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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AlVG 1977 §39 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der K in T, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9/II, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 11. Dezember 2000, Zl. LGSTi/V/1217/3151 06 03 70-708/2000, betreffend Sondernotstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin stellte am 1. September 2000 einen Antrag auf Zuerkennung von Sondernotstandshilfe.
Dazu gab die Gemeinde T. eine mit 4. September 2000 datierte Stellungnahme ab, nach der für den am 2. Februar 1999 geborenen Sohn der Beschwerdeführerin eine Unterbringungsmöglichkeit bei der Tagesmutter W. in Z. bestehe. Die "Öffnungszeit" der Unterbringungsmöglichkeit wäre nach Vereinbarung. Die Wegzeit betrage fünf Minuten.
Mit Bescheid vom 14. September 2000 gab die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice dem Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 39 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 6 AlVG auf Grund Vorhandenseins einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit keine Folge. Begründend wurde ausgeführt, laut Bestätigung der Gemeinde T. sei eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit für den Sohn der Beschwerdeführerin ab sofort vorhanden.
In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, sie wohne in T., wo es keine Tagesmutter und keine Krabbelstube gebe. Eine Tagesmutter im Nachbarort Z. sei in der Lage, noch ein Kind aufzunehmen. Die Beschwerdeführerin besitze aber keinen Führerschein und sei auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Der erste Bus am Morgen fahre um
8.30 Uhr nach Z. Rückfahrmöglichkeit nach T. bestehe aber erst um 9.00 Uhr. Der Dienst der Beschwerdeführerin beginne jedoch um 8.00 Uhr. Somit sei es ihr nicht möglich, ihr Kind bei der Tagesmutter unterzubringen.
Mit Schreiben vom 28. November 2000 teilte die Gemeinde T. der belangten Behörde mit, im gegenständlichen Fall betrage die erforderliche Wegzeit mit dem Postbus vom Wohnort T. zum Betreuungsort Z. und wieder zurück 30 Minuten. Weiters bleibe der Beschwerdeführerin noch genügend Zeit, ihr Kind zur Tagesmutter in Z. zu bringen und das öffentliche Verkehrsmittel (Postbus) zurück zum Wohnort um 9.00 Uhr zu erreichen. In der Wintersaison befahre zu den genannten Zeiten sogar ein kostenloser Schibus mit Mitfahrmöglichkeit die erforderliche Route. Weiters werde darauf hingewiesen, dass die Schwiegermutter der Beschwerdeführerin eine Lenkerberechtigung sowie einen Pkw besitze und im selben Haus wohne. Von dieser würden auch die drei anderen Kinder der Beschwerdeführerin zur Schule bzw. zum Kindergarten gebracht. Der Gemeinde T. sei derzeit kein Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin bekannt. Sollte die Beschwerdeführerin jedoch wie vor ihrer Karenzzeit im Gastgewerbe als Zimmermädchen tätig sein, bestünde durchaus die Möglichkeit, die Dienstzeiten den genannten Wegzeiten anzupassen.
Die Bezirkshauptmannschaft Reutte gab mit Schreiben vom 14. November 2000 bekannt, dass die Strecke vom Wohnort der Beschwerdeführerin bis zum Wohnort der Tagesmutter 2,5 km betrage. Davon seien 2 km im freien Gelände zu bewältigen, d.h. im Winter bei oft auftretendem heftigen Schneegestöber. Gerade das Gebiet von T. gelte als Kältepol, zumal man sich hier bereits auf über 1.000 m Seehöhe befände. Lege man bei einem schnellen Fußgängertempo fünf Kilometer pro Stunde zu Grunde, so ließen sich die 2,5 km mit einem fast zweijährigen Kind sicherlich nicht in 30 Minuten bewältigen. Die Beschwerdeführerin verfüge über keine Lenkerberechtigung, auch nicht die potenzielle Tagesmutter Frau W. Dem Jugendwohlfahrtsträger erscheine somit der gegenständliche Tagespflegeplatz für den Sohn der Beschwerdeführerin nicht zumutbar.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der einschlägigen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, dass seitens der Bezirkshauptmannschaft Reutte die Möglichkeit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels bei der Berechnung der Wegzeit völlig außer Acht gelassen worden sei. Die Beschwerdeführerin könne um 8.34 Uhr den Postbus nach Z. benützen und wäre nach nur wenigen Minuten bei der Tagesmutter. Nach Übergabe des Kindes an die Tagesmutter hätte sie sodann die Möglichkeit für die Rückfahrt um 8.57 Uhr mit dem Postbus nach T. und wäre dort wieder um 9.01 Uhr. Die Beschwerdeführerin könne die Bushaltestelle in T. in wenigen Minuten erreichen. Die Fahrzeit mit dem öffentlichen Verkehrsmittel betrage nur drei Minuten. Die Beschwerdeführerin wäre somit ca. von 8.30 Uhr bis 9.05 Uhr unterwegs, um ihr Kind zur Tagesmutter zu bringen und wieder nach Hause zu fahren. Der Zeitaufwand in eine Richtung belaufe sich daher auf weniger als 20 Minuten. Damit sei die Unterbringungsmöglichkeit bei der Tagesmutter zumutbar. Hinsichtlich der auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten könne nicht verbindlich davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin wieder die von ihr zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Zimmermädchen aufnehmen werde. Auch könne ihr als Hilfskraft die Aufnahme jeder anderen Hilfstätigkeit zugemutet werden. Außerdem gebe es beim Arbeitsmarktservice zahlreiche vorgemerkte Hilfstätigkeiten, bei denen ein Arbeitsbeginn nach 9.00 Uhr möglich wäre. Die angebotene Unterbringungsmöglichkeit entspreche daher den auf den Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten. Der Beschwerdeführerin wäre die Inanspruchnahme dieser Unterbringungsmöglichkeit zumutbar gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird, mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 39 AlVG in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1998, Zl. 96/08/0247) vor der Aufhebung durch die Novelle BGBl. I Nr. 103/2001 hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
"Sondernotstandshilfe für Mütter oder Väter
§ 39. (1) Mütter oder Väter haben Anspruch auf Sondernotstandshilfe für die Dauer von 52 Wochen, längstens jedoch bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wenn
1. der Anspruch auf Karenzgeld nach dem Karenzgeldgesetz, BGBl. I Nr. 47/1997, erschöpft ist;
2. sie wegen Betreuung ihres Kindes, dessen Geburt Anlaß für die Gewährung des Karenzgeldes war, keine Beschäftigung annehmen können, weil für dieses Kind keine Unterbringungsmöglichkeit besteht, und
3. mit Ausnahme der Arbeitswilligkeit und der Arbeitsbereitschaft gemäß § 7 Abs. 3 Z 1 die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt sind.
...
(6) Dem Antrag auf Gewährung der Sondernotstandshilfe ist eine Bescheinigung der Hauptwohnsitzgemeinde über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit für das Kind beizulegen. Die Hauptwohnsitzgemeinde ist im Hinblick auf den gemäß § 2 Abs. 2 des Finanzausgleichsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 30, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 853/1995, zu leistenden Kostenersatz an das Arbeitsmarktservice verpflichtet, eine solche Bescheinigung auszustellen. Sie ist dabei an die Sondernotstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 361/1995, in der jeweils geltenden Fassung gebunden. Die Gewährung der Sondernotstandshilfe durch die regionale Geschäftsstelle ist bei Vorliegen einer solchen Bescheinigung über das Vorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit nicht zulässig. Im Berufungsverfahren ist bei Berufungseinwendungen betreffend die Unterbringungsmöglichkeit eine Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde einzuholen und in freier Beweiswürdigung zu entscheiden."
§ 1 der Sondernotstandshilfeverordnung in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. II Nr. 90/1998 lautet wie folgt:
"Unterbringungsmöglichkeit für das Kind
§ 1. (1) Als geeignete Unterbringungsmöglichkeit gilt jedenfalls eine Einrichtung, die nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften (z.B. Kindergartengesetz, Kindertagesheimgesetz, Jugendwohlfahrtsgesetz u. dgl.) für Kinder zwischen dem 19. und dem 36. Lebensmonat entweder vom Land oder der Gemeinde selbst oder von Rechtsträgern geführt wird, denen sich das Land oder die Gemeinde zur Erreichung dieser Ziele bedient. Eine private Einrichtung (wie Privatkindergarten, Pfarrkindergarten, Kindergruppe u. dgl.) ist einer solchen Einrichtung gleichzuhalten.
(2) Weiters müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
a) die Öffnungszeiten müssen den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten einschließlich der Zeit, die für die Hinbringung bzw. Abholung des Kindes erforderlich ist, angepaßt sein,
b) der Betreuungsort muß mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderweitig zur Verfügung stehenden Beförderungsmitteln (zB Kindergartentransporte, familieneigener PKW oder Abholung und Rückbringung durch die Tagesmutter/vater, wenn diese eine entsprechende Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben) oder zu Fuß erreichbar sein, wenn der kürzeste Fußweg zwischen der Wohnung und dem Betreuungsort in einer Richtung unter Ausschluß der mit Verkehrsmitteln zurückgelegten Wegstrecke nicht mehr als 30 Gehminuten dauert, wobei jedoch die aufzuwendende Zeit (Fahrzeit und Gehzeit) vom Wohnort zum Betreuungsort in einer Richtung 60 Minuten nicht überschreiten darf,
c) das Entgelt für die Unterbringung muß angemessen sein, das bedeutet, daß es nicht wesentlich, dh. nicht mehr als 25 vH, über den durchschnittlichen Kosten anderer vergleichbarer Einrichtungen liegen darf. Als vergleichbare Einrichtung in diesem Sinne gelten auch Tagesmütter/väter.
(3) Tagesmütter/väter gelten nur insoweit als geeignete Unterbringungsmöglichkeit, als für sie bzw. für die Einrichtung, die die Tagesmütterbetreuung organisiert, eine Bewilligung nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften vorliegt.
(4) Die im Haushalt bzw. am Wohnsitz lebenden Eltern und Großeltern der/des Antragstellerin/Antragstellers können nicht zwingend für die Betreuung herangezogen werden."
Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, dass sie insgesamt vier Kleinkinder zu betreuen habe und sohin eine genauere Überprüfung des familiären Umfeldes ergeben hätte, dass ihr insgesamt eine Wiedereingliederung in die Arbeitswelt nicht möglich sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Unterbringungsmöglichkeit nur hinsichtlich desjenigen Kindes, dessen Geburt Anlass für die Gewährung des Karenzgeldes im Sinne des § 39 Abs. 1 Z. 2 AlVG gewesen ist, zu prüfen ist. Auf die Betreuungspflichten der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer anderen Kinder ist im gegenständlichen Zusammenhang daher nicht abzustellen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 2001, Zl. 2000/02/0208).
Entgegen dem Beschwerdevorbringen kommt es bei der Prüfung der Unterbringungsmöglichkeit des Kindes der Beschwerdeführerin auch nicht auf die Arbeitszeit der Beschwerdeführerin im karenzierten Beschäftigungsverhältnis an (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 96/08/0208).
In der Beschwerde wird ferner die Begründung der belangten Behörde hinsichtlich der Arbeitszeit gerügt. Dieser sei nicht zu entnehmen, auf Grund welcher Beweisergebnisse die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt sei, dass es zahlreiche vorgemerkte Hilfstätigkeiten mit Arbeitsbeginn nach 9.00 Uhr gebe. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde letztlich zum Erfolg:
Nach § 1 Abs. 2 lit. a der Sondernotstandshilfeverordnung müssen die Öffnungszeiten einer Unterbringungsmöglichkeit für das Kind den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten einschließlich der Zeit, die für die Hinbringung bzw. Abholung des Kindes erforderlich ist, angepasst sein. Die belangte Behörde führt diesbezüglich aus, es seien beim Arbeitsmarktservice "zahlreiche Hilfstätigkeiten" vorgemerkt, bei denen ein Arbeitsbeginn nach 9.00 Uhr "möglich wäre". Damit ist aber nicht erwiesen, dass ein Arbeitsbeginn nach 9.00 Uhr "auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten" entspricht. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde können sich diese Zeiten nicht aus den "möglichen" Arbeitszeiten von zu einem bestimmten Zeitpunkt beim Arbeitsmarktservice vorgemerkten Beschäftigungen ergeben. Zu ihrer Ermittlung ist vielmehr allgemeines statistisches Material heranzuziehen, wobei die Arbeitszeiten jener Beschäftigungen maßgebend sind, die der Beschwerdeführerin im Sinne des § 9 Abs. 2 und 3 AlVG zumutbar wären.
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Sollte im vorliegenden Fall im Ergebnis nicht der Postbus zum Erreichen der Betreuungsstelle herangezogen werden können, hätte die Behörde die Möglichkeit der Verwendung anderer Beförderungsmittel im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. b Sondernotstandshilfeverordnung zu prüfen (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2003, Zl. 2002/08/0028).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren erfolgte gemäß § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am 22. Jänner 2003
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002080059.X00Im RIS seit
05.05.2003