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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des WIYS in Wien, geboren 1946, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Juli 1999, Zl. 211.049/0- IX/27/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein staatenloser Palästinenser, reiste am 24. Juni 1997 aus dem Irak kommend nach Österreich ein und begehrte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl.
Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. Juni 1997 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er habe in den Jahren 1968, 1969 und 1970 für die PLO gekämpft. Er habe ein PLO-Stipendium erhalten und in Jugoslawien Bergbau studiert. Von 1981 bis 1991 habe er sich im Irak und anschließend in Jordanien aufgehalten. 1994 habe er sich von dem jordanischen Palästinenser-Lager, in dem er damals gewohnt habe, illegal wieder in den Irak begeben. Ihm sei im Irak das Angebot gemacht worden, einen Reisepass zu erhalten, falls er mit dem irakischen Geheimdienst zusammenarbeiten würde. Die Iraker hätten vom Beschwerdeführer Informationen über die PLO und die irakische Opposition in Jordanien erhalten wollen, wobei der Beschwerdeführer diese Geheimdiensttätigkeit in Jordanien hätte ausüben sollen. Er habe dieses Angebot abgelehnt und sei deshalb einige Male in einem Gefängnis im Irak festgehalten worden. Der Grund für diese Verhaftungen, deren letzte im April 1996 mit einer Dauer von einem Monat stattgefunden habe, sei darin gelegen, den Beschwerdeführer zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst zu bewegen. In der Folge sei er zwar nicht mehr inhaftiert worden, aber auch nach der letzten Verhaftung immer wieder (monatlich zweibis dreimal) zu Verhören geholt worden. Der Beschwerdeführer habe den Irak verlassen, weil er nicht mit dem Geheimdienst habe zusammenarbeiten wollen und bei jedem Verhör Angst gehabt habe, neuerlich inhaftiert zu werden.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 27. Juni 1997 den Asylantrag des Beschwerdeführers ab und stellte fest, dass der Beschwerdeführer den Irak "aufgrund von Problemen mit den staatlichen Behörden" verlassen habe. Die Probleme des Beschwerdeführers im Land seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltes (Irak) hätten jedoch nicht auf einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe beruht, "sondern" darauf, dass man den Beschwerdeführer zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst habe bewegen wollen. Nähere Ausführungen zur Begründung dieses - angenommenen - Gegensatzes enthielt der Bescheid des Bundesasylamtes nicht.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe die Zusammenarbeit mit dem irakischen Geheimdienst aus Gewissensgründen und politischer Überzeugung abgelehnt. Dieser Sachverhalt sei nicht genügend erhoben worden; er beantrage eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens und seine neuerliche Einvernahme.
Mit Bescheid vom 15. Oktober 1997 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung des Beschwerdeführers ab. Nach Zurückweisung der gegen diesen Bescheid an den Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde gemäß § 44 Abs. 2 und 3 erster Satz AsylG 1997 (Beschluss vom 20. Mai 1999, Zl. 98/20/0051) erließ der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) den nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 23. Juli 1999, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 7 AsylG abgewiesen wurde. Die belangte Behörde begründete diese Entscheidung unter anderem damit, der Beschwerdeführer habe das Ansinnen, mit dem irakischen Geheimdienst zusammen zu arbeiten, abgelehnt, weil er "als Diplomingenieur (für Bergbau) Angst vor einer solchen Tätigkeit" gehabt habe. Um den Beschwerdeführer doch noch zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, sei er 1994 sowie 1996 vom irakischen Geheimdienst inhaftiert worden. Aus dem gleichen Grund sei der Beschwerdeführer regelmäßig vom irakischen Geheimdienst verhört worden, habe jedoch weiterhin die Zusammenarbeit mit dem irakischen Geheimdienst abgelehnt. Im April 1997 habe er den Irak aus Furcht, neuerlich inhaftiert zu werden, verlassen. Diese Feststellungen ergäben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesasylamt. Auch das Bundesasylamt sei von diesem Sachverhalt ausgegangen. Da der Beschwerdeführer sich weder im Irak in irgendeiner Form politisch betätigt habe noch ihm von den irakischen Behörden eine regimekritische Gesinnung unterstellt worden sei, sondern das Interesse des irakischen Geheimdienstes an der Person des Beschwerdeführers allein darauf beruht habe, dass man sich von ihm als ehemaligem PLO-Kämpfer Informationen über die PLO sowie die Aktivitäten der irakischen Opposition in Jordanien erhofft habe, und die Inhaftierung des Beschwerdeführers nur darin begründet gewesen sei, diesen zur Mitarbeit zu bewegen, beruhe die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verfolgungsgefahr nicht auf einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv erwähnten Gründe.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat von der nach § 67d AVG (in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001) i.V.m. Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG grundsätzlich durchzuführenden mündlichen Berufungsverhandlung - ohne dies zu begründen - Abstand genommen und den Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, weil die "Probleme" des Beschwerdeführers mit den irakischen Behörden nicht auf einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe beruhten, sondern darin gelegen wären, dass man den Beschwerdeführer "zur Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst bewegen wollte".
Eine mündliche Berufungsverhandlung kann u.a. jedenfalls dann nicht entfallen, wenn in der Berufung ein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet wird oder wenn die Berufungsbehörde Sachverhaltsermittlungen durchführt und über das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz hinausgehend zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen treffen will (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308 = VwSlg. 15.014/A, und vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0551, mwN).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer in der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung ausgeführt, dass er die Zusammenarbeit mit dem irakischen Geheimdienst aus Gewissensgründen und politischer Überzeugung abgelehnt habe, und hat seine neuerliche Einvernahme im Berufungsverfahren beantragt. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht auseinander gesetzt, sondern vielmehr festgestellt, der Beschwerdeführer habe die Arbeit für den irakischen Geheimdienst deshalb abgelehnt, weil er "als Diplomingenieur Angst vor einer solchen Tätigkeit hatte". Es trifft zwar zu, dass der Beschwerdeführer dies bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. Juni 1997 aussagte, doch hatte das Bundesasylamt in seinen insgesamt nur wenige Zeilen umfassenden Feststellungen darauf nicht Bezug genommen. Die Berufung enthielt - wie erwähnt - ein neues Vorbringen zu den Gründen für das Verhalten des Beschwerdeführers, dessentwegen er neuerlich inhaftiert zu werden befürchtet habe. Das Bundesasylamt hatte auch zu der Frage, ob dem Beschwerdeführer unabhängig von den wirklichen Gründen für seine Verweigerung einer gegen die PLO und die irakische Opposition in Jordanien gerichteten Zusammenarbeit mit dem irakischen Geheimdienst eine oppositionelle Gesinnung unterstellt worden sei, im Gegensatz zur belangten Behörde noch keinerlei Feststellungen getroffen.
Indem die belangte Behörde ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung die erwähnten Feststellungen getroffen hat, die über jene des Bundesasylamtes hinausgehen und von dem vom Beschwerdeführer in seiner Berufung erstatteten Vorbringen abweichen, hat sie daher den Beschwerdeführer in Rechten verletzt und ihren Bescheid insoweit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
Darüber hinaus ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet, weil nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die vom Beschwerdeführer bereits erlittene und neuerlich befürchtete Verhaftung wegen dessen Weigerung, mit dem irakischen Geheimdienst zusammen zu arbeiten, auch auf einer tatsächlichen oder zumindest unterstellten politischen Gesinnung und damit auf asylrelevanten Gründen beruht. Die im angefochtenen Bescheid zitierte, zu den Asylgesetzen 1968 und 1991 ergangene Vorjudikatur, die das Vorliegen asylrelevanter Verfolgung in Bezug auf Sanktionen wegen der Weigerung eines Asylwerbers, für den Geheimdienst seines Herkunftsstaates tätig zu werden, generell verneinte, ist nicht ohne Differenzierungen aufrecht zu halten. Das in dieser Hinsicht von der belangten Behörde zitierte - sich auf die bei Steiner, Österreichisches Asylrecht (1990) 32, angeführte Vorjudikatur berufende - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. November 1992, Zl. 92/01/0786, das einen rumänischen Staatsangehörigen betraf, erging auf Grundlage des Asylgesetzes 1968 (vgl. auch das ebenfalls eine rumänische Staatsangehörige betreffende Erkenntnis vom 7. Oktober 1993, Zl. 92/01/1015); allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof auch in zum Asylgesetz 1991 ergangenen Erkenntnissen noch ausgesprochen, dass etwa der vom syrischen Geheimdienst auf einen Palästinenser ausgeübte Zwang zur Mitarbeit keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstelle (Erkenntnis vom 8. Juli 1993, Zl. 92/01/1038), und dass die einem Asylwerber aus seiner Weigerung, eine Funktion im Dienste der Staatsgewalt zu übernehmen, allenfalls erwachsenden weiteren Folgen in keinem Zusammenhang mit einem Konventionsgrund stünden (vgl. etwa das sich auf einen türkischen Kurden beziehende Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0222 mit weiteren Hinweisen auf die Vorjudikatur). In Bezug auf den Irak hat der Verwaltungsgerichtshof hingegen dem Umstand, dass einem Angehörigen der Minderheit der chaldäischen Christen wegen des ihm gegenüber erhobenen Vorwurfs der nicht ausreichenden Zusammenarbeit mit dem irakischen Geheimdienst regimefeindliche Umtriebe unterstellt wurden, die Asylrelevanz schon im Erkenntnis vom 9. Mai 1996, Zl. 95/20/0380 - wenn auch unter Hinweis auf die Zugehörigkeit zur erwähnten Minderheit - nicht abgesprochen (vgl. auch den dem hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2000/20/0011, zugrundeliegenden Fall, in dem der unabhängige Bundesasylsenat selbst von der Asylrelevanz der dem Asylwerber wegen verweigerter Zusammenarbeit mit dem armenischen Geheimdienst drohenden Sanktionen ausgegangen ist).
Ob Sanktionen, die an die Weigerung des Asylwerbers anknüpfen, mit staatlichen Behörden - hier: mit dem Geheimdienst - zusammenzuarbeiten, asylrelevant sein können, hängt von den Einzelheiten des jeweils zu beurteilenden Bedrohungsbildes ab. Hiebei darf im vorliegenden Fall nicht außer Acht gelassen werden, dass in Bezug auf den Irak etwa auch die dort drohenden Sanktionen wegen bloßer illegaler Ausreise aus diesem Staat eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verfolgung wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung erfordern können (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0577, vom 27. September 2001, Zl. 99/20/0409, sowie vom heutigen Tag, Zl. 99/20/0160 und Zl. 99/20/0175, jeweils mit weiteren Nachweisen). Jedenfalls für den Irak ist daher bei der Wertung verweigerter Zusammenarbeit mit dem staatlichen Geheimdienst - wobei sich diese Zusammenarbeit noch dazu gegen die irakische Opposition im Ausland richten sollte - näher zu prüfen, ob die gegenüber dem Asylwerber erfolgten und ihm künftig drohenden Sanktionen, sofern solche zu erwarten sind, den Charakter einer Verfolgung wegen einer zumindest unterstellten politischen Gesinnung haben. Indem die belangte Behörde einer Verfolgungsgefahr im Zusammenhang mit den Bemühungen des irakischen Geheimdienstes, den Asylwerber für nachrichtendienstliche Tätigkeit bzw. zur Zusammenarbeit zu gewinnen, generell die Asylrelevanz absprach, ohne sich mit den Einzelheiten der dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Weigerung drohenden Sanktionen auseinanderzusetzen, hat sie den angefochtenen Bescheid daher auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Der angefochtene Bescheid war wegen dieser prävalierenden Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 21. November 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999200545.X00Im RIS seit
27.02.2003