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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der B GmbH in B, vertreten durch Mag. Harald Schuh und Mag. Christian Atzwanger, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Lüfteneggerstraße 12, gegen den Bescheid der Kommunikationsbehörde Austria vom 19. September 2002, Zl. KOA 1.672/02-17, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (mitbeteiligte Partei: B L GmbH in B, vertreten durch Dr. Clement Achammer, Mag. Martin Mennel, Dr. Rainer Welte, Mag. Clemens Achammer und Dr. Thomas Kaufmann, Rechtsanwälte in 6800 Feldkirch, Schloßgraben 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 19. September 2002 bewilligte die Kommunikationsbehörde Austria gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4 AVG den Antrag der L B GmbH (Mitbeteiligte) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der im Mängelbehebungsauftrag vom 24. Juli 2002 festgesetzten Mängelbehebungsfrist.
Nach Darstellung des Verfahrensverlaufes stellte die belangte Behörde in sachverhaltsmäßiger Hinsicht fest, der an die Mitbeteiligte gerichtet gewesene Mängelbehebungsauftrag vom 24. Juli 2002 sei der Rechtsanwaltskanzlei Achammer & Partner laut vorliegendem Rückschein am 26. Juli 2002 zugestellt worden. Der Rückschein sei von der Kanzleileiterin, Frau E, unterfertigt und kanzleimäßig abgestempelt worden. Das den Mängelbehebungsauftrag enthaltende Schriftstück sei jedoch weder in Form eines Eintrags im Fristenvormerkbuch noch in der EDV erfasst worden und kein Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei habe von dessen Inhalt vor dem 14. August 2002 Kenntnis genommen. Es sei davon auszugehen, dass das Schriftstück durch ein Versehen der Kanzleileiterin abhanden gekommen sei, noch bevor diese vom Inhalt des Schreibens Kenntnis nehmen habe können, eine Fristvormerkung durchführen und das Schriftstück einem der kontrollierenden Rechtsanwälte vorlegen habe können. Nicht mehr feststellbar sei jedoch, wie der Originalmängelbehebungsauftrag verloren gegangen sei, ob also das Schriftstück in einen Fremdakt geraten oder in den unter dem Schreibtisch der Kanzleileiterin befindlichen Papierkorb gefallen und in weiterer Folge im Zuge von Aufräumungsarbeiten entsorgt worden sei. Der Originalmängelbehebungsauftrag sei trotz intensiven Durchsuchens einer Vielzahl von Kanzleiakten nicht mehr aufzufinden gewesen. Am 14. August 2002 habe die belangte Behörde telefonischen Kontakt zur Rechtsvertreterin der Mitbeteiligten aufgenommen, da trotz Verstreichens der Mängelbehebungsfrist am 9. August 2002 bis zum 14. August 2002 keine Mängelbehebung erfolgt sei. Am 14. August 2002 habe die Rechtsvertreterin der Mitbeteiligten erstmals Kenntnis von dem gegenständlichen Mängelbehebungsauftrag genommen. Mit Schreiben vom 23. August 2002 (eingelangt bei der belangten Behörde am 26. August 2002) habe die Mitbeteiligte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Mängelbehebungsfrist beantragt und zugleich die versäumte Handlung nachgeholt, indem sie die fehlenden technischen Unterlagen vorgelegt habe.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte habe im Wiedereinsetzungsantrag dargelegt, wie einlangende Schriftstücke im Kanzleibetrieb grundsätzlich behandelt würden. In der Regel übernehme die langjährige Kanzleileiterin (E) die einlangende Post, unterfertige die Rückscheine und übergebe sie dem Zustellorgan. Danach öffne die Kanzleileiterin die Kuverts und bringe Einlaufstampiglien auf den Schriftstücken an. Daraufhin sehe die Kanzleileiterin jedes Schriftstück im Hinblick auf Fristen durch; Fristen trage sie in das Fristenvormerkbuch ein und übertrage sie in die EDV. Danach werde die Eingangspost mit einem in der Kanzlei anwesenden Rechtsanwalt durchgesehen, der die Schriftstücke auf Fristen und Dringlichkeit überprüfe und kontrolliere. Erst dann würden die Schriftstücke in die Kanzleiakten eingelegt und den Sachbearbeitern vorgelegt. Diese Vorgangsweise könne als geeignet und ausreichend gegen das Versäumen von Fristen bzw. auch das mögliche Abhandenkommen von Schriftstücken beurteilt werden. In der Rechtsanwaltskanzlei Achammer & Partner sei eine strukturierte Abfolgen von Maßnahmen für die Behandlung der Eingangspost vorgesehen. Entgegen dem Vorbringen der D GmbH betreffend das Fehlen ausreichender Vorsorge zur Verhinderung der Verlegung von Einlaufstücken bestünden ausreichende Maßnahmen im Kanzleibetrieb. Eine Kontrolle rein manipulativer Tätigkeiten wie die Entgegennahme und Erfassung von Einlaufstücken durch eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft sei von einem Rechtsanwalt nicht zu verlangen. Die Kanzlei Achammer & Partner habe nie zwei unterschiedliche Ereignisse beschrieben, die für die Fristversäumnis ursächlich sein könnten, sondern sie habe behauptet, der Mängelbehebungsauftrag sei durch ein Versehen der Kanzleileiterin in Verlust geraten und dem Sachbearbeiter nicht vorgelegt worden. Es schade nicht, dass im Nachhinein nicht feststellbar sei, wie das Schriftstück - sei es nach öffnen des Kuverts oder vor öffnen des Kuverts durch ein Verrutschen in einen Fremdakt oder in den Papierkorb fallen verloren gegangen; daraus sei ersichtlich, dass es sich um ein nie bzw. selten vorkommendes und folglich unvorhersehbares Ereignis handle, welches angesichts der grundsätzlich korrekten Arbeitsweise der Kanzleileiterin nur schwer zu erklären sei. Der Verpflichtung zur konkreten Beschreibung des Ereignisses im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG sei entsprochen worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren "Rechten nach § 71 AVG verletzt", weil durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Mitbeteiligte trotz Fristversäumung Verfahrenspartei bleibe. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die Mitbeteiligte eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Gemäß § 72 Abs. 4 letzter Satz AVG ist gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung kein Rechtsmittel zulässig.
Zur Beschwerdelegitimation einer - vom Wiedereinsetzungswerber verschiedenen - anderen Partei wird auf das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1995, Zl. 94/04/0049, verwiesen.
Der somit zulässigen Beschwerde kommt aus nachstehenden Erwägungen Berechtigung zu:
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/01/1062, und die darin angegebene Judikatur) ausgesprochen, dass ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muss den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muss der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt verstößt auch dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen wirksame Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumung auszuschließen geeignet sind. Ein Verschulden trifft ihn in einem solchen Fall nur dann nicht, wenn dargetan wird, dass die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten beruht. Die Art und Intensität der über die Kanzlei ausgeübten Kontrolle ist bereits im Wiedereinsetzungsantrag darzutun.
Im vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag der Mitbeteiligten werden lediglich Kontrollmaßnahmen betreffend die Überprüfung der Richtigkeit der Eintragung im Fristenvormerk dargetan. Hingegen wird im Wiedereinsetzungsantrag nicht behauptet, dass in der Kanzleiorganisation des Vertreters der Mitbeteiligten organisatorische Maßnahmen getroffen wurden, die die tatsächliche Vorlage der Eingangsstücke gewährleisten sollen. Der Verwaltungsgerichtshof hat gleichgelagerte Sachverhalte betreffend ausgesprochen, dass bei der Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei vorzukehren ist, dass Einlaufstücke nicht so bearbeitet werden, dass die Möglichkeit ihrer Verlegung in anderen Akten besteht, bevor sie der Rechtsanwalt überhaupt zu Gesicht bekommen hat; im Wiedereinsetzungsantrag ist darzutun, inwiefern die Vorlage der Eingangsstücke überwacht wurde, das heißt mit welchen organisatorischen Maßnahmen dem etwaigen "Verschwinden" von Eingangsstücken zu begegnen versucht werde (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 1993, Zl. 91/08/0170, und die hg. Beschlüsse vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/01/1062, und vom 22. März 1991, Zl. 91/10/0018).
Im vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag findet sich kein Hinweis darauf, dass der Vertreter der Mitbeteiligten, der ihm insoweit obliegenden Überwachungspflicht nachgekommen wäre bzw. das Bestehen einer solchen Pflicht erkannt hätte. Ein weisungswidriges Verhalten der Kanzleiangestellten oder die Zustellung nur eines "Leerkuverts" wurde nicht behauptet. Der Wiedereinsetzungsantrag der Mitbeteiligten lässt somit schon aus diesen Erwägungen nicht erkennen, dass der Vertreter der Mitbeteiligten ohne sein Verschulden bzw. aus einem einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigenden Verschulden verhindert war, die gesetzte Mängelbehebungsfrist zu wahren.
Des weiteren ist dem Wiedereinsetzungsantrag auch nicht zu entnehmen, wodurch der Verlust bzw. das "Verlegen" des Schriftstückes tatsächlich verursacht worden sein soll. Der Vertreter der Mitbeteiligten hat es in dieser Hinsicht unterlassen einen konkreten Sachverhalt darzulegen, wird zum vorliegenden Wiedereinsetzungsfall doch nur ausgeführt, kanzleiinterne Nachforschungen seien ergebnislos geblieben und danach seien die zwei näher beschriebenen Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Da demnach hinreichend konkrete Ausführungen zum Sachverhalt des Wiedereinsetzungsgrundes fehlen stellt aber das "Verlegen" bzw. der "Verlust" eines amtlichen Schriftstückes (fristgebundener Mängelbehebungsauftrag) - ohne entsprechende Behauptung über den tatsächlichen Sachverhaltsverlauf - kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar (vgl. hiezu etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0520, und vom 26. November 1992, Zl. 91/06/0034) bzw. lassen die Behauptungen des Wiedereinsetzungsantrages eine Beurteilung über das Vorliegen eines tauglichen Wiedereinsetzungsgrundes nicht zu.
Da der Wiedereinsetzungsantrag der Mitbeteiligten somit nicht hätte bewilligt werden dürfen, leidet der angefochtene Bescheid an einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 22. Jänner 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002040137.X00Im RIS seit
28.04.2003Zuletzt aktualisiert am
19.07.2017