Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des FNPK in L, geboren am 11. Februar 1967, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Graziani-Weiss, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Kroatengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. August 2000, Zl. 211.826/0-VII/43/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste am 19. Juli 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 20. Juli 1994 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er im Wesentlichen an, er stamme aus Bagdad, sei von dort 1990 in den Nordirak übersiedelt, um sich der Einberufung im Zuge des Golfkrieges zu entziehen, und im Juli 1994 von einem Schlepper in die Türkei gebracht worden. Den Nordirak habe er verlassen, weil er dort keine Zukunft für sich gesehen und auch Angst gehabt habe, der Nordirak könne einmal keine Schutzzone mehr sein. In diesem Fall wäre er seitens der irakischen Zentralregierung großer Gefahr ausgesetzt gewesen. Im Jänner 1994 habe ihn im Nordirak ein von ihm vorgelegtes Schreiben der Militärbehörde erreicht, wonach er sich wegen der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles melden solle, widrigenfalls sowohl gegen ihn als auch gegen seinen Vater entsprechende Maßnahmen eingeleitet würden.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 21. Juli 1994 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer unter anderem geltend, er habe sich durch die Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles der Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg entzogen und sei im Nordirak aus näher dargestellten Gründen nicht vor Verfolgung sicher gewesen. Schließlich sei auch seiner 1966 geborenen Schwester schon in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Seine Eltern seien im Irak auch immer wieder nach dem Verbleib dieser Schwester gefragt worden, woraus sich auf Grund der im Irak herrschenden Sippenhaftung für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak ebenfalls die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers ergebe.
Die belangte Behörde führte am 26. Juli 2000 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ergänzend zu den von ihm behaupteten Fluchtgründen befragt und das von ihm vorgelegte Schreiben der irakischen Militärbehörde ("Direktion des militärischen Geheimdienstes") vom 5. Jänner 1994 von der Dolmetscherin übersetzt wurde. Der Beschwerdeführer gab auch an, dass es in der Zwischenzeit zu näher beschriebenen Repressionen gegen seine Eltern und seine Geschwister im Irak gekommen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Sie stellte als entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest, der aus dem Irak stammende Beschwerdeführer gehöre der arabischen Volksgruppe an und sei chaldäischen Bekenntnisses. Er sei in seinem Heimatstaat zuletzt "in Zakho (Schutzzone Nordirak)" wohnhaft und vor seiner Flucht "keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt" gewesen. Den Irak habe er im Juli 1994 verlassen, weil er 1989/90 einem Einberufungsbefehl nicht Folge geleistet habe. Der Beschwerdeführer habe sich etwa viereinhalb Jahre lang "in der Schutzzone im Nordirak" aufgehalten. Vor seiner Wehrdienstentziehung habe er mit irakischen staatlichen Behörden niemals Probleme gehabt. Dies gelte auch für die Zeit seines Aufenthaltes im Nordirak. In den Ausführungen zur Beweiswürdigung wurde erwähnt, der im Wesentlichen problemlose mehrjährige Aufenthalt im Nordirak sei ein sichtbarer Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer dort "ausreichend Sicherheit gefunden" habe. Der Aufnahme weiterer Beweise habe es wegen Entscheidungsreife nicht mehr bedurft.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte die belangte Behörde den Fall wie folgt:
"In ihrem Asylantrag hat die berufende Partei ihrem Herkunftsstaat zurechenbare Verfolgung behauptet indem sie vorbrachte, dass ihr Verfolgung drohe wegen ihrer Desertion.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes für sich allein keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar, da die Militärdienstpflicht alle in einem entsprechenden Alter befindlichen männlichen Staatsbürger in gleicher Weise trifft. Eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung wird in diesem Sinne grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auffassung auch in Fällen vertreten, in denen in dem betroffenen Heimatstaat ein Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Die Flucht wegen Einberufung zum Militärdienst könnte nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen die Behandlung während der Militärdienstleistung nachteiliger bzw. eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung strenger als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre. Dies hat der Asylwerber jedoch nicht behauptet und ist im Verfahren auch nicht hervorgekommen.
Weiters hat der Berufungswerber auch keinen asylrechtlich relevanten Anknüpfungspunkt im Sinne der zitierten Judikatur behauptet noch liegen Amtskenntnisse darüber vor, dass im Irak die religiöse Minderheit der chaldäischen Christen im oben dargestellten Sinn hinsichtlich der Militärdienstleistung benachteiligt würde.
Die behauptete Bedrohung durch die Kurden ist ebenfalls nicht geeignet, zur Asylgewährung zu führen, da sie nicht jenes Maß an Intensität erreichen, dessen es bedürfte, um den weiteren Verbleib im Heimatland bzw. die Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes als unerträglich erscheinen zu lassen. Die vom Berufungswerber geschilderten Bedrohungen stellen sich somit lediglich als allgemeine soziale bzw. religiöse Schwierigkeiten dar, aus welchen allein schon mangels Eingriffsintensität eine individuell konkret gegen den Berufungswerber gerichtete Verfolgung nicht abgeleitet werden kann. Die diesbezügliche vom Berufungswerber behauptete Verfolgungsgefahr ist auch nicht auf einen in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen.
Schließlich bestand und besteht für den Asylwerber die Möglichkeit in einem Gebiet seines Heimatlandes, in dem er keine Verfolgung zu fürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, sodass eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliegt, die eine Asylgewährung ausschließt."
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
In der Beschwerde wird unter anderem releviert, Sanktionen wegen der Weigerung des Beschwerdeführers, sich im Rahmen der Ableistung des Militärdienstes an der Vorbereitung und Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges zu beteiligen, ließen sich nicht als Ahndung der Nichterfüllung von Staatsbürgerpflichten verstehen, das verbrecherische Vorgehen des Irak sei nicht unter die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erwähnten Fälle von "Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen" zu subsumieren und die belangte Behörde sei auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe, weshalb ihm die "Schutzzone" im Nordirak keine ausreichende Sicherheit geboten habe, nur "kursorisch" eingegangen. Sie habe es unter anderem auch verabsäumt, Feststellungen über die im Irak auf Grund von Desertion drohenden Sanktionen zu treffen. Die Behörde erster Instanz habe noch festgestellt, dass menschenrechtswidrige Hinrichtungen sowie massive Folterungen (Amputation der Hand, Abtrennen eines Ohres und Brandmarken der Stirn) vorgenommen würden und solche Sanktionen zur Zeit der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak offizieller Bestandteil der irakischen Rechtsordnung gewesen seien. Erst im August 1996, also zwei Jahre nach der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak, seien Körperstrafen wie Ohrenamputation und Brandmarken wegen Desertion abgeschafft worden. Die belangte Behörde habe sich mit der Frage der dem Beschwerdeführer drohenden Sanktionen aber nicht auseinander gesetzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, in Auseinandersetzung mit der zu früheren Asylgesetzen ergangenen Vorjudikatur unter anderem die Auffassung vertreten, dass einer unverhältnismäßig strengen Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion in Verbindung mit politischen oder religiösen Überzeugungen, auf denen das geahndete Verhalten beruhe, oder als Ausdruck einer dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat unterstellten oppositionellen Gesinnung asylrechtliche Bedeutung zukomme und dass insbesondere an den zum AsylG 1991 ergangenen Entscheidungen, in denen gerade im hier gegebenen Zusammenhang die Asylrelevanz einer bloß unterstellten politischen Gesinnung verneint worden sei, nicht festgehalten werde (vgl. seither auch das - gleichfalls den Irak betreffende - Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0604). In demselben Erkenntnis wurde auch ausgeführt, dass es nicht ohne Bedeutung sei, wenn der Militäreinsatz, an dem die Teilnahme verweigert werde, im Sinne des Abs. 171 des UNHCR-Handbuches über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft den "Grundregeln menschlichen Verhaltens" widerspreche (vgl. insoweit schon das Erkenntnis vom 22. November 2001, Zl. 98/20/0261). Weitere Ausführungen in demselben Erkenntnis betreffen die - im vorliegenden Fall von der belangten Behörde nicht in ihre Überlegungen einbezogene - Frage der im Irak allein schon wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Ausland drohenden Sanktionen (vgl. insoweit schon die im Erkenntnis vom 22. November 2001, Zl. 98/20/0221, nachgewiesene Vorjudikatur und zuletzt etwa die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0409 und Zl. 99/20/0160) und die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Nordirak als inländische Schutzalternative in Betracht komme (vgl. dazu auch die Erkenntnisse vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430, und vom heutigen Tag, Zl. 99/20/0175, Zl. 2000/20/0185 und Zl. 2000/20/0546).
Nach den rechtlichen Maßstäben dieser Erkenntnisse, auf deren nähere Begründungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, greifen die Feststellungen der belangten Behörde zu kurz, um unter den Umständen des vorliegenden Falles ein Urteil darüber, ob die Voraussetzungen für eine Asylgewährung erfüllt seien, zu ermöglichen. Da dies zumindest teilweise nicht nur auf einer unzureichenden Beachtung des Vorbringens des Beschwerdeführers, sondern auch auf einer den erwähnten Erkenntnissen widersprechenden Beurteilung der Rechtslage durch die belangte Behörde beruht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 21. November 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200475.X00Im RIS seit
27.02.2003