TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/15 B523/97

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Veröffentlicht am 15.10.1999
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ÄrzteG §25 Abs1
ÄrzteG §3d
ÄrzteG §95 Abs1 Z2
ÄrzteG §95 Abs4
StPO §260
StPO §290

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Arzt wegen verbotener Werbung im Ausland infolge qualifizierter Rechtswidrigkeit des Disziplinarerkenntnisses; fehlende Individualisierung der Tat iSd StPO; Mißachtung des Grundsatzes der reformatio in peius

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Österreichische Ärztekammer ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer ist Facharzt für Chirurgie in Villach. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides erschien mit seiner Zustimmung am 31. Jänner 1995 in der Zeitschrift "Gazzettino del Friuli" in der Provinz Udine in Italien ein Text in italienischer Sprache, der, wie ebenfalls unbestritten blieb, in deutscher Übersetzung wie folgt lautet:

"Österreichischer Arzt führt in Villach schmerzlose Behandlungen durch.

Krampfadern dürfen nicht als naturgegeben hingenommen werden. Alle, ob Männer oder Frauen, die an Krampfadern leiden und bis heute aus Furcht vor unangenehmen Behandlungen keine Lösung gefunden haben, können jetzt aufatmen.

Dr. E aus Villach setzt spezielle Instrumente und innovative Methoden ein, um diesem Problem zu begegnen, denn Krampfadern gelten als unangenehmes und unästethisches Problem. Mit der neuen Methode ist der Vorteil einer raschen und schmerzlosen Behandlung verbunden, die keine Spuren hinterläßt. Dank einer speziellen Bandage kann der Patient bereits am Tage des Eingriffs wieder gehen.

Terminvereinbarung ist erforderlich.

Informationen: Telefonisch von 9.00 bis 12.00 Uhr

Von Montag bis Freitag

Dr. R. E. ...

Tel.: ..., Fax ...

(Wir sprechen Italienisch, Englisch und Deutsch)"

1.2. Der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten, sprach mit Erkenntnis vom 18.Oktober 1995 aus, daß der Beschwerdeführer "Berufspflichten, zu deren Einhaltung er sich anläßlich der Promotion zum 'Doktor medicinae universae'" verpflichtet habe, dadurch verletzt habe, daß er in der in der Provinz Udine erscheinenden, oben genannten Zeitschrift, das eingangs wiedergegebene Inserat "einschalten ließ"; er habe dadurch ein Disziplinarvergehen nach §95 Abs1 Z2 Ärztegesetz 1984 begangen. Die Disziplinarbehörde verhängte jedoch mit Rücksicht auf ein näher bezeichnetes Disziplinarerkenntnis vom 8. März 1995 keine Zusatzstrafe.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer die Richtigkeit der Auffassung der Disziplinarbehörde betreffend die Anwendbarkeit österreichischen Disziplinarrechts und stellte den ihm in der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung vorgeworfenen Verstoß gegen "das Werbeverbot des §25 Ärztegesetz" in Abrede.

Mit Erkenntnis vom 15. April 1996 hob die belangte Behörde das erstinstanzliche Erkenntnis in Stattgebung der Berufung auf und verwies die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat zurück. Sie widersprach in dieser Entscheidung der Auffassung des Beschwerdeführers hinsichtlich der Berechtigung des Disziplinarrates der Ärztekammer zur Durchführung eines Disziplinarverfahrens: Dadurch, daß der Erfolg der Werbeeinschaltung habe in Österreich eintreten sollen und der Beschwerdeführer "durch Mitgestaltung des Werbetextes in seiner Ordination im Inland Tathandlungen" gesetzt habe, sei nach dem Einleitungssatz des §95 Abs1 ÄrzteG die Kammermitgliedschaft ausschlaggebend. Sollte sich die Behauptung des Beschwerdeführers, die Ärztevereinigung der Provinz Udine habe die Einschaltung nicht nur genehmigt, sondern sogar Größe, Ausstattung und Text der Annonce vorgegeben, als richtig erweisen, könne dies bei "der Beurteilung der Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Beschuldigten, also seiner Schuld, (als) Frage des Rechtsirrtums bzw. des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit nicht unberücksichtigt bleiben. Diese Entscheidung des Disziplinarsenates blieb nach der Aktenlage unbekämpft.

Im fortgesetzten Verfahren richtete der Disziplinarrat der Ärztekammer eine Anfrage an die Ärztevereinigung der Provinz Udine, welche mit Schreiben vom 26. Juli 1996 mitteilte, daß der Beschwerdeführer "unsere Ärztekammer in einem Brief vom 7.10.1994 ersucht hat, seine Anzeige in den lokalen Zeitungen zu veröffentlichen. Die Kammer hat allerdings KEINE Bewilligung ausgestellt, da Werbung durch das Gesetz Nr. 175 vom 5. Februar 1992 verboten ist".

In der fortgesetzten Disziplinarverhandlung beantragte der Beschwerdeführer die Einvernahme eines italienischen Journalisten, der ihm "kurz vor der Veröffentlichung" mitgeteilt habe, die Ärztekammer habe den "Artikel" genehmigt, worauf er vertraut habe, da ihm ein Verbot der Ärztekammer nicht zugekommen sei. Ohne diesem Beweisantrag nachzukommen erließ der Disziplinarrat das neuerlich verurteilende Erkenntnis vom 11. September 1996, welches im Spruch dem früheren Erkenntnis gleicht (sieht man davon ab, daß als Tag der Veröffentlichung des Inserates unrichtig der 21. statt des 31. Jänner 1995 genannt wird); anders als im ersten Disziplinarerkenntnis verhängte die Disziplinarbehörde nunmehr über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 30.000,--. In der Begründung heißt es, die Anzeige verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen das "Werbeverbot des §25 Ärztegesetz". Näher bezeichnete Ausführungen in diesem Inserat seien als "lobhudelnd, ja geradezu marktschreierisch zu beurteilen". Die Zeitungsanzeige in ihrer Gesamtheit gesehen erwecke den Eindruck einer "Anpreisung im Tone eines Gewerbetreibenden", ja sogar das "sensationelle Herausstellen" der eigenen Person des Arztes und seiner Praxis (Hinweis auf ein Vorerkenntnis der bel. Behörde vom 12.12.1994). Dem Beschwerdeführer sei bekannt gewesen, daß er eine Genehmigung der Ärztekammer (gemeint: der Provinz Udine) benötige und habe im Sinne eines dolus eventualis in Kauf genommen, daß sein Artikel ohne Genehmigung veröffentlicht würde. In jedem Fall sei ihm aber Fahrlässigkeit zu unterstellen. Als erschwerend wertete die Disziplinarbehörde eine "einschlägige Vorverurteilung".

Die dagegen wegen Schuld und Strafe erhobene Berufung an den Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit und Konsumentenschutz blieb erfolglos. Der Disziplinarsenat (die belangte Behörde) bestätigte mit Bescheid vom 9. Dezember 1996 die Entscheidung des Disziplinarrates.

Die belangte Behörde schließt sich in ihrem Bescheid der Rechtsauffassung des Disziplinarrates an. Sie hält eine "einläßliche(n) meritorische(n) Erörterung" der Zuständigkeitsfrage für überflüssig und verweist diesbezüglich auf ihr Vorerkenntnis. Die Verwerfung des Beweisantrages des Beschwerdeführers hält die belangte Behörde aufgrund der Aktenlage für rechtmäßig. Einen Rechtsirrtum vermochte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nicht zuzubilligen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides verlangt wird.

Die Beschwerde führt vor allem aus, daß sowohl Tathandlung als auch Taterfolg im Ausland verwirklicht worden bzw. eingetreten seien und eine (Straf-) Zuständigkeit der belangten Behörde schon aus diesem Grunde nicht bestanden habe. Der Beschwerdeführer habe die Meinung vertreten, es sei durch das Erscheinen des Textes in einer Zeitschrift eine in Italien erlaubte Werbung erfolgt. Nach dem Ärztegesetz bestehe kein Werbeverbot. Die Auffassung der Disziplinarbehörde, mit Rücksicht auf §95 Abs4 Ärztegesetz unterliege ein österreichischer Arzt immer dem Disziplinarrecht einer "Disziplinarkommission in Österreich" erscheine unrichtig.

II. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift aber verzichtet.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat

über die u zulässige u Beschwerde erwogen:

1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Vorschriften lauten wie folgt:

1.1. §95 Ärztegesetz 1984 lautete auszugsweise:

"§95. (1) Ärzte machen sich eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie

1. das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen, oder

2. die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum Doctor medicinae universae verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen

Vorschriften verpflichtet sind.

(2) Ärzte machen sich jedenfalls eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie

1. eine oder mehrere strafbare Handlungen vorsätzlich begangen haben und deswegen von einem in- oder

ausländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von

mehr als sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe von zumindest 360 Tagessätzen verurteilt worden sind oder

2. den ärztlichen Beruf ausüben, obwohl über sie rechtskräftig die Disziplinarstrafe der befristeten

Untersagung der Berufsausübung (§101 Abs1 Z3) verhängt worden ist.

(3) Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, genügt für die Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten.

(4) Unter den Voraussetzungen der Abs1 bis 3 machen sich auch Staatsangehörige der Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, die den ärztlichen Beruf in einem dieser Staaten rechtmäßig ausüben und im Inland vorübergehend ärztliche Dienstleistungen erbringen (§3 d), sowie Ärzte, deren Berufssitz oder Dienstort im Ausland gelegen ist und die den ärztlichen Beruf im Inland gemäß §16 Abs7 Z3 ausüben, eines Disziplinarvergehens schuldig.

(5) - (7)

(...)"

1.2. §3d Ärztegesetz 1984 lautete auszugsweise:

"3d. (1) Staatsangehörige der Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, die im Besitz eines Diplomes, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweises ... sind und den ärztlichen Beruf in einem der übrigen Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes rechtmäßig ausüben, dürfen, soweit sie Dienstleistungen im Sinne des Artikels 37 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erbringen, im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes von ihrem ausländischen Berufssitz oder Dienstort aus vorübergehend in Österreich wie ein in die Ärzteliste eingetragener, zur selbständigen Berufsausübung berechtigter Arzt tätig werden.

(...)

(2) Vor Ausübung der Tätigkeit im Sinne des Abs1, die einen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet erfordert, hat der Arzt die Ärztekammer jenes Bundeslandes, in dem die Dienstleistungen erbracht werden sollen, schriftlich zu verständigen. (...)

(...)

(4) Der Arzt unterliegt bei Erbringung der Dienstleistung den im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes geltenden Berufspflichten und Disziplinarvorschriften. Verstößt der Dienstleistungserbringer gegen diese Pflichten, so hat die Österreichische Ärztekammer unverzüglich die zuständige Behörde des Herkunftsstaates zu unterrichten. Die Zuständigkeit im Disziplinarverfahren richtet sich nach dem Ort der Begehung des Disziplinarvergehens. Disziplinarstrafen, die die Berufsausübung beschränken, dürfen nur für den Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgesprochen werden."

1.3. §25 Ärztegesetz 1984 lautete auszugsweise:

"§25. (1) Der Arzt hat sich jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten.

(...)

(4) Die Österreichische Ärztekammer kann nähere Vorschriften über die Art und Form der im Abs1 genannten Informationen erlassen."

1.4. Gem. §100 Abs1 Ärztegesetz 1984 sind auf das Disziplinarverfahren die Vorschriften der Strafprozeßordnung 1975 anzuwenden, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt und die Anwendung der Strafprozeßordnung 1975 mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens vereinbar ist.

2. Soweit der Beschwerdeführer die Zuständigkeit innerstaatlicher Disziplinarbehörden zur Ahndung einer verbotenen Werbung außerhalb der österreichischen Staatsgrenzen in Zweifel zieht, vermag er schon deshalb keine Verfassungsverletzung aufzuzeigen, weil die belangte Behörde die innerstaatliche Disziplinarzuständigkeit für den vorliegenden Fall in ihrer im ersten Rechtsgang ergangenen, vom Beschwerdeführer unbekämpft gelassenen - und daher für das weitere Verfahren bindenden - kassatorischen Berufungsentscheidung festgestellt hat.

3. Der Beschwerde ist dessenungeachtet aber schon deshalb begründet, weil das wider den Beschwerdeführer ergangene Straferkenntnis in Spruch und Begründung qualifiziert rechtwidrig ist:

3.1. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt u.a. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

3.1.1. Da die das Disziplinarverfahren regelnden Bestimmungen des Ärztegesetzes 1984 keine Bestimmung über den Inhalt eines Disziplinarerkenntnisses enthalten, ist insoweit (§100 Abs1 Ärztegesetz 1984) §260 StPO anzuwenden. Danach hat ein Disziplinarerkenntnis - unter Ausscheidung von hier nicht in Rede stehenden weiteren Angaben - jedenfalls auszusprechen

1.

welcher Tat der Angeklagte schuldig befunden worden ist;

2.

welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden ist, begründet wird, sowie

              3.              welche Strafe über den Beschuldigten verhängt wurde. Die genannten Vorschriften dienen der Individualisierung der Tat (vgl. nur Foregger-Serini, StPO, §161 Erl.1).

Eine Individualisierung der Tat im Sinne der vorzitierten Bestimmung ist hier im Ergebnis unterblieben:

Das mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Disziplinarerkenntnis beschränkt sich darauf auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch die ihm angelastete Handlung (Veröffentlichung eines bestimmten Textes in einer italienischen Zeitschrift) das "Disziplinarvergehen nach §95 Abs1 Z. 2 Ärztegesetz begangen" habe. Damit könnte die Tat - ungeachtet dessen, daß sich diesfalls die Berufspflichtenverletzung erst aus der Heranziehung des §25 Ärztegesetz 1984 ergeben würde, der aber von der Behörde im Spruch nicht einmal zitiert wird - allenfalls unter der weiteren Voraussetzung hinreichend individualisiert sein, wenn der Beschwerdeführer einem absoluten Werbeverbot zuwidergehandelt hätte. Ein solches Werbeverbot enthält jedoch §25 Ärztegesetz 1984 in der hier anzuwendenden Fassung nicht, sind einem Arzt doch gemäß §25 Abs1 Ärztegesetz nur unsachliche, unwahre oder das Standesansehen beeinträchtigende Informationen untersagt. Die dem Beschwerdeführer angelastete Berufspflichtenverletzung wäre daher nur dann ausreichend individualisiert, wenn das Erkenntnis im Schuldspruch zum Ausdruck brächte, daß dem Beschwerdeführer durch bestimmte Passagen des Textes ein bestimmter Verstoß gegen §25 Abs1 Ärztegesetz (also die Verbreitung entweder einer unwahren, eine unsachlichen und/oder einer das Standesansehen beeinträchtigenden Information) anzulasten wäre. Dem angefochtenen Bescheid läßt sich dies auch implizit nicht entnehmen, zumal die Behörde weder die Wahrheit noch die Sachlichkeit der Information geprüft hat. Die Disziplinarbehörde

1. Instanz läßt in der Begründung des Straferkenntnisses nicht einmal erkennen, ob sie dem Beschwerdeführer der Sache nach vorwirft, mit dem inkriminierten Text gegen italienisches oder österreichisches Standesrecht verstoßen zu haben (es wird beides erwogen) und - gegebenenfalls - welchen Inhalt das einschlägige italienische Berufsrecht (zu dessen Anwendung im Rahmen grenzüberschreitender Dienstleistungen vgl. EuGH 3.12.1974, Rs 33/74 - Van Binsbergen, sowie die Kollisionsnorm des §3d Abs4 Ärztegesetz 1984 für den umgekehrten Fall der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung eines ausländischen Arztes in Österreich) hat (zu Konsequenzen fehlender Individualisierung mit Rücksicht auf die Bedeutung des Art7 EMRK vgl. auch VfSlg.11776/1988).

3.1.2. Hinzu kommt, daß die Disziplinarbehörde 1. Instanz den sich aus §290 StPO (iVm §100 Abs1 Ärztegesetz 1984) ergebenden Grundsatz der reformatio in peius mißachtet und zugleich jede Begründung dafür schuldig geblieben ist: Die Disziplinarbehörde erster Instanz hatte in ihrem im ersten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis vom 18. Oktober 1995 über den Beschwerdeführer wegen desselben Verhaltens unter Bedachtnahme auf eine im Verhältnis des §31 StGB (analog) stehende disziplinarrechtliche Verurteilung keine Zusatzstrafe verhängt. Gegen dieses Disziplinarerkenntnis hat nur der Beschwerdeführer Berufung ergriffen, sodaß weder die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung über die Berufung, noch im fortgesetzten Verfahren die Disziplinarbehörde 1. Instanz eine strengere Strafe über den Beschwerdeführer verhängen durfte. Weder die Disziplinarbehörde

1. Instanz in ihrem im zweiten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis, noch die belangte Behörde (ungeachtet einer ausdrücklich auch wegen Strafe erhobenen Berufung des Beschwerdeführers) lassen erkennen, daß sie einerseits §290 StPO beachtet hätten, noch wird das nunmehrige Abgehen von der Bedachtnahme auf die Vorverurteilung mit einem Wort der Begründung bedacht.

3.2. Dadurch, daß die belangte Behörde bei Behandlung der wegen Schuld und Strafe erhobenen Berufung des Beschwerdeführers die der Disziplinarbehörde 1. Instanz in mehrfacher Hinsicht unterlaufenen Rechtswidrigkeiten nicht aufgegriffen hat, ist ihr objektive Willkür anzulasten und das angefochtene Disziplinarkenntnis wegen gehäufter Verkennung der Rechtslage mit einer in die Verfassungssphäre reichenden Rechtswidrigkeit behaftet.

3.3. Die genannten Verfassungswidrigkeiten waren vom Verfassungsgerichtshof ungeachtet der im übrigen verfehlten Begründung der Beschwerde, jedoch im Hinblick darauf, daß die durch den angefochtenen Bescheid verursachte Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte in dieser Beschwerde hinreichend bestimmt gerügt wird, aus eigenem aufzugreifen.

3.4. Der Beschwerdeführer wurde demnach durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

4. Der angefochtene Bescheid ist schon aus diesem Grunde aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 3.000,-- enthalten.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Ärzte, Disziplinarrecht Ärzte, Behördenzuständigkeit, Verwaltungsverfahren, Berufung, Kassation und Zurückverweisung, Werbung, Strafprozeßrecht, Strafbemessung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B523.1997

Dokumentnummer

JFT_10008985_97B00523_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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