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19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §67a Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des C in S, vertreten durch Dr. Walter Hasibeder und Dr. Josef Strasser, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Roßmarkt 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 19. Februar 2001, Zl. VwSen-420299/14/Gf/Km, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung (insoweit, als er die ihm zu Grunde liegende Beschwerde als unbegründet abweist und den Beschwerdeführer zum Kostenersatz an den Bund verpflichtet) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war am 16. November 2000 in Schärding im Gefolge einer Verkehrskontrolle von zwei Gendarmeriebeamten festgenommen worden. Dagegen, gegen die nachfolgende Anhaltung und gegen seine Fesselung mit Handschellen erhob er gemäß Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs. 1 Z 2 AVG Beschwerde an die belangte Behörde, in der er - neben Kostenzuspruch - folgende Entscheidung begehrte:
"Der Beschwerdeführer ist durch seine Festnahme am 16.11. 2000 um 14.30 Uhr durch Organe (Gendarmeriebeamte) der Bezirkshauptmannschaft Schärding auf der Passauer Straße auf Höhe des Hauses Kreuzberg 1, Schärding, und seine nachfolgende Anhaltung bis ca. 15:15 Uhr des gleichen Tages im Gendarmerieposten Schärding in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit und dadurch, dass er bei seiner Festnehmung gefesselt wurde, im Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden (Artikel 3 EMRK), sowie durch diese Handlungsweisen in seinem einfach gesetzlichen Recht, entgegen den Bestimmungen der §§ 35, 36 und 37a VStG nicht festgenommen und angehalten zu werden, verletzt worden."
Mit Bescheid vom 19. Februar 2001 fällte die belangte Behörde nach durchgeführter mündlicher Verhandlung, gestützt auf die §§ 67c Abs. 3 und 79a AVG, nachstehendes Erkenntnis:
"I. Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als die Festnahme des Beschwerdeführers und dessen Anhaltung auf dem Gendarmerieposten Schärding am 16. November 2000 von 14.20 bis 14.55 Uhr wegen des dadurch bewirkten Eingriffes in dessen verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf persönliche Freiheit als rechtswidrig erklärt wird; hinsichtlich des weiteren Vorbringens, dass der Beschwerdeführer durch seine Fesselung mit Handschellen im Zuge der Festnahme und Anhaltung in seinem durch Art. 3 MRK verfassungsmäßig bzw. durch die §§ 4 bis 6 des Waffengebrauchsgesetzes gewährleisteten Rechten verletzt wurde, wird diese hingegen als unbegründet abgewiesen.
II. Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Schärding) hat dem Beschwerdeführer Kosten in der Höhe von 18.980 S (entspricht 1.379,33 Euro) zu ersetzen; der Beschwerdeführer hat dem Bund demgegenüber Kosten in Höhe von 6.865 S (entspricht 498,90 Euro) zu ersetzen."
Ihren Ausspruch betreffend das Anlegen von Handfesseln begründete die belangte Behörde im Ergebnis damit, dass diese Maßnahme - die gemäß den behördlichen Feststellungen nach der (rechtswidrigen) Festnahme des Beschwerdeführers zum Zweck der "Transportsicherung" (Verbringung des Beschwerdeführers vom Tatort zum Gendarmerieposten) ergriffen worden war - verhältnismäßig gewesen sei; sie sei nicht intentional darauf gerichtet gewesen, die Menschenwürde des Beschwerdeführers gröblich zu missachten. Die einschreitenden Beamten seien vielmehr sorgsam darauf Bedacht gewesen, dass die Fesselung des Beschwerdeführers von Dritten nicht wahrgenommen werden könne, weil das dem Beschwerdeführer "offensichtlich unangenehm" gewesen wäre. Er sei daher durch das Anlegen von Handfesseln nicht "erniedrigend" im Sinn des Art. 3 EMRK bzw. nicht unter "Nichtbeachtung seiner Menschenwürde" im Sinne des Art. 1 Abs. 4 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit behandelt und insoweit auch nicht in seinen verfassungsmäßig gewährleisteten oder in sonstigen, aus dem Waffengebrauchsgesetz abgeleiteten Rechten verletzt worden. Seiner Beschwerde sei daher gemäß § 67c Abs. 3 AVG (nur) insoweit - aus hier nicht näher darzustellenden Gründen - stattzugeben gewesen, als die Festnahme und die Anhaltung auf dem Gendarmerieposten am 16. November 2000 von 14.20 bis 14.55 Uhr als rechtswidrig habe erklärt werden müssen; hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Beschwerdeführers, dass er darüber hinaus durch seine Fesselung mit Handschellen in seinen Rechten verletzt worden sei, sei seine Beschwerde hingegen als unbegründet abzuweisen gewesen. Bei diesem Verfahrensergebnis seien dem Beschwerdeführer
hinsichtlich des ersten Beschwerdepunktes Kosten zuzusprechen,
hinsichtlich des zweiten Beschwerdepunktes hingegen Kosten aufzuerlegen gewesen (jeweils in dem im Spruch festgesetzten Umfang).
Gegen den abweisenden Ausspruch der belangten Behörde und die Auferlegung von Kostenersatz erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 20. Juni 2001, B 527/01, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Dieser hat über die Beschwerde erwogen:
Die belangte Behörde hat § 67c Abs. 3 AVG verkannt. Demnach hat der unabhängige Verwaltungssenat - in Anknüpfung an die in § 67c Abs. 2 AVG für den Inhalt einer Beschwerde nach § 67a Abs. 1 Z 2 leg. cit. aufgestellten Erfordernisse - den angefochtenen Verwaltungsakt schlichtweg für rechtswidrig zu erklären, wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen ist (vgl. auch § 79a Abs. 2 AVG). Auf ein konkret verletztes Recht ist dagegen nicht abzustellen; die Frage, durch welche Rechtsverletzung sich der angefochtene Verwaltungsakt als rechtswidrig darstellt, ist vielmehr eine Frage der auf Grund vollständiger Sachverhaltsfeststellung vorzunehmenden rechtlichen Beurteilung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 99/01/0067, mwN).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem eben erwähnten Erkenntnis, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, weiter ausgeführt hat, bilden die zur Umsetzung einer ausgesprochenen Verhaftung gesetzten Maßnahmen mit der Verhaftung eine Einheit, was letztlich zu dem Ergebnis führt, dass im Fall einer von vornherein rechtswidrigen Festnahme auch alle nachfolgenden Akte zur Durchsetzung derselben (etwa auch das Anlegen von Handfesseln) rechtswidrig sein müssen. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde - § 67c Abs. 3 AVG zuwider - im abweisenden Teil ihres Bescheides nur ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer durch seine Fesselung mit Handschellen nicht in seinen durch Art. 3 EMRK verfassungsmäßig bzw. durch die §§ 4 bis 6 des Waffengebrauchsgesetzes gewährleisteten Rechten verletzt worden sei. Damit wurde zwar keine explizite Aussage dahin getroffen, dass das Anlegen der Handfesseln rechtmäßig gewesen sei. Im Hinblick auf die Rechtswidrigerklärung der Festnahme und der nachfolgenden Anhaltung allein wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit einerseits und die Bezugnahme auf Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes - wobei insoweit keine Rechte des Beschwerdeführers verletzt worden seien - andererseits sowie insbesondere auch im Hinblick auf den dem Beschwerdeführer "hinsichtlich des zweiten Beschwerdepunktes" auferlegten Kostenersatz kann insgesamt der abweisende Teil des behördlichen Bescheides vor dem Hintergrund der §§ 67c und 79a AVG jedoch nur in diesem Sinn (Erklärung des Anlegens der Handfesseln für rechtmäßig) verstanden werden. Dies verletzt den Beschwerdeführer in Anbetracht des Vorgesagten - vgl. auch § 2 iVm § 9 Waffengebrauchsgesetz 1969, wonach der Gebrauch von Dienstwaffen bzw. anderer Waffen oder Mittel, deren Wirkung der einer Waffe gleichkommt, eine rechtmäßige Amtshandlung voraussetzt - im in der vorliegenden Beschwerde geltend gemachten Recht auf Rechtswidrigerklärung der vor der belangten Behörde bekämpften Maßnahme. Angesichts dessen war der bekämpfte Bescheid in seinem die zu Grunde liegende Beschwerde abweisenden Teil (ungeachtet einer allenfalls richtigen Beurteilung nach Art. 3 EMRK) und im darauf bezugnehmenden Kostenabspruch (Kostenersatz an den Bund) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu entrichtende Gebühr im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht ersatzfähig ist (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 681, zitierte hg. Judikatur).
Wien, am 22. Oktober 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010388.X00Im RIS seit
17.01.2003Zuletzt aktualisiert am
29.10.2012