TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/12 2000/20/0004

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Veröffentlicht am 12.12.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des G S, geboren 1975, vertreten durch Dr. Oskar Wanka, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 27/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. September 1999, Zl. 212.453/0-IV/11/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, begründete seinen Asylantrag am 5. August 1999 vor dem Bundesasylamt zusammengefasst damit, dass ihm in seiner Heimat staatliche Verfolgung wegen ihm unterstellter Zusammenarbeit mit Sikh-Extremisten drohe. Deswegen sei er bereits im Jahre 1995 einen Monat in Haft gewesen. Nach seiner Entlassung sei er nach Neu Delhi gefahren und habe dort bei einem Verwandten bis zu seiner Ausreise im Oktober 1998 gelebt. Da die Gefahr, in Indien während der Haft umgebracht zu werden, allgemein bekannt sei, und die Polizei den Beschwerdeführer auch in Neu Delhi hätte ausfindig machen können, habe er seine Heimat verlassen.

Mit Bescheid vom 24. August 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte unter anderem seine Abschiebung nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Ausgehend von den Angaben des Beschwerdeführers verwies die Erstbehörde darauf, dass der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung fast vier Jahre in Neu Delhi bei Verwandten gelebt und während dieser Zeit keinerlei Probleme mit den Sicherheitsbehörden gehabt habe. Im Übrigen handle es sich bei seinen Befürchtungen um eine bloß subjektiv empfundene Furcht, die der Beschwerdeführer durch keinerlei objektive Anhaltspunkte habe untermauern können.

Gegen das letztgenannte Argument brachte der Beschwerdeführer in seiner Berufung vor, sein Verstecken vor den Behörden in Indien wäre im Fall seiner Festnahme als Beweis für seine Schuld ausgelegt worden und seine Ausreise und seine Flucht nach Österreich, die ihm nur mit einem Pass mit falscher Adresse gelungen seien, wären ein noch stärkerer Beweis für die indische Polizei. Im Übrigen stehe ihm in seiner Heimat keine innerstaatliche Fluchtalternative, wie sie vom Bundesasylamt angenommen worden sei, offen. Mit den modernen Fahndungsmethoden sei es für die Sicherheitsbehörden seines Heimatstaates leicht, ihn in jedem Landesteil Indiens auszuforschen und zu verhaften.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde unter Abstandnahme von der Durchführung einer Berufungsverhandlung die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte erneut die Zulässigkeit u.a. seiner Abschiebung nach Indien gemäß § 8 leg. cit. fest. Der Beschwerdeführer habe sich nach eigenen Angaben etwa dreieinhalb Jahre in Neu Delhi aufgehalten, wo er keinerlei Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sei. Es sei "daher jedenfalls davon auszugehen", dass der Beschwerdeführer in diesem Teil seiner Heimat vor Verfolgung sicher gewesen sei. Dem Berufungsvorbringen, für die Sicherheitsbehörden Indiens sei es ein Leichtes, ihn mit den modernen Fahndungsmethoden in jedem Landesteil seines Heimatstaates auszuforschen und zu verhaften, könne seitens der belangten Behörde nicht gefolgt werden. Im Hinblick auf den genannten Aufenthalt des Beschwerdeführers in Neu Delhi sei vielmehr davon auszugehen, dass seitens der Behörden in Indien offensichtlich kein Interesse an der Person des Beschwerdeführers bestehe. Auch sei kein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Inhaftierung des Beschwerdeführers und dem Verlassen seiner Heimat gegeben, sodass in Bezug auf Neu Delhi nicht von einer wohl begründeten Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung auszugehen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. In dieser tritt der Beschwerdeführer der Ansicht der belangten Behörde über das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative entgegen und wendet mangelnde Ermittlungen in Bezug auf die in der Berufung genannten Folgen seiner Flucht mit Hilfe eines gefälschten Passes ein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat schon in seiner Berufung gegen die Ansicht der Erstbehörde über eine vorhandene Verfolgungssicherheit in Neu Delhi auf die modernen Fahndungsmethoden der Sicherheitsbehörden in Indien hingewiesen und damit einen dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehenden Sachverhalt erstmalig (und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise) und konkret behauptet. Schon deshalb war es der belangten Behörde verwehrt, dieses Berufungsvorbringen ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung als nicht glaubwürdig abzutun (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, und zahlreiche daran anschließende Folgeerkenntnisse). Dies gilt auch für den Berufungseinwand der Verfolgungsgefahr wegen der illegalen Ausreise aus Indien mit einem gefälschten Reisepass und der Flucht nach Österreich, der, wie die Beschwerde im Ergebnis zu Recht geltend macht, unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines möglichen Nachfluchtgrundes zu prüfen wäre.

Da die belangte Behörde demnach Verfahrensvorschriften verletzt hat, bei deren Einhaltung sie zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Verfahrensergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200004.X00

Im RIS seit

30.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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