TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/22 2001/01/0406

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Veröffentlicht am 22.10.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs2;
AVG §60;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der Z, geborene D, in T, geboren 1966, vertreten durch Dr. Friedrich Fromherz, Rechtsanwalt in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Mai 2001, Zl. 200.641/0-V/15/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo, reiste am 2. August 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 9. August 1996 die Gewährung von Asyl. Sie brachte im Wesentlichen vor, als Büroangestellte der damals herrschenden Partei MPR - der Partei des Präsidenten Mobutu - verdächtigt worden zu sein, geheimes Dokumentationsmaterial an die Oppositionspartei UDPS weitergegeben zu haben und deshalb inhaftiert worden zu sein.

Mit Bescheid vom 5. September 1996 wurde der Asylantrag vom Bundesasylamt abgewiesen. Die Beschwerdeführerin erhob gegen diese Entscheidung Berufung.

Mit Schreiben vom 17. November 1997 hielt der Bundesminister für Inneres als damals nach dem AsylG 1991 zuständige Berufungsbehörde der Beschwerdeführerin vor, dass sich seit ihrer Ausreise die Situation in ihrem Heimatland aufgrund des im Mai 1997 erfolgten Rücktrittes des Präsidenten Mobutu geändert habe. Aufgrund dieser Ereignisse würde die Berufungsbehörde davon ausgehen, dass sich die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nicht mehr auf eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung berufen könne.

In ihrer Stellungnahme vom 1. Dezember 1997 brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei aufgrund der geänderten Verhältnisse in ihrem Heimatland nunmehr als Angestellte und Parteimitglied der MPR der Gefahr ausgesetzt, von der neuen Regierung mit der Herrschaft Mobutus in Zusammenhang gebracht zu werden. Zusätzlich führte die Beschwerdeführerin unter anderem aus, sie könnte auch deshalb einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein, weil ihr 1996 vorgeworfen worden sei, Dokumente der Regierung an die damalige Oppositionspartei UDPS weitergegeben zu haben. Diese Partei stehe zur Zeit in offener Gegnerschaft auch zum neuen Regime. Schließlich könne auch aufgrund der allgemein herrschenden gegenwärtigen Lage in der Demokratischen Republik Kongo der Beschwerdeführerin und ihrer einjährigen Tochter die Rückkehr nicht zugemutet werden. Mit dieser Stellungnahme legte die Beschwerdeführerin Unterlagen über die gegenwärtige Lage in der Demokratischen Republik Kongo vor.

In der am 3. Mai 2001 von der belangten Behörde - als nunmehr nach dem AsylG 1997 zuständiger Berufungsbehörde - durchgeführten mündlichen Verhandlung hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die "derzeitige Position der Mobutisten" anhand eines Berichtes des Auswärtigen Amtes Berlin vom 2. März 2000, eines Berichtes des Auswärtigen Amtes Bonn und "weitere(r) dem Akt beiliegende(r) Dokumentationsunterlagen" sowie die "gegenwärtige Situation in der DR Kongo" insbesondere anhand einer "Kongo-Lageanalyse 1996 - 2000" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vor. Dazu brachte der Vertreter der Beschwerdeführerin vor, diese habe im Gegensatz zu bloßen Parteimitgliedern der MPR jahrelang aktiv für diese Partei gearbeitet und sei deshalb in besonderem Maße gefährdet, Opfer asylrelevanter Verfolgung zu werden. In ihrem Lagebericht vom August 2000 habe die schweizerische Flüchtlingshilfe ehemalige Mitarbeiter der MPR als besonders gefährdete Personen angeführt. Der Vertreter der Beschwerdeführerin verwies noch auf weitere Unterlagen, aus denen sich eine Gefährdung von Personen, die dem Regime Mobutus aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit für dieses nahe gestanden seien, ergebe, und legte zum Beweis dafür ein Urkundenkonvolut vor. Weiters beantragte er, der Beschwerdeführerin zur Stellungnahme zu den von der belangten Behörde vorgehaltenen Unterlagen eine dreiwöchige Frist einzuräumen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 9. Mai 2001 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG 1997 ab. Die belangte Behörde stellte fest, dass die Beschwerdeführerin Mitglied der ehemaligen Einheitspartei MPR gewesen sei. Bei dieser Partei sei die Beschwerdeführerin bis Ende Juli 1996 auch "als eine Art Sekretärin tätig" gewesen, "welche in vollkommen untergeordneter Position Hilfsdienste ausführte". Nicht festgestellt werden könne, "dass im Büro der Berufungswerberin für die Partei bedeutungsvolle Dokumente abhanden gekommen sind bzw. die Berufungswerberin inhaftiert oder gefoltert worden ist." Weiters stellte die belangte Behörde unter anderem fest, der bloße Umstand, dass eine Person einer Oppositionspartei angehöre, sei nicht geeignet, politische Verfolgung in der Demokratischen Republik Kongo darzutun. Auch der Umstand, dass eine Person in der Regierungszeit des Staatspräsidenten Mobutu "in der Staatsverwaltung" tätig gewesen sei, sei für sich allein nicht ausreichend, um eine unter der nunmehrigen Staatsregierung bestehende Verfolgungsgefahr zu begründen. Gegenwärtig könne nicht davon ausgegangen werden, dass alle einfachen bzw. einflussreichen Mitglieder und auch frühere örtliche Funktionäre der Einheitspartei MPR oder sämtliche namhaften Würdenträger des Mobutu-Regimes mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätten.

Eine Feststellung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die demokratische Republik Kongo unterblieb unter Hinweis auf die Übergangsbestimmung des § 44 Abs. 1 AsylG 1997.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

In der Beschwerde wird insbesondere geltend gemacht, dass es die belangte Behörde verabsäumt habe, auf das von der Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung vorgelegte Dokumentationsmaterial einzugehen. Dieses werde nicht einmal als Beweismittel angeführt und sei daher von der belangten Behörde gänzlich ignoriert worden. Weiters habe die Beschwerdeführerin mit ihrer nach der mündlichen Berufungsverhandlung erstatteten, am 14. Mai 2001 bei der belangten Behörde eingelangten Stellungnahme weitere Unterlagen vorgelegt, auf die die belangte Behörde, die der Beschwerdeführerin zu Unrecht keine angemessene Frist zur Stellungnahme zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens eingeräumt habe, in dem mit 9. Mai 2001 datierten angefochtenen Bescheid gleichfalls nicht eingegangen sei.

Unter den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid als Grundlage der von ihr getroffenen, oben wiedergegebenen Feststellungen im Einzelnen genannten Ermittlungsergebnissen sind jene Unterlagen, die die Beschwerdeführerin bereits mit ihrer Stellungnahme vom 1. Dezember 1997 sowie in der Berufungsverhandlung am 3. Mai 2001 vorgelegt hat, nicht angeführt. Offenbar hat die belangte Behörde ihre Feststellungen daher ausschließlich auf die von ihr selbst beigeschafften Länderberichte gestützt.

In der Beschwerde wird zutreffend aufgezeigt, dass die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen jedenfalls nicht von vornherein ungeeignet waren, die behauptete Verfolgung der Beschwerdeführerin als Parteimitglied und Mitarbeiterin der Partei Mobutus zu begründen. So wird nicht nur in den von der Beschwerdeführerin bereits im Dezember 1997 vorgelegten Berichten (etwa in der Stellungnahme von Amnesty International an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach vom 4. September 1997) davon gesprochen, dass unter dem neuen Regime "Personen, die das frühere Regime Staatspräsident Mobutu (...) unterstützt haben oder auch nur dieser Unterstützung verdächtigt werden", zu den "Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen" gehören, sondern wird auch in dem vom Vertreter der Beschwerdeführerin in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgelegten aktuelleren Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe über "Asyl Suchende aus der Demokratischen Republik Kongo" vom 16. August 2000 (der auf der der belangten Behörde vorgelegenen "Lageanalyse 1996 - 2000" derselben Organisation basiert, jedoch konkreter auf bedrohte Personen bzw. Personengruppen eingeht) davon gesprochen, dass "ehemalige Führungskräfte, Parteimitglieder und Armeeangehörige Mobutus" durch willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen, Folter und Hinrichtungen seitens des kongolesischen Sicherheitsapparates bedroht seien. Diese Ausführungen in den erwähnten Berichten stehen im Widerspruch zu den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen, wonach der bloße Umstand, dass eine Person einer Oppositionspartei angehöre, nicht geeignet sei, politische Verfolgung darzutun, sodass die schon in der Berufungsverhandlung vorliegende Berichtslage keinesfalls ein eindeutiges Bild bot. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die weitere von der belangten Behörde getroffene Feststellung, eine Tätigkeit in der Staatsverwaltung während der Regierungszeit des Präsidenten Mobutu sei für sich allein ebenfalls nicht ausreichend, eine unter nunmehrigen Regierung bestehende Verfolgungsgefahr zu begründen, hinsichtlich der Beschwerdeführerin zu kurz greift, weil diese - ihren von der belangten Behörde als glaubhaft erachteten Angaben zufolge - nicht bloß in der staatlichen Verwaltung, sondern in der Partei Mobutus tätig war.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, dass die Behörde von einander widersprechenden Beweisergebnissen einige herausgreifen, andere aber ohne Begründung nicht erwähnen dürfte. Die oben dargestellte Berichtslage hätte daher die Behörde veranlassen müssen, in der Begründung des angefochtenen Bescheids, soll diese dem Gesetz entsprechen, zu den einander widersprechenden Beweisergebnissen im Einzelnen Stellung zu nehmen und schlüssig darzulegen, was sie veranlasst hat, dem einen Beweismittel mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, I (1998), E 70 und 71 zu § 45 AVG zitierte hg. Judikatur, sowie das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0253).

Da die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf die von der Beschwerdeführerin vor sowie in der Berufungsverhandlung vorgelegten Unterlagen mit keinem Wort eingegangen ist und nicht dargelegt hat, warum sie ihre Feststellungen ausschließlich auf Grundlage anderer Berichte getroffen hat, verstößt der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund gegen die Bestimmungen des § 45 Abs. 2 und des § 60 AVG. Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der von ihr nicht beachteten, von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, ist dieser Verfahrensfehler auch relevant.

Auf die Frage, ob der Beschwerdeführerin die von ihr beantragte Frist zur Stellungnahme zu den in der Berufungsverhandlung von der belangten Behörde vorgehaltenen Ermittlungsergebnissen hätte eingeräumt werden müssen, kommt es daher im vorliegenden Fall nicht mehr an.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 22. Oktober 2002

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001010406.X00

Im RIS seit

17.01.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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