TE Vwgh Erkenntnis 2003/1/14 2001/01/0387

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Veröffentlicht am 14.01.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde der 1979 geborenen O in Wien, vertreten durch Mag. Alexander Hinteregger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Plankengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Mai 2001, Zl. 219.569/0- XII/37/00, betreffend §§ 7 und 8 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Nigerias, gelangte am 21. August 2000 in das Bundesgebiet und stellte an diesem Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt (der Erstbehörde) am 12. September 2000 schilderte sie vorerst ihren Fluchtweg - sie komme aus dem Dorf Afrokpe, Sapele, Delta State, das sie am 26. Juli 2000 verlassen habe - und gab zum Fluchtgrund an:

"Die Jugendlichen von Afrokpe sowie auch andere aus der Umgebung demonstrieren immer wieder für gutes Wasser, ordentliche Schulen und Spitäler, allgemein für bessere Lebensbedingungen.

In Delta State gibt es Öl, das auch gefördert wird. Dennoch kümmert sich die Regierung nicht um uns. Sogar die Arbeiter wie auch die Polizei in Delta State stammen aus anderen Regionen Nigerias.

Die Farm meines Vaters ist ölverseucht, auch unser Fluss ist verseucht, weshalb man dort nicht mehr fischen kann.

Ich schloss mich den Jugendlichen 1996 an. Ein Anführer dieser Jugendlichen ist auch der Vater meines Sohnes. Dieser heißt C. N., geb. 1975, whft. in Afrokpe, Delta State.

Da es keine ordentlichen Spitäler gibt starben einige Frauen während der Geburt, mein Freund und Kindesvater hatte keine Arbeit bekommen.

Die Jugendlichen treffen sich jeweils in der ersten Woche des Monats und es wurden dabei immer wieder gemeinsam Briefe an die Shell Oil Company und an die lokale Regierung in Delta State verfasst und geschickt.

Bei einem Treffen entschieden wir uns, am 25.07.2000 eine friedliche Demonstration abzuhalten.

Viele Jugendliche aus Afrokpe und den umliegenden Gemeinden trafen sich an diesem Tag in Afrokpe. Auch ich war bei der Demonstration dabei. Wir begaben uns zum Gelände der Shell Oil Company und wollten die Arbeiter davon abhalten, zu ihren Arbeitsplätzen zu gelangen. Wir blockierten die Zugänge zum Ölfördergelände. Die Arbeiter begannen mit uns zu diskutieren. Sie sagten, dass uns sicher geholfen werden wird. Wir sagten, dass uns das seit Jahren versprochen wurde, sich jedoch nichts geändert hat.

Die Arbeiter sagten uns, dass wir die Tore freimachen sollten. Wir taten dies jedoch nicht. Deshalb holten die Arbeiter die Polizei zu Hilfe. In einem großen Mannschaftstransporter kam die Polizei und begann sofort auf uns loszugehen. Sie schlugen uns und begannen auf uns zu schießen. Es kam zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei und im Laufe dieser Auseinandersetzung brach eine Pipeline.

Ich selbst rannte bereits bei Beginn der Auseinandersetzung nach Hause. Ich habe noch am selben Tag gehört, dass die Pipeline brach und es zu einer Explosion kam, wobei viele Leute ums Leben kamen.

Am folgenden Tag , als ich mit meiner Mutter auf dem Markt in Afrokpe war, kam die Polizei nach Afrokpe und begann auf Jugendliche zu schießen. Meine Schwester kam zu mir auf den Markt und warnte mich. Ich floh daraufhin in den Busch, wo ich meinen Vater traf. Er brachte mich zu jenem kleinen Fluss, von wo aus ich mit einem Boot nach Koko zum Chief N. gebracht wurde.

Dieser sagte mir, dass so etwas ähnliches in seinem Dorf bereits geschehen sei, weshalb ich dort nicht bleiben könnte. Er fürchtete Schwierigkeiten für den Fall, dass man mich in seinem Dorf entdeckt.

Ich bin davon überzeugt, dass man nach meinem Freund sucht, da die Polizei nach allen Jugendlichen aus dem Dorf sucht. Möglicherweise ist er sogar schon getötet worden. Andere Fluchtgründe habe ich keine.

F: Was erwarten Sie bei einer Rückkehr nach Nigeria?

A: Ich weiß nicht, was mit mir geschehen würde. Es könnte

sein, dass ich irgendwo aufgegriffen und eingesperrt oder getötet werde.

Chief N. sagte mir, dass die Jugendlichen von der Polizei getötet werden würden. Woher diese Information stammt, weiß ich jedoch nicht."

Mit Bescheid vom 4. Oktober 2000 wies die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (der Beschwerdeführerin) nach Nigeria zulässig sei. Begründend führte die Erstbehörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin stamme zwar aus Nigeria, wegen fehlender Dokumente sei es jedoch unmöglich festzustellen, aus welcher Region sie komme. Die Feststellung ihrer Identität sei nicht möglich, weil sie keinerlei Dokumente habe vorlegen können. Zu den von ihr behaupteten Fluchtgründen werde festgestellt, dass diese in der von ihr geschilderten Art und Weise keinesfalls jene Intensität erreichten, die eine Asylgewährung gemäß § 7 AsylG rechtfertigen würden, weshalb sie keine aktuelle Verfolgung ihrer Person habe glaubhaft machen können. Weiters werde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt und diese auch weiterhin habe, sich in Nigeria anderswo niederzulassen, um eine neue Existenz aufzubauen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Im Zuge ihrer Einvernahme im Rahmen der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) gab die Beschwerdeführerin an (BW = Beschwerdeführerin, VL = Verhandlungsleiter):

"VL: Wann hat diese Demonstration stattgefunden, an der Sie teilgenommen haben?

BW: (diese denkt lange nach und rätselt herum). Am 25.7.2000.

VL: Wo hat diese Demonstration stattgefunden?

BW: In Afrokpe. Es ist ein Dorf, welches zur Gemeinde Sapele gehört.

VL: Wer hat an dieser Demonstration teilgenommen?

BW: Lauter junge Leute. Wir gehören nicht zu irgendwelchen Organisationen.

VL: Wieviele Leute nahmen an dieser Demonstration teil?

BW: Etwas weniger als 100 Personen.

VL: Was war das Ziel der Demonstration?

BW: Es ging uns darum gegen die Ungerechtigkeit zu demonstrieren, die darin besteht, dass Erdöl aus dem Delta-State gepumpt wird, ohne dass für die Bevölkerung Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Schulen gebaut werden. Wir wollten die Regierung auf diesen Missstand aufmerksam machen.

VL: Hat es vorher schon Demonstrationen gegeben, oder war es die einzige Demonstration?

BW: Es war die erste bei der ich dabei war, ich weiß aber nicht, ob es vorher schon welche gab. Zuvor schrieben wir Briefe an den Gouverneur des Staates und andere hohe Persönlichkeiten. Es wurden immer nur Versprechungen gemacht.

VL: Wie ist es beim Verlauf der Demonstration zugegangen? Was ist genau passiert?

BW: Am Beginn der Demonstration zogen wir zum Büro der Fa. Shell in Afrokpe.

VL: Können Sie die Adresse der Firma Shell angeben?

BW: Nein, ich kann mich nicht an alles erinnern.

VL: Was taten Sie bei der Firma Shell?

BW: Am Morgen des 25.7. begaben wir uns zum Gelände der Fa. Shell und stellten uns vor dem Tor auf. Wir wollten auf diese Weise konkrete Antworten auf zuvor brieflich gestellte Fragen erwirken. Wir wiesen darauf hin, dass die Fa. Shell seit etwa 20 Jahren Versprechungen gemacht hatte, die sie aber nie erfüllte. Es kam der Chef der dortigen Niederlassung der Ölfirma und forderte uns auf, nachhause zu gehen. Als wir uns weigerten, rief er die Polizei, die schließlich kam und ohne Vorwarnung auf die Demonstranten einzuschlagen anfing.

VL: Bei der erstinstanzlichen Einvernahme gaben Sie an, dass Sie nur mit den Arbeitern gesprochen hätten.

BW: Das ist richtig. Andererseits ist aber im Laufe dieser Gespräche ein älterer Mann gekommen, der uns beruhigen und heimschicken wollte. Ich nahm also an, dass er ein leitender Angestellter oder der Chef der Arbeiter gewesen ist.

VL: Was haben Sie anschließend gemacht, nachdem die Polizei gekommen ist?

BW: Jeder schrie. Wir wollten, dass sie uns verstehen, sie hörten uns aber nicht zu. Die Polizei wollte die Männer schlagen. Ich habe nicht gekämpft, oder mich gewehrt, da ich eine Frau bin.

VL: Wurden Sie geschlagen?

BW: Nein.

VL: Sind Sie nachhause gegangen?

BW: Die Burschen haben sich gegen die Misshandlungen gewehrt und angefangen gegen die Polizisten zu kämpfen. Daraufhin wurde das Feuer auf sie eröffnet, wodurch einige Jugendliche getötet wurden. Später wurde behauptet, dass auch Polizisten ums Leben gekommen wären. Ich habe keine näheren Beobachtungen getätigt, da ich zu Beginn der Schießerei davongelaufen bin.

VL: Wo hat sich das Ganze abgespielt? Bei der Straße vor dieser Fa.?

BW: Es war außerhalb des Firmengeländes, wo die Demonstration und die anschließenden Auseinandersetzungen stattgefunden haben.

VL: Was ist passiert, nachdem Sie zuhause waren?

BW: Später wurde gesagt, eine Ölleitung sei geplatzt.

VL: Wo soll die Ölleitung geplatzt sein?

BW: Das weiß ich nicht. Ich war nicht dort und nicht dabei. Es wurde nur gesagt, dass eine der Leitungen in Afrokpe geborsten sei. Ich kenne die Stelle, kann aber die Adresse nicht nennen. Wir haben viele Leitungen bei uns.

VL: Was hat diese geplatzte Leitung mit der Demonstration zu tun?

BW: Es wurde behauptet, dass die Leitung im Zuge der Kampfhandlungen zerstört worden sei. Ich kann das aber nicht näher beurteilen.

VL: Hat die Polizei Sie konkret gesucht?

BW: Ja, die Polizei hat nach allen jugendlichen Demonstranten

gefahndet, daher auch nach mir.

VL: Woher soll die Polizei gewusst haben, dass Sie daran teilgenommen haben, nachdem etwa 100 Jugendliche daran teilgenommen haben und Sie am Beginn der Auseinandersetzungen weggelaufen sind?

BW: Da wir vor dem Tag der Demonstration bereits zahlreiche Briefe geschrieben und Diskussionsveranstaltungen durchgeführt hatten, waren die Organisatoren der Polizei namentlich bekannt. Die Demonstration war ja nicht unsere erste Protesthandlung.

VL: Woher haben Sie gewusst, dass die Polizei nach Ihnen sucht?

BW: Am nächsten Tag war ich mit meiner Mutter am Markt und habe dabei von meiner Schwester erfahren, dass die Polizei nach den Demonstranten des Vortages fahndet und auch bereits einige Jugendliche getötet hat, da sie sich für das Ableben einiger Polizisten rächen wollte. Aus diesem Grunde beschloss ich meine Heimat zu verlassen.

VL: In der Erstniederschrift haben Sie nicht von getöteten Polizisten erzählt?

BW: Das habe ich sehr wohl gesagt, vielleicht wurde es nur nicht niedergeschrieben. Das Hauptproblem war, dass Polizisten getötet worden waren. Das Ableben einiger Jugendlicher, die mit friedlicher Absicht demonstriert hatten, interessierte die Polizei nicht.

...

VL: Was würden Sie bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchten?

BW: Im Falle meiner Rückkehr nach Nigeria wäre keiner der Polizisten froh mich zu sehen. Ich befürchte, ebenso wie andere Demonstranten für den Tod einiger Polizisten verantwortlich gemacht zu werden. Ich muss also befürchten, vielleicht sogar umgebracht zu werden, was ich mir nicht wünsche, da ich zu Sterben nicht bereit bin.

VL: Haben Sie sonst noch Fluchtgründe anzugeben?

BW: Das war der Grund, weshalb ich Nigeria verlassen habe.

VL: In der Berufung steht, dass Ihr Freund Anführer der Jugendtruppe war? Stimmt dies?

BW: Anführer würde ich nicht sagen, wohl aber einer der Organisatoren. Aus diesem Grund kannte die Polizei meinen Namen sehr wohl.

VL: Warum haben Sie vorher nicht erwähnt, welche Funktion Ihr Freund innegehabt hat? Warum haben Sie dies erst angegeben, nachdem ich Sie gefragt hatte und außerdem wird Ihnen vorgehalten, dass Sie in der erstinstanzlichen Einvernahme nichts über getötete Polizisten erzählt haben.

BW: In Linz bat mich der einvernehmende Beamte alle Details der Vorfälle zu schildern. Ich habe dies ausführlich getan und deshalb meinen Freund erwähnt. Ich habe sehr wohl auch auf das Ableben der Polizisten hingewiesen, wobei ich diesen Umstand als einen der Hauptgründe für meine Flucht werte. Wenn dies im Protokoll nicht festgehalten wurde, so ist dies nicht mein Fehler. Da mir bekannt ist, dass meine damalige Schilderung, die ihnen vorliegt, vermeinte ich, auf die Erwähnung meines Freundes verzichten zu können, um meine Aussage nicht unnötig in die Länge zu ziehen.

VL: Wieviele Einwohner hat das Dorf Afrokpe? Wieso haben sie als Adresse Afrokpe Road Nr. 15 Sapele aufgeschrieben und im Rahmen der Einvernahme haben Sie mitgeteilt im Dorf Afrokpe gewohnt zu haben?

BW: Ich habe im Dorf Afrokpe in der gleichnamigen Straße gewohnt. Wie groß mein Dorf ist, kann ich nicht genau sagen, aber es gibt dort viele Häuser.

VL: Wieviele Straßen gibt es in ihrem Dorf?

BW: Edo-Street, (die BW denkt lange nach).

VL: Sie sind 6 Jahre in die Schule gegangen und Sie können sich in Englisch gut ausdrücken. Warum können Sie nicht die Straßen nennen, wo Sie aufgewachsen sind?

BW: Diese Straßennamen entstammen der Urobo Sprache, die zu Schreiben ich nie gelehrt wurde.

VL: Ich habe hier einen Ausdruck aus dem Internet, betreffend alle Städte und Dörfer in Nigeria, die mit Af beginnen. Ihr Dorf scheint jedoch nicht auf.

BW: Ich weiß nicht, warum mein Dorf nicht auf Ihrer Liste aufscheint. Wenn Sie eine ausführliche Landkarte bringen, wird mein Dorf vielleicht aufscheinen. Die Gemeindestadt Sapele ist sicherlich auf Ihrer Liste. Vielleicht wurde mein Dorf nicht extra erwähnt, da es nicht wichtig genug ist.

VL: Weiters haben wir im Internet nachgesehen, dass es dort keine Demonstrationen in der Nähe von Sapele gegeben hat. Wenn Polizisten getötet wurden, müsste das in unseren Berichten aufscheinen.

BW: Ich kann nicht erklären, warum die von mir geschilderten Vorfälle Ihnen nicht zugänglich sind. Ich weiß aber mit Sicherheit anzugeben, dass das Datum sicher ist.

VL: Es gab zwar eine Pipelineexplosion, es wurden mehrere hundert Personen getötet, aber es ist niemand zur Verantwortung gezogen worden. Diese Explosionen geschehen meist auf Grund von Benzindiebstählen, weil die Dorfbewohner diese Pipeline anzapfen.

BW: Dieser Vorfall in der Stadt Jesse ist mir wohl bekannt und einer der Gründe, warum wir demonstrierten. Wir baten die Regierung mehrfach gegen die Armut der Bevölkerung etwas zu unternehmen, da wir nicht wollten, dass unsere Bevölkerung ebenfalls Pipelines anbohrt, um verwertbares Benzin zu stehlen.

VL: Weshalb können Sie nicht in einen anderen Landesteil von Nigeria ziehen (zB Lagos)?

BW: Ich war dort nie und kenne auch niemanden. Es gibt auch

in Lagos Polizisten.

..."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und traf gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 die Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei. Begründend führte sie nach Darstellung des Verfahrensganges und der Bezeichnung der von ihr als Beweismittel verwerteten Urkunden Beilagen A bis H aus, die Beschwerdeführerin sei Staatsangehörige von Nigeria. Die von ihr geltend gemachten Fluchtgründe sowie die Angabe zum Fluchtweg würden mangels Glaubwürdigkeit nicht der Entscheidung zu Grunde gelegt. Zu der am 25. Juli 2000 erfolgten Feuerkatastrophe würden folgende Feststellungen getroffen:

"Es brach ein Feuer einer Ölpipeline in der Nähe des Dorfes von Sapele und dem Ölhafen von Warri aus, wo eine unbestimmte Anzahl von Personen getötet wurde. Die Einwohner vom Dorf Afrokpe, welches in der Nähe der Ölstadt Warri liegt, sind an solche Feuerexplosionen gewöhnt. Im Zeitraum vom 12. Juli bis 31. Juli kam es in diesem Gebiet zu fünf Feuerexplosionen von Ölpipelines. Es spielt sich immer das gleiche Szenario ab. Unbekannte Personen zapfen eine Pipeline an und lassen Benzin in wartende Kahne und Tanker ab. Die Lecks ziehen die verarmten Einwohner an, welche mit ihren Kannen kommen, um das Benzin zu schöpfen. Zwangsläufig kommt es dann zu Explosionen, Feuern und Toten."

Weiters traf die belangte Behörde Feststellungen zur allgemeinen politischen Situation in Nigeria im Sinne einer fortschreitenden Demokratisierung des Landes. Beweiswürdigend setzte die belangte Behörde fort, sie gehe davon aus, dass die Beschwerdeführerin nicht aus dem Dorf Afrokpe stamme. So mache sie völlig andere, den Tatsachen nicht entsprechende Umstände für die am 25. Juli 2000 stattgefundene Feuerkatastrophe geltend, was sich eindeutig aus den Beilagen C und E ergebe. Darüber hinaus habe sie widersprüchliche Aussagen über ihre Adresse gemacht. Weiters sei sie nicht imstande gewesen, näheres über das Dorf Afrokpe, beispielsweise über die Größe oder die dort befindlichen Straßen mitzuteilen. Darüber hinaus habe sie keine Angaben darüber machen können, wo die Firma Shell - wo die Demonstration stattgefunden haben soll - in Afrokpe genau gelegen sei. Diese widersprüchlichen Angaben seien nicht geeignet, eine konkret der Beschwerdeführerin drohende Verfolgung glaubhaft zu machen. Sie habe die von ihr geschilderten Fluchtgründe nicht selbst erleben können. Die Feststellungen zu der am 25. Juli 2000 erfolgten Feuerkatastrophe ergäben sich aus den Beilagen C und E. Die Feststellungen zur allgemeinen politischen Situation gründeten sich auf die Beilagen D und F bis H. In rechtlicher Hinsicht schloss die belangte Behörde, im gegenständlichen Fall sei eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention im Hinblick darauf nicht gegeben, dass die Beschwerdeführerin die von ihr behaupteten Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Betreffend die Feststellung nach § 8 AsylG begründete die belangte Behörde, die Beschwerdeführerin habe keine Indizien aufgezeigt, die die Annahme rechtfertigen könnten, sie liefe in Nigeria für den Fall ihrer Rückkehr der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass sie einer konkret ihre Person betreffenden Gefährdung ausgesetzt sein könne.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerde ist zunächst darin beizupflichten, dass die allgemein gehaltenen Feststellungen der belangten Behörde über den Demokratisierungsprozess in Nigeria nicht geeignet sind, den Hintergrund für das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Geschehen, nämlich die Auseinandersetzungen um Interessengegensätze zwischen den im Niger-Delta tätigen Ölgesellschaften und der dort lebenden Bevölkerung und die in diesem Zusammenhang auch unter den jetzigen politischen Verhältnissen zur Anwendung kommenden Polizeimethoden, zu beleuchten. Die belangte Behörde hat es, wie in der Beschwerde im Einzelnen dargelegt wird, verabsäumt, die entsprechenden Passagen der von ihr selbst zitierten Berichte in die Prüfung der Behauptungen der Beschwerdeführerin einfließen zu lassen.

Was den konkret als Fluchtgrund behaupteten Vorfall - nämlich die gewaltsame Auflösung einer Demonstration und anschließende Verfolgung der an ihr Beteiligten in Afrokpe - anlangt, so hat die belangte Behörde ihre Feststellung, dieses Vorbringen werde der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zu Grunde gelegt, vor allem auf das Argument gestützt, die Beschwerdeführerin habe "völlig andere, den Tatsachen nicht entsprechende Umstände für die am 25.7.2000 stattgefundene Feuerkatastrophe geltend" gemacht, was sich "eindeutig aus den Beilagen C und E" ergebe. Dem hält die Beschwerde entgegen, keine der erwähnten Beilagen zum Verhandlungsprotokoll erwähne den Ort "Afrokpe" und Beilage E enthalte auch keine Angaben über die Feuerursache.

Die zuvor wiedergegebenen Feststellungen der belangten Behörde über Ereignisse, an die "die Einwohner vom Dorf Afrokpe ... gewöhnt" seien, lehnen sich nahezu wörtlich an den als Beilage E vorliegenden Bericht der Integrated Regional Information Networks ("IRIN") vom 31. Juli 2000 an, der sich aber dem Wortlaut nach nicht auf Afrokpe, sondern auf "inhabitants of Okpe local government" bezieht. Beilage C, im angefochtenen Bescheid als "Bericht betreffend des am 25.7.2000 erfolgten Pipelinefeuers" bezeichnet, ist in den ersten zehn Blättern ein "Communique #41" aus der Internetseite eines "Ashtar Command in the Sol Sector" ("a connecting point between residents of ... space and ... earth ... with a inside look at how we interreact with the many races of beings who share our galaxy with us"). Dieses "Communique" erwähnt in einer Aufzählung aktueller Ereignisse auf der Erde zwar mit Datumsangabe, aber ohne Quellennachweis und nähere Details einen Pipelinebrand in der Nähe von Sapele am 25. Juli 2000.

In der Berufungsverhandlung hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin vor, der Ort "Afrokpe" lasse sich in einer Liste mit "Af" beginnender Orte (Beilage B) nicht finden. Dass die letzten beiden Blätter der Beilage C einen - im Gegensatz zum Rest dieser Beilage - aus der Zeitung "The Namibian" vom 26. Juli 2000 stammenden Bericht enthielten, der sich zwar ohne Datumsangabe ("on Sunday", demnach offenbar zu einem Ereignis am 23. und nicht am 25. Juli 2000), dafür aber ausdrücklich auf einen Pipelinebrand in "Afrokpe village" bezog, wurde in der Berufungsverhandlung nicht erörtert und liegt auch den Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar zu Grunde.

Demnach trifft es zwar nicht zu, dass der Ort "Afrokpe" in den Beilagen C und E überhaupt nicht vorkommt, wie in der Beschwerde behauptet wird. Die belangte Behörde hat es aber auch in Bezug auf das von der Beschwerdeführerin konkret ins Treffen geführte Ereignis verabsäumt, aus den zur Verfügung stehenden Quellen die erforderlichen Feststellungen zu treffen und nachvollziehbar darzulegen, warum "Okpe" und "Afrokpe" - wovon in der Berufungsverhandlung gleichfalls noch nicht die Rede war - identisch seien, was sich dort im Einzelnen ereignet habe und inwiefern die Darstellung der Beschwerdeführerin damit nicht übereinstimme. Dabei hätte die belangte Behörde insbesondere auch zu berücksichtigen gehabt, dass die Beschwerdeführerin über den Pipelinebrand ihren Angaben zufolge nur vom Hörensagen Bescheid wusste und auch nicht die Gefahr einer Verfolgung im Zusammenhang mit dem Brand als solchen geltend machte. Zu der angesichts ihres Vorbringens vorrangigen Frage, welche Schlüsse sich aus der Berichtslage hinsichtlich der Existenz eines Betriebsgeländes von "Shell" in Afrokpe, hinsichtlich der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration vor diesem Gelände am Tag des Pipelinebrandes und hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin behaupteten Straßensperren und Erschießung von Jugendlichen am Folgetag ziehen lassen, enthält der angefochtene Bescheid keine Ausführungen.

Bei diesen Begründungslücken in Bezug auf die maßgeblichen Ereignisse findet die Ansicht der belangten Behörde, diese Ereignisse hätten nicht stattgefunden, in den abschließenden Hinweisen der belangten Behörde auf Unklarheiten betreffend die behauptete Herkunft der Beschwerdeführerin einerseits aus Sapele und andererseits aus Afrokpe bei Sapele sowie darauf, dass die Beschwerdeführerin nur zwei Straßen in Afrokpe namentlich nennen und die "Adresse der Firma Shell" nicht angeben konnte, keine für sich allein ausreichende Grundlage.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 14. Jänner 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010387.X00

Im RIS seit

02.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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