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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §39 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der G in P, vertreten durch Dr. Christian Strobl, Rechtsanwalt in 8230 Hartberg, Ferdinand-Leihs-Straße 9, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 8. August 2001, Zl. LGS600/ALV/1218/2001-Wa/Kö, betreffend Sondernotstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 332.- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 11. Juni 2001 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Gewährung von Sondernotstandshilfe. Sie gab an, zwei Kinder zu haben, ihre Tochter Katrin, geboren am 2. Oktober 1996, und ihren Sohn Lukas, geboren am 11. Juli 1999.
Mit Schreiben vom 13. Juni 2001 führte die Gemeinde S. aus, dass eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit bei der Tagesmutter K. sofort verfügbar sei. Die "Öffnungszeiten" seien nach Vereinbarung, die Wegzeit nehme 15 Minuten Fahrt in Anspruch und das Entgelt berechne sich laut Volkshilfetarif. Die Beschwerdeführerin brachte dagegen vor, die Wegzeit sei zu lang.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2001 wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice den Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. Juni 2001 gemäß § 39 Abs. 1 Z 2 und Abs. 6 AlVG auf Grund des Vorhandenseins einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit ab. Begründend wurde ausgeführt, laut Bestätigung der Gemeinde sei ab sofort eine Tagesmutter verfügbar.
In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei Mutter zweier minderjähriger Kinder. Der minderjährige Lukas sei gehbehindert und bedürfe deshalb einer besonderen Betreuung. Er weise eine deutliche O-Bein Fehlstellung auf, welche durch seine für sein Alter überdurchschnittliche Größe und sein Körpergewicht bedingt sei. Unter normaler Belastung ermüde er frühzeitig. Durch diese Umstände sei er in ärztlicher Behandlung bei Dr. P., welcher auch der Ansicht sei, dass es zu einer Verschlechterung der Situation bei Belastung komme. Daher sei es erforderlich, dass der Minderjährige nicht nur nachts das Bett aufsuche, sondern sich auch am Tag wiederholte Male ausruhe, wobei stets die empfohlene Schienenversorgung - nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tag - von der Beschwerdeführerin durchgeführt werde. Der Minderjährige bedürfe daher einer gesonderten Betreuung, welche bei der Tagesmutter nicht gewährleistet erscheine. Als Beweis legte die Beschwerdeführerin der Berufung ein ärztliches Attest von Dr. P. vom 25. Juni 2001 bei. Darin wird ausgeführt, dass sich bei dem Sohn der Beschwerdeführerin unter Belastung eine deutliche O-Bein Fehlstellung im US-Bereich im Sinne eines Genua varus, der im Liegen nicht so deutlich zu Tage trete, finde. Das Kind sei für sein Alter relativ groß. Auch auf Grund des Gewichtes sei der Arzt der Auffassung, dass es zu einer Verschlechterung der Situation unter Belastung komme. Eine Nachtschienenversorgung werde empfohlen. Die Beschwerdeführerin führte ferner aus, die Tagesmutter befinde sich nicht in der Gemeinde S., sondern in der Gemeinde P. Die Beschwerdeführerin verfüge über keine Fahrmöglichkeit, weder mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch mit privaten Fahrzeugen. Dies sei jedenfalls auch unter dem Blickwinkel der Behinderung ihres Sohnes zu sehen und auch dahingehend, dass sie ein weiteres Kind zu versorgen habe. Die öffentlichen Verkehrsmittel verkehrten nicht in der Weise, dass die Beschwerdeführerin ihren Sohn täglich zur Tagesmutter bringen und ihn dort wieder abholen könne. Privat stehe ihr kein PKW zur Verfügung, zumal ihr Ehemann berufstätig sei und sein Fahrzeug berufsbedingt benötige. Der Beschwerdeführerin sei es unzumutbar, die Kinder mit dem vorhandenen Traktor zur Tagesmutter zu bringen, dies auch im Hinblick auf die Behinderung des Minderjährigen. Eine Tagesmutter im Gemeindegebiet von S. habe ihr jedenfalls nicht angeboten werden können, wo es ihr allenfalls möglich wäre, auf Grund der Nähe dorthin zu gelangen; auch dies im Hinblick auf die Behinderung ihres minderjährigen Sohnes.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2001 gab die Bezirkshauptmannschaft Hartberg eine Stellungnahme dahingehend ab, dass Frau K. in P. als Tagesmutter zur Verfügung stehe. Sie sei aber noch nicht über den Verein Volkshilfe beschäftigt, da sie erst vor kurzem ihre Ausbildung und noch keine Tageskinder gehabt hätte. Allerdings sei sie auch nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Der PKW der Familie der Beschwerdeführerin sei ein zweisitziger Pagero und für den Ehemann der Beschwerdeführerin angemeldet. Laut der Beschwerdeführerin sei dieser Wagen nicht immer verfügbar, da ihn ihr Ehemann benötige. Die Wegstrecke überschreite die Gehzeit von 30 Minuten in eine Richtung. Laut der Beschwerdeführerin sei es auch nicht möglich, "diese Strecke in Verbindung mit einer Gehzeit und öffentlichen Verkehrsmitteln unter 60 Minuten zu schaffen". In den Sommerferien, wenn alle Schulbusse wegfielen, sei dies ohnehin unmöglich. Die potenzielle Tagesmutter könne sich auch nicht vorstellen, die Kinder von der Beschwerdeführerin abzuholen, da sie selbst selten den familieneigenen PKW zur Verfügung habe.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Berufung der Beschwerdeführerin nicht stattgegeben und der Bescheid der Behörde erster Instanz bestätigt. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, Voraussetzung für den Bezug der Sondernotstandshilfe sei, dass für das Kind, welches Anlass für den unmittelbar davor liegenden Karenzgeldbezug gewesen sei, keine geeignete Unterbringungsmöglichkeit vorhanden sei. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass sie zwei Kinder zu versorgen habe, könne daher nicht berücksichtigt werden, da es nur auf eine geeignete Betreuungsmöglichkeit für ihren Sohn Lukas ankomme. Auch das Argument der Beschwerdeführerin, dass ihr Ehemann den familieneigenen PKW beruflich benötige, werde nicht als begründend angesehen, zumal ihr Ehemann Landwirt sei und sie für die Fahrt zur Tagesmutter und wieder zurück maximal 30 Minuten brauche. Da die Unterbringungsmöglichkeit nur auf Grund objektiver Kriterien zu prüfen sei und auch die Tagesmutter sicher in der Lage gewesen wäre, dem Minderjährigen die Schienen während der tagsüber verordneten Ruhepausen anzulegen, habe auch die von der Beschwerdeführerin angeführte besondere Betreuung nicht zu einer positiven Erledigung der Berufung führen können. Zudem habe die Tagesmutter derzeit noch keine Kinder zu betreuen und hätte sich demnach ganz dem Sohn der Beschwerdeführerin widmen können. Es sei auch nicht erforderlich, dass sich die Unterbringungsmöglichkeit in der eigenen Gemeinde befinde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 39 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung (vgl. dazu § 80 Abs. 11 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 103/2001) vor der Aufhebung durch die Novelle BGBl. I Nr. 103/2001 hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
"Sondernotstandshilfe für Mütter oder Väter
§ 39. (1) Mütter oder Väter haben Anspruch auf Sondernotstandshilfe für die Dauer von 52 Wochen, längstens jedoch bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wenn
1. der Anspruch auf Karenzgeld nach dem Karenzgeldgesetz, BGBl. I Nr. 47/1997, erschöpft ist;
2. sie wegen Betreuung ihres Kindes, dessen Geburt Anlaß für die Gewährung des Karenzgeldes war, keine Beschäftigung annehmen können, weil für dieses Kind keine Unterbringungsmöglichkeit besteht, und
3. mit Ausnahme der Arbeitswilligkeit und der Arbeitsbereitschaft gemäß § 7 Abs. 3 Z 1 die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt sind.
...
(6) Dem Antrag auf Gewährung der Sondernotstandshilfe ist eine Bescheinigung der Hauptwohnsitzgemeinde über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit für das Kind beizulegen. Die Hauptwohnsitzgemeinde ist im Hinblick auf den gemäß § 2 Abs. 2 des Finanzausgleichsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 30, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 853/1995, zu leistenden Kostenersatz an das Arbeitsmarktservice verpflichtet, eine solche Bescheinigung auszustellen. Sie ist dabei an die Sondernotstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 361/1995, in der jeweils geltenden Fassung gebunden. Die Gewährung der Sondernotstandshilfe durch die regionale Geschäftsstelle ist bei Vorliegen einer solchen Bescheinigung über das Vorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit nicht zulässig. Im Berufungsverfahren ist bei Berufungseinwendungen betreffend die Unterbringungsmöglichkeit eine Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde einzuholen und in freier Beweiswürdigung zu entscheiden."
§ 1 der Sondernotstandshilfeverordnung in der Fassung
BGBl. II Nr. 90/1998 lautet wie folgt:
"Unterbringungsmöglichkeit für das Kind
§ 1. (1) Als geeignete Unterbringungsmöglichkeit gilt jedenfalls eine Einrichtung, die nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften (z.B. Kindergartengesetz, Kindertagesheimgesetz, Jugendwohlfahrtsgesetz u. dgl.) für Kinder zwischen dem 19. und dem 36. Lebensmonat entweder vom Land oder der Gemeinde selbst oder von Rechtsträgern geführt wird, denen sich das Land oder die Gemeinde zur Erreichung dieser Ziele bedient. Eine private Einrichtung (wie Privatkindergarten, Pfarrkindergarten, Kindergruppe u. dgl.) ist einer solchen Einrichtung gleichzuhalten.
(2) Weiters müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
a) die Öffnungszeiten müssen den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten einschließlich der Zeit, die für die Hinbringung bzw. Abholung des Kindes erforderlich ist, angepaßt sein,
b) der Betreuungsort muß mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderweitig zur Verfügung stehenden Beförderungsmitteln (zB Kindergartentransporte, familieneigener PKW oder Abholung und Rückbringung durch die Tagesmutter/vater, wenn diese eine entsprechende Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben) oder zu Fuß erreichbar sein, wenn der kürzeste Fußweg zwischen der Wohnung und dem Betreuungsort in einer Richtung unter Ausschluß der mit Verkehrsmitteln zurückgelegten Wegstrecke nicht mehr als 30 Gehminuten dauert, wobei jedoch die aufzuwendende Zeit (Fahrzeit und Gehzeit) vom Wohnort zum Betreuungsort in einer Richtung 60 Minuten nicht überschreiten darf,
c) das Entgelt für die Unterbringung muß angemessen sein, das bedeutet, daß es nicht wesentlich, dh. nicht mehr als 25 vH, über den durchschnittlichen Kosten anderer vergleichbarer Einrichtungen liegen darf. Als vergleichbare Einrichtung in diesem Sinne gelten auch Tagesmütter/väter.
(3) Tagesmütter/väter gelten nur insoweit als geeignete Unterbringungsmöglichkeit, als für sie bzw. für die Einrichtung, die die Tagesmütterbetreuung organisiert, eine Bewilligung nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften vorliegt.
(4) Die im Haushalt bzw. am Wohnsitz lebenden Eltern und Großeltern der/des Antragstellerin/Antragstellers können nicht zwingend für die Betreuung herangezogen werden."
Soweit in der Beschwerde darauf hingewiesen wird, dass die Beschwerdeführerin Mutter zweier minderjähriger Kinder sei, ist dem entgegenzuhalten, dass auf Grund der wiedergegebenen Rechtsvorschriften nur die Unterbringungsmöglichkeit hinsichtlich des Kindes, dessen Geburt Anlass für die Gewährung des Karenzgeldes gewesen ist, zu prüfen ist (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 2001, Zl. 2000/02/0208).
Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner ausgesprochen, dass die Eignung einer Unterbringungsmöglichkeit auch im Hinblick auf eine etwaige körperliche oder geistige Behinderung des Kindes zu prüfen ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2000, Zl. 96/08/0164). Nach dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten ärztlichen Attest finde sich bei ihrem Sohn eine deutliche O-Bein Fehlstellung und komme es zu Verschlechterungen der Situation unter Belastung. Eine Nachtschienenversorgung werde empfohlen. Im Hinblick darauf kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie die Unterbringungsmöglichkeit unter dem Gesichtspunkt des körperlichen Zustandes des Sohnes der Beschwerdeführerin als gegeben angesehen hat, ist doch nach dem ärztlichen Attest keine Betreuung erforderlich, die nicht auch von einer Tagesmutter geleistet werden könnte.
Die Beschwerdeführerin rügt ferner, dass die belangte Behörde davon ausgegangen ist, dass ihr der familieneigene PKW zur Verfügung stehe, weil ihr Ehemann Landwirt sei und sie für die Fahrt zur Tagesmutter und wieder zurück maximal nur 30 Minuten benötige. Es wäre aber zu ermitteln gewesen, zu welchen Zeiten der Ehemann der Beschwerdeführerin beruflich mit dem familieneigenen PKW unterwegs ist.
Wie sich aus den - unbestritten gebliebenen - Angaben der Gemeinde S. in ihrem Schreiben vom 13. Juni 2001 ergibt, bestanden die "Öffnungszeiten" der Unterbringungsmöglichkeit "nach Vereinbarung". Die Beschwerde selbst stützt sich auf die Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Hartberg vom 19. Juli 2001, wonach der familieneigene PKW laut den Angaben der Beschwerdeführerin "nicht immer" verfügbar sei, da er vom Ehemann der Beschwerdeführerin beruflich benötigt werde. Der Ehemann der Beschwerdeführerin ist Landwirt. Aus all dem ergibt sich aber, dass davon ausgegangen werden konnte, dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt hätte, unter Berücksichtigung auch der - im Unterschied zu unselbständigen Erwerbstätigkeiten in zeitlicher Hinsicht relativ flexiblen - beruflichen Tätigkeit ihres Ehemannes mit der Tagesmutter Zeiten so zu vereinbaren, dass es ihr auch im Falle der Annahme einer Beschäftigung möglich gewesen wäre, ihren Sohn mit dem familieneigenen PKW zur Tagesmutter zu führen und wieder abzuholen. Gegenteiliges hätte die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren dartun müssen; das hat sie aber unterlassen. Die belangte Behörde konnte folglich davon ausgehen, dass die Unterbringungsmöglichkeit auch in dieser Hinsicht geeignet ist.
Die Beschwerde war daher insgesamt gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 22. Jänner 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002080028.X00Im RIS seit
05.05.2003