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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §17 Abs1;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 99/21/0164 E 13. Dezember 2002Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des am 12. September 1967 geborenen GM in B, vertreten durch Dr. Wolfgang Mayrhofer, Rechtsanwalt in 4310 Mauthausen, Heindlkai 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 3. März 1999, Zl. Senat-BN-98-090, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger der Bundesrepublik Jugoslawien albanischer Volkszugehörigkeit (Kosovo). Er reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und stellte am 2. Juli 1998 bei der Betreuungsstelle Traiskirchen einen Asylantrag. Hiebei konnte er nur einen Personalausweis, nicht aber einen Reisepass vorweisen. Ein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz wurde dem Beschwerdeführer hiebei nicht zuerkannt.
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 20. August 1998 wurde über den Beschwerdeführer, der eine davor ergangene Strafverfügung beeinsprucht hatte, eine Geldstrafe von S 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) verhängt, weil er sich am 2. Juli 1998 in 2514 Traiskirchen, Otto Glöckel Straße 24, als passpflichtiger Fremder im Bundesgebiet Österreich aufgehalten habe, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein. Er habe dadurch § 107 Abs. 1 Z 3 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, verletzt und sei daher gemäß § 107 Abs. 1 Z. 3 leg. cit. zu bestrafen gewesen.
Der Beschwerdeführer hatte im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass er einen Asylantrag gestellt habe, mittellos sei und in der Bundesbetreuung in Bad Kreuzen untergebracht sei. Seine Einreise und sein unrechtmäßiger Aufenthalt seien aus Fluchtgründen erfolgt. Auf seiner Flucht habe er sich in anderen Ländern als Österreich "nur im Transit" aufgehalten. Es sei ihm unmöglich, Österreich zu verlassen, seine Ausreise ohne Reisedokument sei auch rechtswidrig. Die gegen ihn verhängte Strafe wiederspreche Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). In der Bundesrepublik Jugoslawien laufe er - in der derzeitigen Bürgerkriegssituation - Gefahr, dort einer unmenschlichen Behandlung, einer Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Im Übrigen habe er sich mit einem gültigen Personalausweis ausgewiesen.
Die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. Dem Einwand, dass es ihm nicht möglich sei, das Bundesgebiet zu verlassen, hielt die belangte Behörde entgegen, der Beschwerdeführer sei nicht dafür bestraft worden, dass er das Bundesgebiet nicht verlassen habe, sondern dafür, dass er sich als passpflichtiger Fremder ohne Reisedokument im Bundesgebiet aufgehalten habe. Diesen Sachverhalt habe er durch seine illegale Einreise selbst herbeigeführt. Art. 31 GFK komme nicht zum Tragen, weil sich der Beschwerdeführer "im Transit in anderen Ländern als in Österreich" aufgehalten habe. Notstand könne er nicht geltend machen, dazu fehle eine schwere und unmittelbare Gefahr.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde - in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
§ 107 FrG - in der hier anzuwendenden Fassung vor dem 1. Euro-Umstellungsgesetz - Bund - lautete wie folgt:
"Unbefugter Aufenthalt
§ 107. (1) Wer
1. nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer
Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist oder
2. einem Aufenthaltsverbot zuwider unerlaubt in das
Bundesgebiet zurückkehrt oder
3. sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz
eines gültigen Reisedokumentes zu sein, im Bundesgebiet aufhält oder
4. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 31), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der
Z 1 und 2 mit Geldstrafe bis zu 10.000 S oder mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 10.000 S zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes.
(2) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 1 liegt nicht vor, wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§§ 57 und 75 Abs. 4) ist, oder wenn dem Fremden ein Abschiebungsaufschub erteilt worden ist.
(3) Eine Bestrafung gemäß Abs. 1 Z 3 schließt eine solche wegen der zugleich gemäß Abs. 1 Z 4 begangenen Verwaltungsübertretung aus.
(4) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 4 liegt nicht vor, solange dem Fremden die persönliche Freiheit entzogen ist."
Der Beschwerdeführer stellt zwar nicht in Frage, dass - jedenfalls dem Wortlaut nach - der Tatbestand des § 107 Abs. 1 Z 3 FrG erfüllt worden sei. Er sei aber als Kosovo-Albaner wegen der Gefährdung seines Lebens durch die serbische Miliz aus dem Kosovo nach Österreich geflüchtet und habe hier um Asyl angesucht. Vor seiner Flucht sei es ihm nicht möglich gewesen, sich ein Reisedokument ausstellen zu lassen. Auf Grund seiner Flucht- und Asylgründe ergebe sich, dass er nicht im Besitz eines gültigen Reisedokumentes sei. Weder die Behörde der ersten noch jene der zweiten Instanz hätten sich mit dieser Frage auseinander gesetzt. Im Hinblick auf Art. 31 GFK und im Hinblick darauf, dass ihm als Asylwerber eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zuerkannt worden und er vor Aufenthaltsbeendigung und Abschiebung geschützt sei, sei seine Bestrafung rechtswidrig erfolgt.
Gemäß dem vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Art. 31 Z. 1 GFK sollen die vertragschließenden Staaten keine Strafen wegen illegaler Einreise oder Anwesenheit über Flüchtlinge verhängen, die, direkt aus einem Gebiet kommend, wo ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne des Artikels 1 bedroht war, ohne Erlaubnis einreisen oder sich ohne Erlaubnis auf ihrem Gebiet befinden, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und gute Gründe für ihre illegale Einreise oder Anwesenheit vorbringen.
Die Anwendung des Art. 31 GFK auf den Beschwerdeführer ist nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil im maßgeblichen Zeitpunkt das Verfahren über seinen Asylantrag noch nicht beendet und daher noch nicht festgestanden sei, ob es sich bei ihm tatsächlich um einen Flüchtling im Sinn des Art. 1 Abschnitt A GFK handle. Art. 31 Z. 1 GFK ist nämlich bei Erfüllung der darin gestellten sonstigen Voraussetzungen auch auf Asylwerber vor rechtskräftiger Beendigung des Asylverfahrens anzuwenden; vor der Klärung der Flüchtlingseigenschaft darf diese bei einem Asylwerber hier nicht verneint werden.
Art. 31 Z. 1 GFK verbietet die Verhängung von Strafen wegen illegaler Einreise oder Anwesenheit. Im Hinblick auf die besondere Zwangslage, in der sich Flüchtlinge befinden können, kann dies auch das Verbot einer Bestrafung wegen Aufenthaltes im Bundesgebiet ohne ein gültiges Reisedokument gemäß § 2 Abs. 1 i. V.m. § 107 Abs. 1 Z. 3 FrG miteinschließen (vgl. Davy, Asyl und internationales Flüchtlingsrecht, Band I 1996, 117; der englische High Court leitete daraus auch das Verbot der Bestrafung wegen Gebrauchs eines gefälschten Reisedokumentes durch einen Asylwerber ab: vgl. R v Uxbridge Magistrates' Court et al ex parte Adimi (1999) INLR 490, und zu dieser Problematik Fromherz, Flucht, Asyl -
und Vorstrafe?, JRP 2001, 120). Dies wird dann der Fall sein, wenn das Fehlen eines Reisedokumentes aus den Umständen der Flucht, der direkten Einreise und dem Aufenthalt des Flüchtlings erklärt werden kann.
Die belangte Behörde hat die Anwendung des Art. 31 Z. 1 GFK deshalb verneint, weil der Beschwerdeführer nicht "direkt" im Sinne dieser Bestimmung nach Österreich eingereist sei, er habe sich nämlich "auf seiner Flucht im Transit in anderen Ländern als in Österreich aufgehalten". Eine direkte Einreise im Sinn des Art. 31 Z. 1 GFK liegt allerdings schon dann vor, wenn der Betroffene vor der Einreise nach Österreich noch nicht verfolgungs- und refoulementsicher gewesen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2002, Zl. 2001/21/0087, m.w.N.), unabhängig davon, ob hiebei andere Staaten oder Gebiete als jene, in denen der Asylwerber Verfolgung zu befürchten behauptet, durchreist wurden. Diesbezüglich muss die Behörde vor der Verneinung des Vorliegens einer direkten Einreise Feststellungen treffen (vgl. zur Problematik nach dem Asylgesetz 1991 etwa das hg. Erkenntnis vom 14. September 2000, Zl. 97/21/0391, m.w.N.). Dies hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall unterlassen. Die direkte Einreise des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 31 GFK durfte im vorliegenden Fall daher nicht ohne Weiteres verneint werden.
Ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht, es läge keine direkte Einreise vor, hat sich die belangte Behörde mit den weiteren Voraussetzungen des Art. 31 Z. 1 GFK nicht auseinander gesetzt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 13. Dezember 2002
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999210163.X00Im RIS seit
14.04.2003Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008