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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des DW in W, geboren am 1. Juli 1974, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19/9-10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Dezember 1999, Zl. 208.515/0-VIII/22/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministers für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Kurde und Staatsangehöriger des Irak, reiste am 2. Juni 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Vor dem Bundesasylamt gab er im Zuge detaillierter Befragungen am 8. Juni 1998 und am 30. September 1998 zusammengefasst an, aus dem Nordirak zu stammen und wegen der ihm vorgeworfenen Teilnahme am Kurdenaufstand von 1991 von seiner Festnahme bei der Niederschlagung dieses Aufstandes bis zu seiner Flucht im Mai 1998 ohne Gerichtsverhandlung in irakischen Gefängnissen angehalten worden zu sein, wobei er auch wiederholt gefoltert worden sei.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 3. Februar 1999 - ausgehend davon, dass nicht einmal glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer aus dem Irak stamme - gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in den Herkunftsstaat" sei zulässig.
Die belangte Behörde führte auf Grund der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung zur Frage, ob seine Angaben über seine Herkunft und seine Erlebnisse im Irak der Wahrheit entsprächen, u.a. unter Beiziehung eines Sachverständigen und mehrerer sachverständiger Zeugen ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durch, in dessen Verlauf der Beschwerdeführer an einer Stelle auch gefragt wurde, ob er für den Fall der "Rückkehr in den Nordirak (Kurdengebiet)" etwas zu befürchten habe. Der Beschwerdeführer gab dazu an, es würde ihm "nichts passieren. Ich habe dort keine Probleme." In der Stellungnahme zu den ihm abschließend vorgehaltenen Unterlagen aus der Bundesrepublik Deutschland, betreffend die Frage einer innerstaatlichen "Fluchtalternative" im Nordirak, machte der Vertreter des Beschwerdeführers aber geltend, der Beschwerdeführer sei seinem Vorbringen zufolge sieben Jahre lang im Irak inhaftiert gewesen und erst 1998 bei einem Überfall auf einen Gefangenentransport befreit worden, UNHCR habe in einer näher bezeichneten Stellungnahme auf die große Wahrscheinlichkeit hingewiesen, dass die Rückkehr eines kurdischen Asylwerbers bekannt werden und zu einer Verfolgung durch den irakischen Geheimdienst führen würde, und angesichts der Umstände seiner Befreiung sei der Beschwerdeführer als besonders exponierte Person anzusehen. Dem irakischen Geheimdienst würden zahlreiche Tötungen im Nordirak zur Last gelegt. Es werde daher beantragt, zur Frage einer innerstaatlichen "Fluchtalternative" für den Beschwerdeführer im Nordirak eine Anfrage an das UNHCR-Büro in Wien zu richten.
Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung seines Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab. In Spruchpunkt II. stellte sie gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die Kurdenschutzzone des Nordirak" sei zulässig.
In der Begründung ihrer Entscheidung ging die belangte Behörde in ausführlicher Würdigung der Verfahrensergebnisse davon aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers weitgehend der Wahrheit entsprächen. Sie stellte insbesondere fest, es sei ihm "nach mehrjähriger Haft ... unter nicht ganz geklärten Umständen seine Flucht aus der Haft im Südirak" gelungen. Im Nordirak bestehe aber eine "Schutzzone", in der die irakische Regierung die effektive Gebietsgewalt verloren habe und wo die Befriedung mit Ausnahme kleinerer Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Gruppierungen voranschreite. Es lägen "keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Bagdader Zentralregierung versucht, ihre Staatsgewalt auf den von Kurden besiedelten Nordirak auszudehnen". Die Lebensbedingungen seien dort schlecht, aber besser als in den restlichen Landesteilen, und nach Meinung eines bestimmten deutschen Gerichtes habe ein "durchschnittlicher" aus dem Nordirak stammender Kurde dort keinen Anschlag durch zentralirakische Agenten zu befürchten. Unter Einbeziehung näher bezeichneter Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage einer inländischen "Fluchtalternative" im Nordirak sei daher zusammenfassend festzuhalten, dass im vorliegenden Fall eine Asylgewährung schon auf Grund des Vorliegens einer "Fluchtalternative" in der Kurdenschutzzone des Nordirak ausscheide, sodass "die Fluchtgründe - insbesondere die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Asylwerbers hinsichtlich der Fluchtgründe (und nicht seiner Herkunft) - von der Berufungsbehörde nicht weiter zu untersuchen" gewesen seien. Darüber hinaus begründete die belangte Behörde noch näher, warum ihr auch der Ausspruch der Zulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in dieses Gebiet rechtmäßig erscheine.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bekämpft die Ansicht der belangten Behörde, ihm stehe im Nordirak eine inländische "Fluchtalternative" zur Verfügung, u.a. mit dem Hinweis, selbst nach dem von der belangten Behörde herangezogenen Lagebericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes - der aber breiter Kritik seitens nichtstaatlicher Organisationen ausgesetzt gewesen sei - sei davon auszugehen, dass der Irak früher oder später seine Hoheitsgewalt wieder über die Kurdenregionen ausweiten werde. Kritisiert wird außerdem, dass sich die belangte Behörde hinsichtlich der Verfolgungsprognose im Nordirak auf die Aussage des Beschwerdeführers verlassen habe, der zuletzt 1991 im Nordirak gewesen sei, dass es für eine inländische "Fluchtalternative" nicht nur auf das Fehlen von Verfolgung, sondern auf das Vorhandensein effektiven Schutzes ankomme, dass die Erreichbarkeit des nach Ansicht der belangten Behörde sicheren Gebiets nicht geprüft worden und den Beweisanträgen in der abschließenden Stellungnahme des Vertreters des Beschwerdeführers nicht Folge gegeben worden sei und sich auch die neueste der von der belangten Behörde für ihren Standpunkt zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes auf einen vor dem Einmarsch irakischer Truppen in die "Schutzzone" (im August 1996) erlassenen Bescheid bezogen habe.
Mit diesen Argumenten ist die Beschwerde aus den im hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, dargestellten Gründen im Recht. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher auf dieses Erkenntnis verwiesen (vgl. seither auch das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430, sowie die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 99/20/0175, Zl. 2000/20/0475, und Zl. 2000/20/0546). Ergänzend ist anzumerken, dass eine Ausblendung der Fluchtgründe schon wegen ihres notwendigen Zusammenhanges mit dem Ausmaß der vom Beschwerdeführer in seiner abschließenden Stellungnahme ausdrücklich geltend gemachten Gefahr, auch unter den derzeitigen Umständen im Nordirak Nachstellungen irakischer Agenten ausgesetzt zu sein, nicht in Frage kam, und die belangte Behörde auch nicht näher begründet hat, warum der Beschwerdeführer ungeachtet seiner Flucht aus mehrjähriger Haft - aus der Sicht der zentralirakischen Behörden - als "durchschnittlicher" aus dem Nordirak stammender Kurde anzusehen sei. Das Fehlen von "Erkenntnissen" darüber, dass die Bagdader Zentralregierung "versuche", ihre Staatsgewalt wieder auf den Nordirak auszudehnen, ist kein Ersatz für Feststellungen darüber, wodurch sie faktisch oder rechtlich daran gehindert sei, dies jederzeit ohne Vorankündigung zu tun, oder darüber, dass umgekehrt "Erkenntnisse" darüber vorlägen, dass die Regierung diese Gebiete zumindest für die nähere Zukunft aufgegeben habe. Die Aussage des Beschwerdeführers kann bei der Beurteilung dieser Fragen nur von untergeordneter Bedeutung sein, mag es auch - wie in der Gegenschrift ausgeführt wird - zutreffen, dass er sich seiner Aussage zufolge in Österreich durch den Konsum kurdischer Medien auf dem Laufenden zu halten versucht.
Der angefochtene Bescheid war daher auf Grund der im erwähnten Vorerkenntnis zu den Voraussetzungen einer inländischen Schutzalternative und im Besonderen zur so genannten "Schutzzone" im Nordirak dargelegten Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 21. November 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200185.X00Im RIS seit
27.02.2003