TE Vfgh Erkenntnis 1999/12/1 B1536/97

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Veröffentlicht am 01.12.1999
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Sachentscheidung Wirkung
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
BundesvergabeG §6 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs3

Leitsatz

Aufhebung eines - nach Aufhebung des ua die Wiederaufnahme des Vergabeverfahrens verfügenden Bescheides durch den Verfassungsgerichtshof - dem Rechtsbestand wieder angehörenden Bescheides des Bundesvergabeamtes wegen Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; Quasianlaßfall zu G44/99 ua

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die vorliegende Beschwerde wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (im folgenden: BVA), mit dem gemäß §91 Abs3 BVergG (in der Stammfassung) festgestellt wird, daß im Verfahren betreffend die Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Lieferung, Montage und Inbetriebnahme eines "automatischen Öko-Punkte-Systems" nicht dem Bestbieter erteilt wurde, alle weitergehenden Anträge von übergangenen Bietern (darunter jene auf Aufhebung des Zuschlags und auf Aufhebung des Leistungsvertrages) abgewiesen sowie der Antrag des Auftraggebers auf Zurückweisung von Anträgen bestimmter übergangenener Bieter ab- und jener auf Feststellung, daß die Auftragsvergabe "nicht mit Rechtswidrigkeit behaftet ist", zurückgewiesen wird.

In der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die dieser nach ihrem Gesamtbild (trotz einiger mißverständlicher Formulierungen) und aufgrund einer über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes erfolgten Klarstellung als weder von der Republik Österreich (der Summe von Bund, Ländern und Gemeinden; vgl. etwa Art7 Abs1 B-VG) noch von der Finanzprokuratur im eigenen Namen, sondern vom Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur, erhoben wertet, wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und der Verfahrensgarantien des Art6 EMRK behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

Im Zuge des Vorverfahrens legte die belangte Behörde dem Verfassungsgerichtshof einen Bescheid vom 18. August 1997, Zlen. F 18 - 22/96, vor, mit dem sie gemäß "§69 Abs1 Z3 und Abs3 AVG" die Wiederaufnahme des mit dem angefochtenen Bescheid (rechtskräftig) abgeschlossenen Verfahrens unter gleichzeitiger Aufhebung dieses Bescheides verfügte (Spruchpunkt I) und einstweilige Verfügungen traf (Spruchpunkte II bis VI).

Angesichts des Umstandes, daß dieser Wiederaufnahmsbescheid seinerseits, allenfalls ein im wiederaufgenommenen Verfahren ergehender, die Sache (neuerlich) erledigender Bescheid mit der Begründung, die Wiederaufnahme sei zu Unrecht erfolgt, vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpft werden könne und im Falle seiner Aufhebung der frühere, beschwerdegegenständliche Bescheid "wieder herzustellen" sei, erachtete sich der Bund - offenbar in Unkenntnis von VfSlg. 4632/1964 - für nicht klaglos gestellt.

In der Tat wurde der Bescheid des BVA vom 18. August 1997 in seinem Spruchpunkt I von übergangenen Bietern (zu B2533/97 und B2541/97) und in seinen Spruchpunkten II bis VI vom Bund selbst (zu B2418/97) beim Verfassungsgerichthof bekämpft und von diesem mit Erkenntnis vom heutigen Tag, B2418/97 ua., (zur Gänze) aufgehoben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde ist zulässig:

Mit der Aufhebung des u.a. die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides verfügenden Bescheides des BVA durch den Verfassungsgerichtshof, die auf den Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides zurückwirkt (ex-tunc-Wirkung), tritt die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hat. Diese Wirkung, die im §42 Abs3 VwGG für die Aufhebung eines Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich ausgesprochen wird, kommt auch einem aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes im Rahmen seiner Zuständigkeit nach Art144 B-VG zu. Im Hinblick darauf, daß die Aufhebung des Bescheides vom 18. August 1997 durch den Verfassungsgerichtshof so zurückwirkt, als ob der aufgehobene Bescheid nicht erlassen worden wäre, ist der angefochtene Bescheid so zu betrachten, als ob er niemals aufgehoben worden wäre (vgl. VfSlg. 4632/1964, mit dem der Verfassungsgerichthof ein von ihm infolge Aufhebung des angefochtenen Bescheides eingestelltes Beschwerdeverfahren auf Antrag des zunächst klaglos gestellt erscheinenden Beschwerdeführers nach Aufhebung des die Klaglosstellung bewirkenden Bescheides fortsetzte).

Da sohin - aus dem Blickwinkel dieses Beschwerdeverfahrens - ein (wieder) dem Rechtsbestand angehörender Bescheid vorliegt, der administrative Instanzenzug erschöpft ist (vgl. zB VfSlg. 14390/1995) und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Die Beschwerde ist im Ergebnis auch begründet:

a) Die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides, also insbesondere zur Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines behaupteten Rechtsverstoßes in einem vom Bund als öffentlicher Auftraggeber durchgeführten Vergabeverfahren, gründet sich (angesichts der Übergangsbestimmung des §103a Abs3 Z3 BVergG idF

BGBl. 776/1996) auf §6 Abs1 Z1 iVm §§91 Abs3 und 94 Abs3 BVergG in der Stammfassung.

b) Mit Erkenntnis vom 30. September 1999, G44-46/99, hat der Verfassungsgerichtshof unter anderem ausgesprochen, daß §6 Abs1 Z1 BVergG, BGBl. 462/1993, verfassungswidrig war.

Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist ein Gesetz, dessen Verfassungswidrigkeit der Verfassungsgerichtshof festgestellt hat, im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden. Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob sich die Anlaßfallwirkung auch auf das vorliegende Bescheidprüfungsverfahren erstreckt, da nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einem Anlaßfall (im engeren Sinn) jene Fälle gleichzuhalten sind, die im Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung, bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung im Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung über eine in der Beschwerdesache präjudizielle Gesetzesstelle anhängig sind (vgl. VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).

Eine solche Situation liegt hier vor: Die Beschwerde langte am 24. Juni 1997 beim Verfassungsgerichtshof ein. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren über §6 Abs1 Z1 BVergG hat am 30. September 1999 begonnen. Der Ausspruch, daß diese Bestimmung verfassungswidrig war, wirkt daher jedenfalls auch für sie.

c) Die belangte Behörde war somit zur Entscheidung über Streitigkeiten in dem vom Bund als öffentlicher Auftraggeber durchgeführten Vergabeverfahren nicht zuständig. Das betrifft sowohl die Feststellung, ob der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde - zur Klärung dieser Frage sind in Ermangelung einer ausdrücklichen anderen Zuständigkeitsregel gemäß §1 JN die ordentlichen Gerichte zuständig: vgl. etwa VfSlg. 15106/1998 -, als auch die Zuständigkeit zu der begehrten Entscheidung über die "Aufhebung des Zuschlags"; daran vermag auch das mittlerweile in diesem Verfahren ergangene Urteil des EuGH vom 28. Oktober 1999, Rs. C 81-98, nichts zu ändern, weil es der belangten Behörde selbst bei einer allenfalls möglichen gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des BVergG im Hinblick auf die Bekämpfbarkeit der Zuschlagsentscheidung nach Aufhebung des §6 Abs1 Z1 BVergG an einer derartigen Zuständigkeit zur Nachprüfung einer Vergabeentscheidung des Bundes mangelt.

Da sich auch sonst keine innerstaatliche oder gemeinschaftsrechtliche Norm findet, auf die sich ihre Zuständigkeit stützen könnte, verletzt der Bescheid die beschwerdeführende Partei im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Der Bescheid ist folglich aufzuheben.

3. Diese Entscheidung kann gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Sachentscheidung Wirkung, VfGH / Aufhebung Wirkung, Verwaltungsverfahren, Wiederaufnahme, Vergabewesen, Behördenzuständigkeit, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1536.1997

Dokumentnummer

JFT_10008799_97B01536_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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