TE Vwgh Erkenntnis 2002/12/20 2000/02/0225

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.12.2002
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
95/02 Maßrecht Eichrecht;

Norm

AlkomatV 1994 §1 Z2 idF 1997/II/146;
AVG §45 Abs2;
EichzulassungsV 1992 §18;
MEG 1950 §39 Abs2 Z2;
MEG 1950 §39 Abs2 Z3;
MRK Art6;
StVO 1960 §5 Abs2a litb;
StVO 1960 §5 Abs4 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des W S in K, vertreten durch Dr. Alexander Neuhauser, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Dapontegasse 5/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. Juni 2000, Zl. UVS- 03/P/25/2442/1999/28, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 9. Juni 2000 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 5 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. a StVO schuldig erkannt, er habe am 10. April 1999 um 00.40 Uhr in 1080 Wien, Hernalser Gürtel 6-12, als Lenker eines dem Kennzeichen nach näher bezeichneten Kraftfahrzeuges dieses in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (0,80 mg/l Alkohol/l Atemluft) gelenkt. Hiefür wurde über ihn gemäß § 99 Abs. 1 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von S 16.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 7 Tage) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Der Beschwerdeführer vertritt - wie bereits im Verwaltungsverfahren - die Ansicht, es seien nicht die Ergebnisse der bei ihm am Tattag um 00.55 und 00.56 Uhr durchgeführten Untersuchungen der Atemluft auf Alkoholgehalt von - genau - je 0,8 mg/l zu Grunde zu legen, sondern weniger (woraus die Anwendung des § 99 Abs. 1a und nicht des Abs. 1 lit. a StVO resultieren würde).

Was zunächst die "Eichung" des bei dieser Messung verwendeten Gerätes Marke "Dräger" (vgl. dazu § 1 Z. 2 der Alkomatverordnung BGBl. Nr. 789/1994 idF 146/1997) anlangt, so trifft es zu, dass sich die belangte Behörde nicht auf einen diesbezüglichen "Eichschein" berufen konnte. Dies war auch nicht erforderlich, weil die Eichung auch auf andere Weise als durch Einholung eines Eichscheines bewiesen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 2000/03/0260, wo der Beweis durch entsprechende Auskunft eines Bediensteten des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen erbracht wurde, sowie das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2001, Zl. 2000/02/0005, betreffend die Einholung einer diesbezüglichen Bestätigung dieser Behörde).

Gemäß § 36 Abs. 1 des Maß- und Eichgesetzes (BGBl. Nr. 152/1950 - die im Beschwerdefall noch nicht anzuwendende Novelle BGBl. Nr. 85/2002 hat diesbezüglich keine wesentliche Änderung vorgenommen) besteht die Eichung aus der eichtechnischen Prüfung und Stempelung von Messgeräten durch die Eichbehörde. Durch diese "Stempelung" (abgesehen von einem Fall der "Gleichwertigkeit" bzw. "Konformität" - vgl. § 37 Maß- und Eichgesetz i.d.F. vor der zitierten Novelle) wird die Eichung dokumentiert (vgl. zutreffend Freistetter/Kaluza/Twaroch, Maß- und Eichrecht, S. 81). Dass dem "Eichstempel" wesentliche Bedeutung zukommt, erhellt auch aus § 47 Abs. 2 Maß- und Eichgesetz, wo geregelt ist, dass "einem Messgerät die Verkehrsfähigkeit durch Beseitigung oder Entwertung des Eichstempels zu entziehen" ist.

Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof in dem vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Erkenntnis vom 25. Juni 1999, Zl. 99/02/0074, zum Ausdruck gebracht hat, die von der (damals) belangten Behörde getroffene Feststellung, das (dort verwendete) Gerät sei geeicht gewesen, sei nicht nachvollziehbar, weil ein "Eichschein oder eine eichamtliche Bestätigung darüber, dass der Alkomat im Tatzeitpunkt die erforderliche Eichung aufgewiesen hätte", in den Verwaltungsakten nicht enthalten sei; auch finde sich dort lediglich ein Vermerk des Gendarmeriepostenkommandos, dass der Alkomat im Tatzeitpunkt einen "Eichstempel" aufgewiesen habe. Zur Frage, weshalb durch diesen "Eichstempel" die Eichung zum (damaligen) Tatzeitpunkt nicht als erwiesen angenommen werden konnte, finden sich allerdings in diesem hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1999 keine näheren Ausführungen, sodass der Gerichtshof offenbar davon ausging, dass der "Inhalt" dieses "Eichstempels" (vgl. § 36 Abs. 3 Maß- und Eichgesetz sowie § 18 ff der Eich-Zulassungsverordnung, BGBl. Nr. 785/1992, siehe dazu Freistetter/Kaluza/Twaroch, a.a.O., S. 82) nicht festgestellt worden war. Diesem hg. Erkenntnis kann daher aus diesem Grund nicht entnommen werden, es sei die "Eichung" durch den "Eichstempel" nicht nachweisbar.

Im vorliegenden Beschwerdefall hat die belangte Behörde - gestützt auf das "Protokoll zur Atemalkoholuntersuchung im Zusammenhalt mit der zeugenschaftlichen Aussage" des als Zeugen vernommenen, damals eingeschrittenen Polizeibeamten - als erwiesen angenommen, dass aus der am Gerät angebrachten "Nacheich-Etikette" (von diesem Polizeibeamten bei seiner Zeugeneinvernahme als "Plakette" bezeichnet) des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen mit Nacheichfrist 31. Dezember 2000 zu schließen sei, dieses Gerät sei zum Tatzeitpunkt geeicht gewesen.

Damit übersieht die belangte Behörde, dass aus dieser "Nacheich-Etikette" für sich allein nicht der zwingende Schluss auf die Eichung gezogen werden kann. Dass aber aus der Zeugenaussage des eingeschrittenen Polizeibeamten auch eine "Stempelung" im Sinne des § 36 Abs. 1 Maß- und Eichgesetz samt deren Inhalt (vgl. die obigen Darlegungen) entnommen werden konnte, ist aus der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ersichtlich, wo nur davon die Rede ist, auf dem Gerät sei eine "Plakette" (mit dem Hinweis auf die Nacheichfrist, die vom eingeschrittenen Polizeibeamten im Protokoll zur Atemalkoholuntersuchung eingetragen worden sei) angebracht gewesen, die im Erlass des Bundesministeriums für Inneres vom 11. August 1995, Zl. 31 415/18-II/19/95, als "Nacheich-Etikette" bezeichnet werde. (Am Rande sei vermerkt, dass auch dieser Erlass - unabhängig von seiner Rechtsnatur als bloße Verwaltungsverordnung - (vgl. dessen Punkt 2.5., betreffend die Eichung der Messgeräte zur Bestimmung des Alkoholgehaltes der Atemluft) u.a. ausführt, als Nachweis der Eichung diene "ausschließlich" der am Gerät angebrachte Eichstempel, der "Ablauf der Eichung" sei aus der am Gerät angebrachten "Nacheich-Etikette" ersichtlich.)

Die belangte Behörde hat daher im Zusammenhang mit der Frage, ob das in Rede stehende Gerät zur Tatzeit geeicht war, den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet.

Für das fortgesetzte Verfahren sei allerdings - die Eichung des Gerätes zur Tatzeit vorausgesetzt - auf Folgendes verwiesen:

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kam der Abzug einer "Eichfehlergrenze" vom festgestellten Atemalkoholgehalt nicht in Betracht: Der Verwaltungsgerichtshof hat auch zur Fassung des § 5 StVO nach der 19. StVO-Novelle an seiner diesbezüglichen Rechtsprechung festgehalten, dass es allein auf die "vom Gerät gemessenen und angezeigten Werte" ankommt und "das Ergebnis einer Atemluftuntersuchung nur durch die Einholung eines Gutachtens über den Blutalkoholgehalt entkräftet werden kann" (vgl. etwa das Erkenntnis vom 6. November 2002, Zl. 2002/02/0125). Ob das Ergebnis der Blutalkoholbestimmung jener der Atemalkoholbestimmung im konkreten Fall vorzuziehen ist oder nicht, ist eine Frage der von der Behörde sodann vorzunehmenden diesbezüglichen Beweiswürdigung. Es trifft daher nicht zu, dass die Strafbestimmung bei Nichtabzug der "Eichfehlergrenze" zu Lasten des Beschuldigten ausschlägt und dies - so der Beschwerdeführer - dem Art. 6 MRK widerspricht. Auch die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Beweis- und Rechtslage im Ausland veranlassen den Verwaltungsgerichtshof nicht, von der soeben dargelegten Rechtsansicht abzugehen.

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren vorgebracht (vgl. seine diesbezüglichen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 15. Mai 2000), in einem Zeitraum von ca. 10 Minuten vor dem Fahrtantritt (um 00.35 Uhr) ein Seidel Bier getrunken zu haben, es habe sich also um einen "Schlusstrunk" gehandelt. Der medizinische Amtssachverständige hat in dieser Verhandlung "ohne Vorgriffe auf die freie Beweiswürdigung zu tun" eine Berechnung unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers in nachstehender Form durchgeführt:

"Nunmehr wird davon ausgegangen, dass der Trinkbeginn um 0.25 Uhr erfolgte und das Seidel Bier bis um 0.35 Uhr geleert wurde. Um 0.40 Uhr war die Anhaltung und der erste Atemalkoholtest um 0.55 Uhr. Wie bereits ausgeführt, führt ein Seidel Bier das 13,2 g Alkohol enthält, bei einer Größe von 170 cm und einem Gewicht von 65 kg ohne vorherige Nahrungsaufnahme zu einer max. Alkoholisierung von 0,108 mg/l. Seitens des BW (Anm.: des Beschwerdeführers) wird nunmehr angegeben, dass er 4 bis 5 Stunden vorher ein Essen zu sich genommen hat. Es muss daher - da keine detaillierten Angaben über den Essenskonsum vorliegen - von einer ganz kleinen Mahlzeit wie etwa Toast, Wurstbrot, Würstel etc. ausgegangen werden, jedoch nicht von einem Zustand von keinem Essenskonsum. Damit ändert sich die max. Alkoholisierung auf 0,089 mg/l. Zwischen Trinkbeginn und Atemtest liegen 30 Minuten, somit ist die Hälfte der oben zitierten Menge, das ist 0,0445 im Körper aufgenommen. Zieht man diesen Wert von dem Messresultat ab, erhält man einen Atemalkoholwert von 0,755 mg/l. Addiert man dazu die kleinste gefundene Abbaumenge von 0,066 mg/l und nimmt davon ein Viertel (entspricht 15 Minuten Zeitdifferenz), erhöht sich der vorher genannte Wert um 0,0165 zu einer Gesamtheit von 0,777 mg/l zum Zeitpunkt der Anhaltung. ...

Mit der ganz kleinen Mahlzeit ist nicht das im Protokoll zur Atemalkoholuntersuchung (Blatt 2) angeführte Mittagessen gemeint, sondern eine Mahlzeit 4 bis 5 Stunden vor Atemalkoholmessung."

Die im Zusammenhang mit "Schlusstrunk" und "Essenseinnahme" interessierende Beweiswürdigung der belangten Behörde lautet wie folgt:

"Was die Angaben des Berufungswerbers zu seinem Alkoholgenuss und seiner Essenseinnahme betrifft, erscheinen die im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens getroffenen Angaben weniger glaubwürdig, weil sie erst in großer zeitlicher Entfernung vom Tatzeitpunkt gemacht wurden. Vielmehr erscheint es glaubwürdig, dass der Berufungswerber die Angaben über den Alkoholgenuss und die Esseneinnahme so machte, wie sie im Protokoll zur Atemalkoholuntersuchung aufscheinen, da nicht angenommen werden kann, dass der Meldungsleger in diesem Protokoll andere Angaben einträgt, als ihm der Proband sagt, selbst wenn diese Protokoll erst zu einem Zeitpunkt erstellt wird, zu dem der Proband nicht mehr anwesend ist."

In der Begründung des angefochtenen Bescheides werden (insoweit inhaltlich übereinstimmend mit dem Original) als Eintragungen im "Protokoll zur Atemalkoholuntersuchung" ausgeführt:

"Angaben über Alkoholgenuss und Esseneinnahme: 9.4.1999, 18.00 Uhr, bis 10.4.1999, 0.30 Uhr zwei Seidel Bier, drei Gespritzte. Mittagessen. Letzter Alkoholkonsum vor Fahrtantritt:

10.4.1999, 0.30 Uhr. Art und Menge: Ein Gespritzter."

Was zunächst diese Beweiswürdigung anlangt, so vermag sie der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm diesbezüglich zustehenden Kontrolle (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht als rechtwidrig zu erkennen. Zu der von der belangten Behörde als erwiesen angenommenen "Essenseinnahme" (Mittagessen) wird in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet. Aber auch die Sachverhaltsannahme der belangten Behörde hinsichtlich des Alkoholgenusses, insbesondere dass der Beschwerdeführer am Tattag vor Antritt der Fahrt um 0.30 Uhr als "Schlusstrunk" einen "Gespritzten" (und nicht ein Seidel Bier) getrunken habe, vermag der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg in Zweifel zu ziehen. Dass die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung erst im angefochtenen Bescheid dargelegt hat, liegt in der Natur der Sache; auch nach dem Vorbringen der Beschwerde hat der Beschwerdeführer keinen konkreten Zeugenbeweis für sein "Abschluss-Seidl" beantragt und ihn sich nur für den Fall vorbehalten, dass die Behörde diese seine Angabe in Zweifel zieht. Der behauptete diesbezügliche Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.

Ausgehend von der dargestellten Sachverhaltsannahme der belangten Behörde hinsichtlich der Essenseinnahme und des Alkoholkonsums durch den Beschwerdeführer fehlt es allerdings an einer nachvollziehbaren Begründung im angefochtenen Bescheid, weshalb die belangte Behörde davon ausging, der Beschwerdeführer habe zur Tatzeit einen Alkoholgehalt seiner Atemluft von 0,8 mg/l aufgewiesen. Insbesondere zeigt der angefochtene Bescheid nicht auf, welche gutächtliche Äußerungen des medizinischen Amtssachverständigen auf den "Schlusstrunk" eines "Gespritzten" (in Verbindung mit dem Mittagessen als letzte Mahlzeit) Bezug nehmen, zumal dieser Sachverständige - wie in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargestellt - davon ausging, "Der Alkoholgehalt 1/8 Liter Weines sind 12 Gramm mit kleiner Varianz, ein Seidel Bier enthält 13,2 Gramm mit kleiner Varianz."

Der angefochtene Bescheid war daher auch aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und b VwGG wegen Rechtwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 501/2001.

Wien, am 20. Dezember 2002

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete StVOBeweismittel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000020225.X00

Im RIS seit

17.03.2003

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten