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32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;Norm
EStG 1972 §47 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde der C E in W, vertreten durch Dr. Hermann Geissler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stallburggasse 4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. März 1997, Zl. GA 8 - 2017/93, betreffend Haftung für Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und Vorschreibung eines Säumniszuschlages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 938,52 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin betrieb in den Streitjahren ein Unternehmen für Kleintransporte und Botendienste. Im Gefolge einer Lohnsteuerprüfung für den Zeitraum vom 1. Jänner 1988 bis zum 30. Juni 1992 kam der Prüfer zum Ergebnis, dass "die Werkverträge mit den Kraftfahrern ... nicht als selbständige Tätigkeit anerkannt" würden. Für die Berechnung der Lohnsteuer sei ein Durchschnittssatz ermittelt worden.
Mit Bescheid vom 18. September 1992 über den Prüfungszeitraum vom 1. Jänner 1988 bis 31. Dezember 1991 folgte das Finanzamt dem Prüferbericht, zog die Beschwerdeführerin zur Haftung für Lohnsteuer heran und setzte den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen, den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und einen Säumniszuschlag für zu wenig entrichteten Dienstgeberbeitrag fest.
Mit "gemäß § 200 BAO vorläufigem Bescheid" vom 7. September 1992 über den Prüfungszeitraum vom 1. Jänner 1992 bis 30. Juni 1992 zog das Finanzamt die Beschwerdeführerin zur Haftung für Lohnsteuer heran und setzte den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag fest.
Die Beschwerdeführerin erhob mit Schriftsatz vom 6. Oktober 1992 "Berufung gegen Lohnsteuerprüfung für die Geschäftsjahre 1988 bis 1991, ergänzend das 1. Hj. 1992". Ihre "gegen das Ergebnis der Lohnsteuerprüfung" erhobene Berufung begründete die Beschwerdeführerin in einem ergänzenden Schriftsatz damit, dass die Fahrer das Fahrzeug von der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellt erhalten hätten und dieses nach ihrem freien Unternehmungsgeist haben einsetzen können. Lediglich reine Privatfahrten seien untersagt gewesen. Dem Vertragspartner sei es frei gestellt gewesen, wann er mit seiner Tätigkeit beginne, wo er diese ausübe (in welchem der Wiener Bezirke) und wann er sie beende. Die Erteilung von Aufträgen sei direkt von der Funkzentrale Funk-Trans erfolgt. Die Beschwerdeführerin sei den Fahrern gegenüber nicht weisungsbefugt gewesen. Die Vertragspartner hätten die Aufträge von Funk-Trans erhalten; es sei dem Geschick des Vertragspartners überlassen gewesen, wie viel Umsatz er mit dem Fahrzeug mache. Im Gegenzug dazu seien 70 % der Einnahmen an die Beschwerdeführerin abzuliefern gewesen und habe der Vertragspartner 30 % behalten. Dass es sich nicht um ein Dienstverhältnis habe handeln können, ergebe sich auch daraus, dass die Vertragsdauer bei mehr als 50 der freien Mitarbeiter höchstens die zweiwöchige Mindestfrist, welche im Vertrag genannt sei, angedauert habe.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 19. April 1993 gab das Finanzamt der Berufung teilweise statt. Unter der Annahme, dass "etliche" der rund 230 verschiedenen Kraftfahrer die steuerliche Grenze nicht erreicht hätten, sei die Lohnsteuer für das Jahr 1988 mit 15 % und ab dem Jahr 1989 mit 10 % (gegenüber 18 % und 13 % im mit Berufung bekämpften Bescheid) "pauschal nachgefordert" worden. Im Übrigen könne der Berufung "nicht Folge geleistet werden". Die drei vorgelegten "Werkverträge" mit den Funkfahrern Po., Sl. und Pu., welche als Modellverträge offensichtlich auch für alle anderen von der Berufung betroffenen Funkfahrer Geltung gehabt hätten, würden folgende entscheidungswesentliche Vertragsinhalte aufweisen:
"1.) Die Arbeitsmittel (KfZ einschließlich der Funkanlage) wurden generell von der Fa. E. zur Verfügung gestellt; von ihr wurden auch alle laufenden Kosten (Betriebs- u. Versicherungskosten) getragen.
2.) Die Firma stellt 'Know-how' zur Verfügung und gibt Einschulung.
3.) Die Fahrer dürfen ausschließlich für die Firma E. (in ihrem Namen und auf ihre Rechnung) Funkfahrten tätigen. Eigenmächtige Privatfahrten sind untersagt.
4.) Es dürfen ausschließlich die vorgegebenen Beförderungstarife angewendet werden. Strengste Belegregelung.
5.) Verpflichtung der Fahrer, die Bareinnahmen täglich und genau im Büro der Firma E. abzurechnen.
6.) Die Entlohnung erfolgt (zweiwöchentlich/monatlich) durch die Fa. mit Pauschalsätzen der jeweiligen Umsätze (Provisionsabrechnung).
7.) Die Funkfahrer sind der Fa. E. gegenüber in organisatorischen Fragen weisungsgebunden (zB. Erteilung von Fahrtaufträgen); Funksperren gegenüber der Funkzentrale sind unzulässig."
Wie von den anderen Funkfahrern schriftlich erklärt worden sei, seien die Arbeitsbedingungen und die Tätigkeit bei der Beschwerdeführerin für alle Funkfahrer gleich gewesen, unabhängig davon, ob sie auf eigenen Wunsch als "Selbständige" Honorare erhalten oder aber dieses Angebot der Beschwerdeführerin abgelehnt und deshalb als Dienstnehmer mit Lohnsteuerkarte abgerechnet worden seien.
Dem Funkfahrer sei also keinerlei Freiraum offen gestanden, im eigenen Namen und auf eigenes Risiko (eigene Kostenkalkulation) Fahrtaufträge zu tätigen oder Funkaufträge generell abzulehnen. Die in den Verträgen dargestellten wesentlichen Inhalte würden überwiegend für das Vorliegen von Dienstverhältnissen sprechen, insbesondere dadurch, dass alle Funkfahrer unter genereller Beistellung der Funkfahrzeuge (auf Kosten der Beschwerdeführerin) verpflichtet gewesen seien, nur für die Beschwerdeführerin Fahrten zu tätigen, ohne sich nach Belieben durch selbst gewählte Dritte vertreten lassen zu können, oder auch dass sie alle der Beschwerdeführerin gegenüber persönlich weisungsgebunden gewesen seien (zumindest in Bezug auf alle organisatorischen Angelegenheiten; Verpflichtung zur täglichen und persönlichen Einnahmenabrechnung im Firmenbüro). Auch die vertragliche Eingliederung in den Funkfahrtdienst mit der Verpflichtung, gemäß den Fahrordnungen Aufträge übernehmen zu müssen, spreche gegen eine selbständige Tätigkeit.
Die Nachforderung für rund 230 verschiedene Kraftfahrer, deren Lohnsteuer nicht nach einem Jahreszeitraum, sondern für den für die meisten Fahrer nur kurzen Lohnzahlungszeitraum zu ermitteln sei, sei mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden gewesen und habe deshalb in einem Pauschbetrag erfolgen können.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz und führte dazu u. a. aus, dass die Funkfahrer in keiner Richtung weisungsgebunden seien. Tatsächlich könne der Funkfahrer handeln, wie er meine (wolle): reagiere er nicht auf das Funkgerät, werde ein anderer ersucht, die "Erledigung" durchzuführen; selbst wenn er reagiere, könne der Funkfahrer noch "ausweichen", etwa mit den Argumenten "brauche Pause, Erholungsphase vom Auftrag, Verweis auf spätere (baldige) Arbeiten, usw."
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde "den Berufungen" teilweise Folge gegeben und hinsichtlich der Höhe der Abgaben auf die Berufungsvorentscheidung verwiesen. Der vorläufige Bescheid vom 7. September 1992 über den Prüfungszeitraum vom 1. Jänner 1992 bis zum 30. Juni 1992 wurde für endgültig erklärt.
Zur Begründung verwies die belangte Behörde ebenfalls auf die Berufungsvorentscheidung. Ergänzend führte die belangte Behörde an, dass die Beschwerdeführerin sowohl die Kosten für die Arbeitsmittel als auch die damit im Zusammenhang stehenden Betriebskosten getragen habe. Im Gegenzug dazu hätten die Funkfahrer 70 % der Einnahmen an die Beschwerdeführerin abgeliefert. Für die Unterscheidung zwischen Werkvertrag und Dienstverhältnis sei maßgeblich, ob der leistungserbringende Funkfahrer den Anspruch auf Entlohnung seiner Tätigkeit erst im Erfolgsfall habe oder bereits für sein Bemühen zu entlohnen sei. Die Entlohnung mit einem fixen Pauschalsatz spreche für das Vorliegen eines Dienstverhältnisses. Das Weisungsrecht und die Organisationsbefugnis des Dienstgebers seien nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem Dienstnehmer ein gewisser Spielraum bei seiner Pflichterfüllung eingeräumt werde, wie etwa der Funkfahrer mit dem Argument einer benötigten Pause "ausweichen" könne.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
Nach § 47 Abs. 3 des auf das Streitjahr 1988 noch anzuwendenden EStG 1972 und nach § 47 Abs. 2 des auf die Streitjahre ab 1989 anzuwendenden EStG 1988 liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder in den geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Bei Abgrenzungsfragen zwischen selbständiger und nicht selbständiger Tätigkeit sind wesentliche Merkmale einerseits das Vorliegen eines Unternehmerwagnisses, andererseits das Vorliegen einer Weisungsgebundenheit sowie die organisatorische Eingliederung in den Betrieb des Dienstgebers. Es ist daher das Gesamtbild einer Tätigkeit darauf zu untersuchen, ob die Merkmale der Selbständigkeit oder jene der Unselbständigkeit überwiegen (vgl. für viele etwa die hg. Erkenntnisse vom 2. Juli 2002, 99/14/0056 und 2000/14/0148).
Die belangte Behörde hat eine Reihe sich vor allem aus den vorgelegten Verträgen ergebender Merkmale für die Einstufung der Tätigkeit der Fahrer als unselbständig herangezogen und führt darunter an, dass die Fahrer die Verpflichtung besessen hätten, gemäß den Fahrordnungen Aufträge anzunehmen.
Demgegenüber brachte die Beschwerdeführerin in dem die Berufung ergänzenden Schriftsatz vom 23. Oktober 1992 vor, dass sie den Fahrern gegenüber nicht weisungsbefugt sei, es diesen freigestellt sei, wann sie mit ihrer Tätigkeit beginnen, wo sie diese ausüben und wann sie diese beenden. Im Vorlageantrag entgegnete die Beschwerdeführerin den Feststellungen in der Berufungsvorentscheidung damit, die Funkfahrer seien in keiner Richtung weisungsgebunden, der Fahrer könne agieren, wie er meine (wolle), er müsse auf das Funkgerät nicht "reagieren", selbst wenn er reagiere, könne er noch "ausweichen".
Mit diesen in der Beschwerde neuerlich vorgetragenen Sachverhaltsbehauptungen hat sich die belangte Behörde insoweit auseinander gesetzt, als sie auf die Berufungsvorentscheidung verwiesen hat, worin festgestellt wurde, dass die Funkfahrer den Vertragsinhalten zufolge der Beschwerdeführerin gegenüber in organisatorischen Fragen weisungsgebunden gewesen seien (z.B. Erteilung von Fahrtaufträgen). Es sei den Fahrern daher kein Freiraum offen gestanden, im eigenen Namen und auf eigenes Risiko Fahrtaufträge zu tätigen oder Funkaufträge generell abzulehnen. Weiters führt die belangte Behörde dazu aus, das Weisungsrecht und die Organisationsbefugnis des Dienstgebers seien dadurch nicht ausgeschlossen, dass dem Dienstnehmer ein gewisser Spielraum bei seiner Pflichterfüllung eingeräumt werde, wie etwa der Funkfahrer mit dem Argument einer benötigten Pause "ausweichen" könne.
Damit verbleibt ein Widerspruch zwischen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin und den aus den vorgelegten Musterverträgen geschlossenen Feststellungen der Behörde, welcher die Behörde zu weiteren Ermittlungen hinsichtlich der tatsächlichen Vertragsabwicklung hätte veranlassen müssen. Insbesondere eine Befragung betroffener, zum Teil ohnehin zu anderen Themen vernommener Fahrer zu diesem Thema hätte sich hier angeboten.
Bei der Beurteilung des Gesamtbildes der von den Fahrern ausgeübten Tätigkeit kommt es darauf entscheidend an, weil sich aus der Möglichkeit, bei der Abwicklung ihrer Tätigkeit (Botenfahrten) frei und ohne Vorgabe innerhalb bestimmter Zeiten oder an bestimmten Standorten erhaltene Funkaufträge annehmen zu können, nicht nur eine Weisungsungebundenheit ergibt, sondern dies unmittelbar ganz wesentlich auf das Unternehmerwagnis durchschlägt. Angesichts der im Verwaltungsverfahren unbestritten vereinbarten Entlohnung in Höhe von 30 % des im Namen und für Rechnung der Beschwerdeführerin vereinnahmten Entgelts für die Botenfahrten (in der Beschwerde werden 70 % genannt) kommt der Frage, ob, in welchem Umfang und in welcher Zahl ein Fahrer sich (durch Einschalten des Funkgerätes) um Aufträge bemüht und erteilte Aufträge - ohne eine ihm offen stehende Möglichkeit auszuschöpfen, sie abzulehnen - erfüllt, wesentliche Bedeutung zu, weil der Fahrer mangels Vereinbarung eines Grundentgeltes somit einnahmenseitig vollkommen freie Hand hätte, den Erfolg seiner Tätigkeit zu steuern (vgl. zur Möglichkeit, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen und solcherart den Umfang des Tätigwerdens bzw. dessen wirtschaftlichen Erfolges selbst zu bestimmen, etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2000, 99/13/0223).
Angesichts dessen treten die von der belangten Behörde für die Annahme eines Dienstverhältnisses herangezogenen Merkmale in den Hintergrund, den Fahrer treffe ausgabenseitig kein Wagnis, weil er das Fahrzeug und die Funkanlage von der Beschwerdeführerin, welche auch die Betriebskosten und die Versicherung trage, zur Verfügung gestellt erhalte, er habe täglich im Büro der Beschwerdeführerin abzurechnen, erhalte dann zweiwöchentlich oder monatlich seine Entlohnung und er könne sich nicht durch einen selbst gewählten Dritten vertreten lassen.
Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf das Beschwerdevorbringen einzugehen, die Nachforderung der Lohnsteuer in einem Pauschbetrag nach § 86 Abs. 2 EStG 1988 sei zu Unrecht erfolgt.
Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid somit insoweit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Gemäß § 3 Abs. 2 Z 3 Eurogesetz, BGBl. Nr. 72/2000, waren die Beträge in Euro auszudrücken.
Wien, am 28. November 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1997130069.X00Im RIS seit
18.03.2003