TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/14 G36/99

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Veröffentlicht am 14.10.1999
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs4
StGG Art5
ASVG §4 Abs3 Z3

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Einbeziehung von selbständigen Musikern in die Pflichtversicherung nach dem ASVG wegen Verstoßes gegen das Determinierungsgebot; Zulässigkeit und Ausmaß des - aufgrund der Beitragspflicht ermöglichten - Eigentumseingriffs mangels Festsetzung einer Versicherungsgrenze oder einer Mindestbeitragsgrundlage nicht bestimmbar; analoge Gesetzesanwendung diesfalls unzulässig

Spruch

Die Worte "Musiker und" in §4 Abs3 Z3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 157/1958, waren verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gemäß §4 Abs1 Z6 ASVG sind in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung aufgrund dieses Bundesgesetzes ua. die den Dienstnehmern im Sinne des Abs3 gleichgestellten Personen versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach §7 nur eine Teilversicherung begründet.

1.2. §4 Abs3 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 157/1958, lautet im hier maßgebenden Zusammenhang (der in Prüfung gezogene Ausdruck ist hervorgehoben):

"Den Dienstnehmern stehen, soweit im folgenden nichts Besonderes bestimmt wird, gleich:

1.

...

2.

...

3.

selbständige Lehrer und Erzieher, ferner selbständige Musiker und Artisten, all diese, wenn die betreffende Beschäftigung ihren Hauptberuf und die Hauptquelle ihrer Einnahmen bildet und wenn sie in Ausübung ihres Berufes keine Angestellten beschäftigen;

...".

1.3. Die Pflichtversicherung der im §4 Abs3 Z3 ASVG bezeichneten Personen beginnt gem. §10 Abs5 ASVG "mit dem Eintritt des Tatbestandes, der den Grund der Versicherung bildet". Gem. §12 Abs4 ASVG endet die Pflichtversicherung "mit dem Wegfall des für die Versicherung maßgebenden Tatbestandes".

1.4. Die Beitragsgrundlage ist im §44 ASVG geregelt. Diese Bestimmung lautet in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 1994, BGBl. Nr. 680/1994:

"Allgemeine Beitragsgrundlage,

Entgelt

§44. (1) Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) ist für Pflichtversicherte, sofern im folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende auf volle Schilling gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach §49 Abs2. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt:

1. bei den pflichtversicherten Dienstnehmern und Lehrlingen das Entgelt im Sinne des §49 Abs1, 3, 4

und 6;

2. bei den in einem Ausbildungsverhältnis stehenden Pflichtversicherten (§4 Abs1 Z4 und 5), und bei

den nach §4 Abs1 Z9 Pflichtversicherten die Bezüge, die der Versicherte vom Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt, bzw. von der Entwicklungshilfeorganisation für die Dauer der Beschäftigung oder Ausbildung erhält, ferner bei den nach §4 Abs1 Z11 Pflichtversicherten die Bezüge,

die der Versicherte für die Dauer der Tätigkeit

erhält;

3. bei den den Dienstnehmern nach §4 Abs3 gleichgestellten Personen (§4 Abs1 Z6), bei den nach §7 Z3 litc in

der Unfallversicherung teilversicherten öffentlichen

Verwaltern und bei den nach §8 Abs1 Z4 in der Kranken- und Unfallversicherung teilversicherten

bildenden Künstlern das Erwerbseinkommen,

das diese Personen aus der die Pflichtversicherung

begründenden Beschäftigung erzielen;

4. ...

... (5. bis 8.)

(2) Beitragszeitraum ist der Kalendermonat, der einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist. ...

(3) ...

(4) ...

(5) Die allgemeine Beitragsgrundlage erhöht sich um den Betrag der auf den Versicherten entfallenden Beiträge zu einer nach diesem Bundesgesetz geregelten Versicherung sowie der auf den Versicherten entfallenden Abgaben, soweit diese vom Dienstgeber zur Zahlung übernommen werden.

(6) Als täglicher Arbeitsverdienst ist anzunehmen:

a) bei Pflichtversicherten nach §4 Abs1 Z8 und nach §8 Abs1 Z4 litd der Betrag von 608 S;

b) bei Pflichtversicherten, die kein Entgelt oder keine Bezüge der im Abs1 Z2 bezeichneten Art erhalten,

der Betrag von 226 S

Anstelle dieser Beträge treten ab Beginn eines jeden Beitragsjahres (§242 Abs6) die unter Bedachtnahme auf §108 Abs9 mit der jeweiligen Aufwertungszahl (§108a Abs1) vervielfachten Beträge.

(7) ...".

(Die in dieser Wiedergabe des §44 Abs6 ASVG genannten Beträge sind bereits jene, die für das Jahr 1996 mit §2 Z4 und 5 der Kundmachung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Aufwertung und Anpassung (u.a.) nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 808/1995, festgesetzt worden sind).

2. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B2679/97 eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 3.10.1997 anhängig, mit welchem für den Beschwerdeführer des verfassungsgerichtlichen Verfahrens hinsichtlich der Beitragszeiträume Jänner bis September 1996 eine Beitragsgrundlage gem. §44 Abs1 Z3 ASVG von S 12.452,-- monatlich festgesetzt und Beiträge von S 23.220,75 zur Nachentrichtung vorgeschrieben wurden.

2.1. Diesem Bescheid liegt die Rechtsanschauung der belangten Behörde zugrunde, daß der Beschwerdeführer im maßgebenden Zeitraum als freiberuflich tätiger Musiker gemäß §4 Abs3 Z3 ASVG in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung nach dem ASVG vollversichert gewesen sei. Zur Höhe der Beitragsgrundlage bzw der vorgeschriebenen Beiträge heißt es in der Begründung des angefochtenen Bescheides, der Verwaltungsgerichtshof habe in seinen Erkenntnissen vom 13. März 1968, Z1382/67, und vom 29.4.1971, Z1812/70, "eindeutig ausgesprochen", daß bei den den Dienstnehmern gleichgestellten, selbständig Erwerbstätigen im Sinne des §4 Abs3 ASVG als Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge nach §44 Abs1 Z3 ASVG das Erwerbseinkommen zu gelten habe und diesbezüglich die beitragsrechtlichen Vorschriften des GSVG analog heranzuziehen seien. Demnach sei Beitragsgrundlage ein Zwölftel jenes Einkommens, das im Einkommensteuerbescheid des drittvorangegangenen Kalenderjahres ausgewiesen worden sei. Als Mindestbeitragsgrundlage sei der im §25 Abs5 GSVG genannte Betrag (1996: S 12.452,-- monatlich) heranzuziehen. Die Mindestbeitragsgrundlage sei gemäß §25a Abs1 GSVG auch dann anzuwenden, wenn ein Einkommensteuerbescheid des drittvorangegangenen Jahres noch nicht vorliege, weil die die Pflichtversicherung begründende Tätigkeit noch nicht mehr als drei Jahre ausgeübt worden sei. Der Beschwerdeführer sei seit 16. Februar 1995 zur Pflichtversicherung als selbständiger Musiker im Sinne des §4 Abs3 Z3 ASVG gemeldet. Da zur Bildung der Beitragsgrundlage für das Kalenderjahr 1996 kein Einkommensteuerbescheid des drittvorangegangenen Kalenderjahres (1993) aus der die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit als selbständiger Musiker vorhanden sei, habe die Gebietskrankenkasse als vorläufige monatliche Beitragsgrundlage auf Basis der im §25 Abs5 GSVG erwähnten Mindestbeitragsgrundlage für das Kalenderjahr 1996 richtigerweise S 12.452,-- monatlich herangezogen.

2.2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Ausdrucks "Musiker und" in §4 Abs3 Z3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 157/1958, entstanden. Der Gerichtshof hat daher das Beschwerdeverfahren mit Beschluß vom 17. Dezember 1998 unterbrochen und von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der genannten Wendung in §4 Abs3 Z3 ASVG eingeleitet.

2.3. Die Erwägungen, die den Gerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens veranlaßt hatten, legte er in seinem Prüfungsbeschluß wie folgt dar:

"... Der Verfassungsgerichtshof nimmt vorläufig an, daß es im Falle der selbständigen Musiker an einer verfassungsrechtlich gebotenen, ausreichenden Determinierung der für die Durchführung der Pflichtversicherung maßgebenden Umstände mangelt; dies aus folgenden Gründen:

... Der 'Eintritt des Tatbestandes, der den Grund der Versicherung bildet' bzw. der 'Wegfall des für die Versicherung maßgeblichen Tatbestandes' scheint im Hinblick auf die Gleichrangigkeit der Voraussetzungen für die Pflichtversicherung, nämlich 'Hauptberuf', 'Beschäftigung Hauptquelle der Einnahmen' und 'in Ausübung des Berufes keine Angestellten beschäftigen' höchst unklar zu sein. Insbesondere der Zeitpunkt, zu welchem die Tätigkeit als 'Hauptberuf' bzw. die 'Beschäftigung als Hauptquelle der Einnahmen' beginnt oder aufhört, scheint zumindest nicht nur mit der Ausübung der Tätigkeit, sondern darüber hinaus auch mit der Höhe der aus einer Tätigkeit erzielten Einnahmen zusammenzuhängen.

... Geht man davon aus, daß dafür die Höhe des 'Erwerbseinkommens' im Sinne des §44 Abs1 Z3 ASVG die maßgebliche Größe wäre, so hingen Beginn und Ende der Versicherungspflicht offenbar davon ab, was unter Erwerbseinkommen zu verstehen ist. Da das ASVG diesen Begriff nicht näher definiert, könnte man - mit der schon längere Zeit zurückliegenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Erkenntnis vom 13. März 1968, Slg. Nr. 7310/A, bzw. das Erkenntnis vom 29. April 1971, Zl. 1812/70) an den Einkommensbegriff des Einkommensteuergesetzes denken, der aber wieder bei selbständig erwerbstätigen Personen eine jährliche Besteuerungsperiode zur Grundlage hat. Es stünde daher nicht nur erst jeweils im Nachhinein fest, ob während des jeweiligen Zeitraums des Kalenderjahres eine Versicherungspflicht in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung bestanden hat oder nicht, die Versicherungspflicht könnte auch - jeweils im Nachhinein betrachtet - von Jahr zu Jahr wechselnd sich einmal als bestehend, dann wieder als nicht bestehend erweisen, wobei dies auch schon vom Ankauf eines Musikinstruments, dessen steuerliche Abschreibung vorübergehend zu Verlusten (oder zu einem ganz geringen Einkommen) führt, abhängen würde.

Eine weitere Unklarheit wird dadurch in das System getragen, daß ungeregelt ist, ob für eine noch als 'Hauptberuf' oder 'Hauptquelle der Einnahmen' anzusehende Beschäftigung eine gewisse Mindestgrenze steuerpflichtiger Einkünfte maßgebend ist oder ob erst die Erreichung eines 'Nulleinkommens' (bezogen auf das Kalenderjahr!) die Versicherungspflicht zum Erlöschen bringt.

... Die genannten Vollzugshindernisse dürften auch mit einer Analogie zur Mindestbeitragsgrundlage gem. §§25 und 25a GSVG nicht behebbar sein: Die Bemessung von Beiträgen nach einer Mindestbeitragsgrundlage ändert nichts an Beginn und Ende der Versicherungspflicht, da eine Mindestbeitragsgrundlage nicht zugleich auch Versicherungsgrenze ist und jene der §§25, 25a GSVG aus einem Rechtsgebiet stammt, dem eine am Erwerbseinkommen orientierte Versicherungsgrenze fremd ist. Es wäre nun auch denkbar, zur Handhabbarkeit der Beitragseinhebung eine Mindestversicherungsgrenze anzuwenden. Eine solche ist aber für Versicherte im Sinne des §4 Abs3 Z3 ASVG ebensowenig vorgesehen und müßte allenfalls erst per analogiam aus anderen Rechtsvorschriften, etwa des §5 Abs2 ASVG, gewonnen werden, aus einer Vorschrift, die aber wieder auf Dienstnehmer zugeschnitten ist und insoweit kein ähnliches Rechtsverhältnis betrifft.

... Es scheint also so zu sein, daß der Behörde, will sie die Regelung über die Versicherungspflicht selbständiger Musiker vollziehen, zur Beitragseinhebung weder eine eindeutige Bemessungsgrundlage, noch eine klare Grenze vorgegeben wird, an der die Versicherungspflicht beginnt oder aufhört. Auch dürfte auf das Erfordernis eines Mindestmaßes des Schutzes des Versicherten - also auf einen der wesentlichen Zwecke des Sozialversicherungsrechtes - nicht in einer Weise Bedacht genommen worden sein, die es ihm ermöglicht, für den Fall, daß - rückblickend - ein Einkommen nicht erzielt worden ist und daher eine Sozialversicherungspflicht nicht vorlag, rechtzeitige Vorkehrungen zB durch den Abschluß von Privatversicherungen treffen zu können.

... Wegen des fehlenden Maßstabes dürfte der Behörde ein zu großer Spielraum offenstehen, wie auch der vorliegende Fall zeigt, in welchem ein Wechsel der Praxis der Gebietskrankenkasse von einer Orientierung an Monat für Monat zugeflossenen Einkünften (also dem jeweiligen monatlichen Umsatz) zu einer aus einem anderen Rechtsgebiet herangezogenen 'Mindestbeitragsgrundlage' und im übrigen zur Berücksichtigung des steuerpflichtigen Einkommens vollzogen wurde, und die Gebietskrankenkasse in beiden Fällen (ungeachtet der ganz unterschiedlichen Ergebnisse in der Rechtsanwendung) jeweils in der Überzeugung der Rechtmäßigkeit gehandelt haben dürfte. Es ist auch einzuräumen, daß §4 Abs3 Z3 ASVG in Verbindung mit §44 Abs1 Z3 ASVG es nicht als denkunmöglich erscheinen läßt, unter Erwerbseinkommen in diesem Zusammenhang auch die monatlich zufließenden Einkünfte aus dieser Tätigkeit (als Ausdruck fortdauernder beruflicher Tätigkeit) zu verstehen und danach - unter Außerachtlassung des auf das Kalenderjahr bezogenen steuerlichen Ergebnisses dieser Tätigkeit - die Versicherungspflicht zu beurteilen und die Beiträge zu bemessen. Läßt das Gesetz aber beide Möglichkeiten zu, dann kann von einer ausreichenden Determinierung des Verwaltungshandelns wohl nicht die Rede sein.

... Der Verfassungsgerichtshof ist daher vorläufig der Auffassung, daß die von Art18 Abs1 B-VG und Art5 StGG bei der Einbeziehung von Personen in eine gesetzliche Sozialversicherung sowohl im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die sich aus dem Bestehen oder Nichtbestehen der Versicherung für den Versicherten ergeben können, als auch im Hinblick auf die Auferlegung von Zahllasten geforderte hinreichende gesetzliche Determinierung hier fehlen dürfte (zu den rechtsstaatlichen Anforderungen an Regelungen über die Versicherungspflicht hinsichtlich ihrer Klarheit vgl. schon VfSlg. 14802/1997). Sitz der Verfassungswidrigkeit dürfte bei dieser Sachlage jene Norm sein, welche die Versicherungspflicht für selbständige Musiker begründet. Die in Prüfung gezogene Norm dürfte daher gegen die genannten Verfassungsbestimmungen verstoßen. Es wird darauf Bedacht zu nehmen sein, daß diese Bestimmung durch ArtI Z6a des Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 411/1996, mit Wirkung vom 1.1.1997 geändert und der Ausdruck 'Musiker und Artisten' durch den Ausdruck 'Musiker, Artisten und Kabarettisten' ersetzt wurde."

3.1. Über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes hat die Bundesregierung mit Schriftsatz vom 8. März 1999 eine Äußerung folgenden Wortlauts abgegeben:

"1. Es ist für die folgenden Überlegungen von der auch vom Verfassungsgerichtshof im Beschluß vom 17. Dezember 1998 vertretenen Auffassung auszugehen, daß die in §4 Abs3 Z3 ASVG genannten Voraussetzungen 'Hauptberuf', 'Beschäftigung Hauptquelle der Einnahmen' und 'in Ausübung des Berufes keine Angestellten beschäftigen' sowohl hinsichtlich des Beginns der Pflichtversicherung (§10 Abs5 ASVG) als auch hinsichtlich des Erlöschens der Pflichtversicherung (§12 Abs4 ASVG) angesichts des klaren Wortlautes dieser Bestimmung kumulativ vorliegen bzw. weggefallen sein müssen. Diese maßgeblichen Kriterien stehen zueinander im Verhältnis der Gleichrangigkeit.

2. Die Bundesregierung geht ebenfalls davon aus, daß für die Pflichtversicherung einerseits die Aufnahme der Tätigkeit, andererseits die Höhe des Erwerbseinkommens maßgeblich sind. Was nun die Ausübung der Tätigkeit betrifft - und zwar bezogen auf den Zeitpunkt des Beginns und des Endes -, sind die genannten Voraussetzungen nach Ansicht der Bundesregierung - wie zu zeigen sein wird - im Hinblick auf Art18 Abs1 B-VG ausreichend determiniert.

3.1.1. Es ist bei der Auslegung der in §4 Abs3 Z3 ASVG für das Vorliegen der Pflichtversicherung maßgeblichen Kriterien grundsätzlich zu beachten, daß der Gesetzgeber mit der Entscheidung, bestimmte Gruppen von Selbständigen in das ASVG einzubeziehen und dadurch Dienstnehmern gleichzustellen, wohl von ähnlichen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen dieser Gruppen im Vergleich zu Dienstnehmern ausgegangen ist. Durch die Normierung der in §4 Abs3 Z3 ASVG für das Vorliegen der Pflichtversicherung maßgeblichen Kriterien sollte sichergestellt werden, daß der sozialversicherungsrechtliche Schutz des ASVG nur dann zum Tragen kommen soll, wenn eine Tätigkeit vorliegt, von der etwa Musiker zeitlich bedeutsam in Anspruch genommen werden und auch keine andere bedeutsame Einnahmequelle zur Bestreitung des Lebensunterhaltes besteht. Unter diesen Prämissen sind auch die Begriffe 'Hauptberuf' und 'Hauptquelle der Einnahmen' auszulegen.

3.1.2. 'Hauptberuf' kann demnach nur ein Beruf sein, durch welchen die Erwerbsfähigkeit des Musikers hauptsächlich in Anspruch genommen wird. Demnach ist ein Vergleich des zeitlichen Aufwandes für die zu beurteilende Tätigkeit im Verhältnis zum zeitlichen Aufwand für allfällige andere berufliche Tätigkeiten anzustellen. Überwiegt der zeitliche Aufwand der zu beurteilenden Tätigkeit, so gilt diese Tätigkeit als Hauptberuf. Bei bloß einer ausgeübten Tätigkeit wird diese den Hauptberuf darstellen.

3.1.3. Zur Ermittlung des Inhalts der Wortfolge 'Hauptquelle der Einnahmen' ist so vorzugehen, daß alle Einkünfte herangezogen und einander gegenübergestellt werden (z.B.: Erwerbseinkommen, Einkommen aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung). Sind die Einkünfte aus der zu beurteilenden Tätigkeit relativ zu den übrigen Einkünften höher, so bilden diese die Hauptquelle der Einkommen.

3.1.4. Die soeben dargelegten Begriffsinhalte entsprechen auch der Vollzugspraxis, die einheitlich nach Erlässen des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger erfolgt.

3.1.5. Hinsichtlich des Kriteriums 'in Ausübung des Berufes keine Angestellten beschäftigen' geht die Bundesregierung davon aus, daß dieser Begriff wohl ohne weiterführende Überlegungen hinreichend deutlich ist.

3.2. Weiters ist noch beachtlich, daß im Gegensatz zur Pflichtversicherung eines Dienstnehmers, bei der sämtliche Meldeverpflichtungen vom Dienstgeber zu erfüllen sind, die Meldeverpflichtung bei den den Dienstnehmern gleichgestellten selbständig Erwerbstätigen gemäß §36 Abs3 ASVG diese selbst trifft. Dies bedeutet, daß der selbständig Erwerbstätige bei Beginn seiner Tätigkeit zunächst das Vorliegen der in §4 Abs3 Z3 ASVG vorgesehenen Voraussetzungen für das Bestehen der Pflichtversicherung zu beurteilen hat. Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, ist dies dem Erwerbstätigen auch ohne Schwierigkeiten möglich. Er selbst kann wohl am besten beurteilen, ob er die Musikertätigkeit als Hauptberuf ausüben wird oder nicht und ob er Angestellte beschäftigen wird. Was nun die Frage der 'Hauptquelle der Einnahmen' betrifft, ist diese am Beginn der Tätigkeit schwieriger zu beurteilen, wobei es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, daß eine Tätigkeit, die als Hauptberuf ausgeübt wird, im Regelfall dazu führen wird, daß aus dieser Tätigkeit auch die Hauptquelle der Einnahmen resultiert. Somit erweisen sich die in §4 Abs3 Z3 ASVG genannten Kriterien aber im Hinblick auf die weitreichenden Folgen des Bestehens oder Nichtbestehens einer Pflichtversicherung für den Einzelnen als hinreichend determiniert.

4. Was nun die für die Pflichtversicherung maßgebliche Höhe des Erwerbseinkommens und die anzuwendende (Mindest-) Beitragsgrundlage betrifft, ist die Bundesregierung im Gegensatz zum Verfassungsgerichtshof der Ansicht, daß durch die analoge Anwendung der §§25 und 25a GSVG eine handhabbare Regelung, die auch zu eindeutigen Ergebnissen führt, vorliegt. Für die Zulässigkeit einer derartigen Analogie spricht vor allem der Umstand, daß es sich bei den nach §4 Abs3 Z3 ASVG Versicherten um Selbständige handelt, also dieselbe Sachlage wie bei den nach dem GSVG Versicherten besteht. Eine derartige Analogie ist auf Grund des Fehlens einer Definition des Begriffs 'Erwerbseinkommen' im ASVG auch geboten. Davon ist auch der Verwaltungsgerichtshof in den Erkenntnissen VwSlg. (A)7310/1968 und vom 29. April 1971, Zl. 1812/70 ausgegangen. Durch die analoge Anwendung der Mindestbeitragsgrundlage nach dem GSVG wird auch ein durchgehender Versicherungsschutz bei allfälligen monatlichen Einkommensschwankungen sichergestellt.

5. Da nach Auffassung der Bundesregierung die von Art18 B-VG geforderte hinreichende Determinierung der in Prüfung gezogenen Bestimmung gegeben ist, treffen auch die vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken im Hinblick auf Art5 StGG nicht zu."

Die Bundesregierung stelle daher den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge aussprechen, daß der in Prüfung gezogene Ausdruck nicht als verfassungwidrig aufzuheben sei, im Fall seiner Aufhebung aus Gründen der Legistik aber eine Frist von sechs Monaten bestimmen.

3.2. Auch der mitbeteiligte Beschwerdeführer des Anlaßverfahrens hat (auf Einladung des Verfassungsgerichtshofes) eine Stellungnahme abgegeben, in welcher er sich den Bedenken des Prüfungsbeschlusses - diese der Sache nach wiedergebend - angeschlossen hat.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, daß die vorläufige Annahme des Gerichtshofes, er habe die in Prüfung gezogene Wendung anzuwenden, unzutreffend wäre. Da auch sonst keine Prozeßhindernisse hervorgekommen sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Auch die inhaltlichen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen und konnten von den Argumenten der Bundesregierung nicht zerstreut werden:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof pflichtet zunächst den Ausführungen der Bundesregierung bei, daß von den für die Versicherungspflicht maßgebenden Kriterien des §4 Abs3 Z3 ASVG die Begriffe "Hauptberuf" bzw. "Hauptquelle der Einnahmen" sowie "in Ausübung des Berufes keine Angestellten beschäftigen" an sich hinreichend klar sind, unterstellt man, daß auch der Beginn und das Ende der (keiner Berufsberechtigung bedürfenden) Tätigkeit als "Musiker" prinzipiell in einem Ermittlungsverfahren mit der erforderlichen Sicherheit objektiv feststellbar sind.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof stimmt mit der Bundesregierung auch darin überein, daß der Begriff "Hauptquelle der Einnahmen" ein Gesetzesverständnis nahelegt, wonach das Entstehen und Erlöschen der Versicherungs- und damit Beitragspflicht offenbar daran geknüpft sein sollte, daß der Musiker überhaupt ein steuerpflichtiges Einkommen erzielt, daß sich also aus dieser Tätigkeit ein Überschuß der Einnahmen über die (Betriebs-) Ausgaben (bzw. Werbungskosten) ergibt.

2.3. Nun kann aber §4 Abs3 Z3 ASVG keinesfalls so ausgelegt werden, daß die Versicherungspflicht davon abhinge, daß neben den Einkünften als Musiker noch eine andere Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, aus der ein Einkommen erzielt wird, welches dadurch, daß es vom Einkommen als Musiker übertroffen werden müßte, gewissermaßen eine "natürliche Versicherungsgrenze" darstellte; die Versicherungspflicht soll vielmehr offenbar auch dann bestehen, wenn nur ein Einkommen als Musiker erzielt und sonst keine Tätigkeit ausgeübt wird.

2.3.1. Für diesen Fall (welcher der Fallkonstellation im Anlaßfall entspricht) läßt das Gesetz freilich die für den Gesetzesvollzug unerläßliche Antwort auf die Frage offen, ob die Versicherungspflicht auch schon bei jedem, noch so geringen steuerpflichtigen Einkommen eintreten soll oder erst ab einer bestimmten Mindestgrenze bzw. ob zwar auch schon ein ganz geringes Einkommen zur Versicherungspflicht führen, die Beiträge jedoch von einer im Verhältnis dazu höheren Mindestbeitragsgrundlage bemessen werden sollen.

2.3.2. Die Bundesregierung erblickt in diesem Zusammenhang in einer analogen Anwendung der in den §§25 und 25a GSVG vorgesehenen Mindestbeitragsgrundlagen eine "handhabbare Regelung" die auch "zu eindeutigen Ergebnissen" führe. Sie übersieht aber, daß alternativ dazu mit zumindest gleicher Berechtigung auch eine analoge Heranziehung von Bestimmungen des ASVG als jenes Sozialversicherungsgesetz, in welchem auch die Versicherungspflicht der selbständigen Musiker geregelt ist, erwogen werden müßte: So müßte etwa eine Heranziehung der Versicherungsgrenze des §5 Abs2 ASVG in Betracht gezogen werden, zumal nicht ersichtlich wäre, aus welchen Gründen die Analogie zu den §§25 und 25a GSVG jener zur Versicherungsgrenze des §5 Abs2 ASVG vorzuziehen ist und obwohl die den jeweiligen Sachverhalten zugrundeliegenden Regelungen insoweit unähnlich sind, als etwa in den Fällen des §2 Abs1 Z1 bis 3 GSVG die Versicherungspflicht unabhängig davon eintritt, ob aus der versicherungspflichtigen Tätigkeit Gewinne oder Verluste erzielt werden, während die Versicherungspflicht für selbständige Musiker, soweit sie Verluste erzielen, nicht eintritt. Auch läßt sich vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehen, aus welchem Grund eine analoge Anwendung der §§25 und 25a GSVG näher liegen soll, als eine analoge Anwendung der in §44 Abs6 litb ASVG festgesetzten täglichen Beitragsgrundlage von S 226.

2.4. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß jedenfalls dann, wenn eine Regelung zwar der Art oder Richtung nach vorgegeben ist, hinsichtlich der näheren Modalitäten aber fehlt, die dadurch entstehende, vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte, aber den Gesetzesvollzug in der gesetzlich angeordneten Richtung hindernde Lücke (eine sog. "echte Gesetzeslücke oder Lücke im technischen Sinn") - soweit es sich nicht um eine durch Auslegung zu klärende bloße Unbestimmtheit handelt - mittels analoger Anwendung rechtsähnlicher, auf den Fall passender Vorschriften geschlossen werden muß, wobei eine Analogie auch zum Zwecke eines verfassungskonformen Gesetzesvollzuges geboten sein kann (vgl. zB VfSlg. 13486/1993; VfSlg. 13796/1994; VfSlg. 13822/1994; VfSlg 15197/1998; vgl. auch einen, den Beginn der Pflichtversicherung nach Wegfall der Pensionsversicherungsfreiheit betreffenden Fall im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1993, Zl. 93/08/0008).

2.4.1. Allerdings sind der analogen Gesetzesanwendung dort Grenzen gesetzt, wo die näheren Voraussetzungen eines Eigentumseingriffes ungeregelt geblieben sind: Die gegenständliche Regelung ermöglicht die Einbeziehung von Musikern in die Pflichtversicherung und intendiert damit, auch deren Beitragspflicht zu begründen; sie ermöglicht daher einen Eingriff in das nach Art5 StGG garantierte und unter Gesetzesvorbehalt stehende Eigentumsrecht der von der Regelung betroffenen Rechtsunterworfenen. Gleichwohl läßt das Gesetz aber wesentliche Voraussetzungen der Zulässigkeit eines solchen Eigentumseingriffes und seines Ausmaßes ungeregelt, nämlich sowohl die Frage einer Versicherungsgrenze als auch jene einer Mindestbeitragsgrundlage, obwohl zumindest eine dieser Fragen beantwortet werden muß, um Zulässigkeit und Ausmaß des Eigentumseingriffes anhand des Gesetzes bestimmen zu können. Würde man - wie dies von der Bundesregierung vertreten wird - eine Schließung dieser Lücke durch Analogie zulassen, hätte es die Behörde in der Hand, im Analogiewege entweder eine Versicherungsgrenze, eine Mindestbeitragsgrundlage oder eine feste Beitragsgrundlage (etwa jene des §44 Abs6 litb ASVG) heranzuziehen und je nach der gewählten Methode zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Beitragsbelastung und der damit erworbenen Beitragsgrundlage zu kommen.

2.4.2. Es kann vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Prinzips nicht der Vollziehung überlassen sein, sich zum Zweck des Eingriffs in das Eigentumsrecht ihre eigene Rechtsgrundlage aus fremden Regelungskomplexen zu schaffen (in diesem Sinne schon Öhlinger, Auslegung des öffentlichen Rechts, JBl. 1971, 287). Vielmehr hat - in Übereinstimmung mit den in der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes festgelegten strengen Anforderungen an die Determinierung eingriffsnaher Gesetze im allgemeinen (vgl. zB VfSlg. 10737/1985), aber auch mit den Anforderungen an die Klarheit und Verständlichkeit von Regelungen über die Sozialversicherungspflicht im besonderen (vgl. VfSlg. 14802/1997) - der Gesetzgeber des jeweiligen Regelungskomplexes die Grundlage für den Eingriff in das Eigentumsrecht so auszugestalten, daß dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG und dem Eingriffsvorbehalt des Art5 StGG Genüge getan ist. Die durch die in Prüfung gezogene Wendung getroffene gesetzliche Regelung ist daher wegen nicht hinreichender Bestimmtheit im Sinn des Art18 B-VG verfassungswidrig.

3. Da §4 Abs3 Z3 ASVG durch ArtI Z6a des Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 411/1996, mit Wirkung vom 1.1.1997 geändert und der Ausdruck "Musiker und Artisten" durch den Ausdruck "Musiker, Artisten und Kabarettisten" ersetzt wurde, war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge "Musiker und" in §4 Abs3 Z3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 157/1958, verfassungswidrig war.

Im Hinblick darauf war auch die Setzung einer Frist im Sinne des Art140 Abs5 B-VG entbehrlich.

4. Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG und §§64 f. VerfGG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Sozialversicherung, Pflichtversicherung, Analogie, Rechtsstaatsprinzip, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G36.1999

Dokumentnummer

JFT_10008986_99G00036_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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