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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. November 2001, Zl. UVS-01/28/6521/2001/8, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: A S in H), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben, als diese dem Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 2 und 3 FrG 1997 aufgetragen hat, bei seiner Schwester Unterkunft zu nehmen und sich jeden zweiten Tag bei der nächstgelegenen Gendarmeriedienststelle zu melden (Abs. 2 des Spruches); im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen (Abs. 1 des Spruches).
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften, in der mündlichen Verhandlung vom 31. Juli 2001 verkündeten und mit Datum 9. November 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheid gab die belangte Behörde gemäß § 73 Abs. 1, 2 und 4 Fremdengesetz 1997 (FrG 1997) in Verbindung mit § 67c Abs. 3 AVG der Beschwerde des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Mitbeteiligten gegen die Fortsetzung der Schubhaft Folge und stellte fest, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Weiters trug die belangte Behörde dem Mitbeteiligten gemäß § 66 Abs. 2 und 3 FrG 1997 auf, bei seiner Schwester an einer näher umschriebenen Adresse in H. (Bundesland Salzburg) Unterkunft zu nehmen und sich jeden zweiten Tag bei der nächst gelegenen Gendarmeriedienststelle zu melden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene, auf § 74 FrG 1997 gestützte Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien erwogen:
Fremde können gemäß § 61 Abs. 1 erster Satz FrG 1997 festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Die Schubhaft ist gemäß § 61 Abs. 2 erster Halbsatz mit Bescheid anzuordnen und kann gemäß Abs. 4 leg. cit. mit Beschwerde gemäß § 72 FrG 1997 angefochten werden.
§ 66 FrG 1997 regelt die Anwendung gelinderer Mittel:
"(1) Die Behörde kann von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann.
(2) Als gelinderes Mittel kommt insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen. Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese hätte bereits aus dem Grunde des § 96 Abs. 1 Z 1 von Amts wegen zu erfolgen.
(3) Der Fremde hat sich nach der erkennungsdienstlichen Behandlung in die von der Behörde bezeichnete Unterkunft zu begeben und sich jeden zweiten Tag bei der ihm bekannt gegebenen Sicherheitsdienststelle zu melden.
(4) Kommt der Fremde seiner Verpflichtung zur Meldung (Abs. 3) nicht nach, oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zur Behörde, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, so ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 69 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird."
Nach § 72 Abs. 1 FrG 1997 hat, wer gemäß § 63 leg. cit. festgenommen worden ist oder unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen.
§ 73 Abs. 4 leg. cit. lautet wie folgt (auszugsweise):
"(4) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden. ..."
Nach § 88 Abs. 1 FrG 1997 ist Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese.
Die beschwerdeführende Partei macht vor dem Verwaltungsgerichtshof u.a. geltend, die belangte Behörde unterläge einem Rechtsirrtum, wenn sie einerseits die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen als nicht gegeben erachte und andererseits eine Anordnung im Sinne des § 66 FrG 1997 verfüge. Gelindere Mittel könnten nur dann angewendet werden, wenn die Voraussetzungen für die Verhängung einer Schubhaft grundsätzlich gegeben seien; sei dies nicht der Fall, so bleibe auch kein Raum für eine Anordnung gemäß § 66 Abs. 1 leg. cit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. September 2001, Zl. 2000/02/0319) ist die gemäß § 73 Abs. 4 FrG 1997 zu treffende Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft ein neuer Titelbescheid für die weitere Anhaltung in Schubhaft. Der in § 73 Abs. 4 FrG 1997 geregelten Feststellung über die Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ist das Ergebnis der - unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft vorzunehmenden - Prüfung der Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates zu Grunde zu legen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2000, Zl. 2000/02/0007). Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner zuletzt zitierten Entscheidung vom 31. März 2000 näher dargelegt hat, liegt in dieser Regelung des § 73 Abs. 4 FrG 1997 auch keine Zuständigkeitskonkurrenz zwischen der Fremdenpolizei und dem unabhängigen Verwaltungssenat, da zum Zeitpunkt der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die weitere Anhaltung in Schubhaft eine Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörden zur Erlassung eines (neuen) Schubhaftbescheides ausgeschlossen ist.
Im Beschwerdefall - wo es nur um die weitere Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ging - hatte die belangte Behörde auf Grund der Bestimmung des § 73 Abs. 4 FrG 1997 daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft gegeben waren. Sie hatte dabei auch die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel an Stelle der Schubhaft - vgl. § 66 Abs. 1 FrG 1997 - bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.
Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang geltend macht, unter den im Beschwerdefall vorliegenden Voraussetzungen hätte die belangte Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass von der Anwendung gelinderer Mittel Abstand zu nehmen sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel im Sinn des § 66 Abs. 1 FrG 1997 nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 2002, Zl. 99/02/0237) eine Ermessensentscheidung ist. Ein Ermessensfehler in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1999, Zl. 99/02/0294) dann vor, wenn das der Ermessensübung durch die Behörde zu Grunde liegende Verwaltungsverfahren mangelhaft ist (formeller Ermessensfehler), oder wenn von der Verwaltungsbehörde bei der Ermessensübung der Sinn des Gesetzes nicht beachtet worden ist (materieller Ermessensfehler). Die belangte Behörde hat im bekämpften Bescheid ausreichend und nachvollziehbar begründet, warum sie das Ermessen in dem von ihr gewählten Sinne, nämlich der Bejahung der Anwendung gelinderer Mittel, ausgeübt hat. Sie hat in diesem Zusammenhang insbesondere ausgeführt wie folgt:
"Der Beschwerdeführer (Anm.: Mitbeteiligter des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) hat sich von 1992 bis 1999 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, ist einer Beschäftigung nachgegangen und war bis 12. Juli 2001 ordnungsgemäß polizeilich an seiner Wohnanschrift gemeldet. Lediglich nach Beendigung des Mietverhältnisses und Verlassen der Wohnung war er bis zur Festnahme am 17. Juli 2001 fünf Tage nicht polizeilich gemeldet, wobei er in dieser Zeit in einem Caritasheim aufhältig war. Zwar lässt das Verhalten des Beschwerdeführers anlässlich der Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung im Jahr 1999, das darin bestanden hat, dass er einer Ladung der Behörde ohne Angabe konkreter Gründe nicht Folge geleistet hat, keine unbedingte Bereitschaft erkennen, in Zusammenhang mit fremdenrechtlichen Angelegenheiten mit den Behörden zu kooperieren. Dem steht jedoch gegenüber, dass dies das einzige Versäumnis in diesem Zusammenhang während seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich war. Weiters vermittelte die Schwester des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung den Eindruck, dass sie den Beschwerdeführer anhalten wird, seinen fremdenrechtlichen Verpflichtungen künftig wieder nachzukommen. Auf Grundlage ihrer Aussage und der Angaben des Beschwerdeführers ist von einer ausreichenden persönlichen Bindung auszugehen, die aller Voraussicht nach erwarten lässt, dass der Beschwerdeführer der Anordnung, bei ihr Unterkunft zu nehmen Folge leisten wird. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung die ernste Absicht erkennen ließ, der behördlichen Anordnung Folge zu leisten und die erteilten Auflagen zu erfüllen. Er hat auch die Notwendigkeit erkannt nach einem für ihn negativen Ausgang des Asylverfahrens das Bundesgebiet zu verlassen."
Obwohl die vorliegende Beschwerde viel für sich hat, vermag sie dennoch keine Ermessensüberschreitung aufzuzeigen.
Die Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen den Ausspruch der belangten Behörde wendet, dass im Zeitpunkt deren Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen (Abs. 1 des Spruches des angefochtenen Bescheides) gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion bringt jedoch noch weiters vor, die belangte Behörde wäre zum Ausspruch, welches gelindere Mittel anzuwenden wäre, (Abs. 2 des Spruches) nicht zuständig gewesen. Aus § 66 Abs. 1 FrG 1997 ergäbe sich, dass nur die Behörde (im Sinne des Fremdengesetzes) zur Anordnung eines gelinderen Mittels befugt sei; die belangte Behörde sei jedoch nicht Behörde im Sinne des § 88 FrG 1997, sodass sie mit der diesbezüglichen Entscheidung eine Zuständigkeit in Anspruch genommen habe, die ihr vom Gesetz nicht eingeräumt werde. Dieses Vorbringen erweist sich als zutreffend, wie sich schon aus den von der Beschwerde ins Treffen geführten gesetzlichen Bestimmungen ergibt (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2002, Zl. 2001/02/0268).
Der angefochtene Bescheid war daher in diese Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Wien, am 6. November 2002
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltErmessen besondere RechtsgebieteErmessen VwRallg8Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001020278.X00Im RIS seit
17.03.2003Zuletzt aktualisiert am
15.07.2009