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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des PB in S, geboren 1982, vertreten durch Dr. Karin Metz, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Zollergasse 2/51, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. März 2000, Zl. 209.148/0- V/13/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben nach ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 9. November 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10. November 1998 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 19. November 1998 gab er im Wesentlichen an, aus einem Ort im Bezirk Kambia zu stammen und im März 1998 zusammen mit seiner Mutter von Regierungssoldaten festgenommen worden zu sein, weil diese seines Vaters, eines Majors der RUF, der viel Unheil angerichtet habe, nicht habhaft geworden seien. Dem Beschwerdeführer sei erklärt worden, er werde an Stelle seines Vaters bestraft. Sowohl er als auch seine Mutter seien in das Pademba-Gefängnis in Freetown gebracht worden. Der Beschwerdeführer habe gewusst, dass er schließlich hingerichtet werden würde. Im Oktober 1998 sei er auf Grund einer Verletzung, die ihm von Mithäftlingen zugefügt worden sei, in ein Krankenhaus gebracht worden, von wo aus ihm die Flucht gelungen sei. Er sei in sein Heimatdorf zurückgekehrt und vom Oberhaupt des Dorfes nach Guinea gebracht worden. Im Falle einer Rückkehr nach Sierra Leone würde er hingerichtet werden, weil die Leute, die jetzt an der Macht seien, aus dem Süden stammten und der Vater des Beschwerdeführers Leute aus dem Süden umgebracht habe. Der Beschwerdeführer selbst sei in die Aktivitäten seines Vaters nicht involviert gewesen.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 15. März 1999 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig.
In der Berufung gegen diesen Bescheid führte der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers aus, die Menschenrechtslage in Sierra Leone sei schlecht und für die Mitglieder und Anhänger der RUF und der beseitigten Militärjunta bestehe eine hochgradige Gefahr politischer und juristischer Verfolgung. "Im Zuge der Sippenhaftung" sei es durchaus glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer statt seines Vaters inhaftiert worden sei. Zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers wurde unter dem Gesichtspunkt u.a. des Art. 3 EMRK darauf verwiesen, dass die derzeitige Situation in Sierra Leone der Berichtslage zufolge eine Rückkehr für den Asylwerber unmöglich mache.
Die belangte Behörde führte am 29. Februar 2000 eine mündliche Berufungsverhandlung durch und wies mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab. In Spruchpunkt II. stellte sie gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nicht aus Sierra Leone stamme. Diese Würdigung ist angesichts der auf Sierra Leone bezogenen Einzelheiten in den Angaben des Beschwerdeführers nicht unproblematisch. Ob die Erklärung der belangten Behörde, alle diese Einzelheiten müssten eingelernt gewesen sein, in den aufgezeigten Wissenslücken des Beschwerdeführers eine Grundlage findet, aus der sie sich schlüssig ableiten ließe, kann aber dahinstehen, weil sich die belangte Behörde - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - in einem zentralen Punkt über einen für die Glaubwürdigkeit der Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone sprechenden Umstand stillschweigend hinweggesetzt hat. Es wurde nämlich zu Beginn der Befragung des Beschwerdeführers durch den von der belangten Behörde beigezogenen Sachverständigen ("sachkundige Person für den Staat Sierra Leone" und zugleich Dolmetscher für Krio) in der Berufungsverhandlung Folgendes protokolliert:
"Herr SV, bitte versuchen Sie, sich mit dem BW in Krio zu verständigen.
SV: Meiner Einschätzung nach spricht er tatsächlich Krio und kann auf meine gestellten Fragen ganz konkret antworten bzw. glaube ich, dass er tatsächlich aus SL stammt."
Eine Beweiswürdigung, die die Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone und darauf gestützt die Glaubwürdigkeit seiner detaillierten Angaben über die von ihm erlittene und ihm drohende Verfolgung verneint, ohne diese Stelle in der Niederschrift auch nur zu erwähnen, ist nicht schlüssig.
Als Eventualbegründung für die Abweisung des Asylantrages stützt sich die belangte Behörde - unter hypothetischer Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers - darauf, dass sich die Lage in Sierra Leone "zumindest in einigen Landesteilen stabilisiert hat, so auch insbesondere in der Hauptstadt Freetown". Dabei wird auch auf die im Friedensabkommen von 7. Juli 1999 vereinbarte Generalamnestie Bezug genommen. Bei Vorhalt der geänderten Lage in der mündlichen Verhandlung am 29. Februar 2000 hat der Beschwerdeführer aber ausgeführt, in Freetown wäre er selbst dann, wenn ihn die Regierung in Ruhe lassen würde, durch die Kamajors und im Falle einer Rückkehr in sein Dorf wäre er durch die dortige Bevölkerung bedroht, die ihn gleichfalls für Taten seines Vaters verantwortlich machen würde. Auf das Gegenargument, er könne sich unter den Schutz der Rebellen stellen, die in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers "nach wie vor das Sagen" hätten, erwiderte der Beschwerdeführer, er würde dann gezwungen werden, sich den Rebellen anzuschließen und man würde sein Leben zerstören. Der angefochtene Bescheid setzt sich mit dem Thema einer dem Beschwerdeführer, wenngleich allenfalls nicht oder - wie ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers anzunehmen wäre - nicht mehr von offizieller Seite nach wie vor drohenden Sippenhaftung und der Frage, welchen Schutz er in dieser Hinsicht in Anspruch nehmen könnte, nicht auseinander, weshalb auch die Eventualbegründung den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen vermag.
Abschließend ist anzumerken, dass die dem Beschwerdeführer in der Verhandlung vorgehaltene Seite 22 der Sierra Leone-Information des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Stand: Oktober 1999) unter der Überschrift "Rückkehrprognose" nicht nur die Einschätzung des (deutschen) auswärtigen Amtes enthält, "selbst straffällig gewordene sierraleonische Staatsangehörige" könnten zurückkehren, weil sie unter die im Friedensabkommen vereinbarte Generalamnestie fielen. Dieselbe Seite enthält im Anschluss an den einleitenden Hinweis, Fragen zur Rückkehrproblematik sierra-leonischer Staatsangehöriger könnten "derzeit nur schwer beantwortet werden", auch die Wiedergabe von Ausführungen des UNHCR, wonach dieser trotz Unterzeichnung des Friedensabkommen weiterhin besorgt über die Sicherheitssituation im Lande sei und UNHCR ungeachtet "einiger erster Anzeichen einer beginnenden Umsetzung des Abkommens" die Auffassung vertrete, "dass die gegenwärtige Lage im Lande einer freiwilligen Rückkehr von Flüchtlingen entgegen steht". Neben "gravierenden Sicherheitsproblemen" sei auch maßgeblich, dass noch keine humanitären Hilfsorganisationen vor Ort seien. Aus diesem Grund rate UNHCR "gegenwärtig von einer Rückführung nach Sierra Leone ab". Der Vorhalt in der Verhandlung, nach dieser Seite des Berichtes sei "eine günstige Rückkehrprognose zu erstellen", scheint ihrem tatsächlichen Inhalt daher nicht ausreichend Rechnung zu tragen.
Der angefochtene Bescheid war angesichts der zuvor aufgezeigten Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 21. November 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200257.X00Im RIS seit
27.02.2003