Index
L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art140 Abs7 zweiter SatzLeitsatz
Rechtsverletzung der Verlassenschaft nach der beschwerdeführenden Partei aufgrund Anwendung einer aufgehobenen, nicht mehr anzuwendenden BestimmungSpruch
Die Verlassenschaft nach der beschwerdeführenden Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Salzburg ist schuldig, der Verlassenschaft nach der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Die mittlerweile verstorbene Beschwerdeführerin war Pflege(taschen)geldbezieherin nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG) sowie Sozialhilfebezieherin nach dem Salzburger Sozialhilfegesetz (SSHG). Im Rahmen der Sozialhilfe war sie zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes seit Jänner 1998 in einem privaten Pflegeheim in Salzburg, zu dem sie im Vertragsverhältnis stand, untergebracht. Das von ihr dafür vertraglich geschuldete Entgelt wurde vom Sozialhilfeträger allerdings nicht zur Gänze, sondern nur teilweise, nämlich nach Maßgabe eines - für die konkrete Pflegeeinrichtung durch Verordnung der Salzburger Landesregierung vom 28. Jänner 1998 über die Höhe der für Hilfesuchende zu leistenden Pflegeentgelte in Altenheimen, Pflegeheimen und Pflegestationen privater Rechtsträger, LGBl. Nr. 22/1998, festgesetzten - Tarifes getragen. An diesen Betrag wurde überdies gemäß §8 Abs5 SSHG 80 % des Einkommens der Beschwerdeführerin als Eigenleistung angerechnet, wobei als Einkommen gemäß §8 Abs6 SSHG auch das nach dem BPGG bezogene Taschengeld berücksichtigt wurde. Der so ermittelte Betrag wurde seitens des Sozialhilfeträgers, der jeweilige Einkommensteil seitens der jeweils auszahlenden Stellen direkt an die Pflegeeinrichtung ausbezahlt.
2. Mit Schreiben vom 31. März 1998 an das Magistrat Salzburg - Sozialamt brachte die Beschwerdeführerin vor, für die nicht von der Sozialhilfe gedeckten Heimkosten in der Höhe von S 5.262,08 monatlich ihr Taschengeld heranziehen zu müssen und mit dem weiterhin aushaftenden Betrag belastet zu sein, und beantragte, ihr Sozialhilfe in einer Höhe zu gewähren, welche die gesamten Heimkosten abdecken und ihr das gesetzlich vorgesehene Taschengeld garantieren würde.
Diesen Antrag wies der Bürgermeister der Stadt Salzburg mit Bescheid vom 20. April 1998 erstinstanzlich ab und begründete dies der Sache nach damit, daß das SSHG, so auch die nach seinem §8 Abs5 u. 6 vorzunehmende (und vorgenommene) Anrechung von 80 % des Bundespflegetaschengeldes, sowie die genannte Verordnung der Salzburger Landesregierung keine weitergehende Gewährung von Sozialhilfe vorsähen. Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid, sich unter anderem auf den Boden des §8 Abs5 SSHG stellend, keine Folge und ging damit offensichtlich auch von der auf §8 Abs6 SSHG gestützten Berücksichtigung des Bundespflegetaschengeldes als Einkommen im Sinn des §8 Abs5 SSHG und der demgemäßen 80 %igen Anrechnung dieses Taschengeldes an den der Beschwerdeführerin als Sozialhilfe gebührenden Betrag aus.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums, sowie die Anwendung als verfassungswidrig erachteter Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen behauptet und mit näherer Begründung die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird. Die Beschwerde langte am 21. Oktober 1998 beim Verfassungsgerichtshof ein.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
5. Die Beschwerdeführerin ist am 3. November 1998 verstorben. Die Verlassenschaft nach der Verstorbenen, vertreten durch die Erben, hat auf Anfrage des Verfassungsgerichtshofes mit Schriftsatz vom 22. Februar 1999 mitgeteilt, daß die Erben das gegenständliche Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof fortsetzen bzw. aufrechterhalten. Die Einsichtnahme in den Akt des beim Bezirksgericht Salzburg zur Zahl 4 A520/98t geführten Verlassenschaftsverfahrens hat ergeben, daß das Verfahren mangels eines zureichenden Vermögens gemäß §72 Abs2 Außerstreitgesetz nicht eingeleitet wurde, es den zur Erbschaft Berufenen aber freistellt wurde, die Einleitung des Verlassenschaftsverfahrens zu begehren, und daß die erblichen Kinder der Verstorbenen ermächtigt wurden, über einen (geringfügigen) Barbetrag gemeinschaftlich zu verfügen.
Der Tod der Beschwerdeführerin bewirkt nicht, daß das mit ihr geführte Verfahren einzustellen wäre; vielmehr ist das Verfahren gemäß §35 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG mit dem Rechtsnachfolger der Beschwerdeführerin fortzusetzen (vgl. etwa VfSlg. 10501/1985). Mangels eines Verlassenschaftsverfahrens sind die Rechte der Verstorbenen noch dem (bis zur Einleitung des Verfahrens ruhenden) Nachlaß nach der Verstorbenen, nicht aber ihren präsumtiven Erben zuzuordnen (vgl. OGH 1 Ob 278/52, 23.4.1952; 10 Ob S 274/97k, 30.9.1997). Nur der Nachlaß (die Verlassenschaft) ist zu diesem Zeitpunkt daher legitimiert, in die durch den gegenständlich angefochtenen Bescheid gestalteten Rechtspositionen der Verstorbenen einzutreten. Der Verfassungsgerichtshof wertet deshalb die erwähnte Mitteilung der Verlassenschaft dahingehend, daß diese, vertreten durch die (präsumtiven) Erben, das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof aufrecht erhalten will.
6. Mit Erkenntnis vom 5. Oktober 1998, G117/98, hob der Verfassungsgerichtshof aus Anlaß eines anderen Beschwerdeverfahrens die Wendung "bundes- oder" in §8 Abs6 des Salzburger Sozialhilfegesetzes, LGBl. für Salzburg Nr. 19/1975 idF LGBl. Nr. 49/1996, als verfassungswidrig auf und sprach aus, daß die verfassungswidrige Vorschrift nicht mehr anzuwenden ist; dieser Ausspruch wurde im Salzburger Landesgesetzblatt Nr. 115/1998 am 30. November 1998 kundgemacht.
Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist daher die von der Aufhebung betroffene Gesetzesbestimmung des §8 Abs6 des Salzburger Sozialhilfegesetzes nicht nur in Anlaßfällen und diesen gleichzuhaltenen Beschwerdefällen, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988), sondern (jedenfalls ab der Kundmachung) ausnahmslos in allen Beschwerdefällen - und somit auch im gegenständlichen, beim Verfassungsgerichtshof erst nach der Beratung zum erwähnten Erkenntnis G117/98 anhängig gewordenen Beschwerdeverfahren - nicht mehr anzuwenden (vgl. VfGH 22.2.1999, B1125/98; 7.6.1999, B2106/98).
7. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides (auch) die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die ihr rechtsnachfolgende Verlassenschaft wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
8. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde im Sinne von §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.
9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten sind S 4.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.
Schlagworte
VfGH / Legitimation, VfGH / Aufhebung Wirkung, SozialhilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B1975.1998Dokumentnummer
JFT_10008870_98B01975_00