TE Vfgh Erkenntnis 1999/12/1 B2418/97, B2533/97, B2541/97

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Veröffentlicht am 01.12.1999
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
BundesvergabeG §6 Abs1 Z1
BundesvergabeG 1997 §11 Abs1 Z1

Leitsatz

Aufhebung des Bescheides im Anlaßfall wegen Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §6 Abs1 Z1 des BundesvergabeG, BGBl 462/1993, bzw Aufhebung des §11 Abs1 Z1 des BundesvergabeG 1997, BGBl I 56/1997, mit E v 30.09.99, G44-46/99.

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, der zu B2533/97 beschwerdeführenden Gesellschaft die mit S 20.500,-- und den zu B2541/97 beschwerdeführenden Gesellschaften die mit insgesamt S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten, jeweils zuhanden ihrer Rechtsvertreter, binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Ersatz der Kosten für erstattete Äußerungen wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die vorliegenden zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden richten sich gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (im folgenden: BVA), mit dem das BVA ein bei ihm anhängig gewesenes, mit Bescheid vom 9. April 1997 abgeschlossenes Nachprüfungsverfahren (nach Zuschlagserteilung) unter gleichzeitiger Behebung des in der Hauptsache ergangenen Bescheides wiederaufnimmt (Spruchpunkt I) und über den in diesem Verfahren gestellten Sicherungsantrag eines nicht zum Zuge gekommenen Bieters (neuerlich, und zwar nunmehr) durch Erlassung einstweiliger Verfügungen abspricht (Spruchpunkte II bis VI).

1. Die hg. zu B2418/97 protokollierte (und mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbundene) Beschwerde des Bundes, vertreten durch den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr, richtet sich bloß gegen die Spruchpunkte II bis VI, also nicht gegen die Verfügung der Wiederaufnahme, sondern bloß gegen die einstweiligen Verfügungen. (Dem Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gab der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 10. Oktober 1997 statt, sodaß die einstweiligen Verfügungen des BVA vorläufig außer Kraft gesetzt waren.)

Die hg. zu B2533/97 und zu B2541/97 protokollierten Beschwerden nicht zum Zug gekommener Bieter wenden sich demgegenüber ausschließlich gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides, also gegen die Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem BVA und die Aufhebung des in der Sache ergangenen Bescheides vom 9. April 1997.

In den Beschwerden wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (in der zu B2541/97 protokollierten Beschwerde auch des Grundrechtes auf Unversehrtheit des Eigentums) behauptet und die kostenpflichtige (B2533/97 und B2541/97) Aufhebung der jeweils angefochtenen Teile des Bescheides begehrt.

2. Dem angefochtenen Bescheid liegt folgender Sachverhalt und folgendes Prozeßgeschehen zugrunde:

a) Aufgrund einer offenen Ausschreibung für die Lieferung und Montage eines "automatischen Öko-Punkte-Systems" hatte der Bundesminister (damals:) für öffentliche Wirtschaft und Verkehr am 5. September 1996 einem Bieter den Zuschlag erteilt. Am 16. September beantragte daraufhin die nunmehr zu B2533/97 beschwerdeführende Gesellschaft (als nicht zum Zuge gekommener Bieter) beim BVA unter anderem die Feststellung, daß der Zuschlag für die Lieferung des automatischen Öko-Punkte-Systems samt Nebenleistungen unter Verletzung von Bestimmungen des BVergG erteilt wurde und daß der Zuschlag an das beim BVA einschreitende Unternehmen zu erteilen gewesen wäre; weiters wurde die Aufhebung des Zuschlags beantragt. Gleichzeitig wurden auch Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gestellt.

b) Mit Bescheid vom 18. September 1996 wies das BVA die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurück. Begründend führte es aus, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei gemäß §91 Abs2 und 3 BVergG (in der Stammfassung) nur bis zum Zeitpunkt des Zuschlags zulässig; im gegenständlichen Fall sei der Leistungsvertrag aber durch Schlußbrief und Gegenschlußbrief vom 5. September 1996 bereits zustandegekommen.

Dieser Bescheid wurde anläßlich einer dagegen erhobenen Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg. 14889/1997 wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behoben. Da nicht mit ausreichender Klarheit feststehe, ob das gemeinschaftsrechtliche Vergaberecht die Möglichkeit der Nichtigerklärung einer Zuschlagsentscheidung und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen deren Vollzug verlange, hätte das BVA den EuGH diesbezüglich um Vorabentscheidung ersuchen müssen.

c) Noch während des verfassungsgerichtlichen Verfahrens, das zur Aufhebung des die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Bescheides vom 18. September 1996 führte, erledigte das BVA die Hauptsache, indem es mit Bescheid vom 9. April 1997 feststellte, daß die Vergabe nicht an den Bestbieter erfolgte und die weiteren Anträge und Gegenanträge ab- oder zurückwies (diese Entscheidung ist in CONNEX, Juli 1997, 29, publiziert; vgl. im übrigen die Darstellung des gesamten Vergabeverfahrens in Sachen "Ökopunkte" in der Entscheidungsbesprechung von Gutknecht, ÖZW 1998, 41 ff., insb. 46).

Dieser Bescheid wurde sowohl von der nunmehr zu B2533/97 beschwerdeführenden Gesellschaft in seinem u.a. ihre "weitergehenden Anträge" (darunter jene auf Aufhebung des Zuschlags und des Leistungsvertrags) abweisenden Teil als auch zur Gänze vom Bund (Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr) beim Verfassungsgerichtshof bekämpft.

Mit Beschluß vom 30. September 1997, B1509/97, stellte der Verfassungsgerichtshof das Verfahren über die Beschwerde des nicht zum Zug gekommenen Bieters wegen Klaglosstellung (infolge Aufhebung des damals bekämpften Bescheides durch den nunmehr bekämpften Bescheid) ein (vgl. VfSlg. 4632/1964). Die zu B1536/97 protokollierte Beschwerde des Bundes ist noch anhängig.

d) Nach Zustellung des Erkenntnisses VfSlg. 14889/1997 erließ das BVA den - beschwerdegegenständlichen - Bescheid vom 18. August 1997, Zlen. F 18 - 22/96, mit dem es gemäß "§69 Abs1 Z3 und Abs3 AVG" die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 9. April 1997 (rechtskräftig) abgeschlossenen Verfahrens (unter gleichzeitiger Aufhebung dieses in der Hauptsache ergangenen Bescheides) verfügte (Spruchpunkt I) und einstweilige Verfügungen traf (Spruchpunkte II bis VI).

Mit Beschluß vom 3. März 1998 stellte das BVA im wiederaufgenommenen Verfahren ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, der mit Urteil vom 28. Oktober 1999, Rs. C-81/98, für Recht erkannte:

"1. Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und b in Verbindung mit Absatz 6 Unterabsatz 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge ist dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die dem Vertragsschluß vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, mit welchem Bieter eines Vergabeverfahrens er den Vertrag schließt, in jedem Fall einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen, in dem der Antragsteller unabhängig von der Möglichkeit, nach dem Vertragsschluß Schadenersatz zu erlangen, die Aufhebung der Entscheidung erwirken kann, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind.

2. Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie 89/665 ist nicht dahin auszulegen, daß die für die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuständigen Nachprüfungsinstanzen der Mitgliedstaaten ungeachtet des Fehlens einer Zuschlagsentscheidung, deren Aufhebung im Rahmen einer Nachprüfung beantragt werden könnte, zur Nachprüfung unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen befugt sind."

e) Eine Entscheidung des BVA im wiederaufgenommenen Verfahren ist noch nicht ergangen.

II. Das Bundesvergabeamt legte die Verwaltungsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift in der Sache aber ab.

In dem zu B2418/97 protokollierten Verfahren erstatteten jene beteiligten Parteien, die die zu B2533/97 und B2541/97 protokollierten Beschwerden erhoben haben, Äußerungen, in denen sie beantragten, der Beschwerde des Bundes keine Folge zu geben.

In den zu B2533/97 und B2541/97 geführten Verfahren erstattete ein übergangener Bieter als Beteiligter eine Äußerung, in der er den jeweiligen Beschwerdeanträgen beitrat und Kosten verzeichnete. In diesen Verfahren enthielt sich sowohl die belangte Behörde als auch der Bund einer Äußerung.

III. Aus Anlaß der vorliegenden

Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 4. März 1999 ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §6 Abs1 Z1 BVergG, BGBl. 462/1993, und des dieser Bestimmung entsprechenden §11 Abs1 Z1 BVergG 1997, BGBl. I 56, ein.

Mit Erkenntnis vom 30. September 1999, G44-46/99, hob er §11 Abs1 Z1 BVergG 1997 (unter Fristsetzung) als verfassungswidrig auf und sprach aus, daß §6 Abs1 Z1 BVergG verfassungswidrig war.

IV. Die Beschwerden sind in ihrem jeweiligen Umfang auch begründet:

Die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens (Spruchpunkt I) gründet auf §11 Abs1 Z1 BVergG 1997 (vgl. VfSlg. 5592/1967), zur Erlassung der einstweiligen Verfügung (Spruchpunkte II bis VI) angesichts der Übergangsbestimmung des §103a Abs3 Z3 BVergG idF BGBl. 776/1996 auf der (gleichlautenden) Bestimmung des §6 Abs1 Z1 BVergG in der Stammfassung (s. VfGH 30.9.1999, G44-46/99).

Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist das für verfassungswidrig erkannte Gesetz in den Anlaßfällen nicht mehr anzuwenden.

Die belangte Behörde war somit zur Wiederaufnahme des Verfahrens und zur Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht zuständig. Ihr Bescheid verletzt die beschwerdeführenden Parteien daher im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Der Bescheid ist folglich aufzuheben.

V. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zu B2533/97 zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG in Höhe von S 2.500,-- und Umsatzsteuer in Höhe von

S 3.000,--, in den zu B2541/97 zugesprochenen Kosten Umsatzsteuer in Höhe von S 3.000,-- enthalten.

Die von der Mitbeteiligten angesprochenen Kosten für die Erstattung von Äußerungen waren nicht zuzusprechen, weil ihr keine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten entstanden sind.

VI. Diese Entscheidung kann gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Vergabewesen, Behördenzuständigkeit, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B2418.1997

Dokumentnummer

JFT_10008799_97B02418_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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