TE Vfgh Erkenntnis 1999/10/15 B3104/97

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Veröffentlicht am 15.10.1999
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Tir VergabeG §1

Leitsatz

Aufhebung des Bescheides im Anlaßfall nach Einstellung des Verfahrens zur Prüfung einer Bestimmung des Tir VergabeG mangels Präjudizialität; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Überprüfung einer Auftragsvergabe aus dem Dienstleistungsbereich durch das Tiroler Landesvergabeamt (TVA)

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Land Tirol hat durch die Präsidialabteilung V des Amtes der Tiroler Landesregierung einen Dienstleistungsauftrag für die Durchführung von EDV-Schulungen für 1997/98 und 1998/99 im offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Ausschreibung war sodann "aus zwingenden Gründen" aufgehoben worden, doch behob das Landesvergabeamt beim Amt der Tiroler Landesregierung (künftig: TVA) diese Entscheidung mit einem am 6. Oktober 1997 verkündeten Bescheid. Sodann wurde aufgrund einer - im Rundlauf eingeholten - Entscheidung der Tiroler Landesregierung vom 7. Oktober 1997 noch an diesem Tag der Auftrag an jenen Bieter erteilt, der zum niedrigsten Preis angeboten hatte.

Dagegen wandte sich die nicht zum Zuge gekommene, nunmehr beschwerdeführende OEG und beantragte beim TVA unter anderem die Aufhebung des erwähnten Beschlusses der Tiroler Landesregierung und der Zuschlagserteilung sowie die Feststellung, daß der Zuschlag wegen einer Rechtswidrigkeit nicht dem Bestbieter erteilt wurde.

Mit Bescheid vom 4. November 1997 entschied das TVA, daß ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Tiroler Vergabegesetzes, LGBl. 87/1994, (künftig: TirVergG) oder gegen eine aufgrund dieses Gesetzes ergangene Verordnung "nicht feststellbar" sei und daß "die Anträge ... nicht berechtigt" seien.

Seine Zuständigkeit zur Durchführung des Nachprüfungsverfahrens (nach Zuschlagserteilung) stützte das TVA, wie aus dem angefochtenen Bescheid hervorgeht, auf die in bezug auf den Anwendungsbereich durch die Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG erweiterte sog. allgmeine Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdevorwürfen entgegentritt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 26. Februar 1999 ein zu G43/99 protokolliertes Verfahren zur Prüfung einiger Worte in §1 Abs1 lita des TirVergG eingeleitet, dieses Verfahren aber mit Beschluß vom 14. Oktober 1999 mangels Präjudizialität der in Prüfung genommenen Bestimmung eingestellt. Weder habe das TVA den bekämpften Bescheid auf Bestimmungen des TirVergG gestützt noch sei es denkmöglich anzunehmen, es hätte dieses Gesetz anzuwenden gehabt.

Hinsichtlich seiner Zuständigkeit ging das TVA von der im Verfahren unbestritten gebliebenen Annahme aus, daß es sich bei der zur Überprüfung stehenden Vergabe um eine solche im Dienstleistungsbereich handelt und daß das TirVergG auf derartige Vergaben keine Anwendung findet. Das TVA stützte seine Zuständigkeit auf die allgemeine Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG (ABl. 1989 L 395, S 33) idF der Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG (ABl. 1992 L 209, S 1). Dies zu Unrecht:

Der Verfassungsgerichtshof hat schon in seiner Entscheidung VfSlg. 15106/1998 unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. Dorsch Consult (Slg. 1997, I-4961 ff.) darauf hingewiesen, daß sich die Zuständigkeit zur Kontrolle von Vergabeentscheidungen nicht aus einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsmittelrichtlinien ergebe, sondern angesichts der Bestimmungen der Art18 Abs1 und 83 Abs2 B-VG einer gesetzlichen Festlegung bedürfe. Er hat weiters dargetan, daß die Kompetenz zur Feststellung, ob der Zuschlag an den Bestbieter erteilt wurde oder nicht, "nach den Vergabegesetzen systematisch gesehen nur ein Element einer schadenersatzrechtlichen Sanktion für das Fehlverhalten öffentlicher Auftraggeber bei Zuschlagserteilung darstellt", also eine schadenersatzrechtliche Frage betrifft, zu deren Klärung mangels ausdrücklicher abweichender gesetzlicher Zuständigkeitszuweisung die ordentlichen Gerichten zuständig bleiben (vgl. §1 JN). (Der Gerichtshof hat in dieser Entscheidung dargelegt, daß weder dagegen noch auch gegen eine Übertragung dieser Kompetenz an besondere Vergabekontrolleinrichtungen unter den Gesichtspunkten des Rechtsstaatsprinzips und des Gleichheitsgrundsatzes verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, sofern diese Behörden als Tribunale im Sinne des Art6 EMRK eingerichtet sind, und daß es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch nicht verwehrt sei, diese Kompetenz in Fällen bestimmter Konstellation einer besonderen Behörde (etwa dem BVA) zuzuweisen und im übrigen in der Zuständigkeit der Gerichte zu belassen.) In seinen Entscheidungen VfSlg. 15204/1998 und 15228/1998 hat der Gerichtshof diese Auffassung ausdrücklich bestätigt.

Angesichts dessen bestand im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich von Dienstleistungsaufträgen keine Zuständigkeit des TVA zur Feststellung, ob der Zuschlag dem Bestbieter erteilt wurde. Da weder eine Bestimmung des TirVergG von 1994 noch eine andere innerstaatliche, noch eine unmittelbar anwendbare gemeinschaftsrechtliche Rechtsvorschrift dem TVA eine solche Kompetenz ausdrücklich zuwies, lag sie in dem für die Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Zeitpunkt bei den ordentlichen Gerichten.

Indem die belangte Behörde dies verkannte und ihre Zuständigkeit als gegeben erachtete, nahm sie eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihr nach dem Gesetz nicht zukam und verletzte nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfSlg. 9696/1983, 11405/1987) dadurch die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem durch Art83 Abs2 B-VG gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangehende mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Vergabewesen, Behördenzuständigkeit, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B3104.1997

Dokumentnummer

JFT_10008985_97B03104_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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