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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des JO in G, geboren 1978, vertreten durch Dr. Gerhard Halbreiner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 23/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. März 2000, Zl. 214.207/0-XII/37/99, betreffend §§ 6 Z 2 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 16. August 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 18. August 1999 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30. November 1999 gab er als Fluchtgrund an, er sei Zeuge Jehovas und habe am 24. Juli 1999 seinen Vater, der gleichfalls Zeuge Jehovas gewesen sei, auf Grund einer Nierenerkrankung ins Spital gebracht. Der Arzt habe vom Beschwerdeführer die schriftliche Zustimmung zu einer Operation seines Vaters mit Bluttransfusion verlangt und ihm angekündigt, dass sein Vater die Operation ohne Bluttransfusion nicht überleben werde. Der Beschwerdeführer habe die Erklärung unter Berufung auf sein religiöses Bekenntnis nur ohne die Zustimmung zur Transfusion unterschrieben, woraufhin sein Vater - mangels Bluttransfusion - die Operation nicht überlebt habe. Der Onkel des Beschwerdeführers - kein Zeuge Jehovas - habe vom Arzt erfahren, wie es dazu gekommen sei, und dem Beschwerdeführer angekündigt, dass er ihn töten werde. Am 29. Juli 1999 sei der Beschwerdeführer von seinem Onkel und sechs Mitgliedern der Geheimgesellschaft, der sein Onkel angehöre ("Osagbikan") aufgesucht worden. Sie hätten dem Beschwerdeführer Vorhaltungen wegen der Verweigerung der Zustimmung zur Bluttransfusion gemacht, die religiösen Vorschriften der Zeugen Jehovas als Grund dafür nicht gelten lassen und erklärt, dass sie den Beschwerdeführer töten würden. Es sei eine Schale mit Wasser und Blättern geholt und der Beschwerdeführer sei mit dem Wasser bespritzt worden. Dann sei ihm gesagt worden, er könne gehen. Die Mutter des Beschwerdeführers habe ihm danach erzählt, dass mit dem Wasser derjenige "markiert" werde, der "sterben sollte". Die Geheimgesellschaft sei in ganz Nigeria verbreitet. Auf die Frage, wie er getötet werden sollte, gab der Beschwerdeführer an, es sei "eine spirituelle Sache" und dies sei "bereits mit einem anderen Mann gemacht" worden. Man habe diesen Mann auch "mit dem Wasser bespritzt" und er sei eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Unter den Schutz der Polizei habe sich der Beschwerdeführer nicht stellen können, weil die spirituelle Macht so groß sei, dass die Polizei nichts dagegen ausrichten könne. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria würde der Beschwerdeführer "entweder einschlafen und nicht mehr aufwachen", oder er würde "auf der Straße tot umfallen". Außerdem könne ihn in Nigeria jedes Mitglied der Geheimgesellschaft sofort erkennen. Sie würden den Beschwerdeführer einfach anschauen und sofort wissen, wer er sei. Sie hätten spirituelle Kräfte.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 7. Dezember 1999 den Asylantrag gemäß § 6 Z 2 und 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria sei zulässig. Es hielt die Behauptungen des Beschwerdeführers im Sinne des § 6 Z 3 AsylG für völlig unglaubwürdig und begründete die Subsumtion unter § 6 Z 2 AsylG damit, dass die Furcht des Beschwerdeführers "nicht nachvollziehbar" sei und der Beschwerdeführer "auch sonst keine für eine Verfolgung sprechenden Umstände glaubhaft gemacht" habe.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, es gebe in Nigeria viele mächtige Geheimkulte. Die neue Regierung versuche zwar, gegen solche Kulte anzukämpfen, doch werde es noch lange dauern, bis dieses Problem gelöst sei. Von der Flucht ins Ausland erwarte sich der Beschwerdeführer Schutz, weil er von den Mitgliedern der Geheimgesellschaft nur getötet werden könne, wenn sie ihn sähen. Sich darüber lustig zu machen, zeuge von Unkenntnis "über die gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse in Nigeria".
Die belangte Behörde führte am 10. März 2000 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer unter anderem angab, es habe sich bei seiner Bespritzung mit der Flüssigkeit aus der Schale um die "Ankündigung eines metaphysischen Todes" durch ihm "nicht bekannte geistige Kräfte" gehandelt und Glaubensbrüder hätten ihm empfohlen, das Land zu verlassen. Die Polizei sei korrupt, hohe Polizeibeamte seien Mitglieder der genannten Geheimgesellschaft und außerdem würden die Zeugen Jehovas von der Polizei verfolgt. Hätte sich der Beschwerdeführer an die Polizei gewandt, so hätte er befürchten müssen, wegen einer erdachten Anschuldigung in Haft genommen und umgebracht zu werden. Durch die "spirituellen Zeichen" auf seinem Körper, die das Ergebnis der "Bespritzung mit dem Wasser" seien, sei der Beschwerdeführer für die Mitglieder der Geheimgesellschaft in ganz Nigeria erkennbar, sodass sein "Leben deshalb nicht sicher gewesen wäre". Was die ihm vorgehaltene Besserung der allgemeinen Lage in Nigeria betreffe, so sei "alles was die nigerianische Regierung das Ausland glauben lässt, nicht richtig".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria sei zulässig. Sie traf - abgesehen von allgemein gehaltenen Feststellungen zur politischen Situation und Religionsausübung in Nigeria und den dort verbreiteten Kulten -
folgende Feststellungen:
"Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Nigeria und flüchtete auf Grund eines familiären Problems. Sein Vater wurde infolge eines Nierenproblems einer Operation unterzogen, doch wurde einer Bluttransfusion auf Grund seines Glaubensbekenntnisses nicht zugestimmt, weil dieser den Zeugen Jehovas angehört hat. Da der Vater nach der Operation starb, wurde der Asylwerber von seinem Onkel bezichtigt, am Tode insofern beteiligt gewesen zu sein, als dass der Asylwerber die Ermächtigung zur Bluttransfusion nicht unterschrieben hat. Auf Grund dessen wurde er von seinem Onkel, der Mitglied einer Geheimgesellschaft namens Osanpiken ist, zusammen mit anderen Mitgliedern dieser Geheimgesellschaft verfolgt."
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, ihre Feststellungen zu den den Beschwerdeführer individuell betreffenden Fluchtgründen gründeten sich auf seine Angaben. Die Subsumtion des Falles unter § 6 Z 2 AsylG begründete die belangte Behörde wie folgt:
"Die erkennende Behörde ist - unter Zugrundelegung der obzitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage - der Ansicht, dass im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des § 6 Z 2 AsylG gegeben sind.
Unter Zugrundelegung des vom Asylwerber erstatteten Tatsachenvorbringen liegt nach Ansicht der erkennenden Behörde keine 'begründete Furcht vor Verfolgung' im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vor.
Der Asylwerber hat keine Verfolgung durch den nigerianischen Staat, sondern lediglich eine Verfolgung durch seinen Onkel als Mitglied einer Geheimgesellschaft, sohin durch eine Person, die einer privaten Vereinigung angehört, behauptet. Unter 'Verfolgung' im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist aber nur eine von staatlichen Stellen ausgehende oder von diesem geduldete Verfolgung aus den im einzelnen angeführten Gründen zu verstehen. Eine Bedrohung durch den Onkel als Mitglied einer aus Privatpersonen gebildeten Geheimgesellschaft ist dem Staat nicht zuzurechnen und fällt demnach nicht unter den Begriff der 'Verfolgung' im Sinne der GFK (vgl. VwGH 21.4.1994, Zl. 94/19/0209 und VwGH 31.8.1995, Zl. 95/19/0044).
Aus den Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich im übrigen kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass der nigerianische Staat grundsätzlich außer Stande oder nicht willens sei, dem Asylwerber Schutz vor allfälligen Übergriffen durch Mitglieder dieser Geheimgesellschaft zu gewähren. Vielmehr ergibt sich aus den Sachverhaltsfeststellungen, dass die Polizeikräfte angewiesen wurden, gegen so genannte 'Kultisten' rigoros vorzugehen und alle gesetzlichen Mittel auszuschöpfen.
Zusammenfassend ergibt sich sohin, dass die Behauptung des Asylwerbers, in seinem Heimatland eine Verfolgung im Sinne der GFK befürchten zu müssen, eindeutig jeder Grundlage entbehrt. Dies im Hinblick darauf, dass die behauptete Verfolgungsgefahr nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründe zurückzuführen ist (§ 6 Z 2 AsylG 1997)."
Schließlich begründete die belangte Behörde noch die gemäß § 8 AsylG getroffene Entscheidung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Um ihre Entscheidung in rechtlich schlüssiger Weise auf § 6 Z 2 AsylG stützen zu können, hätte die belangte Behörde begründen müssen, dass der von ihr ausdrücklich festgestellte Umstand, der Beschwerdeführer sei von seinem Onkel zusammen mit anderen Mitgliedern der Geheimgesellschaft "verfolgt" worden, im Sinne des § 6 Z 2 AsylG eine "behauptete Verfolgungsgefahr" sei, die "nach dem Vorbringen" des Asylwerbers "offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist". Nach der zitierten Stelle in der Genfer Flüchtlingskonvention kann unter anderem die Gefahr einer Verfolgung "aus Gründen der Religion" zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft führen. Der Beschwerdeführer hatte angegeben, von seinem Onkel - mit Hilfe der vom Beschwerdeführer genannten Geheimgesellschaft - ausschließlich deshalb verfolgt worden zu sein, weil er ein bestimmtes Gebot der Religion, der er seinen Behauptungen zufolge angehört, befolgt habe. Mit der Frage, ob es unter diesen Umständen "offensichtlich" sein konnte, dass die festgestellte Verfolgung "nach dem Vorbringen" des Beschwerdeführers nicht auf Gründen seiner Religion beruhte, hat sich die belangte Behörde aber gar nicht auseinander gesetzt. Sie hat gemeint, der private Charakter der behaupteten Verfolgungsgefahr stehe in einem Zusammenhang mit den nach § 6 Z 2 AsylG zu prüfenden Kriterien und erlaube die Subsumtion des Falles unter diese Bestimmung. Diese Ansicht findet keine Grundlage im Gesetz und widerspricht der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. - auch unter dem Gesichtspunkt allfälligen staatlichen Schutzes vor einer von Privatpersonen ausgehenden Verfolgung - das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, und daran anschließend etwa die Erkenntnisse vom 7. Juni 2001, Zl. 99/20/0429, vom 24. Oktober 2001, Zl. 99/20/0169, vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332, Zl. 99/20/0447 und Zl. 99/20/0531, vom 26. Februar 2002, Zl. 2000/20/0233, vom 12. März 2002, Zl. 2001/01/0316, vom 16. Mai 2002, Zl. 99/20/0562 und Zl. 2001/20/0123, und vom 20. Juni 2002, Zl. 2000/20/0443).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Auf die - mit § 6 Z 2 AsylG nicht zusammenhängende - Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria einschlafen und nicht mehr aufwachen oder auf der Straße tot umfallen würde oder ob davon auszugehen ist, dass er dies zumindest glaubt, und darauf, welche rechtlichen Schlussfolgerungen in dieser Hinsicht im Rahmen des abgekürzten Berufungsverfahrens über die Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet bei Bedachtnahme auf das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers zu ziehen sein konnten, war angesichts der Feststellung, er sei auf Grund seines religiös motivierten Verhaltens "verfolgt" worden, nicht einzugehen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 12. Dezember 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000200224.X00Im RIS seit
30.04.2003