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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des T, geboren 1974, vertreten durch Mag. Dr. Erhard Buder und DDr. Gabriele Herberstein, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Lerchenfelderstraße 94, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. September 2002, Zl. SD 740/02, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 17. September 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen chinesischen Staatsangehörigen, gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 48 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei im Sommer 1989 im Alter von 14 Jahren nach Österreich zu seinen bereits hier lebenden Eltern gekommen. Am 19. Mai 1998 sei ihm eine unbefristete Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck erteilt worden. Am 18. November 1997 habe der Beschwerdeführer eine chinesische Staatangehörige geheiratet. Dieser sei am 7. November 2000 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden.
Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 29. Oktober 2001 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a Abs. 1 StGB und wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs. 1 und Abs. 3 FrG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden.
Er habe sich an einer auf längere Zeit angelegten, unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der Schlepperei ausgerichtet gewesen sei, als Mitglied beteiligt. Die unternehmensähnliche Verbindung habe dadurch eine Bereicherung in großem Umfang angestrebt. Sie habe sich auf besondere Weise durch ständigen Wechsel der zur Verständigung benutzten Mobiltelefone, durch Verwendung falscher Namen und unrichtiger Dokumente sowie unter Ausnützung der schwierigen persönlichen Unterscheidbarkeit gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht. Es habe sich um hierarchisch gegliederte, arbeitsteilig von China über Ungarn, die Slowakei und Tschechien in Österreich operativ tätige Gruppen gehandelt.
Der Beschwerdeführer sei zunächst Mitglied der Gruppe eines gewissen Chao F.W. gewesen. Nach Beendigung dieser Zusammenarbeit habe der Beschwerdeführer mit einem ungarischen Schlepper die Weiterschleusung bestimmter Chinesen gegen Bezahlung vereinbart. Er habe erstmals am 14. oder 15. Dezember 2000 den Auftrag erhalten, zwölf zur Weiterschleusung bestimmte Chinesen zu übernehmen und deren Ausschleusung in das jeweilige Zielland zu veranlassen. Diesen Auftrag habe der Beschwerdeführer wiederum an Komplizen weitergegeben. Die Mitglieder der Organisation hätten im Zuge dieser Schleusungen auf die Gesundheit der geschleppten Personen nur wenig Rücksicht genommen. In den Quartieren habe ein Mitglied als "Aufpasser" fungiert, dessen Aufgabe im Fall ungehorsamen Verhaltens auch darin bestanden habe, durch gewalttätige Handlungen gegen Aufrührer wieder für Ordnung zu sorgen. Die Geschleppten seien von den Mitgliedern der Organisation ausschließlich als Ware betrachtet und auch wie Frachtgut behandelt worden. Insgesamt habe der Beschwerdeführer in der Zeit von Anfang September 2000 bis zum 16. Dezember 2000 hinsichtlich einer nicht mehr (genau) feststellbaren Gesamtzahl von ca. 200 Personen (chinesischen Staatsangehörigen) gegen ein Entgelt mit Aktivitäten in seiner Bande die Tätigkeit der in Österreich gleichzeitig agierenden weiteren Banden unterstützt. Bezüglich der detaillierten Tathandlungen verwies die belangte Behörde auf ein im Verwaltungsakt befindliches, 167 Seiten umfassendes Strafurteil.
Die mangelnde Rechtsverbundenheit des Beschwerdeführers komme auch dadurch zum Ausdruck, dass er zuvor schon zahlreiche Verwaltungsstrafbestimmungen übertreten habe. So sei er sowohl im Jahr 1998 als auch im Jahr 2000 wegen § 5 Abs. 1 StVO ("alkoholisiertes Lenken eines Kraftfahrzeuges") rechtskräftig bestraft worden.
Die vorzeitige Entlassung des Beschwerdeführers aus der Gerichtshaft nach Verbüßung von zwei Dritteln der erwähnten Freiheitsstrafe sei keine Garantie für ein künftiges Wohlverhalten. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers liege auch noch nicht so lange zurück, dass auf Grund des seither verstrichenen Zeitraumes von einem Wegfall oder doch einer wesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgegangen werden könne.
Der als Orientierungsmaßstab heranzuziehende Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 5 FrG sei erfüllt. Das Verhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit, weshalb die im § 48 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.
Der Beschwerdeführer sei für ein minderjähriges, aus seiner Ehe stammendes Kind sorgepflichtig. Im Bundesgebiet lebten neben seiner Ehefrau und seinem Kind überdies die Eltern sowie ein Bruder des Beschwerdeführers, die bereits österreichische Staatsbürger seien. Der Beschwerdeführer sei mit Unterbrechungen einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, zuletzt jedoch ohne Beschäftigung gewesen. Er werde nach seiner Haftentlassung in einem Chinarestaurant in Wien als Kellner arbeiten.
Es sei somit von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen, nicht unbeträchtlichen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auch bei Abwägung des öffentlichen mit den privaten Interessen des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig. Ein Sachverhalt gemäß § 38 FrG sei nicht gegeben, zumal der Beschwerdeführer nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sei. Auch die Bestimmung des § 48 Abs. 1 zweiter Satz FrG stehe der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer im November 1997 geheiratet habe und somit nicht mehr als die Hälfte der Zeit verheiratet gewesen sei.
In Ermangelung sonstiger zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe keine Veranlassung bestanden, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Rahmen des der belangten Behörde zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Im Hinblick auf die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe wäre eine solche Ermessensübung auch nicht mit dem Sinn des Gesetzes in Übereinstimmung gestanden.
2. Gegen diese Beschwerde richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 48 Abs. 1 erster Satz FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen begünstigte Drittstaatsangehörige - dazu zählen gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 47 Abs. 3 Z. 1 FrG Ehegatten von Österreichern, somit auch der Beschwerdeführer - nur zulässig, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen und seine Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten. Er bringt jedoch vor, die Befürchtung der Begehung von weiteren strafbaren Handlungen sei wegen seiner (geständigen) Verantwortung im Lauf des gesamten Strafverfahrens und im Hinblick auf das gespürte Übel der Verbüßung der Freiheitsstrafe "vollkommen entkräftet". Diese Auffassung sei auch vom Vollzugsgericht bestätigt worden, wonach dieses nach Abwägung aller speziellen und generellen Präventionsgründe beschlossen habe, den Beschwerdeführer vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Dies hätte bei der Frage der Erforderlichkeit des Aufenthaltsverbotes berücksichtigt werden müssen.
Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2000 im Rahmen einer kriminellen Organisation in großem Umfang Schlepperei betrieben hat, wobei die Mitglieder der Organisation im Zuge der Schleusungen auf die Gesundheit der geschleppten Personen nur wenig Rücksicht nahmen, sie als Ware betrachteten und wie Frachtgut behandelten, begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung gefährde (und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 48 Abs. 1 erster Satz FrG zulässig sei), keinem Einwand, zumal auch die in der Beschwerde vorgebrachten Umstände keine Gewähr dafür bieten, dass der Beschwerdeführer sich in Zukunft gesetzestreu verhalten werde. Die Erwägungen des Strafgerichtes, die der bedingten Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft zu Grunde lagen, können an diesem Ergebnis nichts ändern, weil die belangte Behörde das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den genannten gerichtlichen Erwägungen zu beurteilen hatte (vgl. hinsichtlich der Erwägungen betreffend die Strafbemessung bzw. die Gewährung bedingter Strafnachsicht die hg. Erkenntnisse vom 24. Jänner 2002, Zl. 2000/21/0006, und vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/18/0253). Auch der (im Zusammenhang mit der Interessenabwägung nach § 37 FrG vorgebrachte) Umstand, dass der Beschwerdeführer schon im Alter von 14 Jahren nach Österreich gekommen sei, macht das Aufenthaltsverbot nicht unzulässig, zumal der Beschwerdeführer damit nicht von klein auf im Inland aufgewachsen ist (§ 38 Abs. 1 Z 4 FrG).
2.1. Im Grund des § 37 FrG bringt der Beschwerdeführer vor, dass er bereits als minderjähriges Kind im Alter von 14 Jahren am 25. August 1989 in das Bundesgebiet eingereist sei und hier fast die Hälfte seines Lebens verbracht habe. Alle seine Familienmitglieder besäßen die österreichische Staatsbürgerschaft und seien in Österreich aufhältig. Außerdem habe der Beschwerdeführer die Möglichkeit, rasch einen Arbeitsplatz zu finden. Der Verurteilung des Beschwerdeführers sei "in keiner Weise ein so großes verbrecherisches Potenzial" zu entnehmen. Der Beschwerdeführer sei bereits im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen voll geständig gewesen und habe durch seine Aussage zur Aufklärung der Straftat beigetragen. Ziehe man die Freiheitsstrafen aller Mitangeklagten in Betracht, so könne "bei Verhängung einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren nur von einer untergeordneten Beteiligung an der Straftat die Rede sein."
Die zwangsweise Trennung auf unbefristete Dauer von seiner in Österreich lebenden Familie bedeute zumindest im Hinblick auf die geografische Entfernung einen schwerwiegenden und menschlich untragbaren Eingriff in sein Privat- und Familienleben. Der Beschwerdeführer wäre in China völliger Obdach- und Mittellosigkeit preisgegeben.
2.2. Den Ausführungen des Beschwerdeführers kann nicht beigepflichtet werden.
Bei der Interessensabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer seine Einreise nach Österreich im Alter von 14 Jahren, die Dauer seines inländischen Aufenthaltes sowie das Zusammenleben mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind zugute gehalten. Sie hat auch berücksichtigt, dass sich seine Eltern und sein Bruder ebenfalls in Österreich befinden und dass der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung in einem Chinarestaurant als Kellner arbeiten könne.
Dieser - in ihrer sozialen Komponente durch seine gravierenden Straftaten sowie durch die erwähnten Verstöße gegen § 5 Abs. 1 StVO allerdings ganz erheblich beeinträchtigten - Integration des Beschwerdeführers steht die Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen durch das massive Fehlverhalten des Beschwerdeführers gegenüber. Dieses stellt eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. April 2002, Zl. 2002/18/0054), und zwar insbesondere im Hinblick auf die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei einer kriminellen Vereinigung und darauf, dass der Beschwerdeführer gewerbsmäßig, dass heißt in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Straftat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (§ 70 StGB), vorgegangen ist. Daher stößt die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), auf keinen Einwand. An diesem Ergebnis kann auch der Umstand nichts ändern, dass der Beschwerdeführer bereits mit 14 Jahren nach Österreich gekommen ist und nun mit seiner Familie hier lebt, denn gegenüber einem derart gravierenden Fehlverhalten und der daraus abzuleitenden Prognose einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch einen Verbleib des Beschwerdeführers im Inland haben seine zweifellos ebenfalls gewichtigen persönlichen Interessen zurückzutreten. Dem Einwand der drohenden Obdach- und Mittellosigkeit in China ist entgegenzuhalten, dass mit einem Aufenthaltsverbot nicht darüber abgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) dorthin abgeschoben werde.
3. Zu Recht hat die belangte Behörde ausgeführt, dass eine auf der Ausübung des (gemäß § 48 Abs. 1 FrG eingeräumten) Ermessens beruhende Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) erfolgen würde, weil der Beschwerdeführer in einer dem § 35 Abs. 3 FrG entsprechenden Weise rechtskräftig verurteilt worden ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2001, Zl. 2001/18/0096).
4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 26. November 2002
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002180244.X00Im RIS seit
18.03.2003