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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §119 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Mag. Wolfgang Friedl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 20. August 1998, Zl. RV/192-07/05/98, betreffend Entlassung aus der Gesamtschuld, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war Gesellschafter einer Gesellschaft nach bürgerlichem Recht, worauf seine Stellung als Gesamtschuldner für Umsatzsteuern dieser Gesellschaft für 1992 und 1993 zurückzuführen ist (§ 6 Abs 2 BAO).
Mit Eingabe vom 29. Juli 1996 beantragte der Beschwerdeführer die Entlassung aus der Gesamtschuld hinsichtlich der erwähnten Umsatzsteuern 1992 und 1993 (insgesamt ca 100.000 S). Er sei in den Jahren 1992 und 1993 in der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht mit der Montageleitung betraut gewesen. Die Buchhaltung und die steuerlichen Agenden seien von Herrn und Frau F wahrgenommen worden. Der Beschwerdeführer habe erstmals im Jahr 1996 erfahren, dass Abgabenerklärungen der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht nicht eingereicht worden seien. Er führe mittlerweile selber einen Betrieb in der Form, dass er Komplementär der B-KEG (im Blitzschutzanlagenbau tätig) sei. Dort bestehe ein Schuldenstand von ca 550.000 S. Die Bezahlung des Rückstandes betreffend die Gesellschaft nach bürgerlichem Recht bedeute eine Gefährdung des Beschwerdeführers selbst und auch der B-KEG.
Mit Bescheid vom 4. März 1998 wies das Finanzamt den Antrag mit dem Hinweis auf das Fehlen einer Unbilligkeit der Einhebung der Abgaben ab.
In der Berufung gegen diesen Bescheid verwies der Beschwerdeführer auf die "starke Passivität" des Blitzschutzbaues. Die Einbringung der Umsatzsteuerschuld für 1992 und 1993 würde zu einer Existenzgefährdung führen.
In der abweisenden Berufungsvorentscheidung wies das Finanzamt u.a. darauf hin, dass sich im Hinblick auf die Höhe der bestehenden Verbindlichkeiten durch die Entlassung aus der Gesamtschuld keine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers ergäbe. Im Übrigen könne Härten der Abgabeneinhebung durch die Bewilligung einer den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers angepassten Zahlungserleichterung begegnet werden. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 14. Jänner 1991, 90/15/0060, ausgesprochen habe, bedürfe es keiner Abgabennachsicht, wenn Zahlungserleichterungen den Härten der Abgabeneinhebung abhelfen könnten.
Der Beschwerdeführer beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Nach den letzten Bankauszügen bestünden für ihn und die B-KEG Verbindlichkeiten von (insgesamt) ca 788.000 S. Die B-KEG habe im Zeitraum 1994 bis 1997 insgesamt einen Verlust von 99.703 S erzielt. Die Bank werde weitere Kredite nur gegen Gewährung neuer Sicherheiten einräumen, der Beschwerdeführer könne aber keine Sicherheiten anbieten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Entlassung aus der Gesamtschuld habe zur Voraussetzung, dass die Abgabeneinhebung unbillig sei. Der Beschwerdeführer erblicke die Unbilligkeit einerseits darin, dass er im Rahmen der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht ausschließlich für den technischen Bereich und damit nicht für den steuerlichen Bereich zuständig gewesen sei. Dem sei entgegenzuhalten, dass das Wesen der Gesamtschuld darin liege, dass der Gläubiger jeden Schuldner für die gesamte Schuld heranziehen könne. In der Heranziehung des Beschwerdeführers als Gesamtschuldner sei daher kein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis zu erblicken. Soweit der Beschwerdeführer vorbringe, die Bezahlung des Rückstandes würde nicht nur seine Existenz, sondern auch jene seines Betriebes (gemeint: der B-KEG) gefährden, werde ihm entgegengehalten, dass im Hinblick auf die Höhe der bestehenden Verbindlichkeiten von ca 788.000 S die wirtschaftliche Situation durch die Entlassung aus der Gesamtschuld nicht wesentlich verbessert werden würde. Da eine persönliche Unbilligkeit nur dann vorliege, wenn gerade durch die Einbringung der Abgaben die wirtschaftliche Existenz gefährdet werde, dies im gegenständlichen Fall jedoch nicht gegeben sei, könne auch dieser Grund eine Entlassung aus der Gesamtschuld nicht rechtfertigen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 237 Abs 1 BAO kann auf Antrag eines Gesamtschuldners dieser aus der Gesamtschuld ganz oder zum Teil entlassen werden, wenn die Einhebung der Abgabenschuld bei diesem nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Die Voraussetzungen für die Entlassung eines einzelnen Gesamtschuldners aus dem Gesamtschuldverhältnis sind grundsätzlich die gleichen wie die für die Nachsicht, nämlich die Unbilligkeit der Einziehung der Abgabe, für welche ein Gesamtschuldner einzustehen hat. Während für die Nachsicht (§ 236 BAO) das Vorliegen der maßgeblichen Voraussetzungen bei allen Mitschuldnern gefordert wird, genügt es für eine Maßnahme nach § 237 BAO, wenn die Billigkeitsgründe lediglich in der Person des antragstellenden Gesamtschuldners gelegen sind.
Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde bereits die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten unbillig sei, verneint.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Abgabenpflichtigen ergeben. Die Unbilligkeit der Einhebung einer Abgabe nach der Lage des Falles kann eine "persönliche" oder "sachliche" sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn (gerade) die Einhebung der Abgaben die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, insbesondere das Vermögen und das Einkommen des Abgabenschuldners, in besonderer Weise beeinträchtigen würde. Derartige Umstände liegen nach der Rechtsprechung etwa dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlage des Antragstellers gefährdete oder die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögen möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2002, 99/14/0284).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die bei Stoll, BAO-Kommentar, 2422, angeführten Erkenntnisse) obliegt es dem Gesamtschuldner, das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die eine Entlassung aus der Gesamtschuld gestützt werden könnte. Dieser hat daher, wenn er sich beispielsweise auf eine Überschuldung beruft, darzulegen, aus welchen Gründen trotz einer Überschuldung, die zusätzlich zu den im Haftungsweg geltend gemachten Abgabenschuldigkeiten besteht, eine von ihm behauptete Existenzgefährdung durch Entlassung aus der Gesamtschuld abzuwenden wäre (vgl das hg Erkenntnis vom 30. Jänner 1991, 87/13/0094).
Der Beschwerdeführer bringt vor, Unbilligkeit der Abgabeneinhebung iSd § 237 BAO liege vor, wenn der Bestand der Existenzgrundlage oder der Erwerbsquelle des Steuerschuldners durch die Abgabeneinhebung gefährdet wäre. Der Beschwerdeführer sei Komplementär der B-KEG. Es sei "gewissermaßen evident", dass der Bestand der genannten Erwerbsquelle durch die Abgabeneinhebung gefährdet wäre. Die Einbringung der Abgabenverbindlichkeiten stehe daher in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu den Nachteilen, die sich aus der Einziehung ergeben würden. Die Entrichtung der Abgabe wäre nur unter Liquidation des Betriebes (der B-KEG) aus dem Liquidationserlös möglich. Die Argumentation der belangten Behörde, wonach sich im Hinblick auf die bestehenden Verbindlichkeiten die wirtschaftliche Situation durch die Entlassung aus der Gesamtschuld nicht wesentlich ändern würde, sei nicht nachvollziehbar. Bei Ansteigen der Verbindlichkeiten um den Betrag der Umsatzsteuern 1992 und 1993 der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht könnten die Verbindlichkeiten nicht mehr befriedigt werden, wodurch die Existenzgrundlage des Beschwerdeführers gefährdet wäre. Auch hätte die belangte Behörde von Amts wegen Informationen darüber einholen müssen, wie sich die Bankverbindlichkeiten von ca 788.000 S zusammensetzten und wie sie bedient werden könnten; dann hätte sich ergeben, dass der Beschwerdeführer zwar in der Lage sei, diese Verbindlichkeiten zu bedienen, nicht aber zusätzliche Verbindlichkeiten. Weiters spreche für die persönliche Unbilligkeit, dass der Beschwerdeführer (aufgrund einer persönlichen Vereinbarung mit den anderen Gesellschaftern der Gesellschaft nach bürgerlichem Recht) nur für den technischen Bereich zuständig gewesen sei.
Die Umsatzsteuern 1992 und 1993, auf welche sich der Antrag nach § 237 BAO bezieht, betragen ca 100.000 S. Der Hinweis in der Gegenschrift der belangten Behörde, dass diese Abgaben im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nur noch mit einem Betrag von unter 60.000 S aushafteten, stimmt mit der Aktenlage überein.
Dass der Beschwerdeführer und die B-KEG gerade Schulden in der Höhe von ca 788.000 S bedienen könnten, nicht aber einen geringfügig (um rund 10%) höheren Betrag, hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht behauptet und schon gar nicht durch konkrete Berechnungen belegt. Wenn der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgebracht hat, im Zeitraum 1994 bis 1999 habe sich ein - durch Einnahmen-Ausgaben-Rechnung ermittelter - Gesamtverlust von ca 99.000 S ergeben, ist daraus nicht zu erkennen, woraus Mittel für die Schuldentilgung sowie für den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers erzielt werden.
Da es Sache des Beschwerdeführers gewesen wäre darzulegen, dass die wirtschaftliche Existenz gerade durch die Einbringung der betreffenden Abgaben gefährdet wäre bzw mit einer Entlassung aus der Gesamtschuld die Existenzgefährdung hätte abgewendet werden können, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht nachgewiesen worden sind.
Darauf verwiesen sei auch, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren keine konkreten Angaben über sein Vermögen und über den Wert seiner Beteiligung an der B-KEG gemacht hat.
Der Verweis auf die Verhältnisse im Bereich der Gesellschaft nach bürgerlichen Recht, hinsichtlich deren Abgabenschulden er Gesamtschuldner ist (der Verweis auf eine Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern betreffend deren Tätigkeitsbereiche), ist - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht geeignet, eine (persönliche) Unbilligkeit iSd § 237 Abs 1 BAO aufzuzeigen. Da § 237 BAO ausdrücklich verlangt, die Unbilligkeit müsse in der "Einhebung", also im Inkasso oder in der Vollstreckung der Abgabenforderung liegen, reicht nämlich eine Unbilligkeit, die etwa aus der gesetzlich normierten Einrichtung der Gesamtschuld als solcher abgeleitet werden könnte (etwa weil nicht auf die konkreten Tätigkeiten der potenziellen Gesamtschuldner abgestellt wird), für Maßnahmen nach § 237 BAO nicht aus (vgl das hg Erkenntnis vom 30. März 2000, 99/16/0098).
Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II 501/2001.
Wien, am 19. Dezember 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999150023.X00Im RIS seit
29.04.2003Zuletzt aktualisiert am
21.10.2011