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25 Strafprozeß, StrafvollzugNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung im Recht auf freie Religionsausübung und im Gleichheitsrecht durch Ausschluß eines Strafgefangenen von der Teilnahme an einem Weihnachtsgottesdienst aus Gründen der Sicherheit und OrdnungSpruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid weder im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf freie Religionsausübung noch in einem sonstigen, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer wurde zu einer mehrjährigen Strafhaft verurteilt, die er zum Teil in der Justizanstalt Stein verbüßte. Er bekennt sich nach eigenem - in der Gegenschrift unwidersprochen gebliebenem - Vorbringen zum römisch-katholischen Glauben und übt diesen, wie auch eine Stellungnahme des Anstaltsleiters bestätigt, auch während der Haft durch den regelmäßigen Besuch der in der Anstalt stattfindenden Sonntagsgottesdienste aus. Im Dezember 1997 fand in der Justizanstalt Stein ein Weihnachtsgottesdienst statt, an dem auch der Beschwerdeführer teilnehmen wollte. Der Leiter der Justizanstalt verweigerte ihm diese Teilnahme nach Rücksprache mit dem Anstaltsseelsorger aus Gründen der Ordnung und Sicherheit gemäß §85 Strafvollzugsgesetz. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war die Befürchtung, daß der Beschwerdeführer die Anwesenheit von Gästen aus dem Bundesministerium für Justiz, dem Landesgericht Krems und der Stadtgemeinde Krems zu Mißfallensäußerungen und Störaktionen während des Gottesdienstes benutzen könnte. Grund dieser Befürchtung waren ua. die bisher nicht einwandfreie Führung, ungebührliches Benehmen und häufige (gemeint wohl: grundlose) Beschwerden des Strafgefangenen in der Strafhaft. Auch herrschte in der Anstalt infolge der begrenzten Kapazität der Anstaltskirche die Gepflogenheit, das Recht des Kirchenbesuches bei diesem Anlaß auf Insassen zu beschränken, die - anders als der aufgrund seines Gesundheitszustandes arbeitsunfähige Beschwerdeführer - in den Arbeitsprozeß integriert sind, eine zufriedenstellende Arbeitsleistung und Führung aufweisen und eine den Zwecken des Vollzuges aufgeschlossene Verhaltensweise zeigen.
2. Gegen die Entscheidung des Anstaltsleiters erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Bundeminister für Justiz gemäß §121 Strafvollzugsgesetz.
3. Der Bundesminister gab dieser Beschwerde mit Bescheid vom 26. Juni 1998 keine Folge. Begründend wurde ausgeführt, daß zwar gemäß §85 Abs1 StVG jeder Strafgefangene das Recht habe, in der Anstalt an gemeinschaftlichen Gottesdiensten teilzunehmen, er aber aus Gründen der Sicherheit und Ordnung davon ausgeschlossen werden könne. Aufgrund der beschränkten räumlichen Kapazität der Anstaltskirche und im Hinblick auf die Teilnahme hoher Kirchenvertreter und zahlreicher Ehrengäste sei besonders auf die Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit "während der Mette" Bedacht zu nehmen gewesen. Die Teilnahme des Beschwerdeführers hätte unter Berücksichtigung der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Delikte und des Umstands, daß er während der gesamten Haftdauer, insbesondere in den Wochen vor Weihnachten "sein Mißfallen gegenüber der Anstaltsleitung deutlich zum Ausdruck" gebracht habe, eine Risiko für die Ruhe, Ordnung und Sicherheit während des feierlichen Gottesdienstes dargestellt.
4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf freie Religionsausübung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird. Das Recht auf Religionsfreiheit sei u.a. deshalb verletzt, weil Ehrengästen der Vorzug vor Strafgefangenen gegeben worden, es aber zweckmäßig gewesen sei, die Ehrengäste im Rahmen einer allgemeinen Weihnachtsfeier einzuladen, um so den gläubigen Strafgefangenen die uneingeschränkte Möglichkeit der Teilnahme am Gottesdienst einzuräumen.
5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie ihre Entscheidung verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die behauptete Verletzung im Recht auf freie Religionsausübung durch den Ausschluß "von der Weihnachtsmette" habe nicht stattgefunden, da der Beschwerdeführer die Möglichkeit zu Einzelaussprachen und der Beichte beim Anstaltsseelsorger gehabt habe. Die "Mette" sei ein wesentlicher Faktor der Öffentlichkeitsarbeit der Justizanstalt und diene dazu, nicht nur das Verhältnis zur Bevölkerung, sondern auch die Kontakte zu anderen Behörden zu intensivieren, wobei die Einbindung der Insassen und das gemeinsame Feiern des Weihnachtsgottesdienstes eine wesentliche Rolle spiele.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Der Ausschluß des Beschwerdeführers von der von der belangten Behörde so bezeichneten "Weihnachtsmette 1997" greift in sein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Religionsfreiheit (Art14 StGG, Art9 EMRK und Art63 Abs2 des Staatsvertrages von St. Germain - vgl. zum Verhältnis dieser, eine Einheit bildenden Bestimmungen zueinander VfSlg. 10547/1985; VfSlg. 13513/1993; B3028/97, 17.12.1998) ein.
1.2. Ein solcher Eingriff wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer den genannten Verfassungsbestimmungen widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall liegt dann vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen den genannten Verfassungsbestimmungen widersprechenden und durch die Schrankenvorbehalte der Art63 Abs2 Staatsvertrag von St. Germain und Art9 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11638/1988 zu Art8 EMRK).
1.3. Nach §85 Abs1 StVG hat jeder Strafgefangene das Recht, in der Anstalt am gemeinschaftlichen Gottesdienst und an anderen gemeinsamen religiösen Veranstaltungen teilzunehmen und Heilsmittel sowie den Zuspruch eines an der Anstalt bestellten und zugelassenen Seelsorgers zu empfangen. Der Anstaltsleiter kann aber aus Gründen der Sicherheit und Ordnung nach Anhörung des Seelsorgers Strafgefangene von der Teilnahme am Gottesdienst und an anderen Veranstaltungen ausschließen.
Nach Ansicht des Gerichtshofes trägt diese Bestimmung dem Recht auf freie Religionsausübung Rechnung, wobei insbesondere die Möglichkeit, Gefangene aus Gründen der Sicherheit und Ordnung von der Teilnahme am Gottesdienst auszuschließen, im Rahmen der Grundrechtsschranken der Art9 Abs2 EMRK und 63 Abs2 des Staatsvertrages von St. Germain bleibt, da ein solcher Ausschluß der Ordnung in der Strafanstalt auch während Gottesdiensten (oder anderen religiösen Veranstaltungen) und der Sicherheit der Teilnehmenden und damit dem Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinn dieser Verfassungsbestimmungen dient. Die Regelung des §85 Abs1 StVG, gegen die auch in der Beschwerde keine Bedenken geäußert werden, ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich.
1.4. Es ist daher zu untersuchen, ob die belangte Behörde dieser Bestimmung einen von den genannten Verfassungsnormen nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat: Der Auschluß von der Teilnahme am Gottesdienst muß nämlich zumindest aus einem der in Art63 Abs2 des Staatsvertrages von St. Germain genannten Gründe erfolgen und eine in einer demokratischen Gesesellschaft notwendige, sohin verhältnismäßige Maßnahme darstellen.
1.4.1. Vorausgeschickt sei, daß es sich bei der in Rede stehenden Veranstaltung weder um die der Liturgie des Heiligen Abends zugehörige "Weihnachtsmette", noch um einen Sonntagsgottesdienst handelte, sondern um eine von der Anstaltsleitung des Gefangenenhauses jährlich im Beisein zahlreicher Ehrengäste abgehaltene religiöse Veranstaltung in Form eines (zusätzlichen) (vor)weihnachtlichen Gottesdienstes. Es kann nun das Recht der Anstaltsleitung nicht bezweifelt werden, über die üblichen, allen Anstaltsinsassen offenstehenden, "gemeinschaftlichen" Gottesdienste hinaus zusätzliche Veranstaltungen dieser Art abzuhalten, dazu Ehrengäste einzuladen und den Anstaltsinsassen nur nach Maßgabe der verbleibenden Plätze, sowie unter Berücksichtigung der angesichts der Anwesenheit Außenstehender gebotenen Sicherheitsvorkehrungen Zutritt zu gewähren. Damit wird nämlich in das Recht der Strafgefangenen auf Religionsübung nicht unverhältnismäßig eingegriffen: Schon die jedermann einsichtigen, in einer Strafanstalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung der Selbstbestimmung der Strafgefangenen gezogenen Grenzen schließen es aus, unter Berufung auf das Grundrecht auf Religionsfreiheit Strafgefangenen das Recht zur Teilnahme an jedweden religiösen Feiern, von wem und zu welchem Zwecke immer sie veranstaltet würden, zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne schon VfSlg. 6742/1972). Die Anstaltsleitung ist aus der Sicht dieses Grundrechtes auch nicht vor die Alternative gestellt, entweder alle Strafgefangenen zu einer solchen (außerhalb der üblichen liturgischen Anlässe abgehaltenen) religiösen Feier zuzulassen oder diese Feier nicht abzuhalten, wie dies dem Beschwerdeführer vorzuschweben scheint.
1.4.2. Es kann der Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht aber auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie sich bei ihrer (angesichts des wegen der Teilnahme auswärtiger Gäste beschränkten Platzangebotes notwendigen) Auswahlentscheidung, welche Strafgefangenen zur Teilnahme an diesem Gottesdienst zuzulassen seien, von dem Gesichtspunkt hat leiten lassen, ob der Betreffende Gewähr dafür bietet, die Anwesenheit von Gästen aus Justizkreisen nicht für Störaktionen zu mißbrauchen. Wenn die belangte Behörde daher den Ausschluß des Beschwerdeführers von diesem Gottesdienst im Hinblick auf sein (bisher) wiederholt ungebührliches Verhalten (das vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde auch gar nicht in Abrede gestellt wird) für zulässig erachtete, maW gleich dem Anstaltsleiter aus diesem Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit prognostisch den Schluß gezogen hat, daß eine Gewähr für ein dem Anlaß entsprechendes Verhalten des Beschwerdeführers nicht gegeben gewesen sei, so kann dies - unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes - weder als denkunmöglich noch sonst verfassungsrechtlich bedenklich erachtet werden. Dabei kann dahinstehen, ob die Besorgnis des Anstaltsleiters hinsichtlich einer allfälligen Störung einer religiösen Feier religiös motiviert gewesen ist oder ob er - im Hinblick auf die anwesenden Gäste - eher das Ansehen der Anstalt im Auge gehabt haben mag, wie der Beschwerdeführer offenbar meint.
2. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid weder durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten, noch durch dessen Handhabung in seinem Grundrecht auf freie Religionsübung oder im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Es ist auch nicht erkennbar, daß der Beschwerdeführer in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Strafvollzug, Seelsorge, Glaubens- und Gewissensfreiheit, ReligionsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B1487.1998Dokumentnummer
JFT_10008989_98B01487_00