TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/12 2001/20/0284

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Veröffentlicht am 12.12.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des SS in A, geboren 1961, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. März 2001, Zl. 221.350/0-X/31/01, betreffend § 6 Z 3 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger aus dem Punjab, betrat am 24. September 2000 das Bundesgebiet und beantragte am 26. September 2000 die Gewährung von Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er an, für eine Partei, die für die Unabhängigkeit des Punjab eintrete, Plakate geklebt zu haben. Deswegen sei er von der Polizei mehrmals verhaftet worden. Aus Angst davor, von der Polizei umgebracht zu werden, sei er aus Indien geflüchtet. Die Partei, für die der Beschwerdeführer tätig gewesen sei, bezeichnete er zunächst als "SSF" und gab an, seit 1999 Mitglied dieser Partei zu sein, das genaue Datum wisse er nicht mehr. Auf die Frage nach dem Parteichef und dem Gründer der "SSF" nannte der Beschwerdeführer die Namen "Sardar Harminder Singh Gill" sowie "Sant Jarnail Singh Bindra Wala". Die Zentrale der Partei sei in Amritsar. Bei der "SSF" handle es sich um eine Partei, die "für uns ... legal (ist), für die Regierung ist sie illegal".

Über die Umstände seiner erstmaligen Festnahme im Jänner 1999 gab der Beschwerdeführer an, er habe an seiner Arbeitsstelle ein Plakat kleben wollen und sei deshalb verhaftet worden.

Auf die Frage, was auf dem Plakat gestanden sei, antwortete der Beschwerdeführer:

"Es gibt ein Logo 'All India Sikh Student Federation'. Es gibt eine gute Nachricht für Euch. Es gibt eine Versammlung. Dann wird der Platz genannt..."

Aufgrund dieser Angaben wurde der Beschwerdeführer befragt, ob er nun Mitglied der "AISSF" oder der "SSF" sei, worauf der Beschwerdeführer aussagte, er sei Mitglied der "AISSF" (All India Sikh Student Federation), bei dieser handle es sich um eine "illegale Partei".

Auf den Vorhalt, er habe zuvor angegeben, er sei Mitglied der "SSF", antwortete der Beschwerdeführer, er habe irrtümlich etwas anderes gesagt; er sei Mitglied der "AISSF". Ob es sich bei der "SSF" und der "AISSF" um zwei verschiedene Parteien handle, wisse er nicht; er wisse nur von der "AISSF". Über Vorhalt, dass es sich bei der "AISSF" in Indien um eine legale Partei handle, führte der Beschwerdeführer aus, er wisse das. Die Partei sei registriert, die Regierung wolle aber nicht, wenn man über die Anliegen dieser Partei spreche. Die Regierung sei "gegen diese Anliegen".

Mit Bescheid vom 9. Februar 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien sei zulässig. Das Bundesasylamt begründete diese Entscheidung damit, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei "absolut unglaubwürdig, da es offensichtlich dem ho. Amtswissen widerspricht"; es sei "in sich unschlüssig, der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechend und offenbar in sich widersprüchlich". Das Bundesasylamt verwies u.a. darauf, dass der Beschwerdeführer zunächst angegeben habe, für die "SSF" gearbeitet zu haben, in weiterer Folge jedoch behauptet habe, für die "AISSF" tätig gewesen zu sein. Hinsichtlich des (legalen oder illegalen) Status der "SSF" bzw. der "AISSF" habe sich der Beschwerdeführer in Widersprüche verwickelt. Er habe nicht einmal den genauen Namen seiner Partei gewusst und herausragende Persönlichkeiten dieser Partei nicht gekannt. Dass ein Mitglied den Namen seiner Partei nicht richtig angeben könne, lasse es "absolut unglaubwürdig" erscheinen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich Mitglied dieser Partei gewesen sei. Es sei auch unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer erst 1999, als sich die Lage beruhigt habe, weil der Punjab eine Teilautonomie innerhalb Indiens erlangt habe und von einer Sikh-Partei regiert würde, und nicht bereits früher für diese Partei aktiv geworden sei. Bei seiner mündlichen Einvernahme habe er keine klaren Angaben darüber machen können, weshalb er der "SSF" beigetreten sei; dies sei erst in der schriftlichen Stellungnahme seines Rechtsvertreters ausführlich beschrieben worden. Die vom Beschwerdeführer behauptete Diskriminierung der Sikhs in Indien, insbesondere im Punjab, bestehe nicht mehr. Hinsichtlich des (legalen oder illegalen) Status der "SSF" bzw. der "AISSF" habe sich der Beschwerdeführer in Widersprüche verwickelt. Da aus den "anfangs erwähnten Quellen" hervorgehe, dass der indische Rechtsstaat funktioniere und lediglich hochrangige Mitglieder von terroristischen Organisationen verfolgt würden, wenn sie im Verdacht einer konkreten Straftat stünden, sei es unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer als einfaches Mitglied einer legalen Partei in der von ihm geschilderten Weise verfolgt werde. Schließlich habe der Beschwerdeführer auch über das Datum seiner Festnahmen keine genauen Angaben machen können.

Über die Berufung des Beschwerdeführers erging der nunmehr angefochtene Bescheid, mit dem die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung abgewiesen und gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit u.a. der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Republik Indien festgestellt wurde. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung damit, die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG seien insbesondere deshalb gegeben, weil der Beschwerdeführer unfähig gewesen sei, "eine klare Aussage zur Frage zu machen, in den Diensten welcher Partei er stand. (...) Bei dem in diesem Verfahren offenkundig gewordenen Mangel an selbstverständlichen Kenntnissen in fundamentalen Bereichen des Parteinamens und der Legalität der Partei" sei augenscheinlich, dass ein elementares Sachverhaltselement nicht zutreffe, sodass der Asylantrag schon aufgrund dieser Umstände offenbar unbegründet sei.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

In der Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer u.a., dass er bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt sowohl den Parteichef als auch den Gründer der "AISSF" richtig angegeben habe, und dass es dem Sprachgebrauch in Indien entspreche, die All India Sikh Student Federation (AISSF) in Kurzform als "SSF" zu bezeichnen.

Nach § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach Z 3 dieser Gesetzesstelle der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat "das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht", wobei der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG ein qualifiziertes Maß an Unglaubwürdigkeit voraussetzt (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0294, und vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, mwN).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, dass es in Indien (Punjab) zwei politische Gruppierungen mit ähnlicher Bezeichnung (AISSF und SSF) gebe, von denen der Beschwerdeführer in seiner Aussage vor dem Bundesasylamt behauptet hat, eine "SSF" kenne er nicht, vielmehr habe er die "AISSF" irrtümlich zunächst als "SSF" bezeichnet. Hinsichtlich der Frage, ob diese Partei "legal" oder "illegal" sei, machte der Beschwerdeführer widersprüchliche Angaben. Allein dieser Widerspruch wäre nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht ausreichend, um die allfällige Unrichtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers mit der nach § 6 AsylG erforderlichen Deutlichkeit ("offensichtlich") vor Augen zu führen, zumal der Beschwerdeführer seine Aussage über die "Illegalität" der Partei auch damit erklärte, die Anliegen dieser politischen Gruppierung (in Bezug auf einen eigenen Sikh-Staat) seien gegen die indische Regierung gerichtet.

Dass der Asylantrag offensichtlich unbegründet wäre, kann im vorliegenden Fall aber auch nicht damit begründet werden, dass der Beschwerdeführer für die von ihm unterstützte politische Gruppierung zwei verschiedene abgekürzte Bezeichnungen angegeben hat. In diesem Zusammenhang ist nämlich weder dem angefochtenen Bescheid noch dem vorgelegten Verwaltungsakt zu entnehmen, ob die belangte Behörde den Umstand, dass es zwei Parteien dieses (ähnlichen) Namens gebe, auf bestimmte Verfahrensergebnisse gestützt hat. Es erscheint jedenfalls nicht von vornherein als ausgeschlossen, dass eine politische Gruppierung mit zwei verschiedenen Abkürzungen bezeichnet wird, zumal sich die in der vom Beschwerdeführer zunächst verwendeten Abkürzung ("SSF") fehlenden Buchstaben auf den Landesnamen ("All India ...") beziehen und von mehreren indischen Parteien ein ähnlicher Zusatz geführt wird. Die Verwendung zweier verschiedener Abkürzungen für die vom Beschwerdeführer angeblich unterstützte Gruppierung ist daher nicht geeignet, einen Widerspruch zu begründen, aufgrund dessen die Wahrheitswidrigkeit seiner Schilderung mit der von § 6 Z 3 AsylG geforderten Eindeutigkeit auf der Hand läge. Es hätte daher nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls Feststellungen über das Bestehen der betreffenden Parteien und die für diese üblicherweise im Punjab verwendeten Abkürzungen bedurft, um beurteilen zu können, ob die unterschiedliche Bezeichnung bzw. "Verwechslung" der Abkürzungen durch den Beschwerdeführer für sich allein oder im Zusammenhalt mit den weiteren im angefochtenen Bescheid angeführten Umständen eine solche "qualifizierte Unglaubwürdigkeit" begründete, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 6 Z 3 leg. cit. abzuweisen war. Ohne die erwähnten Feststellungen (die die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung voraussetzen würden) fehlt es an Tatsachen, aus denen die belangte Behörde darauf hätte schließen können, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers eindeutig jeder Grundlage entbehrt.

Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001200284.X00

Im RIS seit

30.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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