TE Vfgh Beschluss 1999/10/13 G61/99, G62/99, G63/99, G64/99, G65/99, G66/99, G67/99, G97/99, G103/99

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Veröffentlicht am 13.10.1999
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Index

21 Handels- und Wertpapierrecht
21/01 Handelsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
FirmenbuchG §24
HGB §280 Abs1, §283 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung handelsrechtlicher Bestimmungen betreffend die Offenlegungspflicht hinsichtlich der Konzernabschlüsse von Kapitalgesellschaften mangels Legitimation; Zumutbarkeit der Bekämpfung der Verhängung von Zwangsstrafen wegen Unterlassung der Offenlegung aufgrund des - von anderen Strafen unterschiedlichen - Rechtscharakters einer Zwangsstrafe; Möglichkeit des Aufschubs des Vollzugs der Zwangsstrafe bis zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der zu erzwingenden Verpflichtung

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. Die antragstellenden Gesellschaften und deren Geschäftsführer (Vorstandsmitglieder) begehren die Aufhebung von Bestimmungen des Handelsgesetzbuches über die Offenlegung von Jahresabschlüssen beim Firmenbuchgericht (§§277 oder 280 HGB in verschiedenen Fassungen), die sie deshalb für unmittelbar auf sich anwendbar halten, weil die Durchsetzung mittels Zwangsstrafen vorgesehen ist (§283 Abs1 HGB, §24 Abs1 Firmenbuchgesetz); in eventu bekämpfen sie die Bestimmungen, die solche Zwangsstrafen vorsehen.

Zugleich beantragen alle die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung oder Erlassung einer einstweiligen Verfügung, womit den Handelsgerichten aufgetragen werde, vor Einleitung des Zwangsstrafverfahrens gegen die Antragsteller den Ausgang des Gesetzesprüfungsverfahrens abzuwarten.

In der Sache behaupten sie die Verletzung des Grundrechts auf Privatautonomie (weil die Gesellschaften nicht mehr selbst bestimmen könnten, wem sie Einsicht in ihre Bücher geben), der Erwerbsfreiheit und der Unversehrtheit des Eigentums, der Privatsphäre (Art8 EMRK) und des Grundrechts auf Datenschutz. Das angegriffene Gesetz entspreche zwar den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, diese selbst verstießen aber gegen den EG-Vertrag, der dem Schutz des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses einen hohen Stellenwert einräume und es als Grundrecht achte.

Die Frage, ob die Offenlegungspflicht von Abschlüssen von Gesellschaften nach der Ersten, Vierten und Siebenten Richtlinie mit den gemeinschaftrechtlich gewährleisteten Grundrechten, Grundfreiheiten und allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten vereinbar sei, wolle dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt werden. Für solche Fälle verlange das Gemeinschaftsrecht eine wirksame Provisorialmaßnahme, wofür in Analogie zu einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Prozeßrechtes eine einstweilige Verfügung oder die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in Betracht komme.

Die Bundesregierung hält die Anträge für unzulässig, weil die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht konkret ausgebreitet würden. Infolgedessen könne auch nicht beurteilt werden, ob der Anfechtungsumfang richtig abgegrenzt worden sei. Außerdem haben es die Antragsteller verabsäumt, mit ihrem Antragsvorbringen einen aktuellen Eingriff in ihre Rechtssphäre bezüglich der nicht mehr in Geltung stehenden Fassungen von Bestimmungen nachzuweisen.

In der Sache rechtfertigt die Bundesregierung die Veröffentlichungspflicht.

Die begehrten einstweiligen Maßnahmen hält die Bundesregierung schließlich für nicht zulässig. Auch die (ohne nähere Begründung) behauptete Primärrechtswidrigkeit der für die angegriffenen Vorschriften maßgeblichen Richtlinien des Rates könne den österreichischen Gesetzgeber nicht hindern, die in Rede stehenden Pflichten aufzuerlegen. Gemeinschaftsrechtliche Aspekte hätten daher auch in Ansehung von Provisorialmaßnahmen außer Betracht zu bleiben.

II. Die Anträge sind unzulässig.

Wie schon im Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Oktober 1999, G60/99, dargelegt, ist der durch die Möglichkeit, die Verhängung der Zwangsstrafe zu bekämpfen, dem Verpflichteten eröffnete Weg, die Angelegenheit vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen, regelmäßig zumutbar. Denn der unter Androhung einer Zwangsstrafe Verpflichtete kann damit den Vollzug der verhängten Zwangsstrafe so lange hinausschieben (bzw. hinausschieben lassen), bis über die Verfassungsmäßigkeit der zu erzwingenden Verpflichtung entschieden ist, und im Falle eines negativen Ausganges des Verfahrens das verlangte Verhalten setzen und so - anders als bei der Strafbarkeit des einmal gesetzten Verhaltens, das sich nicht mehr rückgängig machen läßt, weshalb die Erkenntnis der Erfolglosigkeit der verfassungsrechtlichen Angriffe keine rechtzeitige Beachtung der bekämpften gesetzlichen Vorschriften ermöglicht - dem Vollzug der Zwangsstrafe entgehen.

Daß die Zwangsstrafen von einem Gericht verhängt werden und diesfalls nur das Gericht II. Instanz durch einen eigenen Antrag die Angelegenheit vor den Verfassungsgerichtshof bringen kann, ändert daran nichts, weil dieses Ergebnis von der Bundesverfassung bewußt in Kauf genommen wird (vgl. VfSlg. 14310/1995, 15030/1997).

Auf dem Weg über die Bekämpfung der verhängten Zwangsstrafe findet auch das hinter dem Begehren nach einstweiligen Maßnahmen stehende Anliegen des Antrags angemessene Berücksichtigung.

Die Zurückweisung der Anträge kann ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 lite VerfGG).

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Handelsrecht, Strafe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G61.1999

Dokumentnummer

JFT_10008987_99G00061_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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