Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des A in S, geboren 1968, vertreten durch Mag. Josef Koller-Mitterweissacher, Rechtsanwalt in 4320 Perg, Herrenstraße 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. November 2000, Zl. 207.350/0- XII/37/99, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein moslemischer Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien aus dem Sandzak, reiste am 16. Oktober 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge die Gewährung von Asyl. Als Fluchtgrund machte er im Wesentlichen geltend, dass er Ende September 1998 vom Militärkommando zu Waffenübungen einberufen worden sei; er habe der Einberufung Folge geleistet, allerdings sei die zunächst auf drei Tage anberaumte Übung auf 14/15 Tage verlängert worden; danach sollte er - wegen eines bevorstehenden Angriffs "vom Süden her" - in den Kosovo geschickt werden; da er erfahren habe, dass ein Teil seiner Einheit nach Urosevac, woher sein Vater stamme, verlegt werden solle, und er nicht in den Krieg habe gehen wollen, sei er am 13. Oktober 1998 geflüchtet; deswegen fürchte er, vom Militärgericht "erwartet" zu werden; von seinem Vater habe er telefonisch erfahren, dass er (der Beschwerdeführer) von der Militärpolizei gesucht worden sei.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 6. November 2000 wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 1.) und stellte gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien zulässig sei (Spruchpunkt 2.). Sie erachtete die Angaben des Beschwerdeführers als glaubwürdig und stellte demgemäß fest, dass er in Befolgung einer Ladung beginnend mit 28. September 1998 an Militärübungen teilgenommen habe. Die zunächst nur für drei Tage vorgesehene Übung sei auf 15 Tage verlängert worden, "später" hätte der Beschwerdeführer in den Kosovo gehen sollen. Er habe jedoch nicht am Krieg teilnehmen wollen und sei daher am 13. Oktober 1998 geflüchtet. Einen Einberufungsbefehl habe der Beschwerdeführer lediglich 1988 und 1989 für den Grundwehrdienst bekommen. Ein Gerichtsurteil betreffend Wehrdienstverweigerung habe er nicht erhalten.
In der Folge gab die belangte Behörde den Inhalt von Art. 214 des Jugoslawischen Strafgesetzbuches ("Nichtbefolgen eines Aufgebots und Wehrdienstentziehung") wieder und schloss daran Ausführungen über die Wehrpflicht in der Bundesrepublik Jugoslawien und über die Einberufungspraxis an. Sie stellte außerdem weiter fest:
"Der größte Teil der Einberufenen folgte den Stellungsbefehlen in den vergangenen Jahren nicht (70 % der in Serbien, 93 % der in Montenegro Einberufenen). ...
Im Zusammenhang mit der Kosovo-Offensive liegt Schätzungen zufolge die Zahl von vor Militärgerichten der Bundesrepublik Jugoslawien anhängigen Fällen von Wehrdienstverweigerung und Desertion zwischen 4.000 und 30.000. ... Mindestens einige Hundert Wehrdienstverweigerer und Deserteure sollen schon in der Bundesrepublik Jugoslawien inhaftiert sein, die meisten von ihnen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt. Im Juni soll ein Gericht in Nis drei Einberufene zu vier Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt haben, weil sie ihrer Pflicht nicht nachkamen. Ebenso verurteilte im Juni das jugoslawische Gericht der dritten Armee einen Reservisten zu einer Vier-Jahres-Strafe wegen Desertion von seiner Einheit im Kosovo, während andere fünf Männer jeweils zu einem Jahr für Desertion verurteilt wurden. Deserteure wurden sofort nach Verhängung der Strafen zu ihren Einheiten zurückgeschickt (Amnesty International ..., Oktober 1999).
Muslimen aus dem Sandzak droht keine härtere Bestrafung als in vergleichbaren, von Serben begangenen Fällen von Wehrdienstentzug ...
Auch generell (nicht auf Militärstrafverfahren bezogen) konnte eine Strafverschärfung in Urteilen auf Grund einer Minderheitenvolkszugehörigkeit bislang nicht beobachtet werden. Eine Ausnahme hierzu bildeten politische Prozesse, die jedoch ausschließlich ethnische Albaner betrafen ...
In allen Gefängnissen in Jugoslawien werden Fälle der Misshandlung der Inhaftierten unter Verletzung ihrer Menschenrechte registriert. Menschenrechtsverletzungen sind im jugoslawischen Strafvollzug zahlreich, aber in der Regel nicht von hoher Intensität. Am häufigsten kommen Schläge durch das Gefängnispersonal vor. In vielen Fällen versuchen Gefängniswärter durch kleinere Misshandlungen und Schikanen die Zahlung von Bestechungsgeldern bzw. Sachwerten zu erreichen. Berufs- und Gewohnheitstäter sind nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes am meisten von diskriminierenden Maßnahmen im Rahmen des Strafvollzuges betroffen. Dagegen waren wesentliche Unterschiede in der Behandlung der Angehörigen verschiedener Volksgruppen bislang nicht feststellbar ...
Hinsichtlich der muslimischen Slawen aus dem Sandzak gab es keine Berichte über so drastische Verletzungen der Menschenrechte wie Morde, Entführungen, willkürliche Inhaftierungen, wie dies noch 1996 häufig der Fall war. Allgemeine Diskriminierungen gegenüber dieser Minderheit dauern an. Ein spezifisch gegen Angehörige der moslemischen Bevölkerungsgruppe gerichtetes staatliches Verfolgungsprogramm ist nicht festzustellen, Muslime im Sandzak waren jedoch im serbischen Teil des Sandzak auch seit 1996 von Schikanen durch die Polizei bei 'Informationsgesprächen', Hausdurchsuchungen nach Waffen usw. betroffen. Im Vergleich zur Lage vor 1995 ist die Situation im Sandzak v.a. im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte deutlich entspannter. Zurzeit sind amnesty international nur einzelne Fälle bekannt, in denen Moslems misshandelt und verfolgt wurden ..."
Rechtlich führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus den im Verwaltungsverfahren zu Grunde gelegten Berichten sei nicht entnehmbar, dass in der Bundesrepublik Jugoslawien die Einberufungspraxis, die Behandlung während der Militärdienstzeit oder die Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion nach asylrechtlich relevanten Merkmalen unterschiedlich gehandhabt werde; nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes komme der Furcht des Beschwerdeführers vor Bestrafung wegen Desertion daher keine asylrechtliche Bedeutung zu. Weil subjektive Gründe keine Rolle spielten, könne dahingestellt bleiben, ob "die Wehrdienstverweigerung" des Beschwerdeführers aus Gewissensgründen erfolgt sei. Dieser habe auch nicht behauptet, dass die ihm drohende Bestrafung im Verhältnis zum gesetzten Delikt unverhältnismäßig hoch wäre, sodass die Strafe nicht mehr als Maßnahme eingestuft werden könne, die dem Schutz legitimer Interessen des Staates dient. Weder die Strafdrohung wegen Militärdienstentziehung noch die bisher beobachtete jugoslawische Strafenpraxis ließen den Rückschluss zu, dass den betroffenen Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren eine politisch oppositionelle Gesinnung unterstellt würde. Hinzuzufügen sei, dass die Wahrscheinlichkeit, auch der Beschwerdeführer werde wegen Wehrdienstverweigerung strafrechtlich verfolgt werden, äußerst gering sei, weil die jugoslawischen Militärgerichte "derzeit mit einer großen Anzahl an Verfahren im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt vollends beschäftigt sind, und auch nicht damit zu rechnen ist, dass tatsächlich alle möglichen Verfahren durchgeführt werden". Außerdem habe der Beschwerdeführer nie behauptet, dass bereits ein Militärstrafverfahren anhängig sei. Abgesehen davon, dass ein asylrechtlich relevanter Anknüpfungspunkt zu verneinen sei, fehle es somit zusätzlich an der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung.
Allgemeinen Beeinträchtigungen, welchen Muslime aus dem Sandzak ausgesetzt seien, komme nicht die Qualifikation von asylrechtlich beachtlichen Diskriminierungen zu, da sie sowohl für sich allein als auch in ihrer Gesamtschau mangels Intensität nicht den Tatbestand einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten. Davon, dass alle Muslime aus dem Sandzak einer Verfolgung alleine auf Grund ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit ausgesetzt wären, könne nicht ausgegangen werden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass gerade der Beschwerdeführer wegen eines ethnischen und religiösen Merkmales unzumutbaren Übergriffen ausgesetzt wäre.
Ihre Entscheidung zu § 8 AsylG begründete die belangte Behörde zusammenfassend damit, dass der Beschwerdeführer keine Gefahr im Sinn des § 57 FrG bzw. die Unzumutbarkeit der Rückkehr auf Grund seiner individuellen konkreten Lebensumstände darzutun vermocht habe.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer gemäß seinem Vorbringen und den diesem Vorbringen folgenden behördlichen Feststellungen unerlaubt seine militärische Einheit - vor deren Verlegung in den Kosovo - verlassen hat. Der von der belangten Behörde wörtlich wiedergegebene Art. 214 des Jugoslawischen Strafgesetzbuches erfasst diese Vorgangsweise, die herkömmlich als Desertion verstanden wird, offensichtlich nicht; diese Bestimmung ist daher im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Ebenso am Thema vorbei gehen die auf den Grundwehrdienst bezogenen Ausführungen über die Wehrpflicht in der Bundesrepublik Jugoslawien, weil der Beschwerdeführer seinen Grundwehrdienst bereits 1988/1989 abgeleistet hat.
Bei Beurteilung der Asylrelevanz der vom Beschwerdeführer allenfalls zu befürchtenden Bestrafung wegen Desertion stellte die belangte Behörde vordringlich darauf ab, ob eine derartige Bestrafung nach asylrechtlich relevanten Merkmalen unterschiedlich gehandhabt werde. Daneben deutete sie an, dass auch die Schärfe der drohenden Sanktion von Bedeutung sein könne. Diese Betrachtungsweise, die jedenfalls die subjektiven Gründe des Deserteurs und die Struktur des Militäreinsatzes außer Acht lässt, entspricht nicht mehr der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. va. das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Im Hinblick darauf und angesichts der in der Berufung angedeuteten amtsbekannten Übergriffe jugoslawischer Einheiten im Kosovo ist der vorliegende Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und demzufolge - weil die Alternativbegründung der belangten Behörde, es fehle an der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung, angesichts der nicht in Zweifel gezogenen Behauptung des Beschwerdeführers, sein Vater habe ihm telefonisch von einer Suche durch Militärpolizei berichtet, nicht stichhaltig ist - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 12. November 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010019.X00Im RIS seit
23.01.2003