TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/13 B560/99

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.1999
beobachten
merken

Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien
ÄrzteG 1998 §195 Abs5

Leitsatz

Inkrafttreten der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien in der Fassung der Kundmachung vom "Wiener Arzt" 2b/1999 mit dem Zeitpunkt der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde; keine Rückwirkung mangels entsprechenden Beschlusses der Vollversammlung der Ärztekammer; Quasi-Anlaßfallwirkung der Aufhebung der Satzung in der Fassung vor der Kundmachung im "Wiener Arzt" 2b/1999

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Ärztekammer für Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist als Arzt Mitglied der Ärztekammer für Wien. Seit 1. Jänner 1996 bezieht er nach seinem unbestrittenen Vorbringen eine Pension des Wohlfahrtsfonds dieser Kammer. Darüber hinaus ordiniert der Beschwerdeführer fallweise als Wohnsitzarzt.

1.2. Für Zwecke der sozialen Vorsorge besteht als Sondervermögen der Ärztekammer für Wien der Wohlfahrtsfonds dieser Kammer. Ihm gehören gemäß §4 der Satzung dieses Fonds mit bestimmten Ausnahmen alle ordentlichen Kammermitglieder sowie alle Ärzte an, die sich freiwillig zur Leistung von Beiträgen für den Wohlfahrtsfonds verpflichten. Gemäß §8 Abs1 litb der Satzung endet die Mitgliedschaft zum Wohlfahrtsfonds zwar mit der Gewährung einer Altersversorgung. Unbeschadet dieser Bestimmung ordnet jedoch ArtI Abs11 der Beitragsordnung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien, kundgemacht im "Wiener Arzt" 2b/1999 an, daß auch Bezieher einer Altersversorgung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien weiterhin Beiträge in der Höhe von jährlich S 10.800,-- zu diesem Fonds zu leisten haben, wenn sie ihren Beruf im Bereich der Ärztekammer für Wien ausüben.

1.3. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des Beschwerdeausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien wurde der Beitrag des Beschwerdeführers zu diesem Fonds für das Jahr 1999 mit S 10.800,-- festgesetzt. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

II. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer formellen Gegenschrift aber abgesehen.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat

über die û zulässige û Beschwerde erwogen:

1. §195 Abs2 bis 5 ÄrzteG 1998 lauten auszugsweise:

"§195. (...)

(2) Die von den Ärztekammern in den Bundesländern beschlossenen Satzungen, Geschäftsordnungen, Dienst-, Bezugs- und Pensionsordnungen, Jahresvoranschläge, Rechnungsabschlüsse sowie die Umlagen- und Beitragsordnungen bedürfen für ihre Wirksamkeit der Genehmigung der örtlich zuständigen Landesregierung. (...)

Die genehmigten Akte sind in den Mitteilungen der Ärztekammern unter Angabe des Zeitpunktes ihres Inkrafttretens kundzumachen; sie werden unbeschadet der Abs4 und 5 mit dem Datum der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde wirksam. (...)

(3) Die von der Österreichischen Ärztekammer beschlossene Satzung, Geschäftsordnung, Dienst-, Bezugs- und Pensionsordnungen, Umlagen- und Beitragsordnung, ferner der Jahresvoranschlag sowie der Rechnungsabschluß bedürfen für ihre Wirksamkeit der Genehmigung des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales. (...) Die genehmigten Akte werden unbeschadet der Abs4 und 5 mit dem Datum der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde wirksam. (...)

(4) Als Zeitpunkt für die Wirksamkeit der von den Ärztekammern erlassenen Umlagenordnungen und der Festsetzung des Beitrages für einen gemeinsamen Wohlfahrtsfonds bei der Österreichischen Ärztekammer (§134) gilt ungeachtet des Zeitpunktes der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde jedenfalls der 1. Jänner des Kalenderjahres, für welches die Umlagenordnung erlassen bzw. der Beitrag festgesetzt wurde.

(5) Änderungen der Beitragsordnung oder der Satzung des Wohlfahrtsfonds treten ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde im Hinblick auf die damit verbundenen geänderten Beitrags- und Leistungsverpflichtungen mit dem von der Vollversammlung bestimmten Zeitpunkt, der jedoch nicht vor dem 1. Jänner des vorangegangenen Kalenderjahres liegen darf, in Kraft."

2.1. In den Mitteilungen der Wiener Ärztekammer "Wiener Arzt" wurde im Heft 2b/1999, datierend vom "Februar 1999", die Beitragsordnung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien unter Berufung auf entsprechende Beschlüsse der Vollversammlung der Ärztekammer zur Gänze neu kundgemacht sowie der aktuelle Text der Satzung dieses Fonds wiedergegeben. Als Datum des Inkrafttretens wird für die Beitragsordnung der 1. Jänner 1999 bestimmt. Für das Inkrafttreten der Satzung wird ein Zeitpunkt nicht festgesetzt.

2.2. Der angefochtene Bescheid datiert vom 11. Februar 1999 und wurde am 12. Februar 1999 zugestellt. Der Beschwerdeführer hält der belangten Behörde einleitend vor, der Bescheid sei insoferne gesetzlos ergangen, als frühere Fassungen der Beitragsordnung eine Beitragspflicht für Bezieher einer Altersversorgung nicht gekannt hätten, die im "Wiener Arzt" 2b/1999 kundgemachte Beitragsordnung im Zeitpunkt der Bescheiderlassung aber noch nicht gegolten habe.

2.3. §195 Abs5 Ärztegesetz 1998 erlaubt für Änderungen von Beitragsordnung und Satzung des Wohlfahrtsfonds hinsichtlich der dadurch veränderten Beitrags- und Leistungsverpflichtungen in bestimmten Grenzen eine Rückwirkung. Es ist allerdings nicht ohne weiteres zu erkennen, ob §195 Abs5 des Ärztegesetzes 1998 nur auf die Satzung und Beitragsordnung eines gemäß §134 Ärztegesetz 1998 zu bildenden gemeinsamen Wohlfahrtsfonds bei der Österreichischen Ärztekammer oder auch auf die Satzungen und Beitragsordnungen der einzelnen Ärztekammern Anwendung zu finden hat. Für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auch auf die Wohlfahrtsfonds der Ärztekammern in den Bundesländern scheint zu sprechen, daß §195 Abs2 Ärztegesetz 1998 ausdrücklich auf die Absätze 4 und 5 hinweist. Dagegen scheint zu sprechen, daß §195 Abs5 Ärztegsetz 1998 û anders als §195 Abs2 leg. cit. û im Singular gehalten ist und unmittelbar an eine Bestimmung anschließt, in der zuletzt ausschließlich von der Festsetzung der Beitragsordnung für einen gemeinsamen Wohlfahrtsfonds bei der Österreichischen Ärztekammer die Rede ist.

Diese Frage kann aber nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles dahinstehen. Denn §195 Abs5 Ärztegesetz 1998 findet jedenfalls nur dann Anwendung, wenn die Vollversammlung hinsichtlich des Inkrafttretens der dort genannten Änderungen von Beitragsordnung oder Satzung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens etwas bestimmt.

Hinsichtlich der Satzung in der Fassung der Kundmachung vom "Wiener Arzt" 2b/1999 wird über das Inkrafttreten nichts besonderes bestimmt. Diese Fassung konnte daher û ungeachtet der Frage der Gesetzmäßigkeit ihrer Kundmachung û gemäß §195 Abs2 Ärztegesetz 1998 frühestens mit dem Zeitpunkt der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde in Kraft treten. Der Bescheid der Wiener Landesregierung, mit dem diese Genehmigung erteilt wurde, wurde der Ärztekammer für Wien, wie sich aus den in einem anderen Verfahren vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, am 29. März 1999 zugestellt. Die Satzung des Wohlfahrtsfonds war daher im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (noch) nicht in der Fassung des "Wiener Arzt" 2b/1999 anzuwenden.

3.1. Mit dem Erkenntnis V15/99, V16/99 und V22/99 vom 24. Juni 1999 hat der Verfassungsgerichtshof die Beitragsordnung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien für die Beitragsjahre 1996 und 1997 aufgehoben und ausgesprochen, daß die Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien bis zum Inkrafttreten der Fassung der Kundmachung vom "Wiener Arzt" 2b/1999 jedenfalls gesetzwidrig war.

3.2. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10616/1985, 10736/1985, 10954/1986).

Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren V 15, V 16 und V22/99 fand am 11. Juni 1999 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 29. März 1999 eingelangt, war also zum Zeitpunkt der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der der vorliegenden Beschwerde zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

3.3. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides eine als gesetzwidrig erkannte Fassung der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß die Anwendung dieser Verordnung für die Rechtssphäre des Beschwerdeführers von Nachteil war. Der Beschwerdeführer ist also durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid ist daher schon deshalb aufzuheben, ohne daß auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen werden muß.

4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-- enthalten.

Schlagworte

Ärzte Versorgung, Versorgungsrecht, Verordnung, Kundmachung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B560.1999

Dokumentnummer

JFT_10008987_99B00560_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten