Index
19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des H, vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 31. Juli 2000, Zl. UVS 20.14-1,2,3/2000-25, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Am 22. Jänner 2000 kam es in einem Etablissement in Kapfenberg zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und G. P., die dem Gendarmerieposten Kapfenberg angezeigt wurde. Aus Anlass dieser Auseinandersetzung schritten zwei Gendarmeriebeamte dieses Gendarmeriepostens ein und nahmen den Beschwerdeführer unter Anlegung von Hand- und Fußschellen fest.
In seiner an den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark (die belangte Behörde) gerichteten Beschwerde gemäß § 67a Abs. 1 Z 2 AVG brachte der Beschwerdeführer vor, er habe am 22. Jänner 2000 mit G. P. eine verbale Auseinandersetzung gehabt. Die Gendarmeriebeamten, zu denen der Beschwerdeführer ein getrübtes Verhältnis gehabt habe, hätten sogleich die Verhaftung des Beschwerdeführers ausgesprochen und begonnen, Gewalt gegen ihn auszuüben. Ihm seien Hand-, später auch Fußschellen angelegt und er sei beinahe bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden; er sei am Boden aus dem Lokal "geschliffen" worden. Einer der Gendarmeriebeamten habe den Beschwerdeführer ohne jede Rechtfertigung mit der Dienstwaffe bedroht. Die exzessive Ausübung körperlicher Gewalt gegen den Beschwerdeführer und der Einsatz der Dienstwaffe durch den Gendarmeriebeamten seien jedenfalls ungerechtfertigt und unverhältnismäßig und damit rechtswidrig gewesen. Der dargelegte Vorfall sei durch die Aussagen der unbeteiligten Zeugen J. H., K. H., der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers I. M. sowie teilweise durch G. G. zu belegen. Es werde beantragt, den diesbezüglichen (nach Aktenzahl benannten) Akt des Landesgerichtes Leoben beizuschaffen sowie die genannten Zeugen zum Vorfall zu vernehmen.
In seinem Schriftsatz vom 18. Mai 2000 brachte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer vor, im Zuge des (gegen ihn geführten) Strafverfahrens vor dem Landesgericht Leoben hätten sich die einschreitenden Beamten dahingehend verantwortet, dass die Waffe einem der Beamten aus dem Halfter gefallen und deshalb am Boden herumgelegen wäre. Durch die Beiziehung eines "Sachverständigen aus dem Schießfache" werde sich ergeben, dass die Pistolenhalfter der Exekutive so gesichert seien, dass sie nicht zufällig aufgingen und die Waffe herausfallen könne.
Am 28. Juli 2000 führte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durch, zu deren Beginn der Rechtsfreund des Beschwerdeführers eine Liste von "möglichen Zeugen des Vorfalls" vorlegte, die teilweise im Verfahren vor dem Landesgericht Leoben nicht einvernommen worden seien. Diese Personen seien zum Zeitpunkt des Vorfalls im Lokal anwesend gewesen. Auf die Frage der Verhandlungsleiterin, weshalb diese Personen noch nicht im Gerichtsverfahren namhaft gemacht worden seien, brachte der Rechtsfreund des Beschwerdeführers vor, hiezu nichts angeben zu können, weil er erst seit kurzem die Sache übernommen habe. Ihm lägen nunmehr die Namen und die ladungsfähigen Adressen dieser Zeugen vor. Er könne nicht angeben, was diese Personen wahrgenommen hätten, weil er nicht mit ihnen gesprochen habe. Die dem Verhandlungsprotokoll angeschlossene Kopie der Liste von Zeugen weist - neben den schon in der Beschwerde an die belangte Behörde namhaft gemachten Zeugen K. H. und J. H. - G. P. (den Kontrahenten des Beschwerdeführers) sowie K. und M. N. und E. P. (jeweils mit Anschriften) auf.
Im Zuge der weiteren Verhandlung vor der belangten Behörde wurden neben dem Beschwerdeführer zahlreiche weitere, offenbar schon im Rahmen des gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahrens einvernommene Zeugen vernommen, insbesondere auch die in der Beschwerde namhaft gemachten Zeugen G. G. und I. M.
Nach Einvernahme der Zeugen brachte der Rechtsfreund des Beschwerdeführers vor, neben den schon erhobenen Beweisanträgen den Antrag auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Waffenwesen "zum schon formulierten Beweisthema unter Einbeziehung der Tatschilderungen der einvernommenen Beamten" zu wiederholen. Im Rahmen seines Schlusswortes verwies er darauf, die belangte Behörde habe die Aufnahme objektiver Beweise, insbesondere die Beiziehung des beantragten Sachverständigen, nicht durchgeführt. Auch wären die beantragten Zeugen zum Beweisthema "Ansetzen der Dienstpistole" zu vernehmen gewesen.
Eine Einvernahme der übrigen vom Beschwerdeführer in der Verhandlung vom 28. Juli 2000 namhaft gemachten Zeugen (J. H., K. H., K. und M. N., E. P. sowie G. P.) sowie die Beiziehung eines Sachverständigen unterblieben.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die an sie gerichtete Beschwerde - unter Heranziehung der §§ 67a Abs. 1 Z 2, 67c Abs. 1 und 4 AVG, §§ 2 und 4 Waffengebrauchsgesetz 1969, §§ 29 und 50 SPG und Art. 3 EMRK als Rechtsgrundlagen - als unbegründet ab. Nach Darstellung des Verfahrensganges traf die belangte Behörde folgende Sachverhaltsfeststellungen:
"Am 22.1.2000, gegen 22.00 Uhr langte am Gendarmerieposten Kapfenberg eine Anzeige wegen eines Raufhandels im Cafe A. in 8605 Kapfenberg ... ein. Als die Beamten BI K. K. und Insp. E. R. im mit Gästen gefüllten Lokal eintrafen, lagen noch beide an der Rauferei beteiligten Personen - es war dies der Beschwerdeführer und ein gewisser G. P. - am Boden und hielten sich fest. ... Die beiden Streitparteien mussten von den Gendarmeriebeamten getrennt werden. Der Beschwerdeführer und G. P. standen vom Boden auf. Während G. P. sich an die Theke stellte und sich annähernd ruhig verhielt, ging der Beschwerdeführer - er war stark alkoholisiert - auf die Sicherheitswachebeamten los, indem er sie als 'Wichser', 'Arschlöcher' und ähnliches beschimpfte, von der Theke ein Glas nahm und den Inhalt in Richtung der Beamten schüttete. Beide Beamten redeten auf den Beschwerdeführer ein, er solle das lassen. Der Beschwerdeführer ließ sich nicht beruhigen und machte Anstalten, gegen die Beamten zu urinieren, indem er den Hosenschlitz öffnete, seinen Penis herausholte und ihn in Richtung der Beamten hielt. In weiterer Folge steckte er einen Finger in den Mund und deutete an, sich in Richtung der Beamten übergeben zu wollen. Nach mehrmaligen Abmahnen dieses Verhalten einzustellen sprach BI K. K. die Festnahme aus. Er sagte zum Beschwerdeführer:
'Sie sind festgenommen, kommen Sie mit.' Der Beschwerdeführer war nicht bereit, freiwillig mitzukommen und sagte: 'Mit euch Arschlöcher komme ich nicht mit.' Daraufhin gingen beide Sicherheitswachebeamten auf den Beschwerdeführer zu und wollten seine Oberarme fassen, um mit ihm vor das Lokal zu gehen. Der Beschwerdeführer seinerseits wollte die Beamten wegdrängen. Es kam zu einem Hin- und Herziehen zwischen dem Beschwerdeführer und den Sicherheitswachebeamten. Insp. E. R. versuchte eine Armwinkelsperre beim Beschwerdeführer anzusetzen, indem er ua. seinen Oberkörper mit einer Hand an sich heranzog. Der Beschwerdeführer wehrte sich vehement gegen diese Maßnahme, Insp. E. R. verlor das Gleichgewicht und fiel gemeinsam mit dem Beschwerdeführer zu Boden ein.
Bevor BI K. seinem Kollegen zu Hilfe kommen konnte, musste er erst G. P. zurückdrängen, der sich kurz in die Amtshandlung einmischte. Der Beschwerdeführer wehrte sich heftig mit Händen und Füßen. RI E. R. versuchte (den Beschwerdeführer) zwecks Anlegung von Handfesseln am Boden festzuhalten, indem er - den Boden als Unterlage nützend - mit seinem Unterarm gegen den Hals des Beschwerdeführers drückte, nachdem er zuvor den Kopf des Beschwerdeführers zur Seite gedreht hat, um ihn nicht zu verletzen. In dieser Phase der Amtshandlung - beide Sicherheitswachebeamten und der Beschwerdeführer agierten am Boden - löste sich der Druckknopf des Plastikholsters von Insp. R., sodass seine Dienstpistole aus dem Holster rutschen konnte und am Boden zu liegen kam. I. K., eine der anwesenden Gäste, bemerkte dies. Sie hob die Pistole - gemeinsam mit dem auch am Boden liegenden Funkgerät - auf und nahm sie zu sich. Nachdem es letztendlich den Beamten gelungen war, den Beschwerdeführer am Boden die Handfesseln anzulegen - der Beschwerdeführer lag am Rücken - ergriffen sie den Beschwerdeführer bei den Oberarmen, hoben den Oberkörper an und versuchten ihn durch Heben zum Stehen zu bringen. Nachdem ihnen dies ohne Mitwirkung des Beschwerdeführers nicht gelang, zogen sie ihn einige Meter vom Lokal ins Freie und legten den Beschwerdeführer am dortigen Asphaltvorplatz ab. Der Beschwerdeführer trat weiterhin mit den Füßen in Richtung der Beamten. Ein Gast - Herr S. K. - brachte den Beamten das Funkgerät, mit dem sie Verstärkung anforderten. Nach dem Eintreffen weiterer Beamter wurden dem Beschwerdeführer Fußfesseln angelegt. Er wurde in ein Dienstfahrzeug verbracht und zum Gendarmerieposten Kapfenberg gefahren.
In keiner Phase der Amtshandlung wurde der Beschwerdeführer von einem Sicherheitswacheorgan gewürgt, noch wurde auf ihn eine Dienstwaffe gerichtet. Beide Sicherheitswachebeamte wurden durch die Abwehrhandlungen des Beschwerdeführers am Körper verletzt. Der Beschwerdeführer wies keine Verletzungen auf."
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, die Feststellungen gründeten sich im Wesentlichen auf die Angaben der beiden Gendarmeriebeamten, deren Aussagen in den wesentlichen Punkten von mehreren Zeugen des Vorfalles bestätigt worden seien. Ein Gendarmeriebeamter "dürfte" beim Versuch, den Beschwerdeführer festzuhalten, die Pistole und das Funkgerät verloren haben. Die vom Beschwerdeführer behauptete Verwendung einer Dienstwaffe durch einen der Gendarmeriebeamten sei, abgesehen von der praktisch schwer vorzustellenden Durchführung einer solchen Handlung, von keinem der zahlreichen Gäste gesehen worden. Habe auch kaum ein Zeuge das Geschehen vom Eintreffen der Beamten bis zum Abtransport des Beschwerdeführers lückenlos mit allen Details verfolgt, so hätten die Schilderungen in der Gesamtbetrachtung doch ein klares Bild von der Ereignisabfolge geliefert. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung mit einer Dienstwaffe müsse - wie auch seine weiteren von den Zeugenaussagen abweichenden Angaben zu seiner Behandlung durch die Beamten - als Versuch gewertet werden, die Amtshandlung im Nachhinein als krasse Grenzüberschreitung darzustellen, zumal sich der Beschwerdeführer wegen dieses Vorfalles auch in einem strafgerichtlichen Verfahren (Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt) zu verantworten habe. Augenscheinlich dieses Ziel verfolgend habe der Beschwerdeführer die Ausprägung seiner Handlungen abgeschwächt, während er die Handlungen der Gendarmeriebeamten mit krassen Worten beschrieben habe. Die Zeugenaussagen der I. M. (Lebensgefährtin des Beschwerdeführers) und des G. G. (Freund des Beschwerdeführers) konzentrierten sich darauf, die Grundaussagen des ihnen persönlich nahe stehenden Beschwerdeführers zu bestätigen. In der konkreten Ausformulierung seien die Aussagen der Zeugen jedoch von der Darstellung des Beschwerdeführers abgewichen. Die Aussagen der beiden Zeugen über das Würgen des Beschwerdeführers seien nicht beweisbildend gewesen, weil der Beschwerdeführer nachweislich keine Verletzungen, so auch keine Würgemale, aufgewiesen habe. Zudem habe keiner der sonst vernommenen Zeugen ein "Blauwerden" des Beschwerdeführers (infolge Würgens) beobachten können bzw. sich Sorgen um seinen Gesundheitszustand gemacht. Die beantragte Einvernahme weiterer Zeugen habe unterbleiben können, weil in der Verhandlung der maßgebliche Sachverhalt ausreichend geklärt worden sei. Der Beschwerdeführer habe auch nicht angeben können, zu welchem konkreten Beweisthema er die Zeugen führe. Die beantragte Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Waffenwesen zum Beweis dafür, dass der Verlust der Dienstwaffe nicht auf die von den Zeugen angegebene Art und Weise habe erfolgen können, sei mangels Entscheidungsrelevanz entbehrlich gewesen. Für die behauptete Verwendung der Dienstwaffe durch einen der beiden Beamten fehlten jegliche Anhaltspunkte. Warum einer der Gendarmeriebeamten seine Dienstwaffe im Zuge der Amtshandlung verloren habe, möge in den Details dahingestellt bleiben. Dass er sie verloren habe, sei durch mehrere glaubhafte Zeugenaussagen belegt. In rechtlicher Hinsicht schloss die belangte Behörde, eine Verwendung der Dienstwaffe und ein Würgen des Beschwerdeführers habe nicht stattgefunden. Die Verwendung von Hand- und Fußfesseln und das Verbringen des Beschwerdeführers vor das Lokal seien rechtmäßig gewesen und hätten den Beschwerdeführer nicht in seinem durch Art. 3 EMRK geschützten Recht verletzt.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Absehen von einer Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG - erwogen:
Der Beschwerdeführer sieht eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darin, die belangte Behörde habe es unter Verletzung des Grundsatzes der Amtswegigkeit unterlassen, allfällige weitere Beweisergebnisse in ihre Entscheidung miteinzubeziehen. Die Zeugen M. und K. N., E. P. sowie J. H. seien zum Beweisthema des widerrechtlichen Waffengebrauches bzw. des gesamten Geschehensablaufes und der Art und Weise des Eingreifens der Gendarmeriebeamten beantragt worden. Die Begründung der belangten Behörde, die beantragte Einvernahme weiterer Zeugen hätte unterbleiben können, weil in der Verhandlung der maßgebliche Sachverhalt ausreichend geklärt worden wäre, sei unverständlich. Auch habe die belangte Behörde die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Waffenwesen zum Beweis dafür, dass der Verlust der Dienstwaffe nicht auf die von den Zeugen angegebene Art und Weise hätte erfolgen können, abgelehnt. Sie habe dies mit mangelnder Entscheidungsrelevanz begründet, weil für die behauptete Verwendung der Dienstwaffe jegliche Anhaltspunkte fehlen würden. Hiebei übersehe die belangte Behörde offensichtlich die Aussagen der Zeugen I. M. und G. G., die sehr wohl den Waffengebrauch gegenüber dem Beschwerdeführer bestätigt hätten. Nach dem Grundsatz der Amtswegigkeit wäre es zur Wahrheitsfindung notwendig gewesen, die entscheidungsrelevanten Umstände (tatsächlicher Waffengebrauch gegenüber dem Beschwerdeführer bzw. die sonstigen vom Beschwerdeführer behaupteten rechtswidrigen "Vorgänge" der Beamten) durch Aufnahme der beantragten Beweise festzustellen. Durch Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Waffenwesen hätte bewiesen werden können, dass ein Verlust der Dienstwaffe so einfach nicht möglich sei.
Damit zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:
Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.
Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat sich die Behörde - zwar ohne an formale Regeln gebunden zu sein, aber unter Wahrung aller Verfahrensgrundsätze (daher ordnungsgemäß und vollständig durchgeführtes Ermittlungsverfahren, Parteiengehör) - Klarheit über den maßgebenden Sachverhalt zu verschaffen. Die freie Beweiswürdigung bezieht sich jedoch nur auf die bereits vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens und lässt es keineswegs zu, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Die freie Beweiswürdigung darf daher erst nach vollständiger Beweiserhebung einsetzen. Eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, den Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) zu beurteilen, ist grundsätzlich unzulässig (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 229 ff zu § 45 AVG wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
Der Beschwerdeführer weist zutreffend darauf hin, dass die von der belangten Behörde herangezogene Begründung für das Unterbleiben der Einvernahme weiterer, vom Beschwerdeführer namhaft gemachter Zeugen, nicht tragfähig ist. Die von der belangten Behörde auf Grund der erfolgten Einvernahmen gewonnene Überzeugung, der maßgebliche Sachverhalt sei ausreichend geklärt worden, berechtigte sie noch nicht, von der Gewinnung weiterer Beweisergebnisse Abstand zu nehmen. So hatte der Beschwerdeführer schon in der an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde auch die Einvernahme der Zeugen J. H. sowie K. H. beantragt und ein konkretes Beweisthema - den Ablauf des Vorfalles vom 22. Jänner 2000 aus seiner Sicht - genannt, sodass sie jedenfalls gehalten war, diese Personen zu vernehmen.
Durch die Unterlassung der Einvernahme dieser Zeugen hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, nach der der Ersatz für den Schriftsatzaufwand mit dem Betrag von EUR 908,-- zuzusprechen war. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer einerseits in Bezug auf die Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG Verfahrenshilfe gewährt worden war und andererseits die beantragte Umsatzsteuer im Pauschbetrag der zitierten Verordnung bereits enthalten ist.
Wien, am 22. Oktober 2002
Schlagworte
Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000010415.X00Im RIS seit
30.01.2003