TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/13 B374/99

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Veröffentlicht am 13.10.1999
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/02 Strafvollzug

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art8
StVG §91
StVG §120 f

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung der Beschwerde eines Strafgefangenen gegen die Abweisung seines Ansuchens um Erteilung einer Ausnahmebewilligung von der generellen Anordnung des Ausschlusses sämtlicher Gefangener vom Empfang von Lebensmittelpaketen infolge Verneinung eines subjektiven öffentlichen Rechts; Annahme eines solchen subjektiven Rechts insbesondere aus rechtsstaatlichen Gründen geboten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt 1a des angefochtenen Bescheides in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Spruchpunkt 1a des angefochtenen Bescheides wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer Verfahrenskosten in Höhe von S 27.000,-- zuhanden seines Verfahrenshelfers binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizanstalt Garsten eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der Leiter dieser Justizanstalt ordnete je am 6. Februar 1997, 30. Juli 1997, 6. Februar 1998 und 31. Juli 1998 gemäß §91 Abs3 zweiter Satz Strafvollzugsgesetz (StVG) jeweils mit der erforderlichen Genehmigung des Bundesministeriums für Justiz an, daß sämtliche Strafgefangene der Justizanstalt vom Empfang von Nahrungs- und Genußmittelsendungen ausgeschlossen sind.

1.2. Mit Ansuchen vom 3. August 1998 ersuchte der Beschwerdeführer um eine Ausnahmegenehmigung gemäß §91 Abs3 letzter Satz StVG zum Empfang eines Lebensmittelpakets. Dem Ansuchen wurde mit Entscheidung vom 2. September 1998, dem Beschwerdeführer verkündet am 3. September 1998, nicht stattgegeben.

Dagegen führte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 7. September 1998 beim Bundesminister für Justiz Beschwerde gemäß §120 StVG. Er begehrte darin die Aufhebung der Entscheidung über sein Ansuchen um Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß §91 Abs3 letzter Satz StVG sowie die Aufhebung jenes Erlasses des Bundesministers für Justiz, mit dem die Genehmigung erteilt wurde, sämtliche Gefangene vom Bezug von Lebensmittelpaketen auszuschließen, sowie ferner die Aufhebung dieser Verfügung des Leiters der Justizanstalt Garsten.

1.3. Der Bundesminister für Justiz wies diese Beschwerde mit Bescheid vom 11. Februar 1999 zurück:

1.3.1. Mit Spruchpunkt 1a des angefochtenen Bescheides wird die Beschwerde insoweit zurückgewiesen, als sie sich auf die Abweisung seines Ansuchens um Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach §91 Abs3 letzter Satz StVG bezieht. Der Bundesminister führt dazu aus, die Bestimmung des §91 Abs3 letzter Satz StVG räume dem Strafgefangenen kein subjektives Recht auf Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung ein, weshalb sich auch die Erhebung einer Beschwerde gemäß §§120 f. StVG als unzulässig erweise.

1.3.2. Mit Spruchpunkt 1b wurde die Beschwerde insoweit als unzulässig zurückgewiesen, als sie sich auf Aufhebung des Erlasses des Bundesministers für Justiz bezieht, mit dem die Verfügung des Anstaltsleiters genehmigt wurde, sämtliche Strafgefangene der Justizanstalt vom Bezug von Lebensmittelpaketen auszuschließen. Der Rechtsschutzweg der §§120 f. StVG sei nur insoweit eröffnet, als der Einschreiter Maßnahmen oder Anordnungen von Organen der Strafanstalt oder des Anstaltsleiters in Beschwerde ziehen wolle. Somit sei die Beschwerde mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes insoweit zurückzuweisen, als sie sich gegen einen Erlaß des Bundesministers für Justiz wende.

1.3.3. Mit Spruchpunkt 2 wurde die Beschwerde schließlich insoweit als verspätet zurückgewiesen, als sie sich gegen die Verfügung des Anstaltsleiters betreffend den Ausschluß sämtlicher Strafgefangener vom Bezug von Lebensmittelpaketen wendet. Dem Beschwerdeführer sei spätestens seit dem 3. August 1998, dem Tag seiner (ursprünglichen) Antragstellung, die in Beschwerde gezogene Verfügung bekannt gewesen, weshalb seine Eingabe vom 7. September 1998 insofern verspätet gewesen sei.

2. Gegen Spruchpunkt 1a dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Spruchpunktes begehrt wird. Im übrigen bleibt der Bescheid des Bundesministers für Justiz unbekämpft.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die u zulässige u Beschwerde erwogen:

1.1. §91 Abs2 und 3 des Bundesgesetzes vom 26. März 1969 über den Vollzug der Freiheitsstrafen und der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen (Strafvollzugsgesetz - StVG), BGBl. Nr. 144/1969, zuletzt novelliert durch BGBl. I/55/1999 lauten in der derzeit geltenden Fassung des BGBl. Nr. 799/1993:

"§91.

(2) Die Strafgefangenen dürfen einmal im Vierteljahr eine Sendung von Nahrungs- und Genußmitteln im Gewicht von drei Kilogramm oder mehrere Sendungen im Gesamtgewicht von drei Kilogramm erhalten. Die Sendungen dürfen Blechkonserven, Arznei- und Heilmittel, berauschende Mittel sowie Nahrungs- und Genußmittel, die nicht ohne weitere Zubereitung genossen werden können, überhaupt nicht und Kaffee oder Kaffee-Extrakt sowie Tabakwaren nur bis zu einem Gesamtgewicht von je 250 g enthalten. Diese Sendungen können auch in Abwesenheit der Strafgefangenen geöffnet und geprüft werden.

(3) Wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, daß Paketsendungen dazu mißbraucht werden, um Strafgefangenen Suchtgift oder andere Gegenstände zukommen zu lassen, von denen eine Gefahr für die Gesundheit der Strafgefangenen oder sonst für die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt zu befürchten wäre, und die Aussonderung solcher Gegenstände nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist, hat der Anstaltsleiter die betreffenden Strafgefangenen vom Empfang von Sendungen nach Abs2 auszuschließen. Soweit der Gefahr durch den Ausschluß einzelner Strafgefangener nicht wirksam begegnet werden kann, kann der Anstaltsleiter mit Genehmigung des Bundesministeriums für Justiz jeweils für einen bestimmten, sechs Monate nicht übersteigenden Zeitraum anordnen, daß sämtliche Strafgefangene der Anstalt oder eines Teiles der Anstalt vom Empfang von Sendungen nach Abs2 ausgeschlossen werden. Soweit es im Einzelfall vertretbar erscheint, kann der Anstaltsleiter jedoch Ausnahmen von einer solchen Anordnung gestatten."

1.2. §120 f. StVG räumen den Strafgefangenen ein Recht auf eine durch Bescheid zu erledigende Beschwerde über Entscheidungen oder Anordnungen und das sonstige Verhalten der Strafvollzugsbediensteten ein, soweit dadurch ihre Rechte berührt werden.

2. Die belangte Behörde ist der Auffassung, daß §91 Abs3 letzter Satz StVG den Strafgefangenen kein subjektives Recht darauf vermittle, daß der Anstaltsleiter ihnen, wenn es im Einzelfall vertretbar erscheint, eine Ausnahmegenehmigung zum Erhalt eines Lebensmittelpakets erteilt.

Diese Auffassung deckt sich mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Im Erkenntnis 97/20/0597 vom 10. September 1998 sprach der VwGH aus, daß ein solches subjektives Recht auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nicht bestehe. Der VwGH führte aus:

"Anders als §91 Abs1 letzter Satz und Abs2 StVG, die der Behörde auch und gerade im Interesse des Strafgefangenen (Untersuchungshäftlings) ausdrücklich eine bestimmte Pflicht

auferlegen (arg. '... sind ... auszufolgen, wenn ...' bzw. 'die Strafgefangenen dürfen ... erhalten.'), spricht die Wendung in §91 Abs3 letzter Satz '..., kann der Anstaltsleiter jedoch Ausnahmen von einer solchen Anordnung gestatten' keinesfalls für die Annahme eines subjektiv-öffentlichen Rechtes. Allerdings schließt eine solche Formulierung für sich allein nicht zwingend die Einräumung eines nach bestimmten (im Sinne des Gesetzes auszuübenden) Ermessenskriterien zu beurteilenden subjektiven Rechtes aus und könnte aufgrund der im Einzelfall zu beurteilenden, aus dem Gesetz hervorleuchtenden Interessenlage die Wendung 'kann' auch 'muß' bedeuten. Dafür liegen aber keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. §91 Abs3 StVG räumt der Behörde die rechtliche Verfügungsmacht ein, das dem Häftling gemäß §91 Abs2 StVG ausdrücklich eingeräumte subjektiv-öffentliche Recht auf den Empfang von Sendungen von Nahrungs- und Genußmitteln durch einen generellen Verwaltungsakt auszuschließen.

Im Hinblick darauf, daß eine solche generelle Anordnung lediglich auf einen befristeten Zeitraum zulässig ist, soll die Wendung 'soweit es im Einzelfall vertretbar erscheint, kann der Anstaltsleiter ...' lediglich dem Anstaltsleiter die Möglichkeit einräumen, auf Einzelinteressen der Häftlinge Bedacht zu nehmen, ohne allerdings dem einzelnen damit das schon durch die generelle, wenn auch nicht vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpfbare, Anordnung zeitlich befristet ausgeschlossene subjektiv-öffentliche Recht wiederum einzuräumen."

3. Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Rechtsansicht der belangten Behörde und des Verwaltungsgerichtshofes nicht.

3.1. Die vom VwGH und der belangten Behörde angestellte Überlegung übersieht, daß sie zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen würde:

Der Verfassungsgerichtshof hat Individualanträge gemäß Art139 Abs1 B-VG bzw. gemäß Art140 Abs1 B-VG, die gegen den die Anordnung des Anstaltsleiters jeweils genehmigenden Erlaß des Bundesministers für Justiz bzw. gegen §91 StVG selbst gerichtet waren, wiederholt mit der Begründung zurückgewiesen, daß es den jeweils antragstellenden Strafgefangenen zumutbar sei, eine Ausnahmegenehmigung gemäß §91 Abs3 StVG zu beantragen und gegen die darüber ergehende Entscheidung den Rechtsschutzweg der §§120 f. StVG zu beschreiten (vgl. die hg. Beschlüsse V72/98 vom 29. September 1998, G215/87 vom 27. November 1987). Damit hat der Verfassungsgerichtshof das Vorliegen eines subjektiven Rechts auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung bei Vorliegen der Voraussetzungen implizit bereits bejaht.

Wäre es demgegenüber richtig, daß §91 Abs3 letzter Satz StVG kein subjektives öffentliches Recht einräumt, so hätte es der Anstaltsleiter in der Hand, durch eine u wie auch immer zu qualifizierende u "Anordnung" ein vom Gesetz eingeräumtes subjektiv öffentliches Recht (wenn auch nur für bestimmte Zeit; im vorliegenden Fall jedoch durch Aneinanderreihung solcher Anordnungen dauerhaft) zu beseitigen, ohne daß dagegen ein Rechtsschutzweg eingeräumt wäre.

Weder die belangte Behörde noch der VwGH ziehen in Zweifel, daß §91 Abs2 StVG den Strafgefangenen ein subjektives öffentliches Recht auf vierteljährlichen Empfang eines Lebensmittelpaketes einräumt. §91 Abs3 erlaubt es dem Anstaltsleiter, bestimmte Strafgefangene, unter besonderen Voraussetzungen alle Strafgefangenen vom Empfang solcher Lebensmittelpakete auszuschließen. Es kann nun für die hier zu entscheidende Frage dahinstehen, ob der Verfassungsgerichtshof aus Anlaß einer gegen die Abweisung eines Ausnahmeersuchens gemäß §91 Abs3 letzter Satz StVG gerichteten Beschwerde den die Anordnung des Anstaltsleiters genehmigenden Erlaß oder die Anordnung des Anstaltsleiters aufzugreifen und auf seine Gesetz- bzw. Verfassungswidrigkeit zu prüfen hätte.

Es ist aber für die Auslegung dieser Bestimmung letztlich entscheidend, daß unter Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Prinzips und vor dem Hintergrund des Art8 EMRK dem Gesetz nicht unterstellt werden kann, die Ausschaltung eines durch Gesetz eingeräumten subjektiven öffentlichen Rechtes auf Empfang von Lebensmittelpaketen durch einen Verwaltungsakt zuzulassen und dem Betroffenen zugleich jeden Rechtsschutz gegen diesen Verwaltungsakt zu nehmen.

3.2. Eine solche Anordnung kann somit (wieder vor dem Hintergrund des Art8 EMRK) nur als Ausnahme zu der Rechtslage gedeutet werden, die auf Grund des zuvor genannten Gesetzes besteht. Gerade der vom VwGH ins Treffen geführte Umstand, daß eine Anordnung der genannten Art nur unter bestimmten Voraussetzungen und auch dann nur für einen sechs Monate nicht übersteigenden Zeitraum getroffen werden kann, zeigt, daß das Gesetz den durch eine solche Anordnung entstehenden Zustand als den Ausnahmefall ansieht. Die in §91 Abs3 letzter Satz geschaffene Gegenausnahme führt daher in den von Gesetzes wegen bestehenden Zustand, also zu einem u diesfalls deutlich eingeschränkten u subjektiven öffentlichen Recht zurück. Für diese - auch vom VwGH auf Grund des Wortlautes für möglich gehaltene - Interpretation spricht daher entgegen der Auffassung des VwGH sowohl ein verfassungsrechtliches, als auch ein systematisches Argument.

3.3. Der Verfassungsgerichtshof ist aus diesen Gründen der Auffassung, daß §91 Abs3 letzter Satz StVG ein subjektives öffentliches Recht auf Gewährung einer Ausnahme bei Vorliegen der Voraussetzungen gewährt.

Die belangte Behörde hätte daher die gemäß §§120 f. StVG an sie gerichtete Beschwerde gegen die Verweigerung einer solchen Ausnahme nicht zurückweisen dürfen. Indem sie dies jedoch getan hat, hat sie dem Beschwerdeführer zu Unrecht eine Sachentscheidung vorenthalten und ihn dadurch in seinem gemäß Art83 Abs2 B-VG gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der angefochtene Spruchpunkt 1a des Bescheides war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- enthalten.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorausgegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Strafvollzug, Beschwerderecht, Rechte subjektive öffentliche, Rechtsstaatsprinzip, Rechtsschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B374.1999

Dokumentnummer

JFT_10008987_99B00374_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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