TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/12 2000/20/0140

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Veröffentlicht am 12.12.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde der GC in L, geboren am 11. August 1973, vertreten durch Dr. Friedrich Fromherz, Mag. Dr. Wolfgang Fromherz und Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwälte in 4010 Linz, Graben 9, gegen den am 7. Juli 1999 mündlich verkündeten und am 28. März 2000 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 210.068/0-IV/10/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Türkei, reiste am 21. Juli 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte mit Anwaltsschriftsatz vom 23. Juli 1997 Asyl. Im schriftlichen Asylantrag wurde unter anderem ausgeführt, der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe mit der PKK sympathisiert. Er sei nach seiner Rückkehr von einem mehrjährigen Aufenthalt in der Schweiz observiert und mehrfach in Haft genommen worden. Da es nicht gelungen sei, ihm etwas nachzuweisen, sei er am 26. März 1994 völlig grundlos erschossen worden. Unmittelbar danach sei die damals im sechsten Monat schwangere Beschwerdeführerin verhaftet und auf näher beschriebene Weise gefoltert worden. Das habe sich mehrfach wiederholt. Ein Pass für die Ausreise sei ihr verweigert worden. Zuletzt habe man ihr auch angedroht, ihrem 1994 geborenen Sohn etwas anzutun.

Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 20. August 1997 legte die Beschwerdeführerin Zeitungsausschnitte und andere Unterlagen vor, in denen auf den Tod ihres Ehegatten Bezug genommen wurde. Sie gab an, in der Zeit danach sei sie staatlichem Druck ausgesetzt gewesen, weil angenommen worden sei, dass ihr die Kontaktpersonen ihres Ehegatten bekannt gewesen seien. Sie sei wiederholt mehrere Tage lang festgehalten und befragt und dabei auch mit einer Waffe bedroht worden. Da sie schwanger gewesen sei, habe man "nicht tätlich" gegen sie vorgehen können. Es sei ihr aber gesagt worden, dass man sie genauso töten könne wie ihren Ehegatten, wenn sie nichts sage. Sie habe gehofft, dass der Druck nachlassen würde. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Wenn es in Elbistan zu "Vorfällen" gekommen sei, sei ihr vorgeworfen worden, dass sie "als Gattin eines Terroristen" etwas wissen müsse und vielleicht ebenfalls gegen den Staat agiere. Da die Drohungen nicht aufgehört hätten und man ihr bei der letzten Festnahme im Juli 1997 auch gesagt habe, dass man ihr Kind töten würde, wenn sie nicht mit der Behörde zusammenarbeite, habe sie dem Druck nicht mehr standhalten können und die Türkei verlassen.

Erst auf Befragen durch ihren Vertreter gab die Beschwerdeführerin an, bei den polizeilichen Vernehmungen nach ihrer Entbindung - im Gegensatz zu denjenigen während ihrer Schwangerschaft - auch gefoltert worden zu sein. Sie sei an Armen und Beinen aufgehängt, geschlagen und mit kaltem Wasser angeschüttet worden und habe auch mehrmals Elektroschocks erhalten.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 9. September 1997 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. In der Begründung dieses Bescheides wurde unter anderem ausgeführt, die Tötung des Ehegatten der Beschwerdeführerin sei entgegen ihren Angaben nicht als Mord zu qualifizieren, "sondern diese Tötung ereignete sich im Zuge der Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit". Die "Aktionen" der türkischen Behörden gegen "Angehörige der PKK" seien "nach hierortigem Dafürhalten im Zuge der innerstaatlichen Strafrechtspflege zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu sehen". Einen Versuch, dieses "Dafürhalten" unter Bezugnahme auf die Art der "Aktionen" näher zu begründen, enthielt die Bescheidbegründung nicht. Wenn die Beschwerdeführerin, so das Bundesasylamt weiter, im Verdacht gestanden sei, "Angehörige bzw. Sympathisantin" der PKK zu sein, und sie deshalb "befragt" worden sei, so sei dies, "wie bereits oben ausgeführt, ebenfalls ein Ausfluss der innerstaatlichen Strafrechtspflege und kann nicht unter die Bestimmungen des AsylG 1991 subsumiert werden". Die "Folterbehauptungen" seien von der Beschwerdeführerin erst auf dahingehendes Befragen durch ihren Vertreter geäußert worden und sollten "nach hierortiger Ansicht" nur der Herbeiführung der Asylgewährung dienen. Solche Ereignisse würde die Beschwerdeführerin (gemeint: wenn diese Ereignisse tatsächlich stattgefunden hätten) "sicherlich unaufgefordert in allen Einzelheiten der Behörde" geschildert haben, weshalb diesem Teil ihres Vorbringens kein Glauben geschenkt werden könne. Dass Letzteres auch auf die von der Beschwerdeführerin zunächst beschriebenen Drohungen (unter anderem mit der Ermordung ihres Kindes) zugetroffen hätte, war dem Bescheid nicht entnehmbar.

Über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid führte die belangte Behörde am 7. Juli 1999 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin sowie mehrere Zeugen einvernommen und von der belangten Behörde beigeschaffte Unterlagen erörtert wurden. Am Schluss der Verhandlung verkündete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit dem die Berufung gemäß § 7 AsylG abgewiesen wurde.

In der am 28. März 2000 erstellten schriftlichen Ausfertigung dieses Bescheides wurde von der belangten Behörde "zuerst festgestellt, dass die Behörde erster Instanz nach Maßgabe des seinerzeitigen Kenntnisstandes ihre Feststellungen richtig und zutreffend getroffen hat - die Feststellungen der Behörde erster Instanz werden daher insoweit auch für dieses Verfahren übernommen". Eine "physische Folter" sei entgegen den Behauptungen der Beschwerdeführerin (weiterhin) nicht feststellbar, weil die Beschwerdeführerin auch gegenüber einem der in der Berufungsverhandlung vernommenen Zeugen nach dessen Aussage zunächst nur von psychischem Druck gesprochen habe und es der forensischen Erfahrung entspreche, dass die ersten Angaben der Wahrheit am Nächsten kämen. Zur allgemeinen Lage in der Türkei stellte die belangte Behörde unter anderem fest, das Heimatgebiet der Beschwerdeführerin sei vom Ausnahmezustand nicht betroffen, es gebe keine landesweite Gruppenverfolgung von Kurden in der gesamten Türkei und Kurden hätten in der Türkei "grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative". Fallbezogen wurde noch ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe nicht überzeugend erklären können, warum sie so lange in der Türkei geblieben sei, und sie habe nach dem Tod ihres Ehegatten (gemeint: vor allem) familiäre Probleme gehabt. Weiters wurde festgestellt, die Beschwerdeführerin sei in Österreich in Behandlung eines Psychologen gewesen, habe aber eine Therapie nicht angetreten, und es gebe Widersprüche in ihrer Aussage.

Schließlich führte die belangte Behörde zum Sachverhalt resümierend aus:

"Glaubwürdig ist daher aus dem zum Großteil widersprüchlichen Vorbringen lediglich, dass der Gatte in einem Feuergefecht zwischen PKK und türkischen Einheiten getötet wurde, während die ganze Familie von seiner Tätigkeit (nach Rückkehr aus dem Ausland wegen Versagung des Asyls in der Schweiz) nichts wusste.

Glaubhaft ist ferner, dass nach dem Tod des Gatten familiäre Auseinandersetzungen ausbrachen, die Asylwerberin von ausländischer Unterstützung lebte, die Familie das Geschäft verlor und damit sich die Lebensumstände verschlechterten.

Glaublich ist auch die übliche routinemäßige polizeiliche Erhebungstätigkeit bei allen Angehörigen nach der bewaffneten Auseinandersetzung mit einer gewalttätigen Organisation durch die türkischen Staatsorgane.

Nicht auszuschließen ist, dass in Verbindung mit Verlust des Familienerhaltes, (des Gatten) und dem Streit der Großfamilien untereinander um die weitere 'Zugehörigkeit' der Asylwerberin und ihres Kindes, diese persönlich Nachforschungen subjektiv als besonders belastend empfunden worden sind und möglicherweise eine besondere Belastung seelischer Art herbeiführten.

Es kann aber nicht als glaubhaft festgestellt werden - in Übereinstimmung mit der Behörde erster Instanz - dass eine über die allgemeine routinemäßige staatliche Erhebung hinausgehende Verfolgung (insbesondere Folterung der Asylwerberin) gegeben war.

Nicht nur, dass diese nicht konkretisiert und in keinen glaubwürdigen Zusammenhang zu den Ereignissen gebracht werden konnten, sie wurden auch erst später, im Laufe eines Verfahrens (das nicht den erhofften Effekt zu erbringen vermochte) 'nachgeschoben'.

Insbesondere wurde im Laufe des ganzen Verfahrens kein Argument glaubhaft gemacht, die Behauptungen über unübliche, vorhersehbar erfolglose (Jahre lange!) Polizeibefragungen der Asylwerberin untermauert hätten - von Folterungen ganz zu schweigen - und das in einem Land wo (von der Asylwerberin zugegebenermaßen) die Regelsituation jene ist, dass Frauen vom 'tatsächlichen Leben' ihres Mannes so gut wie nichts wissen.

Insbesondere konnte keinerlei Feststellung dahingehend getroffen werden, aus welchen Gründen nach über 3 Jahre weiteren Aufenthalts in der Heimat (in Abhängigkeit von ausländischer Versorgung und in Streit mit beiden Großfamilien, ohne eigene Arbeit es in der Heimat für die Asylwerberin plötzlich zu gefährlich wurde.

Dies lässt auf die Gegründetheit einer Furcht vor schwerer Verfolgung keine positiven Schlüsse zu."

Dem folgten noch Rechtsausführungen darüber, dass der Beschwerdeführerin bei der angenommenen Sachlage nicht Asyl zu gewähren sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die allgemeinen Ausführungen der belangten Behörde über das Fehlen einer "Gruppenverfolgung" sowie darüber, dass Kurden (wie es an anderer Stelle des Bescheides heißt, wenn sie "nicht exponiert" sind) in der Türkei "grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative" hätten, sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht dazu bestimmt und jedenfalls nicht geeignet, die Entscheidung der belangten Behörde auch für den Fall zu tragen, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin über die ihr zuteil gewordene Behandlung als Angehörige eines - aus der Sicht der Behörden - ehemaligen PKK-Aktivisten zur Gänze zutrifft. Es ist daher entscheidungswesentlich, ob die von der belangten Behörde für ihre Ansicht, diesen Angaben sei in weiten Teilen nicht zu folgen, gegebene Begründung ausreichend nachvollziehbar ist. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin durchgehend behaupteten Drohungen mit ihrer Ermordung oder der Ermordung ihres Kindes, auf die sich der Gesichtspunkt einer "Steigerung" ihrer Angaben während der (ersten) Einvernahme nicht anwenden lässt, keiner im Vergleich zu den Behauptungen "physischer Folter" differenzierenden Beweiswürdigung unterzogen hat und - wie schon die Behörde erster Instanz - nicht ausdrücklich darauf eingegangen ist und schlüssig begründet hat, dass bzw. warum auch diese Drohungen nicht stattgefunden haben sollen. Sowohl in dieser Hinsicht als auch in Bezug auf die behaupteten körperlichen Misshandlungen wäre nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber zunächst zu prüfen gewesen, welche Bandbreite behördlichen Verhaltens gegenüber nahen Angehörigen eines in Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und der PKK getöteten PKK-Aktivisten in den zur Beurteilung dieser Frage zur Verfügung stehenden Berichten dokumentiert ist. Die Beschwerde verweist zutreffend darauf, dass die Behauptungen der Beschwerdeführerin zumindest teilweise das Thema der "Sippenhaftung" berühren, dem in den aktenkundigen Unterlagen, auf die sich die belangte Behörde in anderer Hinsicht gestützt hat, auch breiter Raum gewidmet ist, ohne dass die belangte Behörde auf diesen Aspekt und den diesbezüglichen Wissensstand in ihrer Entscheidung aber eingegangen wäre. In diesem Zusammenhang konnte - anders als dies im angefochtenen Bescheid geschehen ist - auch nicht ausgeblendet bleiben, welche Hinweise sich aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen über den Tod ihres Ehegatten in Bezug auf die anzunehmende Einschätzung seiner Rolle als (bloßer) Sympathisant oder Aktivist der PKK durch die türkischen Behörden und - davon ausgehend - in Bezug auf eine allfällige Gefährdung der Beschwerdeführerin gewinnen ließen. Als wie glaubwürdig oder unglaubwürdig die einzelnen Teile der Angaben der Beschwerdeführerin über die ihr widerfahrene Behandlung einzustufen seien, wäre auf der Grundlage derartiger, auf die Umstände des Falles bezogener Ermittlungen und nicht in der Gegenüberstellung mit der Berichtslage hinsichtlich abstrakt volksgruppenbezogener Verfolgungsgefahren zu beurteilen gewesen.

Da dies nicht geschehen ist und die Ansicht der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin sei nach der Tötung ihres Ehegatten nur der "allgemeinen routinemäßigen staatlichen Erhebung" (gemeint offenbar: im Sinne des unter rechtsstaatlichen Bedingungen Üblichen) ausgesetzt gewesen, somit nicht ausreichend nachvollziehbar ist, war der angefochtene Bescheid ohne nähere Auseinandersetzung mit anderen Begründungsteilen und den in der Beschwerde gerügten Mängeln des Verhandlungsprotokolls gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200140.X00

Im RIS seit

30.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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