TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/12 2000/20/0077

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Veröffentlicht am 12.12.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §4 Abs1;
AsylG 1997 §4 Abs2;
AsylG 1997 §4 Abs3;
AsylG 1997 §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des SMSQ in Wien, geboren 1969, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. Jänner 2000, Zl. 214.329/0-VIII/22/99, betreffend § 4 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein in Israel geborener Palästinenser, reiste am 15. November 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 16. November 1999 Asyl. Am 23. November 1999 wurde er zu seinem Antrag einvernommen, wobei ihm ein Merkblatt über die Asylrechtslage, das Asylverfahren und die Asylpraxis in Ungarn zur Kenntnis gebracht wurde.

Mit Bescheid vom 25. November 1999 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 4 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück, weil der Beschwerdeführer in Ungarn Schutz vor Verfolgung finden könne.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung erstattete der Beschwerdeführer ein sehr umfangreiches Vorbringen sowohl zu von ihm behaupteten Mängeln der ungarischen Rechtslage auf dem Gebiet des Asylwesens als auch über die teilweise Nichteinhaltung von Rechtsvorschriften in der ungarischen Asylpraxis. Die Verfahren in Ungarn seien nicht geeignet, Verfolgungsgründe adäquat geltend zu machen und eine der Komplexität des Vorbringens angemessene Prüfung im Einzelfall sicherzustellen. Darüber hinaus seien das Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens und der Refoulementschutz nicht ausreichend gewährleistet. Asylwerber würden systematisch angehalten, es gebe - zum Teil anknüpfend an die Nichtbefolgung bestimmter Verhaltensmaßregeln - über die Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehende Asylausschluss- und Beendigungsgründe, und zur dreitägigen Berufungsfrist im verkürzten Berufungsverfahren sei darauf hinzuweisen, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof eine ähnliche Bestimmung im österreichischen Asylgesetz aufgehoben habe, weil eine derart kurze Frist die Effektivität des Rechtsschutzes in einer rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechenden Weise beeinträchtige. Dieses Vorbringen war mit zahlreichen Beweisanträgen verbunden.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 1999 gab die belangte Behörde den Parteien des Berufungsverfahrens Gelegenheit, zu einer Vielzahl von Unterlagen über die Situation Asylsuchender in Ungarn Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer mache in seiner Stellungnahme geltend, es sei für ihn nicht ersichtlich, welche Schlüsse die belangte Behörde aus den Unterlagen, in denen unterschiedliche Ergebnisse erzielt würden, zu ziehen gedenke, und die Behörde werde ersucht, zu konkretisieren, von welcher Sachlage sie auf Grund der Unterlagen auszugehen beabsichtige, damit eine konkrete Stellungnahme dazu erfolgen könne.

Mit dem angefochtenen, ohne mündliche Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 4 Abs. 1 AsylG ab. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass es in Ungarn für die Asylantragstellung keine Frist mehr gebe, Asylwerber während des Verfahrens zum Aufenthalt berechtigt seien und Zugang zu einem "effektiven Asylverfahren" hätten. Es erfolge eine individuelle Anhörung mit einem kostenlos zur Verfügung gestellten Dolmetscher, die Entscheidung werde in eine dem Asylwerber verständliche Sprache übersetzt und ein Bezirksgericht in Budapest fungiere als zweite Instanz. Während des gerichtlichen Überprüfungsverfahrens erfolge keine Aufenthaltsbeendigung. Auch der Refoulementschutz im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 FrG sei auf näher beschriebene Weise gewährleistet. Der Standard der Gemeinschaftsunterkünfte, in denen die Asylwerber untergebracht würden, gebe nicht Anlass zu Bedenken hinsichtlich einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der angefochtene Bescheid kann bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 4 AsylG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999 schon deshalb nicht Bestand haben, weil die belangte Behörde der (in der Berufung im vorliegenden Fall auch ausdrücklich relevierten) Frage ausreichender Rechtsmittelfristen im ungarischen Asylverfahren keine Bedeutung beigemessen und dazu keine Feststellungen getroffen hat. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das die Slowakische Republik als Drittstaat betreffende Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 99/20/0246, sowie - Ungarn betreffend - auf das Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zlen. 99/01/0408, 0409, und auf die zahlreichen zu diesen Erkenntnissen ergangenen Nachfolgeerkenntnisse verwiesen werden (vgl. zu Ungarn zuletzt etwa die Erkenntnisse vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0226 und Zlen. 2000/01/0248 bis 0252, sowie vom 26. Juli 2001, Zl. 2000/20/0034, Zl. 2000/20/0083 und Zl. 2000/20/0169).

Der Verwaltungsgerichtshof kann aber auch der Ansicht der belangten Behörde, es habe im vorliegenden Fall keiner mündlichen Berufungsverhandlung bedurft, nicht folgen. Die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde sind schon in sich selbst nicht schlüssig, wenn die belangte Behörde einerseits meint, "Gegenstand des Berufungsverfahrens" sei "ausschließlich die Rechtsfrage" des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 und 3 AsylG gewesen, und sie andererseits im Berufungsverfahren umfangreiche Ermittlungen über die ungarische Rechtslage und Asylpraxis gepflogen, den Parteien des Berufungsverfahrens das Parteiengehör dazu eingeräumt und davon ausgehend Feststellungen getroffen hat, die sich auf eine seitenlange Beweiswürdigung stützen (vgl. zur Verhandlungspflicht im Berufungsverfahren über die Zurückweisung eines Asylantrages gemäß § 4 AsylG im Übrigen die Erkenntnisse vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0162, vom 15. März 2001, Zl. 99/20/0352, und vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0226; zuletzt für Berufungsverfahren über Zurückweisungen gemäß § 5 AsylG auf diese Judikatur verweisend das Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0439).

Der angefochtene Bescheid war aus dem zuvor erwähnten Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200077.X00

Im RIS seit

30.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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