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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §101;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, in der Beschwerdesache der C in Z, vertreten durch Dr. Markus Ch. Weinl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntnerring 3, gegen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Hauptstelle, 1201 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, betreffend Verletzung der Entscheidungspflicht hinsichtlich eines Antrages gem. § 101 ASVG, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin bringt in ihrer am 9. Jänner 2003 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Säumnisbeschwerde - auf das Wesentliche zusammengefasst - vor, bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt am 21. März 2002 einen auf § 101 ASVG gestützten Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes betreffend den (einen Anspruch auf Gewährung einer Integrationsabgeltung verneinenden) Bescheid dieses Sozialversicherungsträgers vom 10. September 1991 eingebracht zu haben. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt habe über diesen Antrag bisher nicht entschieden. Die Beschwerdeführerin beantragt mit ihrem Hauptbegehren eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache, in einem "in eventu" gestellten Begehren stellt sie den Antrag, der "säumigen Behörde aufzutragen, binnen drei Monaten über ... (den) ... Antrag vom 21. März 2002 zu entscheiden." Mit diesem Antrag strebt die Beschwerdeführerin jedoch ungeachtet der unzutreffenden Bezeichnung als Eventualantrag der Sache nach nichts anderes als die Erlassung einer prozessleitenden Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes über die Säumnisbeschwerde im Sinne des § 36 Abs. 2 VwGG an.
Die Säumnisbeschwerde ist jedoch unzulässig:
Gemäß § 101 ASVG ist dann, wenn sich nachträglich ergibt, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.
Im Anschluss an das in einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Obersten Gerichtshof und dem Landeshauptmann von Oberösterreich (der Sache nach auch mit dem Verwaltungsgerichtshof) ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13824/1994 ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Entscheidung, dass der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache. Demgemäß ist gegen die Abweisung eines auf § 101 ASVG gestützten Antrages gem. § 412 ASVG Einspruch an den Landeshauptmann zu erheben; dieser hat sich bei seiner Entscheidung auf die Frage der Zulässigkeit der Herstellung des gesetzlichen Zustandes (die auch dann zu verneinen ist, wenn kein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt und kein offenkundiges Versehen vorliegt) zu beschränken und dem Sozialversicherungsträger bejahendenfalls die Herstellung des gesetzlichen Zustandes, d. h. die Erlassung eines neuen Leistungsbescheides, aufzutragen (vgl. das Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 95/08/0006, aus jüngerer Zeit jenes vom 27. Juli 2001, 95/08/0034 uva).
Der Verfassungsgerichtshof hat in der Begründung des oben erwähnten Erkenntnisses u.a. auf die schon in VfSlg. 4998/1965 näher dargelegte Unvereinbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung über ein Begehren auf rückwirkende Abänderung eines verwaltungsbehördlichen Bescheides mit dem Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung (Art. 94 B-VG) hingewiesen. Es sei offenkundig, dass diese Unvereinbarkeit nicht davon abhänge, ob der eine rückwirkende Änderung ablehnende Bescheid den Antrag als unzulässig zurück- oder das Begehren als unbegründet abweise oder ob der Versicherungsträger mit der Entscheidung über den Abänderungsantrag säumig bleibe. In allen Fällen liefe eine Entscheidung des Gerichtes angesichts der vorausgesetztermaßen unveränderten Sach- und Rechtslage auf eine Überprüfung der Richtigkeit des nach dem Antrag abzuändernden Bescheides oder auf einen Auftrag an die Verwaltungsbehörde hinaus. Das sei nicht etwa nur die Folge des Umstandes, dass ohne abändernde Entscheidung der ursprüngliche Bescheid wirksam bleibe, sondern vielmehr der notwendige Inhalt einer Entscheidung, bei der zu prüfen sei, ob ein Bescheid infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens ergangen sei.
Dies bedeutet, dass gegen eine Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers über einen auf § 101 ASVG gestützten Antrag nur dann unmittelbar das Arbeits- und Sozialgericht angerufen werden kann, wenn der Sozialversicherungsträger selbst dem Antrag stattgegeben und einen neuen Leistungsbescheid (oder allenfalls diesen Leistungsbescheid in Bindung an eine den Antrag gem. § 101 ASVG für zulässig erklärende Verwaltungsentscheidung) erlassen hat. Gegenstand des Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht ist diesfalls ausschließlich der neu erlassene Leistungsbescheid, nicht aber die Frage der Zulässigkeit des Antrages nach § 101 ASVG.
Ist ein Sozialversicherungsträger mit der Entscheidung über einen auf § 101 ASVG gestützten Herstellungsantrag säumig, so gelten daher in gleicher Weise die Grundsätze des oben erwähnten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes und der seither ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes: diese Angelegenheit kann nicht mittels Säumnisklage bei den ordentlichen Gerichten anhängig gemacht werden, sondern es ist der für die Säumnis von Sozialversicherungsträgern in Verwaltungssachen vorgesehene Verwaltungsweg zu beschreiten. § 410 Abs. 2 ASVG sieht für diesen Fall die Stellung eines Devolutionsantrages an den Landeshauptmann vor, bei dessen Säumnis in weiterer Folge gem. § 73 Abs. 2 AVG der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen als in Betracht kommende Oberbehörde angerufen werden kann.
Gem. § 27 Abs. 1 VwGG kann Beschwerde gegen die Verletzung der Entscheidungspflicht erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen wurde und (nach der hier maßgebenden Rechtslage) nicht binnen sechs Monaten entschieden hat.
Die gegen die Säumigkeit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt erhobene Säumnisbeschwerde war daher mangels vorheriger Anrufung der obersten in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde gem. § 27 Abs. 1 und § 34 Abs. 1 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.
Wien, am 22. Jänner 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2003080003.X00Im RIS seit
06.06.2003