TE Vwgh Erkenntnis 2002/11/13 99/03/0444

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2002
beobachten
merken

Index

DE-22 Zivilprozess Deutschland;
DE-40 Verwaltungsverfahren Deutschland;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
49/08 Amtshilfe Zustellung von Schriftstücken;

Norm

RechtshilfeAbk Deutschland 1990 Verwaltungssachen Art1 Abs1;
RechtshilfeAbk Deutschland 1990 Verwaltungssachen Art10 Abs1;
RechtshilfeAbk Deutschland 1990 Verwaltungssachen Art3;
VwRallg;
VwZVG Bayern §11 Abs1;
VwZVG Bayern §11;
ZPO-D §181 Abs1;
ZPO-D §181 Abs2;
ZPO-D §181;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des H in Unterhaching, Deutschland, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 20, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 4. November 1999, Zlen. UVS-3/11.021/9-1999 und UVS-7/10759/10- 1999, betreffend Zurückweisung der Berufung in einem Verfahren iA. Übertretungen der StVO 1960 und des KFG 1967, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, insoweit sich die Beschwerde gegen die Entscheidung der belangten Behörde betreffend die Übertretung des KFG 1967 richtet, wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 1. April 1998 wurde der Beschwerdeführer wegen der am 25. Dezember 1996 begangenen Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 schuldig erkannt und es wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 12.000,-- (und eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt (Spruchpunkt I), des Weiteren wurde er wegen der am selben Tag begangenen Übertretung nach § 64 Abs. 1 KFG 1967 schuldig erkannt, und es wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 5.000,-- (und eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt (Spruchpunkt II).

Mit dem angefochtenen Bescheid einer Kammer der belangte Behörde wurde die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 63 Abs. 5 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 als verspätet eingebracht zurückgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, im vorliegenden Fall sei dem Beschwerdeführer das angefochtene Straferkenntnis am 10. Juni 1998 durch Niederlegung zugestellt worden. Die Berufungsfrist von zwei Wochen habe daher mit Ablauf des 24. Juni 1998 geendet. Die Berufung sei jedoch erst am 28. April 1999 eingebracht worden. Dem Beschwerdeführer sei die Möglichkeit zur Erstattung einer Stellungnahme wegen verspäteter Berufungserhebung gewährt worden. Zum Vorhalt der Verspätung habe dieser vorgebracht, dass er am 27. August 1997 an eine näher bezeichnete Adresse in Unterhaching verzogen und deshalb an der Adresse in München, an welcher die Niederlegung erfolgt sei, nicht mehr wohnhaft gewesen sei. Eine ordnungsgemäße Zustellung sei damit nicht erfolgt. Er habe von der Zustellung erst durch seine Mutter Kenntnis erlangt. Nach Anführung der im gegenständlichen Fall maßgeblichen (deutschen) Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde weiter aus, die gegenständlich über die Zustellung aufgenommene, von der Regierung der Oberpfalz übermittelte Postzustellungsurkunde enthalte sämtliche gemäß § 195 in Verbindung mit § 191 dZPO erforderlichen Angaben. Es gehe daraus hervor, dass ein Zustellversuch vorgenommen und die Benachrichtigung über die vorgenommene Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt worden sei. Diese Zustellurkunde stelle nach österreichischem Recht als Zustellnachweis eine öffentliche Urkunde dar, die nach § 47 AVG in Verbindung mit § 292 ZPO die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich habe. Diese Vermutung sei zwar widerlegbar, jedoch bedürfe es dazu konkreter Darlegungen. Es sei Aufgabe des Empfängers, Umstände vorzubringen, die geeignet seien, Gegenteiliges zu beweisen oder zumindest berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges aufkommen zu lassen. Mit der bloßen Behauptung, zu einem bestimmten Zeitpunkt an eine andere näher bezeichnete Adresse verzogen zu sein, ohne nähere Angaben zu machen und ohne entsprechende Bescheinigungsmittel vorzulegen, könne das Vorliegen einer unwirksamen Zustellung durch Niederlegung nicht dargetan werden. Der Beschwerdeführer hätte seine Behauptung im Sinne der von der Behörde eingeräumten "Möglichkeit der Stellungnahme und der gebotenen Mitwirkungspflicht" durch Beweisanbote (Zeugen, Meldebestätigung, Buchhaltungsunterlagen etc.) belegen müssen. Dieser Mitwirkungspflicht sei er nicht nachgekommen, weshalb davon auszugehen sei, dass das angefochtene Straferkenntnis rechtmäßig durch Niederlegung am 10. Juni 1998 zugestellt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Zusammensetzung des unabhängigen Verwaltungssenates regelt § 51 c VStG. Nach dieser Bestimmung in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 entschieden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, wenn in dem mit Berufung angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine S 10.000,-- übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch Einzelmitglied, ansonsten, abgesehen von den gesetzlich besonders geregelten Fällen, durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Einzelmitglied und Kammer auf die Höhe der einzelnen verhängten Strafen und nicht auf die Summe der in einer Bescheidausfertigung zusammengefassten Bestrafungen an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Feber 1996, Zl. 94/11/0315); die Unzuständigkeit der belangten Behörde führt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann, wenn sie vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht wurde, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 1997, Zl. 96/04/0286).

Die belangte Behörde entschied hinsichtlich beider Übertretungen durch ihre Kammer; insoweit der Beschwerdeführer mit seiner Berufung die erstinstanzliche Entscheidung in Ansehung der Bestrafung wegen Übertretung des KFG 1967 - mit einer S 10.000,-- nicht übersteigenden Geldstrafe - bekämpfte, war die Kammer der belangten Behörde somit funktionell nicht zuständig. Der angefochtene Bescheid war daher aus dem im Spruch ersichtlichen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Im Übrigen erweist sich der angefochtene Bescheid aus folgenden Erwägungen rechtswidrig:

§ 63 Abs. 5 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, lautet:

"§ 63. (5) Die Berufung ist von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündigung mit dieser. Wird eine Berufung innerhalb dieser Frist bei der Berufungsbehörde eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung; die Berufungsbehörde hat die bei ihr eingebrachte Berufung unverzüglich an die Behörde erster Instanz weiterzuleiten."

Gegen den angefochtenen Bescheid bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er habe schon im Verwaltungsstrafverfahren vorgebracht, dass er von der Zustelladresse in München bereits nahezu ein Jahr vor der Zustellung nach Unterhaching weggezogen sei. Er habe exakt das Datum der Ummeldung und die neue Wohnadresse bekannt gegeben. Die belangte Behörde habe dies offenbar nicht überprüft. Sie habe auch keinen Meldezettel angefordert. Der Beschwerdeführer habe davon ausgehen können, dass die belangte Behörde seine Angaben somit nicht bezweifle. Die Anmeldung an einem neuen Wohnsitz unter Bescheinigung über die Abmeldung des für den früheren Wohnsitz zuständigen Kreisverwaltungsreferates seien am 20. Mai 1999 im Akt erlegen und hätten jederzeit vorgelegt werden können, die belangte Behörde hätte zur Frage des Wohnsitzes die gemachten Angaben überprüfen müssen und hätte den Beschwerdeführer nicht mit ihrer Rechtsauffassung überraschen dürfen. Der bloße Hinweis auf die Möglichkeit einer Stellungnahme sei nicht ausreichend. Insbesondere nachdem bereits eine Berufungsverhandlung anberaumt und nur wegen der Verhinderung einer Zeugin abberaumt worden sei, hätte die belangte Behörde auf ihre neue Rechtseinstellung und die daraus folgenden Konsequenzen hinweisen müssen. Infolge der Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit zum wesentlichen Punkt der Wohnung des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde nicht von einer rechtmäßigen Zustellung durch Niederlegung ausgehen dürfen.

Schon mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.

Gemäß Art. 3 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBl. 1990/526, wird Amts- und Rechtshilfe nach dem Recht des ersuchten Staates geleistet. Die Vornahme von Zustellungen ist in Art. 10 des genannten Vertrages geregelt. Gemäß dessen Art. 10 Abs. 1 werden Schriftstücke im Verfahren nach Art. 1 Abs. 1 unmittelbar durch die Post nach den für den Postverkehr zwischen den Vertragsstaaten geltenden Vorschriften übermittelt. Wird ein Zustellnachweis benötigt, ist das Schriftstück als eingeschriebener Brief mit den besonderen Versendungsformen "Eigenhändig" und "Rückschein" zu versenden. Kann eine Zustellung nicht unmittelbar durch die Post bewirkt werden oder ist dies nach Art und Inhalt des Schriftstücks nicht zweckmäßig, ist die zuständige Stelle im anderen Vertragsstaat um Vermittlung der Zustellung im Wege der Amts- und Rechtshilfe zu ersuchen. Die Vertragsstaaten teilen einander diese Stellen mit.

Als zentrale Anlaufstelle für die Vornahme von Zustellungen ist in Deutschland für das Bundesland Bayern die Regierung der Oberpfalz eingerichtet.

§ 181 dZPO und die hier zur Anwendung gelangende Bestimmung des § 11 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) sehen im Interesse der Verwaltungsvereinfachung die Möglichkeit vor, dass das zuzustellende Schriftstück, wenn der Adressat nicht in einer Wohnung angetroffen wird, im Wege einer Ersatzzustellung zugestellt werden kann. Gemäß § 181 Abs. 1 dZPO kann die Zustellung in der Wohnung an einen zu der Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen oder an eine in der Familie dienende erwachsene Person erfolgen, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetroffen wird. § 181 Abs. 2 dZPO sieht unter den dort genannten Voraussetzungen auch eine Ersatzzustellung an den in demselben Hause wohnenden Hauswirt oder Vermieter vor. In gleichere Weise sieht § 11 Abs. 1 VwZVG vor, dass das Schriftstück in der Wohnung einem zur Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen oder einem in der Familie beschäftigten Erwachsenen - wenn kein solcher Erwachsener angetroffen wird, auch dem in demselben Haus wohnenden Hauswirt oder Vermieter, wenn sie zur Annahme bereit sind - übergeben werden kann, wenn der Empfänger in seiner Wohnung nicht angetroffen wird.

Die belangte Behörde ist zwar zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Zustellung entsprechend den Regelungen des Rechtshilfevertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland nach den deutschen bzw. bayrischen Rechtsvorschriften vorzunehmen war, sie hat jedoch dem Umstand, dass als grundlegendes Erfordernis einer Ersatzzustellung durch Niederlegung auf Grund der vorgenannten Bestimmungen vorausgesetzt ist, dass der Zustellungsempfänger am Zustellort eine "Wohnung" hat, nicht hinreichende Bedeutung beigemessen. Für den Begriff "Wohnung" kommt es hiebei nach den deutschen Zustellvorschriften grundsätzlich auf das tatsächliche Wohnen an, somit darauf, ob der Zustellungsempfänger die Wohnung auch tatsächlich bewohnt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 1998, Zl. 96/03/0030).

Die belangte Behörde zog für ihre Beurteilung den von der Regierung der Oberpfalz als einzuschaltender zentraler Anlaufstelle im Freistaat Bayern übermittelten Bericht über die Zustellung heran, damit allein hätte sie sich aber nicht begnügen dürfen. Der Beschwerdeführer wies sowohl in seiner Berufung vom 27. April 1999 wie auch in seiner nach dem Schreiben der belangten Behörde vom 23. Juni 1999 eingereichten Stellungnahme vom 12. Juli 1999 darauf hin, dass er seit dem 27. August 1997 nicht mehr an der Adresse wohnhaft gewesen sei, an der das gegenständliche Straferkenntnis am 10. Juni 1998 durch Niederlegung zugestellt worden sei, sondern - an eine konkret genannte Adresse - verzogen sei. In diesem Zusammenhang erscheint auch wesentlich, dass der Beschwerdeführer nach dem Postfehlbericht vom 18. April 1998 (S. 52 des Verwaltungsstrafaktes) von der Münchener Anschrift "unbekannt verzogen" war, und auch nach der Mitteilung der Deutschen Post AG, bei der Regierung der Oberpfalz eingelangt am 2. November 1998 (S. 77 des Verwaltungsstrafaktes), an der Münchener Anschrift "nicht mehr ... wohnt". Die Meldeauskünfte vom 23. Dezember 1998 (AS. 89) und vom 30. März 1999 (AS. 109) sowie die Mitteilung vom 15. April 1999 (AS 115) weisen auf eine Anschrift in Unterhaching hin. Dem maß die belangte Behörde nicht hinreichend Bedeutung zu.

Da die belangte Behörde somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen könne, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 13. November 2002

Schlagworte

Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999030444.X00

Im RIS seit

18.02.2003

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten