach dem Verhandlungsprotokoll angeblich "Krio") die von ihm angegebene Herkunft aus Liberia für sich allein nicht unglaubwürdig.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 17. Oktober 2002
Schlagworte
freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002200133.X00Im RIS seit
09.01.2003