TE Vwgh Erkenntnis 2002/10/23 2000/08/0086

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2002
beobachten
merken

Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Markus Freund, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 19. April 2000, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2000-3458, betreffend Einstellung der Notstandshilfe mangels Verfügbarkeit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezieht seit längerer Zeit Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung, zuletzt auf Grund eines Antrages vom 9. Dezember 1999 Notstandshilfe. Am 9. März 2000 hat die Behörde erster Instanz mit dem Beschwerdeführer eine Niederschrift mit folgendem Inhalt aufgenommen:

"Gegenstand der Verhandlung:

Vereinsobmann

Ich, Beschwerdeführer, erkläre, dass ich Vereinsobmann von der '(...)' bin. Ich habe kein Einkommen daraus bzw. erst wenn ich Lesungen mache. Meine Tätigkeit: Korrigieren von Texten, mit den Autoren, Geldbeschaffung ... - Organisationstätigkeit: Ich kann keine Stundenanzahl bekannt geben. Aber ich bestehe darauf, dass geschrieben 'permanent' wird, d.h. ich bin permanent mit dieser Tätigkeit als Vereinsobmann beschäftigt. Die Einkünfte für die Herausgabe dieser Zeitschrift kommt in die Produktion (Deckung der Kosten für die Neuerscheinung). Ich habe ein Buch herausgegeben, jedoch habe noch keinen Schilling gesehen. Ich bin beim Finanzamt nicht gemeldet. Der Herausgeber/Verlag: (...)."

Mit Bescheid vom 13. März 2000 hat die Behörde erster Rechtsstufe die dem Beschwerdeführer zuerkannte Notstandshilfe mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt ab dem 26. Februar 2000 eingestellt. In der Begründung ist hiezu nach Gesetzeszitaten ausgeführt, der Beschwerdeführer sei als Vereinsobmann des Literaturförderungsvereines laut eigenen Angaben permanent mit Organisationstätigkeiten für die Herausgabe der Zeitschrift "(...)" beschäftigt. Der Beschwerdeführer stehe daher der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.

In der am 22. März bei der Behörde erster Rechtsstufe eingelangten Berufung führt der Beschwerdeführer aus, er stehe entgegen der Annahme des AMS der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Infolge des Mangels anderer Arbeitstätigkeit sei er permanent mit Organisationstätigkeiten für die Zeitschrift beschäftigt. Dies beziehe sich vor allem auf eine geistige, nicht aber ständige praktische Präsenz. Der Verein diene einem gemeinnützigen Zweck, indem er Literatur an ein lesebereites Umfeld bringe. Sollte das AMS eine Arbeit für ihn finden, werde er diese selbstverständlich antreten.

In der am 23. März 2000 bei der Behörde erster Rechtsstufe eingelangten Berufung führt der Beschwerdeführer darüber hinaus an, er sei auf die Leistung der Notstandshilfe angewiesen, weil er über kein Einkommen verfüge.

Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat der Beschwerdeführer der belangten Behörde am 7. April 2000 per Fax eine Amtsbestätigung der Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Vereins- , Versammlungs- und Medienrechtsangelegenheiten, vom 25. Juni 1997 betreffend den Verein "(...) - Literaturförderungsverein" übermittelt. Dieser Amtsbestätigung war ein Schreiben des Beschwerdeführers beigeschlossen. Darin ist ausgeführt, der Literaturförderungsverein gebe das Magazin für Kunst, Literatur und Politik drei bis viermal im Jahr heraus. Der Beschwerdeführer verwende durchschnittlich 15 Stunden an den Abenden für die Vereinstätigkeit als Obmann.

Die belangte Behörde hat mit Bescheid vom 19. April 2000 der Berufung keine Folge gegeben und den bekämpften Bescheid bestätigt. In der Begründung ist hiezu nach Gesetzeszitaten und einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens folgender Sachverhalt festgestellt worden:

Der Beschwerdeführer sei Obmann des Literaturförderungsvereines, der das "supranationale" Magazin für Kunst, Literatur und Politik, drei- bis viermal im Jahr herausgebe. Aufgabe des Vereines sei es unter anderem, Literaturveranstaltungen an diversen Orten, insbesondere in Wien, abzuhalten, originelle Texte und Grafiken von AutorInnen aus dem deutschsprachigen Raum sowie Ost- und Südosteuropa zu publizieren, Brücken von Autoren zu Verlagen mitaufzubauen usw. Als Obmann obliege dem Beschwerdeführer die Vertretung des Vereines insbesondere nach außen gegenüber Behörden und dritten Personen. Medieninhaber und Herausgeber der vierteljährlich erscheinenden "(...)" sei der genannte Verein; der Beschwerdeführer zeichne für Redaktion und Lektorat verantwortlich. In der Milleniumsausgabe Nr. 31 sei ein Textbeitrag des Beschwerdeführers enthalten; es werde sein im (...)-Verlag erschienenes Buch rezensiert. In seiner Niederschrift habe der Beschwerdeführer am 9. März 2000 erklärt, dass seine Arbeit das Korrigieren von Texten mit den Autoren sei, Geldbeschaffung, Organisationstätigkeit schlechthin und dass sich seine Tätigkeit in Stunden nicht angeben lasse, wohl aber mit permanent zu umschreiben sei. In der Berufung habe er seine permanente Tätigkeit bestätigt. Vereinbarte Kontaktaufnahmen zwischen dem AMS und dem Beschwerdeführer seien auf seinen Wunsch hin verschoben worden. Nach eigener Angabe organisiere der Beschwerdeführer seinen Weg in die Selbstständigkeit, nach anderer Angabe versuche er bei einem Verein ein Dienstverhältnis zu bekommen.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hat die belangte Behörde ausgeführt, Anspruch auf Arbeitslosengeld - und sinngemäß Gleiches gelte auch für die Notstandshilfe - bestehe dann, wenn der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Der Arbeitsvermittlung stehe zur Verfügung, wer u.a. eine Beschäftigung aufnehmen könne und dürfe und arbeitswillig sei. Eine Beschäftigung könne aufnehmen, wer sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden, zumutbaren, versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithalte, worunter im Wesentlichen eine Tagesbeschäftigung im Ausmaß von 35 bis 40 Wochenstunden verstanden werde.

Der Beschwerdeführer, der zuletzt in einem Dienstverhältnis zum Literaturförderungsverein gestanden sei, sei nunmehr dessen Obmann und sei er neben Tätigkeiten, die sich an die Innehabung der Obmannfunktion knüpften, als Lektor, als Redakteur, als Schriftsteller tätig und zwar nach eigenen Angaben permanent. Dafür, dass neben dem Kassier und dem Schriftführer weitere hauptamtliche Mitarbeiter für die Tagesarbeit des Vereines zur Verfügung stünden, gebe es keinen Hinweis. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer daneben eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu den üblichen Bedingungen ausüben könne. Damit liege aber die Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Bezug der Notstandshilfe bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen verletzt. In Ausführung des so umschriebenen Beschwerdepunktes macht er geltend, mangelnde Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt liege nur dann vor, wenn er neben seiner Tätigkeit eine solche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu den üblichen Bedingungen nicht mehr annehmen könne. Der Beschwerdeführer habe sich immer als arbeitswillig und auch an Fortbildungskursen interessiert gezeigt. Der Ausdruck "permanent" in der Niederschrift vom 9. März 2000 könne nur so verstanden werden, dass es sich um eine "vielleicht unglückliche Wortwahl" gehandelt habe, keinesfalls sei damit gesagt, dass der Beschwerdeführer etwa die Absicht habe, sich der Arbeitsvermittlung zu entziehen und nur mehr Vereinstätigkeiten durchzuführen. Er habe in der Folge auch klargestellt, dass seine Tätigkeit als Obmann vor allem geistige Tätigkeiten umfasse und keineswegs eine ständige körperliche Anwesenheit an einem Ort erfordere. In seiner Fax-Eingabe habe er das zeitliche Ausmaß dieser Obmanntätigkeit klargestellt, indem er angegeben habe, durchschnittlich 15 Stunden an den Abenden (gemeint natürlich monatlich) für diese Tätigkeit aufzuwenden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG i.d.F. BGBl. Nr. 201/1996, welche Bestimmung gemäß § 33 AlVG auch auf den Anspruch auf Notstandshilfe anzuwenden ist, kann und darf eine Beschäftigung aufnehmen, wer sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält. Wie der Verwaltungsgerichtshof in den Erkenntnissen vom 22. Dezember 1998, 97/08/0106, vom 16. Februar 1999, 97/08/0584 und 98/08/0057, sowie vom 1. Juni 1999, 97/08/0443, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargestellt und begründet hat, erfordert die Verfügbarkeit des Arbeitslosen im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG nicht dessen Vermittelbarkeit für eine "Vollbeschäftigung". Die Bereitschaft des Arbeitslosen, nicht nur eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung, sondern im Falle einer entsprechenden Vermittlung auch eine "Vollbeschäftigung" anzunehmen, ist erst im Zusammenhang mit der Voraussetzung der Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 AlVG im Falle einer konkreten Zuweisung, nicht aber schon bei der Prüfung der Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG zu beurteilen. Der Mangel der Verfügbarkeit knüpft an Umstände an, bei deren Vorliegen die unwiderlegliche Vermutung des Gesetzes gerechtfertigt ist, dass die betreffende Person während dieser Zeit nicht an einer neuen Beschäftigung im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG, sondern an anderen Zielen interessiert ist.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich der angefochtene Bescheid schon deswegen als rechtswidrig, weil die belangte Behörde - wie sie auch in ihrer Gegenschrift bestätigt - davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer für eine Vollbeschäftigung (35-40 Stunden) zur Verfügung stehen müsse, um verfügbar im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG zu sein.

Nach der dargelegten Rechtslage ist nur zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer ausgeübte Tätigkeit der Aufnahme einer die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigung im Wege steht oder nicht. Verfügbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG ist entsprechend der angegebenen Judikatur dann gegeben, wenn keine Bindung rechtlicher oder faktischer Art vorliegt, die erst beseitigt werden müsste, um auch nur eine die Arbeitslosigkeit beendende Beschäftigung aufzunehmen.

Die belangte Behörde hat dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer als Obmann des Literaturförderungsvereines, als Lektor, Redakteur und Schriftsteller tätig sei und dies nach eigener Angabe permanent. Sie hat dazu festgehalten, dass es keinen Hinweis dafür gebe, dass weitere Mitarbeiter für die Tagesarbeit des Vereines zur Verfügung stünden.

Die zuletzt genannte Annahme findet - wie der Beschwerdeführer zutreffend aufzeigt - in den Beweisergebnissen keine Deckung. Die von der belangten Behörde umschriebene Tätigkeit des Beschwerdeführers als Vereinsobmann, Lektor, Redakteur und Schriftsteller vermag für sich allein über die dargestellten entscheidungswesentlichen Umstände nichts auszusagen. Das Ausmaß der Inanspruchnahme des Beschwerdeführers hängt nicht von der Bezeichnung der ausgeübten Funktion ab, sondern von den im Einzelnen festzustellenden Umständen des jeweiligen Falles. Die belangte Behörde beruft sich aber auf die Angabe des Beschwerdeführers, gefragt nach der Stundenanzahl seiner Tätigkeit, mit "permanent". Diese zur Umschreibung der Arbeitszeit unübliche Bezeichnung ist an Hand der im Bescheid vorgenommenen Umschreibung der Tätigkeit des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar. Wesentlich ist vielmehr, ob der Beschwerdeführer nach den Umständen der Tätigkeit (zur Verfügbarkeit bei ehrenamtlicher Tätigkeit vgl. im Besonderen das Erkenntnis vom 22. Dezember 1998, 97/08/0106) der Arbeitsvermittlung in so ausreichendem Ausmaß zur Verfügung gestanden ist, dass eine Vermittlung auf eine die Arbeitslosigkeit beendende Tätigkeit jederzeit möglich gewesen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Der Beschwerdeführer ist durch die Bewilligung der Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG befreit worden, sodass ein diesbezüglicher Ersatzanspruch nicht in Frage kommt.

Wien, am 23. Oktober 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000080086.X00

Im RIS seit

04.02.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten