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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §32;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des PS in Wien, geboren 1981, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz und Dr. Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwältinnen in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. November 2000, Zl. 215.714/0-XII/05/00, betreffend § 6 Z 4 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 26. März 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 29. März 1999 Asyl. Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 30. März, 8. April und 16. Dezember 1999 gab er im Wesentlichen an, er habe sein Heimatland "wegen der Rebellen" verlassen. Im Februar 1999 hätten die Rebellen seine Eltern getötet und sein Elternhaus niedergebrannt. Der Beschwerdeführer sei von den Rebellen gefangen genommen und in ein Lager der Rebellen verbracht worden, wo er zum Kämpfen hätte ausgebildet werden sollen. Nach fünf Tagen sei ihm die Flucht aus dem Lager gelungen und er habe mit Hilfe seines Onkels Sierra Leone verlassen können. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er, dass die Rebellen ihn umbringen würden. Zum Nachweis seiner Herkunft aus Sierra Leone legte der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesasylamt eine am 4. Dezember 1998 in Freetown, Sierra Leone, ausgestellte Geburtsurkunde vor, von der er angab, dass ihm diese von seinem Onkel zugeschickt worden sei.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 2. Februar 2000 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. Das Bundesasylamt begründete die Entscheidung damit, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Sierra Leone sei und dass ihm in seinem Heimatland asylrelevante Verfolgung drohe. Der Beschwerdeführer hätte ein "äußerst mangelhaftes Grundwissen" über seinen angeblichen Heimatstaat, es widerspräche "gänzlich jeglicher Erfahrung der Asylbehörden", dass der Beschwerdeführer angegeben habe, nur Englisch, jedoch "keine afrikanische bzw. Lokalsprache zu sprechen". Schließlich ließen auch seine übrigen Angaben "einige Widersprüche ... erkennen". Dem Vorbringen des Beschwerdeführers müsse daher "die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden", sodass dessen Asylantrag "eindeutig jeder Grundlage entbehrt und daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen ist". Die Entscheidung über die Versagung des Abschiebungsschutzes begründete das Bundesasylamt insbesondere damit, dass sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben habe, dass jeder nach Sierra Leone abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in § 57 FrG umschriebenen Gefahr ausgesetzt wäre.
In der gegen diesen Bescheid aufgrund der (damaligen) Minderjährigkeit des Beschwerdeführers vom zuständigen Jugendwohlfahrtsträger erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, die Voraussetzungen für eine Abweisung seines Asylantrages nach § 6 AsylG lägen nicht vor. Weiters sei die Situation in Sierra Leone "nach wie vor instabil", sodass auch die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers unzutreffend sei.
Die belangte Behörde wies die Berufung - nach Durchführung dreier mündlicher Berufungsverhandlungen am 26. April, 5. Juni und 31. Oktober 2000 - mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 6 Z 4 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Asylantrages nach § 6 Z 4 AsylG damit, dass der Beschwerdeführer die Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes in der Berufungsverhandlung am 31. Oktober 2000 verweigert habe. Die belangte Behörde habe im Zuge der von ihr durchgeführten Berufungsverhandlungen versucht, sich Klarheit über die Behauptungen des Beschwerdeführers über seinen Herkunftsstaat, an denen die Behörde erster Instanz begründete Zweifel gehegt habe, zu verschaffen. Daran anschließend führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weiter aus:
"Als nunmehr in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 31.10.2000 versucht wurde, Widersprüche, die sich in den Aussagen des Berufungswerbers in den vorangegangenen Berufungsverhandlungen hinsichtlich seiner Sprachkenntnisse die allgemeine Verständigungssprache Sierra Leones - die Sprache Krio - betreffend ergeben haben, aufzuklären, zog sich der Berufungswerber auf massives Betreiben seines rechtsfreundlichen Vertreters hin plötzlich auf den Standpunkt zurück, keine weiteren Fragen, die ihm seitens des erkennenden Mitgliedes des unabhängigen Bundesasylsenates gestellt werden würden, beantworten zu wollen. Auf Grund dieser Haltung des Berufungswerbers, die dieser trotz mehrmaliger Nachfrage von Seiten der erkennenden Behörde beibehielt, konnte das Beweisverfahren keine Fortsetzung mehr finden, dies obwohl der maßgebliche Sachverhalt für die erkennende Behörde zu diesem Zeitpunkt nicht im ausreichenden Maß festgestellt werden konnte, wovon der Berufungswerber im Zuge dieser Berufungsverhandlung auch unterrichtet wurde."
Da der Asylwerber trotz mehrmaliger Aufforderung, "an der Beantwortung der an ihn gestellten Fragen persönlich mitwirken zu müssen", unmissverständlich zu erkennen gegeben habe, dass er persönlich keine weiteren Fragen der erkennenden Behörde mehr beantworten werde, seien die Voraussetzungen für die Abweisung seines Asylantrages nach § 6 Z 4 AsylG gegeben. Ein sonstiger Hinweis auf Verfolgung liege schon deshalb nicht vor, "weil die Voraussetzung des feststellbaren Herkunftsstaates zur Überprüfung einer konkreten Verfolgungsgefahr in diesem konkreten Fall nicht gegeben ist". Da der Beschwerdeführer die Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes verweigert habe und sich aus den in der Berufungsverhandlung "in das Verfahren eingeführten Urkunden" ergebe, dass zumindest in der Hauptstadt Sierra Leones und weiteren Teilen des Landes derzeit keine extreme Gefahrenlage gegeben sei, sei die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat dadurch, dass sie ihre Entscheidung auf eine andere als die von der Behörde erster Instanz herangezogene Ziffer des § 6 AsylG stützte (nunmehr Z 4 statt Z 3 leg. cit.), die Sache des abgekürzten Berufungsverfahrens nach § 32 AsylG nicht überschritten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465; zum Fehlen einer Bindung an die in erster Instanz herangezogene Ziffer des § 6 AsylG - unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175 - auch das Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0320, und die daran anschließenden Erkenntnisse etwa vom 26. April 2001, Zl. 2001/20/0161, vom 22. November 2001, Zl. 2001/20/0516, und vom 18. Juli 2002, Zl. 2000/20/0108). Zu prüfen ist daher, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen der Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet gemäß § 6 Z 4 AsylG vorlagen.
Nach § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach Z 4 dieser Gesetzesstelle der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes trotz Aufforderung nicht mitwirken (vgl. zu § 6 Z 4 AsylG die bisher ergangenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Juli 1999, Zlen. 98/20/0508, 0509, vom 19. Dezember 2001, Zl. 2000/20/0318, und vom 12. Dezember 2002, Zl. 99/20/0609). Da der Tatbestand des mit "offensichtlich unbegründete Asylanträge" überschriebenen § 6 AsylG nur dann herangezogen werden kann, wenn die Asylanträge "eindeutig jeder Grundlage entbehren", muss auch im Falle der Anwendung der Z 4 dieser Gesetzesstelle der Umstand, dass der Asylwerber trotz Aufforderung an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes nicht mitgewirkt hat, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) den Schluss zulassen, der Asylantrag sei missbräuchlich gestellt worden. Ein solcher Schluss kann nach dem zweiten Satz des § 6 AsylG u.a. nur dann gezogen werden, wenn kein "sonstiger Hinweis" auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat vorliegt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil das vom Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Verletzung von Mitwirkungspflichten schon erstattete Vorbringen - wie in dem mit dem zitierten hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999 entschiedenen Fall - konkrete Hinweise auf eine asylrelevante Verfolgungsgefahr in seinem behaupteten Herkunftsstaat enthielt. Die belangte Behörde hält dem lediglich entgegen, es fehle an der vermeintlichen Voraussetzung des "feststellbaren" Herkunftsstaates. Diese Argumentation steht im Widerspruch zum Gesetz, nach dessen klarem Wortlaut eine auf § 6 AsylG gestützte Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet schon beim Vorliegen eines "Hinweises" auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat und nicht erst bei deren "Feststellbarkeit" ausgeschlossen ist. Dass die mangelnde Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone, wo ihm behauptetermaßen Verfolgung droht, etwa im Sinne des § 6 Z 3 AsylG "offensichtlich" sei, was eine Heranziehung des § 6 Z 4 AslyG erübrigt hätte, hat die belangte Behörde - wohl schon mit Rücksicht auf die vom Beschwerdeführer vorgelegte Geburtsurkunde, die nach der von der belangten Behörde eingeholten Auskunft des österreichischen Konsuls in Freetown mit Eintragungen im Geburtenregister übereinstimmt - selbst nicht angenommen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 23. Jänner 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001200080.X00Im RIS seit
02.05.2003