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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Einstellung eines von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung einer Bestimmung des Tir VergabeG mangels Präjudizialität; keine Zuständigkeit des Tiroler Landesvergabeamtes (TVA) zur Überprüfung von Auftragsvergaben aus dem DienstleistungsbereichSpruch
Das Gesetzesprüfungsverfahren wird eingestellt.
Begründung
Begründung:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B3104/97 eine Beschwerde eines bei der Vergabe eines Dienstleistungsauftrages durch das Land Tirol nicht zum Zuge gekommenen Bieters gegen einen Bescheid des Landesvergabeamtes beim Amt der Tiroler Landesregierung (im folgenden: TVA) vom 4. November 1997 anhängig, mit dem das TVA aussprach, daß ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Tiroler Vergabegesetzes, LGBl. 87/1994, (künftig: TirVergG) oder gegen eine aufgrund dieses Gesetzes ergangene Verordnung "nicht feststellbar" sei und daß "die Anträge ... nicht berechtigt" seien. Diese Anträge hatten unter anderem die Aufhebung des von der Tiroler Landesregierung im Rundlauf gefaßten Beschlusses, den Auftrag an jenen Bieter zu erteilen, der zum niedrigsten Preis angeboten hat, die Zuschlagserteilung an die Einschreiterin und die Feststellung, daß der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde, zum Gegenstand.
2. Aus Anlaß der dagegen erhobenen Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird, hat der Verfassungsgerichtshof am 26. Februar 1999 beschlossen, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "das Land Tirol," in §1 Abs1 lita TirVergG einzuleiten.
Diese Bestimmung steht in folgendem normativen Zusammenhang:
Das TirVergG enthält in seinen §§1 bis 4 Bestimmungen über seinen Geltungsbereich, wobei sich der persönliche Geltungsbereich aus §1 ergibt. Der Abs1 dieser Bestimmung lautet in seinem hier maßgeblichen Teil (die in Prüfung genommene Wortfolge ist hervorgehoben):
"(1) Dieses Gesetz gilt für die Vergabe von Aufträgen durch folgende Auftraggeber:
a) das Land Tirol, die Gemeinden, die Gemeindeverbände;
b) Stiftungen, Fonds und Anstalten, wenn sie ...
c) die Tiroler Wasserkraftwerke AG und die Städtischen Unternehmungen ... und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen ...
d) Unternehmungen nach Art127 Abs3 und 127a
Abs3 B-VG, soweit sie ..."
Hinsichtlich des sachlichen Geltungsbereiches und des bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einzuhaltenden Verfahrens bestimmt der unter der Rubrik "Anwendung bundesgesetzlicher Bestimmungen" stehende §4:
"Auf die Vergabe von Aufträgen sind der 1., 2. und 3. Teil des Bundesvergabegesetzes mit folgenden Abweichungen sinngemäß anzuwenden:
a) die Befugnisse der Bundesregierung kommen der Landesregierung zu;
b) die §§2 Abs1, 6, 7, 8 und 55 sind nicht anzuwenden;
c) an die Stelle des im §46 Abs3 und 4 genannten Amtsblattes zur Wiener Zeitung tritt der Bote für Tirol."
Die Teile 1, 2 und 3 des damit verwiesenen, zum Zeitpunkt der Beschlußfassung und des Inkrafttretens des TirVergG in seiner Stammfassung BGBl. 462/1993 in Geltung gestandenen Bundesvergabegesetzes (BVergG) enthielten Regelungen über den Geltungsbereich (Teil 1), die allgemeinen Regeln über das bei der Vergabe von Aufträgen einzuhaltende Verfahren (Teil 2) und besondere Bestimmungen, die für Auftragsvergabeverfahren im Anwendungsbereich der entsprechenden Vergaberechtsrichtlinien der EG (also für Vergaben oberhalb der sogenannten Schwellenwerte) gelten (Teil 3). Der sachliche Geltungsbereich des BVergG erstreckte sich in der verwiesenen Stammfassung auf Liefer-, Bau- und Baukonzessionsaufträge sowie Aufträge im sogenannten Sektorenbereich, nicht jedoch auch auf Dienstleistungsaufträge.
Der 4. Teil des BVergG, der Bestimmungen über den Rechtsschutz enthielt, wurde vom Tiroler Landesgesetzgeber nicht rezipiert. Vielmehr enthält das TirVergG in seinem 2. Teil eigene Regelungen über den Rechtsschutz (§§5 bis 15 TirVergG): Der unter der Rubrik "Nachprüfungsorgan, Verfahrensrecht" stehende §5 des Gesetzes lautet:
"(1) Die in diesem Gesetz geregelten Verfahren zur Vergabe von Liefer-, Bau- und Baukonzessionsaufträgen unterliegen der Nachprüfung durch das Landesvergabeamt.
(2) Auf das Nachprüfungsverfahren ist das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, anzuwenden, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist."
Die näheren Bestimmungen über die Einrichtung des TVA enthält §6 leg.cit.; dem TVA ist die Zuständigkeit zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen im Vergabeverfahren, die Zuständigkeit zur Feststellung, ob der Zuschlag rechtmäßig dem Bestbieter erteilt wurde und die Zuständigkeit zur Erlassung einstweiliger Verfügungen übertragen (§§10 bis 12 TirVergG).
3. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Einleitungsbeschluß vorläufig davon aus, daß die Beschwerde zulässig sein und die für das Land Tirol getroffene Vergabeentscheidung, über deren Rechtmäßigkeit der angefochtene Bescheid des TVA abspricht, der Tiroler Landesregierung zuzurechnen sein dürfte, die mit der Besorgung von Aufgaben der sog. Privatwirtschaftsverwaltung für das Land Tirol betraut ist.
Weiters nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß er die in Prüfung genommene Bestimmung bei der Beurteilung der Beschwerde anzuwenden hätte, da das TVA bei Erlassung des bekämpften Bescheides die Zuständigkeit zur Entscheidung über die in Rede stehende Vergabeentscheidung der das Land Tirol vertretenden Landesregierung in Anspruch genommen habe und führte dazu aus:
"Das TirVergG regelte weder das Vergabeverfahren noch den Rechtsschutz für Dienstleistungsaufträge. Ungeachtet dessen hatte das Land - offenbar in Anwendung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. 1992 L 209, S 1, (künftig kurz: Dienstleistungsrichtlinie) - ein offenes Verfahren mit EU-weiter Ausschreibung durchgeführt. Zur Kontrolle der Vergabeentscheidung hielt sich das TVA, wie aus dem bekämpften Bescheid hervorgeht, deshalb für berechtigt, weil es annahm, daß es seine Zuständigkeit angesichts des durch die Dienstleistungsrichtlinie erweiterten Anwendungsbereiches der sog. allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie (Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. 1989 L 395, S 33) auch im Bereich der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen wahrzunehmen habe."
Der Verfassungsgerichtshof verwies zwar - auch unter Hinweis auf VfSlg. 15106/1998 - darauf, daß diese Auffassung im Lichte der Entscheidung des EuGH Rs C-54/96, Dorsch Consult, Slg. 1997, I-4961 ff., nicht zutreffend sein dürfte, hielt sie aber ebenso für zumindest denkmöglich wie die Annahme des TVA, daß es aufgrund des §1 Abs1 lita und des §5 Abs1 TirVergG zur Kontrolle von Vergabeentscheidungen der Tiroler Landesregierung auch hinsichtlich der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen zuständig sei. Dem entsprechend nahm der Verfassungsgerichtshof - unter Hinweis auf VfSlg. 15215/1998 - an, daß dem Gesetzesprüfungsverfahren Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen.
4. Im Gesetzesprüfungsverfahren haben sowohl die Tiroler Landesregierung als auch die Parteien des Anlaßverfahrens, die beschwerdeführende OEG und das TVA, als Beteiligte Äußerungen erstattet.
a) Die Tiroler Landesregierung trat in ihrer Äußerung der Annahme der Präjudizialität der in Prüfung genommenen Worte im TirVergG für das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit folgenden Argumenten entgegen:
"Wie auch der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss ausführt, regelte das Tiroler Vergabegesetz von 1994 weder das Vergabeverfahren noch den Rechtsschutz für Dienstleistungsaufträge.
... Das TVA ging im beschwerdegegenständlichen Bescheid von der Annahme aus, dass es angesichts des durch die Dienstleistungsrichtlinie erweiterten Anwendungsbereiches der Rechtsmittelrichtlinie auch im Bereich der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen zuständig sei. Aus den Urteilen des EuGH (Rs. C-54/96, Dorsch Consult; Rs. C-258/97, Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungs-Gesellschaft mbH (HI) gegen Landeskrankenanstalen-Betriebsgesellschaft) ergibt sich, dass die allgemeine Rechtsmittelrichtlinie für die Frage, welches staatliche Organ zur Überprüfung des Vergabeverfahrens zuständig ist, keine unmittelbar anwendbare Rechtsvorschrift enthält."
In seinem Erkenntnis VfSlg. 15106/1998 habe der Verfassungsgerichtshof
"auch festgehalten, dass dem EG-Recht nicht zu entnehmen ist, welches staatliche Organ zur Kontrolle von Vergaben im Sektorenbereich zuständig ist, vielmehr ist die Zuständigkeit nach den Vorschriften des nationalen Rechts zu ermitteln. Aus den Art18 Abs1 und 83 Abs2 B-VG geht hervor, dass es Sache des Gesetzgebers ist, die Behördenzuständigkeit klar und eindeutig im Gesetz festzulegen.
...
Im Lichte des angeführten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ist davon auszugehen, dass keine entsprechend den Art18 Abs1 und 83 Abs2 B-VG im Gesetz festgelegte Behördenzuständigkeit besteht und sich daher für das TVA auch keine Zuständigkeit zur Nachprüfung von Vergabeverfahren über Dienstleistungsaufträge ergibt.
Nach dem Erkenntnis VfSlg. 14886/96 kommt Gesetzlosigkeit des verwaltungsbehördlichen Handelns als Typus einer Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte in Betracht, insoweit der Eingriff in das Grundrecht entweder ausdrücklich dem Gesetzgeber vorbehalten ist oder sonst eine gesetzliche Regelung voraussetzt. Danach muss dem Rechtsbestand eine gesetzliche Norm angehören, die einen solchen Eingriff zulässt und auf den in Rede stehenden Sachverhalt möglicherweise anwendbar ist. Es genügt also nicht, dass die Behörde auf irgendeine gesetzliche Bestimmung Bezug nimmt. Vielmehr ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten, wenn sich der Akt nur zum Schein auf eine gesetzliche Bestimmung beruft, die überhaupt nicht zur Anwendung kommen kann ... Das TVA hätte seine Zuständigkeit im gegenständlichen Fall nur aufgrund einer ausdrücklichen Norm in Anspruch nehmen dürfen. Da aber - wie auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss feststellt - keine ausdrückliche Zuständigkeitsbestimmung zur Wahrnehmung des Rechtsschutzes bei Vergabeverfahren im Bereich der Dienstleistungsaufträge im Tiroler Vergabegesetz von 1994 bestand, kann es überhaupt keine Norm in diesem Gesetz geben, die zur Anwendung kommen könnte. Wurde die Zuständigkeit auf das Tiroler Vergabegesetz von 1994 gestützt, so kann sich die Behörde nur zum Schein darauf berufen haben. Durch diese denkunmögliche Gesetzesanwendung hat die Behörde einen so schweren Fehler begangen, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist (vgl. 5.3.1999, VfGH B3073/96). Insofern kann die in Prüfung gezogene Bestimmung des Tiroler Vergabegesetzes von 1994 auch für den Verfassungsgerichtshof gar nicht zur Anwendung kommen, sie scheint daher nach Ansicht der Tiroler Landesregierung nicht präjudiziell zu sein."
b) Auch die beschwerdeführende OEG hält es für denkunmöglich, daß das TVA zur Nachprüfung des gegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig war; dem TVA fehle diese gesetzliche Zuständigkeit auch unabhängig von der Person des Auftraggebers, sodaß es die in Prüfung genommene Wortfolge weder aufgrund nationalen noch aufgrund unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht denkmöglich anzuwenden hatte.
II. Der Verfassungsgerichtshof ging im Prüfungsbeschluß von der Prämisse aus, das TVA habe seine Zuständigkeit zur Kontrolle der Vergabe eines Dienstleistungsauftrages durch die Tiroler Landesregierung zumindest denkmöglich auf das TirVergG gegründet. Er vermag diese vorläufige Annahme nicht aufrecht zu erhalten.
Hinsichtlich seiner Zuständigkeit ging das TVA von der im Verfahren unbestritten gebliebenen Annahme aus, daß es sich bei der zur Überprüfung stehenden Vergabe um eine solche im Dienstleistungsbereich gehandelt habe; angesichts des (damals) geltenden §5 TirVergG, demzufolge die in diesem Gesetz geregelten Verfahren zur Vergabe von Liefer-, Bau- und Baukonzessionsaufträgen der Nachprüfung durch das Landesvergabeamt unterliegen, kam es zum Ergebnis, daß es im nationalen Recht keine Grundlage für seine Zuständigkeit zur Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens betreffend den gegenständlichen Auftrag gebe, stützte aber seine Zuständigkeit sowohl in sachlicher als auch in personeller Hinsicht auf vermeintlich unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht.
Damit ist evident, daß das TVA bei seiner Entscheidung nicht das TirVergG, sondern die Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG (ABl. 1992 L 209, S 1) und die sogenannte allgemeine Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG (ABl. 1989 L 395, S 33) in der auch die Kontrolle von Dienstleistungsaufträgen einschließenden Fassung der genannten Dienstleistungsrichtlinie angewendet hat. Das allein bedeutet jedoch noch nicht, daß auch der Verfassungsgerichtshof bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht anzuwenden hat. Denn ein Gesetz ist vom Verfassungsgerichtshof auch dann anzuwenden und damit präjudiziell im Sinne des Art140 B-VG, wenn die Behörde es anzuwenden gehabt hätte (vgl. VfSlg. 15204/1998). Dies ist aber, wie sich aus den im Prüfungsbeschluß zitierten Entscheidungen des EuGH in der Rs Dorsch Consult und des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg. 15106/1998 ergibt, offenkundig nicht der Fall, da nach der oben geschilderten Rechtslage das TVA zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zur Überprüfung von Auftragsvergaben aus dem Dienstleistungsbereich nicht zuständig war.
Da die in Prüfung genommene Bestimmung sohin auch vom Verfassungsgerichtshof nicht anzuwenden ist, fehlt es im Gesetzesprüfungsverfahren am Erfordernis der Präjudizialität im Sinne des Art140 Abs1 B-VG.
Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher einzustellen.
4. Dieser Beschuß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gefaßt werden.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Vergabewesen, EU-Recht Richtlinie, BehördenzuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:G43.1999Dokumentnummer
JFT_10008986_99G00043_00