TE Vwgh Erkenntnis 2002/11/26 2000/11/0322

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Veröffentlicht am 26.11.2002
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Index

L92056 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Steiermark;

Norm

SHG Stmk 1977 §23 Abs2;
SHG Stmk 1977 §23 Abs7;
SHG Stmk 1977 §23 Abs8;
SHG Stmk 1998 §23 Abs3 litc;
SHG Stmk 1998 §23 Abs7;
SHG Stmk 1998 §23 Abs8;
SHG Stmk 1998 §44 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Sozialhilfeverbandes L, vertreten durch den Obmann Bürgermeister Dir. G, dieser vertreten durch Dr. Rudolf Siegmund, Rechtsanwalt in 8430 Leibnitz, Hauptplatz 16/1, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 10. Oktober 2000, Zl. 9-18- 377/1997-3, betreffend endgültige Kostentragung iA Sozialhilfe (mitbeteiligte Partei: Landeshauptstadt Graz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem beschwerdeführenden Sozialhilfeverband Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 8. April 1997 wurde einer österreichischen Staatsbürgerin (im Folgenden: A.) gemäß §§ 1, 7 und 10 des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 1/1977 (im Folgenden: SHG 1977), Sozialhilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes gewährt.

Mit Schreiben vom 10. April 1997 ersuchte der Bürgermeister der Stadt Graz den beschwerdeführenden Sozialhilfeverband, die endgültige Kostentragungspflicht für die A. gewährten Sozialhilfeleistungen anzuerkennen. Der beschwerdeführende Sozialhilfeverband sei gemäß §§ 34 und 36 SHG 1977 zur endgültigen Kostentragung verpflichtet, weil A. zur Zeit der Hilfeleistung ihren "ordentlichen Wohnsitz" im dortigen Verwaltungsbereich gehabt habe.

In der Folge wurden A. vom Bürgermeister der Stadt Graz noch weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes gewährt.

Mit Schreiben vom 23. Mai 1997 teilte der beschwerdeführende Sozialhilfeverband dem Bürgermeister der Stadt Graz mit, dass die Anerkennung der endgültigen Kostentragungspflicht abgelehnt werde. A. habe als Kind bei ihrer Mutter in W. gewohnt, von wo sie im Jahre 1973 im Alter von 17 Jahren "nach unbekannt" verzogen sei. Sie sei seither nie in W. wohnhaft gewesen. Auf telefonische Befragung habe A. angegeben, dass sie Jahre in Deutschland und zuletzt bis April 1997 in Slowenien gewohnt habe.

Anlässlich einer beim Magistrat Graz aufgenommenen Niederschrift vom 2. Juli 1997 gab A. an, sie habe bis zu ihrem 17. Lebensjahr bei ihrer Mutter in W. gelebt. Im Jahr 1973 sei sie nach Deutschland übersiedelt, wo sie bis 1995 gelebt habe. Von 1995 bis zum 27. März 1997 habe sie sich in Slowenien aufgehalten. Seit 27. März 1997 wohne sie in Graz, A.-Gasse 22. Zwischen 1973 und 1997 habe sie sich nie in Österreich aufgehalten.

Mit Schreiben vom 7. Juli 1997 übermittelte der Bürgermeister der Stadt Graz dem beschwerdeführenden Sozialhilfeverband die mit A. am 2. Juli 1997 aufgenommene Niederschrift mit dem neuerlichen Ersuchen um Anerkenntnis der Kostentragungspflicht gemäß § 35 SHG 1977.

Mit Schreiben vom 18. August 1997 teilte der beschwerdeführende Sozialhilfeverband dem Bürgermeister der Stadt Graz mit, dass die endgültige Kostentragungspflicht nach wie vor abgelehnt werde. A. habe den Haushalt der Mutter vor rund 25 Jahren verlassen und in dieser Zeit verschiedene Wohnsitze begründet. Im gegenständlichen Fall könne § 35 SHG 1977 nicht mehr angewendet werden, da durch den EWR-Beitritt Österreichs allen Bürgern der Mitgliedsländern die freie Wahl des Aufenthaltes gestattet sei (faktische Einheitsbürgerschaft). Darüber hinaus sei festzuhalten, dass A. ihren Wohnsitz am 27. März 1997 nach Graz verlegt habe und die Hilfsbedürftigkeit ab dem Zeitpunkt des Zuzuges erst dort eingetreten sei.

Daraufhin übermittelte der Bürgermeister der Stadt Graz mit Schreiben vom 25. September 1997 der Steiermärkischen Landesregierung den gegenständlichen Sozialhilfeakt "zur Entscheidung bezüglich der endgültigen Kostentragung gemäß § 34/7Stmk. Sozialhilfegesetz".

"Auf Grund des Antrages des Magistrates Graz" entschied die Steiermärkische Landesregierung mit Bescheid vom 10. Oktober 2000 gemäß § 34 SHG 1977, dass der beschwerdeführende Sozialhilfeverband verpflichtet sei, die ungedeckten Kosten endgültig zu tragen. In der Begründung führte die Steiermärkische Landesregierung aus, es sei im gegenständlichen Fall das damals geltende Sozialhilfegesetz anzuwenden, da sich der Sachverhalt vor Inkrafttreten des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes LGBl. Nr. 29/1998 (im Folgenden: SHG 1998) ereignet habe. A. sei im Jahre 1973 aus dem Bezirk Leibnitz nach Deutschland verzogen. Nach ihrer Scheidung sei sie von Deutschland nach Slowenien und von dort laut Meldezettel vom 7. April 1997 nach Graz, A.-Gasse 22, verzogen. Im Bereich des Magistrates Graz sei Hilfsbedürftigkeit eingetreten. Gemäß § 35 SHG 1977 sei bei Übertritt aus dem Ausland jener Sozialhilfeverband zur Kostentragung endgültig verpflichtet, in dessen Bereich der Hilfsbedürftige vor seinem Übertritt ins Ausland den "ordentlichen Wohnsitz" gehabt habe. Dies sei im Anlassfall im Bezirk L gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die im Beschwerdefall im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Bestimmungen des SHG 1998, lauten (auszugsweise):

"§ 23

Vorläufige und endgültige Kostentragung

(1) a) Zur vorläufigen Tragung der Kosten ist jener Sozialhilfeverband (Stadt Graz) verpflichtet, in dessen örtlichem Wirkungsbereich sich der Hilfsbedürftige aufhält (Aufenthaltsverband).

b) Bei Hilfeleistungen in Anstalten, Kasernen, Heimen, betreuten Wohngemeinschaften und ähnlichen Einrichtungen ist jener Sozialhilfeverband (Stadt Graz) zur vorläufigen Tragung der Kosten verpflichtet, in dessen örtlichem Wirkungsbereich der Hilfsbedürftige vor der Aufnahme seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Ist der gewöhnliche Aufenthalt nicht bekannt, so trifft den Aufenthaltsverband die Pflicht zur vorläufigen Kostentragung.

(2) Die endgültige Tragung der Kosten obliegt jenem Sozialhilfeverband (Stadt Graz), in dessen örtlichem Wirkungsbereich der Hilfsbedürftige vor Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens von Amts wegen in den letzten 180 Tagen an mindestens 91 Tagen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

(3) Bei der Berechnung der Fristen nach Abs. 2 bleiben außer Betracht:

a) der Aufenthalt in stationären Einrichtungen wie Anstalten, Kasernen, Heimen, Pflegeeinrichtungen, die einer behördlichen Anzeigepflicht unterliegen, betreuten Wohngemeinschaften und ähnlichen Einrichtungen;

b) die Zeiten der anderweitigen Unterbringung im Rahmen der Behindertenhilfe und der Jugendwohlfahrt, einschließlich Zeiten, für die gemäß § 46 Steiermärkisches Jugendwohlfahrtsgesetz Kostenzuschüsse gewährt wurden;

c) der Aufenthalt im Ausland bis zur Dauer von zehn Jahren.

(4) Falls eine endgültige Verpflichtung nach Abs. 2 nicht festgestellt werden kann, trifft den nach Abs. 1 zuständigen Sozialhilfeverband (Stadt Graz) auch die Pflicht, die Kosten der Hilfe endgültig zu tragen.

...

(7) Rückersatzansprüche der Sozialhilfeträger gegeneinander verjähren nach Ablauf von drei Jahren ab Erbringung der Hilfeleistung. Durch Einleitung eines Verfahrens nach Abs. 8 wird der Lauf der Verjährungsfrist unterbrochen. Anerkannte oder nach Abs. 8 rechtskräftig festgestellte Ersatzansprüche verjähren nach Ablauf von 30 Jahren.

(8) Über Streitigkeiten hinsichtlich der Pflicht, die Kosten endgültig zu tragen, entscheidet die Landesregierung.

...

§ 44

Übergangsregelung für die Weitergeltung von Sozialhilfeleistungen

und die Kostenerstattung

...

(2) Ersatzansprüche für nach den Bestimmungen des SHG, LGBl. Nr. 1/1977, i. d. F. LGBl. Nr. 53/1996, gewährte Leistungen sind nach den Bestimmungen dieses Gesetzes geltend zu machen. Ersatzansprüche, die bereits rechtskräftig festgestellt oder vertraglich vereinbart sind, bleiben unberührt. Dasselbe gilt für Ansprüche, deren Übergang nach den durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften bereits bewirkt worden ist.

..."

2.1. Das SHG 1998 ist am 1. Mai 1998 in Kraft getreten. Gleichzeitig trat das SHG 1977 außer Kraft. Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Bestimmungen des SHG 1977 zu Grunde. Im Hinblick darauf, dass das SHG 1998 bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten ist, stellt sich die Frage, ob die belangte Behörde nicht bereits die neue Rechtslage anzuwenden gehabt hätte.

Zunächst ist festzuhalten, dass für jene Leistungen der Sozialhilfe, die nach Inkrafttreten des SHG 1998 gewährt wurden, die endgültige Pflicht zur Tragung der Kosten jedenfalls nach den Bestimmungen des SHG 1998 zu beurteilen ist.

Im angefochtenen Bescheid finden sich jedoch keine Feststellungen dazu, welche Leistungen konkret für welche Zeiträume gewährt wurden. Es ist daher für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich, ob die belangte Behörde auch über die endgültige Tragung der Kosten bezüglich Leistungen, die nach Inkrafttreten des SHG 1998 gewährt wurden, entschieden hat. Diesem Feststellungsmangel kommt jedoch aus nachfolgenden Gründen für die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides keine Bedeutung zu:

Nach der Übergangsregelung des § 44 Abs. 2 SHG 1998 sind Ersatzansprüche für nach den Bestimmungen des SHG 1977 gewährte Leistungen nach den Bestimmungen dieses Gesetzes (gemeint: des SHG 1998) geltend zu machen, wobei Ersatzansprüche, die bereits rechtskräftig festgestellt oder vertraglich vereinbart sind, unberührt bleiben.

Aus § 23 Abs. 7 letzter Satz SHG 1998, wonach anerkannte oder "nach Abs. 8 rechtskräftig festgestellte Ersatzansprüche" nach Ablauf von 30 Jahren verjähren, ergibt sich, dass auch Entscheidungen der Landesregierung über Streitigkeiten hinsichtlich der Pflicht, die Kosten endgültig zu tragen, als solche über "Ersatzansprüche" zu verstehen sind. Diesbezüglich besteht im Übrigen kein Unterschied zur alten Rechtslage nach dem SHG 1977 (§ 23 Abs. 7 letzter Satz und Abs. 8). Die Übergangsregelung des § 44 Abs. 2 SHG 1998 bezieht sich demnach auch auf Entscheidungen der Landesregierung über Streitigkeiten der in § 23 Abs. 8 SHG 1998 genannten Art. Die endgültige Pflicht zur Tragung der Kosten für Leistungen, die noch nach den Bestimmungen des SHG 1977 gewährt worden sind, ist daher - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nach den Bestimmungen des SHG 1998 zu beurteilen.

Da die gegenständlichen Ersatzansprüche der Stadt Graz für die nach den Bestimmungen des SHG 1977 gewährten Leistungen bei Inkrafttreten des SHG 1998 unstrittig weder bereits rechtskräftig festgestellt noch vertraglich vereinbart waren, hätte die belangte Behörde auch hinsichtlich dieser Leistungen nach den Bestimmungen des SHG 1998 zu prüfen gehabt, wen die endgültige Pflicht zur Tragung dieser Kosten trifft.

2.2. Gemäß § 23 Abs. 2 SHG 1998 obliegt die endgültige Tragung der Kosten jenem Sozialhilfeverband (bzw. gegebenenfalls der Stadt Graz), in dessen örtlichem Wirkungsbereich der Hilfsbedürftige vor Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens von Amts wegen in den letzten 180 Tagen an mindestens 91 Tagen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Bei der Bestimmung dieser Zeiträume bleibt gemäß § 23 Abs. 3 lit. c SHG 1998 der Aufenthalt im Ausland bis zur Dauer von zehn Jahren außer Betracht. Ein Aufenthalt im Ausland bis zur Dauer von zehn Jahren hat daher weder Auswirkungen auf den Beurteilungszeitraum von 180 Tagen, der sich dementsprechend auf die Zeit vor dem Aufenthalt im Ausland verschiebt, noch auf die Frage, in wessen örtlichem Wirkungsbereich der Hilfsbedürftige innerhalb des Beurteilungszeitraumes an mindestens 91 Tagen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dauert der Aufenthalt im Ausland länger als zehn Jahre, so ist die über den zehn Jahren liegende Zeit in die Zeiträume nach § 23 Abs. 2 SHG 1998 mit einzubeziehen.

Falls eine endgültige Verpflichtung nach § 23 Abs. 2 SHG 1998 nicht festgestellt werden kann, so trifft gemäß § 23 Abs. 4 SHG 1998 die endgültige Tragung der Kosten jenen Sozialhilfeverband (Stadt Graz), der auch zur vorläufigen Tragung der Kosten verpflichtet ist.

In Verkennung der dargelegten Rechtslage hat es die belangte Behörde unterlassen, die nach den bisherigen Ausführungen erforderlichen Feststellungen über den gewöhnlichen Aufenthalt von A. während des Beurteilungszeitraumes zu treffen.

Sollte A. - wie es im angefochtenen Bescheid angedeutet wird -

nach ihrem Aufenthalt im Ausland tatsächlich direkt nach Graz zugezogen sein, so wird zunächst zu prüfen sein, ob A. in den letzten 180 Tagen vor Antragstellung an mindestens 91 Tagen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Graz hatte. Wenn ja, so ergäbe sich die endgültige Kostentragungspflicht der Stadt Graz aus § 23 Abs. 2 SHG 1998. Auch wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, könnte freilich als endgültiger Kostenträger nicht der beschwerdeführende Sozialhilfeverband in Betracht kommen, weil A. sich vor ihrem Aufenthalt in Graz unstrittig weit über 20 Jahre im Ausland aufgehalten hat. In diesem Fall wäre die Stadt Graz gemäß § 23 Abs. 4 SHG 1998 endgültiger Kostenträger. Im Übrigen räumt auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ein, dass bei Anwendung der Bestimmungen des SHG 1998 die endgültige Kostentragung die Stadt Graz träfe.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seine Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.

Wien, am 26. November 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000110322.X00

Im RIS seit

05.03.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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