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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des P L in Salzburg, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1a, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. November 2000, Zl. 218.603/0-II/39/00, betreffend § 6 Z 1 und 2 und § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, reiste am 15. März 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 21. Juli 2000 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16. August 2000 führte er im Wesentlichen aus, die Polizei habe ihn im Jahr 1991 verhaftet und zehn Tage festgehalten, weil er Terroristen unterstützt habe. Drei Monate später sei die Polizei zu ihm gekommen. Er habe an diesem Tag drei Terroristen bei sich zu Hause gehabt, mit denen er jedoch vor der Polizei davon gelaufen sei. Er sei acht Tage bei den Terroristen geblieben und habe diesen dann gesagt, dass er an einer Hochzeit teilnehmen wolle. Tatsächlich sei er aber zu seiner Tante gefahren. Sein Vater habe ihm gesagt, dass ihn die Terroristen und die Polizei suchten. Bei seiner Tante sei er acht Tage geblieben, dann sei er nach Delhi gefahren und von dort weiter nach Syrien und in den Libanon. Am 2. Februar 1992 sei er von Delhi abgeflogen. Im Libanon bekomme man kein Asyl, deshalb habe er am 10. März 2000 den Libanon verlassen. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er um sein Leben. Die Polizei glaube, dass er den Nachbarn umgebracht habe. Außerdem fürchte er sich vor den Terroristen. Dass sein Nachbar umgebracht worden sei, habe er bei einem Telefonat mit seinem Vater erfahren. Auf dem Leichnam sei ein Brief gelegen, in dem gestanden sei, dass sein Freund und er diesen Mord begangen hätten.
Mit Bescheid vom 17. August 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 und 2 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte gemäß § 8 Asylgesetz seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich des Fluchtgrundes seien unglaubwürdig. Sie seien oberflächlich und ungenau. Der Beschwerdeführer habe offenbar die geschilderten Geschehnisse nicht selbst erlebt. Auf Grund der langen Zeitdistanz zwischen den angeblichen Fluchtgründen und der Antragstellung auf Asyl sei kein zeitlicher Zusammenhang mehr zu sehen. Unter der Hypothese der Richtigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers sei auszuführen, dass sein Fluchtgrund keinesfalls mehr im zeitlichen Konnex zu der Asylantragstellung stehe. Ebenso mangle es den Vorfällen im Jahre 1991 am notwendigen zeitlichen Konnex zur Ausreise am 2. Februar 1992 und komme diesen Vorfällen deshalb ebenfalls keine Relevanz mehr zu. Durch die Unterstützung von Terroristen sei eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung gesetzt worden. Verfolgungsmaßnahmen in seinem Heimatland seien daher nur im Zusammenhang mit der Aufklärung einer strafbaren Handlung gestanden. Dies entspreche keinem Fluchtgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer aus, dass er in seiner Heimat der Gefahr der Verfolgung durch die indischen Behörden ausgesetzt wäre. Es bestünde somit ein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.
Bei der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 25. Oktober 2000 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er sei im Jahre 1992 von der Polizei wegen Unterstützung von Terroristen verhaftet worden. Etwa drei Monate später sei die Polizei wiedergekommen, er habe aber flüchten können. Während der Flucht sei einer der mit ihm flüchtenden Sikh-Terroristen verhaftet worden, und er sei in weiterer Folge zu seiner Tante gefahren. Dort habe er erfahren, dass eine Person, die verhaftet worden sei, umgebracht worden sei. Sein Vater habe ihm ausrichten lassen, er solle nicht wieder nach Hause kommen, denn es könnte passieren, dass ihn die Polizei verhafte und unter Umständen genauso umbrächte wie die andere Person, die an jenem Tag verhaftet worden sei. Am 2. Februar 1992 sei er von Delhi nach Syrien geflogen, von wo er nach kurzem Aufenthalt in den Libanon gefahren sei. Dort habe er ca. acht Jahre gelebt. Er wisse nicht, ob in seiner Heimat ein Haftbefehl vorliege, von seinen Eltern werde dies aber behauptet.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 und 2 und § 8 Asylgesetz abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das Bundesasylamt habe in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides hinsichtlich beider Spruchteile die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Die belangte Behörde schließe sich diesen Ausführungen "vollinhaltlich" an und erhebe sie "zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides". Dem Bundesasylamt könne nicht entgegengetreten werden, wenn es das Vorbringen des Beschwerdeführers als offensichtlich nicht tatsachenentsprechend gewertet und auch keine stichhaltigen Gründe dafür gesehen habe, dass der Beschwerdeführer Gefahr laufe, in Indien unmenschlicher Behandlung, Strafe oder Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde sowie der persönliche Eindruck, den er hinterlassen habe - so seien seine Antworten (wie auch im Protokoll vermerkt) nur äußerst zögerlich erfolgt und hätten zum Teil konstruiert gewirkt - vermöchten an dieser Beurteilung nichts zu ändern. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer am 17. März 2000, unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich und seinem Aufgriff durch die Fremdenpolizei, angegeben habe, in seinem Heimatland nicht verfolgt zu werden, und daher keinen Asylantrag gestellt habe. Seinen Asylantrag habe er erst am 21. Juli 2000 gestellt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers entbehre aber jedenfalls - selbst für den Fall, dass sich die von ihm vorgebrachten Ereignisse im Jahr 1992 tatsächlich ereignet hätten - in asylrechtlicher Hinsicht der Aktualität, zumal der Beschwerdeführer seit acht Jahren im Libanon aufhältig gewesen und erst im März 2000 nach Österreich eingereist sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 6 Asylgesetz hat folgenden Wortlaut:
"Offensichtlich unbegründete Asylanträge
§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat
1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder
2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder
3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder
4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder
5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen besteht."
Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung auf § 6 Z 1 und 2 Asylgesetz gestützt. Voraussetzung für die Heranziehung dieser Bestimmungen ist, dass die Behörde vom Vorbringen des Beschwerdeführers ausgeht (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 9. Juli 2002, Zl. 2000/01/0436, und vom 18. Juli 2002, Zl. 2000/20/0108). Sowohl die Behörde erster Instanz als auch die belangte Behörde haben in ihren Bescheidbegründungen primär dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinen Glauben geschenkt. Im Hinblick auf die zitierte hg. Rechtsprechung vermag die diesbezügliche, auf die mangelnde Glaubwürdigkeit der Angaben abstellende Bescheidbegründung die auf § 6 Z 1 und 2 Asylgesetz gestützte Entscheidung der Behörde aber nicht zu tragen.
In ihrer Eventualbegründung ist die Behörde erster Instanz von der Richtigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers ausgegangen. Die belangte Behörde hat durch ihren Verweis auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides auch diese Begründungsteile in ihren Bescheid übernommen. Auch unter der Annahme der Richtigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers kam die Behörde erster Instanz jedoch zur spruchgemäßen Abweisung des Asylantrages, da der Fluchtgrund keinesfalls mehr im zeitlichen Konnex zur Asylantragstellung stehe. Ebenso mangle es den Vorfällen im Jahr 1991 am notwendigen zeitlichen Konnex zur Ausreise aus Indien am 2. Februar 1992, weshalb ihnen keine Relevanz mehr zukomme. Für eine Asylgewährung könnten aber nur solche Gründe maßgebend sein, die Ursache für die Flucht gewesen seien. Schon länger zurückliegende Verfolgungshandlungen begründeten keinen Asylanspruch, wenn der Asylwerber bis zu seiner tatsächlichen Flucht nicht ständig in wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen gelebt habe. Durch die Unterstützung von Terroristen und die Nichtmeldung deren Erscheinen beim Beschwerdeführer zu Hause habe er eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung gesetzt. Soweit der Beschwerdeführer vorgebracht habe, in seinem Heimatland Verfolgungsmaßnahmen befürchten zu müssen, stünden diese lediglich im Zusammenhang mit der Aufklärung einer strafbaren Handlung. Ein Einschreiten staatlicher Behörden sei in einem solchen Fall nicht als Verfolgung anzusehen, weil es sich dabei um Schritte zur Aufklärung eines allgemein strafbaren Deliktes handle, was keinem Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention entspreche. Der Beschwerdeführer habe nicht vorgebracht, dass die Verhaftung lediglich als Vorwand genommen worden wäre, um seiner z.B. aus politischen Interessen habhaft zu werden, oder dass er aus sonstigen Gründen Verfolgung zu befürchten gehabt hätte. Ebenso wenig habe der Beschwerdeführer behauptet, dass er mit einem unfairen Verfahren oder einer strengeren Bestrafung aus in der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Fluchtgründen hätte rechnen müssen. Allein der Umstand, dass auf Grund eines bestimmten Sachverhaltes ein bestimmter Personenkreis in persönliche Ermittlungen einbezogen werde bzw. werden könnte, könne nicht bewirken, dass ein diesem Personenkreis angehörender Verdächtiger begründete Furcht vor Verfolgung aus den von der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Fluchtgründen mit Erfolg geltend machen könne. Zusammenfassend würde daher die vom Beschwerdeführer befürchtete Verfolgung nicht aus einem Konventionsgrund erfolgen sondern sich von den staatlichen Motiven her im Rahmen einer legitimen hoheitlichen Strafrechtspflege bewegen und zur Aufklärung von strafrechtlich zu ahndenden Handlungen als nötig anzusehen sein. Die belangte Behörde wies in ihrer Begründung ergänzend noch darauf hin, dass zu berücksichtigen sei, dass der Beschwerdeführer am 17. März 2000, unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich und seinem Aufgriff durch die Fremdenpolizei, angegeben habe, in seinem Heimatland nicht verfolgt zu werden und keinen Asylantrag zu stellen. Den nunmehr vorliegenden Asylantrag habe er erst am 21. Juli 2000, somit vier Monate nach seiner Einreise gestellt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers entbehre im Übrigen jedenfalls - selbst für den Fall, dass sich die von ihm vorgebrachten Ereignisse im Jahr 1992 ereignet hätten - in asylrechtlicher Hinsicht der Aktualität, zumal der Beschwerdeführer acht Jahre im Libanon aufhältig gewesen und erst im März 2000 nach Österreich eingereist sei.
In der dargestellten Bescheidbegründung kommt nicht zum Ausdruck, weshalb die belangte Behörde davon ausgegangen ist, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers offensichtlich nicht die Behauptung einer drohenden Verfolgung im Herkunftsstaat im Sinne des § 6 Z 1 Asylgesetz zu entnehmen sei, hat doch der Berufungswerber vorgebracht, Verfolgung wegen der Unterstützung von Terroristen gewärtigen zu müssen.
Im Hinblick auf § 6 Z 2 Asylgesetz kam die belangte Behörde nach der dargelegten Bescheidbegründung zu dem Schluss, dass die behauptete Gefahr einer Verfolgung wegen Unterstützung von Sikh-Terroristen diesen gesetzlichen Tatbestand verwirkliche. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2001/20/0337).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die Umrechnung der entrichteten Eingabegebühr erfolgte nach § 3 Abs. 2 Z 2 Euro-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am 21. November 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001200005.X00Im RIS seit
18.03.2003