TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/11 B1060/98

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Veröffentlicht am 11.10.1999
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9440 Krankenanstalt, Spital

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Tir KAG §3a Abs2 lita

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht sowie im Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung durch denkunmögliche Anwendung von krankenanstaltenrechtlichen Regelungen betreffend die Bedarfsprüfung bei erwerbswirtschaftlich geführten Ambulatorien sowie durch Unterlassung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens in einem entscheidungswesentlichen Punkt; keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bedarfsprüfung im Sinne der Vorjudikatur

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Erwerbsausübung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 28.180,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die Tiroler Landesregierung aufgrund des Antrags des Beschwerdeführers auf Feststellung des Bedarfs für die Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Rechtsform eines selbständigen Ambulatoriums zur Erbringung von tagesklinischen Leistungen auf dem Gebiete der Unfallchirurgie gemäß §3a Abs7 iVm Abs2 lita des Tiroler Krankenanstaltengesetzes festgestellt, daß ein Bedarf für die Errichtung einer solchen privaten Krankenanstalt in St. Anton am Arlberg nicht gegeben sei.

In der Begründung werden (nach Wiedergabe des Antrages des Beschwerdeführers und der von der belangten Behörde eingeholten - einen Bedarf teils bejahenden, teils verneinenden - Stellungnahmen) zunächst auf mehreren Seiten die den geplanten Leistungen des Ambulatoriums des Beschwerdeführers vergleichbaren Leistungen des nächstgelegenen öffentlichen Krankenhauses in Zams näher dargestellt und sodann nach Hinweis auf §3a Abs2 lita des Tiroler Krankenanstaltengesetzes folgendes ausgeführt:

"Sämtliche der beantragten Leistungen wurden schon bisher im nächstgelegenen öffentlichen Krankenhaus Zams erbracht. Dies

führt der Antragsteller auch in seinem Antrag ... und ergänzenden

Schriftsatz ... (ergänze: aus).

Bei Gegenüberstellung der im KH Zams erbrachten Leistungen und dem vom Antragsteller erhofften - und sicherlich auch realistischen - Auslastungszahlen ergibt sich eindeutig, daß es durch die beantragte Krankenanstalt zu einer Konkurrenzierung des öffentlichen Krankenhauses Zams kommen wird.

Im Krankenhaus Zams bestehen in der unfallchirurgischen und chirurgischen Abteilung im stationären Bereich im Jahr 1997 keine Wartezeiten, zumal diese beiden Abteilungen nicht voll ausgelastet sind.

... Das sanitätspolizeiliche Gutachten, das einen wesentlichen Bestandteil dieser Entscheidung bildet, ist schlüssig gut nachvollziehbar und mit den logischen Denkgesetzen in Einklang zu bringen. Das Ermittlungsverfahren hat somit ergeben, daß ein Bedarf für die in Aussicht genommene Errichtung nicht gegeben ist. Das vorgesehene Leistungsangebot wird derzeit schon von Kassenvertragsärzten und dem nächstgelegenen öffentlichen Krankenhaus Zams erbracht."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer in seinen Rechten wegen Anwendung einer verfassungsrechtlichen Bestimmung des Tiroler Krankenanstaltengesetzes, im übrigen in seinen Grundrechten auf Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsbetätigung als verletzt erachtet.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. §3a des Tiroler Krankenanstaltengesetzes, LGBl. Nr. 5/1958 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 23/1997, lautet auszugsweise:

"§3a

(1) Die Landesregierung hat über ein Ansuchen um die Erteilung der Errichtungsbewilligung mit schriftlichem Bescheid zu entscheiden.

(2) Die Errichtungsbewilligung ist, soweit im Abs5 nichts anderes bestimmt ist, zu erteilen, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

a) Für die vorgesehene Krankenanstalt muß nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem vorgesehenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot durch öffentliche, private gemeinnützige und sonstige Krankenanstalten mit Kassenverträgen, bei Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das bestehende Versorgungsangebot durch niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen sowie bei Errichtung eines Zahnambulatoriums auch im Hinblick auf das bestehende Versorgungsangebot durch niedergelassene Dentisten mit Kassenvertrag, ein Bedarf gegeben sein. Soweit der Tiroler Krankenanstaltenplan (§62a) für Fondskrankenanstalten im Sinne des Tiroler Krankenanstaltenfinanzierungsfondsgesetzes, LGBl. Nr.24/1997, Festlegungen über deren Leistungsangebot und deren Ausstattung mit medizinisch-technischen Großgeräten enthält, entfällt eine Bedarfsprüfung. In einem solchen Fall darf die Errichtungsbewilligung nur erteilt werden, wenn das vorgesehene Leistungsangebot und die vorgesehene Ausstattung mit medizinisch-technischen Großgeräten diesen Festlegungen entspricht.

...

(4) Liegt auch nur eine der Voraussetzungen nach Abs2 nicht vor, so ist die Errichtungsbewilligung zu versagen.

...

(7) Vor dem Ansuchen um die Erteilung der Errichtungsbewilligung kann der Bewilligungswerber bei der Landesregierung schriftlich um die Feststellung des Bedarfes nach Abs2 lita ansuchen. In diesem Ansuchen sind die Bezeichnung der Anstalt, der Anstaltszweck, das vorgesehene Leistungsangebot und allenfalls vorgesehene Leistungsschwerpunkte anzugeben. Weiters hat der Bewilligungswerber glaubhaft zu machen, daß die Vorlage der Unterlagen nach §3 Abs2 lita bis d mit einem erheblichen wirtschaftlichen Aufwand verbunden wäre und die Feststellung des Bedarfes auch ohne diese Unterlagen erfolgen kann. Die Landesregierung kann die Vorlage von Unterlagen, die für die Beurteilung des Bedarfes erforderlich sind, verlangen. Die Landesregierung hat über ein Ansuchen nach dem ersten Satz mit schriftlichem Bescheid zu entscheiden. Ein Bescheid, mit dem der Bedarf für die vorgesehene Krankenanstalt festgestellt wird, tritt nach dem Ablauf von drei Jahren nach seiner Erlassung außer Kraft."

1.1.2. Hinsichtlich der in der Beschwerde vorgetragenen Bedenken betreffend die Verfassungsmäßigkeit der in §3a Abs2 lita des Tiroler KAG geregelten Bedarfsprüfung ist der Beschwerdeführer auf das mittlerweile ergangene Erkenntnis vom 10. März 1999, G64,65/98, welches sich auf die Parallelbestimmung im OÖ KAG bezieht, zu verweisen, wonach diese Bedenken nicht begründet sind:

Wenn die Erbringung ärztlicher Leistungen sowohl durch Ambulatorien als auch durch niedergelassene Ärzte erfolgt (bzw. der Sache nach erfolgen kann) ist nach diesem Erkenntnis die Prüfung, ob der bestehende Bedarf bereits durch öffentliche, private gemeinnützige und sonstige Krankenanstalten in der Rechtsform von Ambulatorien einerseits oder niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen andererseits gedeckt ist, nicht nur zur Erreichung der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 13023/1992 gebilligten gesetzgeberischen Zielsetzungen geeignet, sondern auch erforderlich, um jene nachteiligen Auswirkungen hintanzuhalten, welche bei einer Ausweitung des Angebotes der Ambulatorien in erster Linie für die wirtschaftliche Situation niedergelassener Ärzte und - je nach dem Ausmaß, in dem letztere von Ambulatorien aus dem Markt gedrängt würden - in weiterer Folge auch für eine flächendeckende, leicht zugängliche ärztliche Versorgung der sozialversicherten Personen entstehen würden. Hingegen sind - insoweit im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dessen Erkenntnisse vom 20.1.1998, Z96/11/0103, und vom 24.2.1998, Z96/11/0155 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur) - bei dieser Bedarfsprüfung Ambulanzleistungen, die in öffentlichen Krankenhäusern bestimmungsgemäß für stationär aufgenommene Personen erbracht werden, in diese Bedarfsprüfung nicht einzubeziehen, zumal die dadurch bewirkte Bedarfsdeckung einen (zumindest in erster Linie) anderen Personenkreis betrifft (vgl. dazu näher auch das Erkenntnis vom 10. März 1999, B817/97).

1.1.3. Der Beschwerdeführer wurde daher nicht wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Norm in seinen Rechten verletzt.

1.2. Soweit die Beschwerde der belangten Behörde in die Verfassungssphäre reichende Vollzugsmängel vorwirft, ist sie jedoch begründet:

1.2.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird mit Rücksicht auf den in Art6 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt nur verletzt, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne daß ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungwidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10413/1985).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

1.2.2. Die belangte Behörde hat - wie aus der oben wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Bescheides hervorgeht - die Bedarfsprüfung (nach Durchführung eines ausschließlich auf diese Frage zugeschnittenen Ermittlungsverfahrens) unter Berücksichtigung von Leistungen einer der Behandlung von stationären Patienten dienenden öffentlichen Krankenanstalt vorgenommen und damit das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet.

1.2.3. Die Behörde hat in der Begründung ihres Bescheides aber andererseits auch behauptet, daß "das vorgesehene Leistungsangebot derzeit schon von Kassenvertragsärzten" erbracht werde, jedoch dazu, insbesondere zum Ausmaß der Bedarfsdeckung durch einschlägige Kassenvertragsärzte keine Feststellungen getroffen. Sie hat somit auch durch das Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens in einem entscheidungswesentlichen Punkt Willkür geübt.

2. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-- enthalten. Der Ersatz von Stempelgebühren konnte nur im ausdrücklich beantragten Umfang zugesprochen werden.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Krankenanstalten, Erwerbsausübungsfreiheit, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1060.1998

Dokumentnummer

JFT_10008989_98B01060_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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