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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 1997 §5 Abs1 idF 1999/I/004;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Köller, Dr. Grünstäudl, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Oktober 2000, Zl. 219.014/0-XII/36/00, betreffend § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 (mitbeteiligte Partei:
A in B, geboren 1979, vertreten durch Dr. Rudolf Hein, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Schillerstraße 11), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Mitbeteiligte, eine jugoslawische Staatsangehörige, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Sie gelangte am 16. Mai 1999 über Italien in das Bundesgebiet und beantragte am darauf folgenden Tag die Gewährung von Asyl. Am 21. Juli 1999 wurde sie vom Bundesasylamt zu ihren Fluchtgründen befragt, die sie - zusammengefasst - in der Zwangsdeportation aus dem Kosovo durch serbische Polizei erblickte.
Am 10. August 1999 richtete das Bundesasylamt unter Hinweis auf die Einreise der Mitbeteiligten aus Italien und unter Berufung auf Art. 6 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl. III Nr. 165/1997 (Dubliner Übereinkommen), ein Aufnahmegesuch an den Innenminister von Italien, das unbeantwortet blieb.
Am 19. Februar 2000 ehelichte die Mitbeteiligte einen - ebenfalls im Bundesgebiet aufhältigen - jugoslawischen Staatsangehörigen und gebar am 5. April 2000 eine Tochter, für die ein Antrag auf Erstreckung von Asyl gestellt wurde.
Mit Bescheid vom 18. September 2000 sprach das Bundesasylamt über den Antrag der Mitbeteiligten folgendermaßen ab:
"Ihr Asylantrag vom 17.5.1999 wird ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz 1997, BGBl I 1997/76 (AsylG), als unzulässig zurückgewiesen.
Für die Prüfung Ihres Asylantrages ist gemäß Artikel 6 und Artikel 11 Absatz 4 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl III 1997/165 (Dubliner Übereinkommen), Italien zuständig.
Sie werden aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen. "
Begründend führte die Erstbehörde nach Darstellung der Ermittlungsergebnisse im Wesentlichen aus, die Angaben der Mitbeteiligten zur Reiseroute würden für wahr erachtet. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der vertraglichen Zuständigkeit nach § 5 Abs. 1 AsylG sei auf das Dubliner Übereinkommen Bezug zu nehmen. Im Falle der Mitbeteiligten seien die Art. 6 und 11 Abs. 4 dieses Übereinkommens erfüllt. Die automatische Annahme des Übernahmeersuchens auch ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmungserklärung nach Ablauf der Dreimonatsfrist gemäß Art. 11 Abs. 4 dieses Übereinkommens sei zusätzlich in einem Arbeitsübereinkommen zwischen dem (österreichischen) Bundesasylamt und dem italienischen Innenministerium fixiert worden. Aus diesem Grund sei der Asylantrag der Mitbeteiligten in Österreich als unzulässig zurückzuweisen und ihre Ausweisung nach Italien anzuordnen gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Berufung, in der sie unter anderem vorbrachte, die Erstbehörde hätte eine Ermessensabwägung hinsichtlich eines relevanten Eingriffes in ihr Privat- und Familienleben (Art. 8 EMRK) vornehmen müssen. § 5 Abs. 1 und 2 AsylG seien im Hinblick auf Art. 3 und 13 EMRK und Art. 83 Abs. 2 B-VG verfassungswidrig.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) der Berufung der Mitbeteiligten gemäß § 32 Abs. 2 AsylG statt, behob den Erstbescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verfahrensganges aus, der Erstbehörde sei insoweit zu folgen, als sich aus Art. 6 iVm Art. 11 Abs. 4 Dubliner Übereinkommen grundsätzlich die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrages ergeben würde. Die Erstbehörde habe es allerdings bei einer bloßen Wortauslegung des Dubliner Übereinkommens bewenden lassen und es verabsäumt, eine verfassungskonforme Interpretation dieses Übereinkommens im Hinblick auf Art. 8 EMRK (Schutz des Privat- und Familienlebens) vorzunehmen. Im vorliegenden Fall stelle sich nämlich das im Dubliner Übereinkommen nicht ausdrücklich geregelte Problem, dass die Mitbeteiligte zwischenzeitig in Österreich eine Ehe geschlossen und ein Kind geboren habe. Während das die Mitbeteiligte betreffende Asylverfahren nach den zitierten Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens von Italien zu führen wäre, wäre das die minderjährige Tochter betreffende Asyl(erstreckungs)verfahren in Österreich zu führen, zumal die erst nach der Einreise der Mitbeteiligten geborene Tochter keinen Bezugspunkt zu Italien habe. Diese - vom Dubliner Übereinkommen offenbar nicht bedachte - Konstellation hätte eine Trennung der Mitbeteiligten von ihrer Tochter und von ihrem Ehegatten zur Folge. Diese Trennung würde voraussichtlich bis zum Abschluss des Asylverfahrens andauern und erscheine im Hinblick darauf, dass es sich um die Trennung der Mutter von einem sechs Monate alten Kleinkind handle, als sehr schwerwiegend. Die belangte Behörde sei der Ansicht, dass die vorliegende Problematik im Hinblick auf den Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben durch verfassungskonforme Interpretation des Dubliner Übereinkommens zu lösen sei, und zwar durch Anwendung des in Art. 3 Abs. 4 dieses Übereinkommens enthaltenen Selbsteintrittsrechts. Nach dieser Bestimmung habe jeder Mitgliedstaat unter der Voraussetzung, dass der Asylwerber diesem Vorgehen zustimme, das Recht, einen von einem Ausländer gestellten Asylantrag auch dann zu prüfen, wenn er auf Grund der in diesem Übereinkommen definierten Kriterien nicht zuständig sei. Der nach den genannten Kriterien zuständige Mitgliedstaat sei dann von seinen Verpflichtungen entbunden, die auf den Mitgliedstaat übergingen, der den Asylantrag zu prüfen wünsche. Dieses Selbsteintrittsrecht wäre im vorliegenden Fall anzuwenden, um zu einem verfassungskonformen Ergebnis zu gelangen. Wie Art. 9 Dubliner Übereinkommen zeige, liege dies auch im Sinne des Abkommens, das eine Verschiebung der Zuständigkeit "aus humanitären, insbesondere aus familiären oder kulturellen Gründen" zulasse. Da die Erstbehörde solcherart die auf Grund des Art. 8 EMRK gebotene verfassungskonforme Interpretation des Dubliner Übereinkommens, die zu einer Zuständigkeit Österreichs geführt hätte, nicht vorgenommen habe, erweise sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig. Demnach sei gemäß § 32 Abs. 2 erster und zweiter Satz AsylG die Behebung des Erstbescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Erstbehörde auszusprechen gewesen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde des Bundesministers für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung von Gegenschriften seitens der Mitbeteiligten und der belangten Behörde - in einem nach § 13 Abs. 1 Z 1 VwGG verstärkten Senat erwogen:
1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
§ 5 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/1999 lautet auszugsweise:
"Unzulässige Asylanträge wegen vertraglicher Unzuständigkeit
§ 5. (1) Ein nicht gemäß § 4 erledigter Asylantrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat das Bundesasylamt auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Ein solcher Bescheid ist mit einer Ausweisung zu verbinden.
(2) ...
(3) Eine Ausweisung gemäß Abs. 1 und 2 gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat."
Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass das Dubliner Übereinkommen ein Vertrag über die Bestimmung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages ist und dass sowohl Österreich als auch Italien Vertragsparteien dieses Abkommens sind. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens haben (einschließlich der Präambel) - auszugsweise - folgenden Wortlaut:
"ÜBEREINKOMMEN
ÜBER DIE BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN STAATES
FÜR DIE PRÜFUNG EINES IN EINEM MITGLIEDSTAAT DER
EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN GESTELLTEN ASYLANTRAGS
...
IN ANBETRACHT des vom Europäischen Rat auf seiner Tagung in Straßburg am 8./9. Dezember 1989 gesetzten Ziels der Harmonisierung der Asylpolitiken,
ENTSCHLOSSEN, aus der Verbundenheit mit ihrer gemeinsamen humanitären Tradition und gemäß den Bestimmungen des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 in der Fassung des Protokolls von New York vom 31. Jänner 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - nachstehend "Genfer Abkommen" bzw. "Protokoll von New York" genannt - den Flüchtlingen einen angemessenen Schutz zu bieten,
IN ANBETRACHT des gemeinsamen Ziels, einen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen, ...
IN DEM BEWUSSTSEIN, dass Maßnahmen erforderlich sind, um zu vermeiden, dass durch die Realisierung dieses Zieles Situationen entstehen, die dazu führen, dass der Asylbewerber zu lange im Ungewissen über den Ausgang seines Asylverfahrens gelassen wird, und in dem Bestreben, jedem Asylbewerber die Gewähr dafür zu bieten, dass sein Antrag von einem der Mitgliedstaaten geprüft wird, und ferner zu vermeiden, dass die Asylbewerber von einem Mitgliedstaat zum anderen abgeschoben werden, ohne dass einer dieser Staaten sich für die Prüfung des Asylantrags für zuständig erklärt,
...
HABEN BESCHLOSSEN ...
...
Artikel 1
(1) Im Sinne dieses Übereinkommens gilt als
a)
...
b)
Asylantrag: Antrag, mit dem ein Ausländer einen Mitgliedstaat um Schutz nach dem Genfer Abkommen unter Berufung auf den Flüchtlingsstatus im Sinne von Artikel 1 des Genfer Abkommens in der Fassung des New Yorker Protokolls ersucht,
c) Asylbewerber: ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht endgültig befunden wurde,
...
Artikel 3
(1) Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, jeden Asylantrag zu prüfen, den ein Ausländer an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt.
(2) Dieser Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat gemäß den in diesem Übereinkommen definierten Kriterien geprüft. Die in den Artikeln 4 bis 8 aufgeführten Kriterien werden in der Reihenfolge, in der sie aufgezählt sind, angewendet.
(3) Der Antrag wird von diesem Staat gemäß seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften und seinen internationalen Verpflichtungen geprüft.
(4) Jeder Mitgliedstaat hat unter der Voraussetzung, dass der Asylbewerber diesem Vorgehen zustimmt, das Recht, einen von einem Ausländer gestellten Asylantrag auch dann zu prüfen, wenn er auf Grund der in diesem Übereinkommen definierten Kriterien nicht zuständig ist. Der nach den genannten Kriterien zuständige Mitgliedstaat ist dann von seinen Verpflichtungen entbunden, die auf den Mitgliedstaat übergehen, der den Asylantrag zu prüfen wünscht. Dieser Mitgliedstaat unterrichtet den nach den genannten Kriterien verantwortlichen Mitgliedstaat, wenn letzterer mit dem betreffenden Antrag befasst worden ist.
...
Artikel 4
Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen, dem in einem Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Genfer Abkommens in der Fassung des Protokolls von New York zuerkannt worden ist und der seinen legalen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat hat, so ist dieser Staat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern die betreffenden Personen dies wünschen. Bei dem betreffenden Familienangehörigen darf es sich nur um den Ehegatten des Asylbewerbers, sein unverheiratetes minderjähriges Kind unter achtzehn Jahren oder, sofern der Asylbewerber ein unverheiratetes minderjähriges Kind unter achtzehn Jahren ist, dessen Vater oder Mutter handeln.
...
Artikel 6
Hat der Asylbewerber aus einem Drittstaat die Grenze eines Mitgliedstaates illegal auf dem Land-, See- oder Luftweg überschritten, so ist der Mitgliedstaat, über den er nachweislich eingereist ist, für die Antragsprüfung zuständig. Die Zuständigkeit dieses Staates erlischt jedoch, wenn sich der Ausländer nachweislich mindestens sechs Monate lang in dem Mitgliedstaat, in dem er den Asylantrag gestellt hat, aufgehalten hat, bevor er seinen Asylantrag einreichte. In diesem Fall ist der letztgenannte Staat für die Prüfung des Asylantrages zuständig.
...
Artikel 9
Auch wenn ein Mitgliedstaat in Anwendung der in diesem Übereinkommen definierten Kriterien nicht zuständig ist, kann dieser auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats und unter der Voraussetzung, dass der Asylbewerber dies wünscht, aus humanitären, insbesondere aus familiären oder kulturellen Gründen, einen Asylantrag prüfen. Ist der ersuchte Mitgliedstaat bereit, den Asylantrag zu prüfen, so geht die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags auf ihn über.
Artikel 10
(1) Der Mitgliedstaat, der nach den in diesem Übereinkommen definierten Kriterien für die Prüfung eines Asylantrages zuständig ist, ist verpflichtet:
a)
...
b)
die Prüfung des Asylantrags bis zum Ende durchzuführen;
c)
...
d)
...
e)
...
...
Artikel 11
(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung dieses Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Einreichung des Asylantrags, letzteren ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen. Wird das Aufnahmegesuch nicht innerhalb von sechs Monaten unterbreitet, so ist der Staat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.
(2) ...
(3) Bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Staates wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(4) Der Mitgliedstaat muss binnen drei Monaten, nachdem er hiermit befasst wurde, über das Gesuch auf Aufnahme des Asylbewerbers entscheiden. Liegt bei Ablauf dieser Frist keine Antwort vor, so kommt dies einer Annahme des Aufnahmegesuchs gleich.
..."
2. Der Bundesminister für Inneres räumt eingangs seiner Beschwerde ein, dass "auf Grund des engen Familienbegriffs des Dubliner Übereinkommens ein Spannungsverhältnis zu Art. 8 EMRK entstehen kann und eine konventionskonforme Auslegung des Dubliner Übereinkommens eine Berücksichtigung des weiteren Familienbegriffs bei der Ausübung des Ermessens gemäß Art. 3 Abs. 4 und Art. 9" dieses Übereinkommens bedinge. Ein Bescheid nach § 5 AsylG könne durch den Ausspruch der Ausweisung unter besonderen Voraussetzungen im Einzelfall in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben eingreifen. Diesfalls habe die Behörde zu prüfen, ob dieser Eingriff in Art. 8 Abs. 2 EMRK Deckung finden könne. Gelange sie zur Ansicht, dass dieser Eingriff nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht notwendig sei, habe sie § 5 AsylG verfassungskonform auszulegen, indem sie vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 4 Dubliner Übereinkommen Gebrauch mache.
Der Beschwerdeführer sieht eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides jedoch darin, dass nach der in der Beschwerde wiedergegebenen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ("Ein geordnetes Fremdenwesen ist für den österreichischen Staat von eminentem Interesse. Dies umso mehr in einer Zeit, in der, wie in jüngster Vergangenheit unübersehbar geworden, der Zuwanderungsdruck kontinuierlich zunimmt. Um den mit diesem Phänomen verbundenen, zum Teil gänzlich neuen Problemstellungen in ausgewogener Weise Rechnung tragen zu können, gewinnen die für Fremde vorgesehenen Rechtsvorschriften zunehmend an Bedeutung. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.") gewichtige öffentliche Interessen für die Aufenthaltsbeendigung sprächen. Die belangte Behörde habe es im vorliegenden Fall unterlassen, das ausgeübte Ermessen an Art. 8 Abs. 2 EMRK zu orientieren. Insbesondere sei dem angefochtenen Bescheid keine Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu entnehmen. Vielmehr scheine die belangte Behörde auf die Existenz dieser Bestimmung überhaupt nicht Bedacht genommen zu haben, weil sie diese Bestimmung in der gesamten Begründung nicht einmal zitierte. Bei einer solchen Interessenabwägung hätte die belangte Behörde die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Dubliner Übereinkommen berücksichtigen müssen, wonach "der allgemeine Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention, auf deren wesentlichen Bestimmungen das Asylverfahren aufbaue, der Schutz vor Verfolgung im ersten sicheren Staat ist, den ein Flüchtling erreichte, nicht jedoch die Familienzusammenführung mit in anderen Staaten 'niedergelassenen Gastarbeitern'." Der Verwaltungsgerichtshof beziehe diesen Standpunkt in seinem Erkenntnis vom 7. September 2000, Zlen. 2000/01/0094 bis 0096, expressis verbis auch auf das Dubliner Übereinkommen. Zur Wertung des Verwaltungsgerichtshofes zwischen den öffentlichen Interessen und dem Recht auf Familienleben werde auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 1999, Zl. 98/18/0230, verwiesen; in dem diesem Erkenntnis zu Grunde liegenden Beschwerdefall sei ebenfalls ein Familienleben erst während eines illegalen Aufenthaltes in Österreich aufgebaut worden. Hätte die belangte Behörde diese Judikatur berücksichtigt, wäre sie zu einem anderen Ergebnis gelangt. Sie habe auch übersehen, dass eine Trennung des Kindes von der Mutter auf Grund des Art. 9 DÜ verhindert werden könne, indem Italien das Kind übernehme.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Frage der Auslegung des § 5 Abs. 1 AsylG vor dem Hintergrund der EMRK - soweit für das vorliegende Beschwerdeverfahren von Relevanz - bislang zusammengefasst Folgendes ausgesprochen:
In seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 1999, Zl. 99/01/0428, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, das Recht auf Schutz vor Abschiebung in einen nicht refoulement-sicheren Drittstaat müsse auch dann zum Tragen kommen, wenn dieser Drittstaat gleichzeitig ein Vertragsstaat nach dem Dubliner Übereinkommen sei. Hätte Österreich mit einem Staat dieses Übereinkommen abgeschlossen, in welchem kein Refoulement-Schutz bestünde, so wäre möglicherweise eine Verfassungswidrigkeit des § 5 Abs. 1 AsylG gegeben. Raum für die vom (damaligen) Beschwerdeführer geforderte "verfassungskonforme Interpretation" bestehe angesichts des Wortlautes des § 5 AsylG, insbesondere seines Abs. 3, nicht. Weiters sah sich der Verwaltungsgerichtshof damals in Anbetracht der - wenig konkreten - Behauptungen des Beschwerdeführers über mangelnden Schutz vor Refoulement im Vertragsstaat (Drittstaat) nicht dazu veranlasst, die Aufhebung des § 5 AsylG beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen.
In den hg. Erkenntnissen vom 22. März 2000, Zlen. 99/01/0419 und 99/01/0424, wurde ausgeführt, ein subjektiv-öffentliches Recht bestehe auf Grund der Bestimmungen des § 5 AsylG lediglich dahingehend, dass ein Asylantrag nur dann als unzulässig zurückgewiesen werden dürfe, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig sei. Das Dubliner Übereinkommen regle grundsätzlich nur die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten, nicht aber Rechte von Asylbewerbern. Auch aus Art. 9 dieses Übereinkommens erfließe dem Asylantragsteller kein subjektiv-öffentliches Recht, dass ein nach den Zuständigkeitskriterien des Dubliner Übereinkommens für die Prüfung des Asylantrages unzuständiger Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages übernehme. Diese Bestimmung richte sich ausschließlich an die Mitgliedstaaten. Ein subjektiv-öffentliches Recht könne sich nur aus § 5 AsylG ergeben. Danach sei Tatbestandsvoraussetzung für die Zurückweisung eines nicht gemäß § 4 AsylG erledigten Asylantrages als unzulässig ausschließlich die vertragliche Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages. Daher entstehe auch aus dieser Bestimmung kein subjektiv-öffentliches Recht eines Asylwerbers darauf, dass ein anderer als der vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständige Staat ein aus dem Dubliner Übereinkommen erfließendes zwischenstaatliches Ermessen zwecks Übertragung der Zuständigkeit von dem vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständigen Staat auf einen anderen Mitgliedstaat ausübe. Im letztgenannten Erkenntnis fügte der Verwaltungsgerichtshof noch hinzu, dass der allgemeine Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention, auf deren wesentlichen Bestimmungen das Asylverfahren aufbaue, der Schutz vor Verfolgung im ersten sicheren Staat sei, den ein Flüchtling erreiche, nicht jedoch die Familienzusammenführung. Zur Bedeutung der in § 5 Abs. 1 letzter Satz AsylG vorgesehenen Ausweisung führte der Verwaltungsgerichtshof aus, das AsylG kenne nur eine einzige Rechtsbedingung für die Erlassung einer Ausweisung durch die Asylbehörden, nämlich die Zurückweisung des Asylantrages wegen vertraglicher Unzuständigkeit. Beim Ausweisungstatbestand des § 5 Abs. 1 AsylG handle es sich um einen von den Tatbeständen der §§ 33 und 34 FrG verschiedenen. Der Gesetzgeber "verstehe" mit den Rechtsinstituten des § 5 AsylG die Umsetzung des Dubliner Übereinkommens. § 5 Abs. 3 AsylG sehe seit der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999 die unwiderlegliche Vermutung vor, dass eine Ausweisung nach § 5 AsylG ausnahmslos auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den nach dem Dubliner Übereinkommen gemäß § 5 AsylG als zuständig bezeichneten Staat gelte.
In seinem Erkenntnis vom 23. März 2000, Zl. 2000/20/0052, traf der Verwaltungsgerichtshof die Aussage, § 5 Abs. 1 AsylG nehme auf die Familienzusammenführung von Asylwerbern dadurch Bedacht, dass bei Bestimmung der Zuständigkeit eines Vertragsstaates des Dubliner Übereinkommens primär Art. 4 dieses Übereinkommens heranzuziehen sei. Ein durch die EMRK verbürgtes Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens im Bundesgebiet bestehe im Übrigen nicht.
Im Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0090, wiederholte der Verwaltungsgerichtshof die im hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0419, getroffene Aussage, das Dubliner Übereinkommen regle grundsätzlich nur die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten, nicht aber die Rechte von Asylbewerbern. Auch aus Art. 3 Abs. 4 dieses Übereinkommens erfließe dem Asylantragsteller kein subjektiv-öffentliches Recht; vielmehr richte sich diese Norm ausschließlich an die Mitgliedstaaten.
In seinem Erkenntnis vom 7. September 2000, Zlen. 2000/01/0094 bis 0096, behandelte der Verwaltungsgerichtshof eine vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung abgetretene Beschwerde und verwies zur Beantwortung der Frage, ob und welche subjektiven Rechte aus § 5 AsylG bzw. aus dem Dubliner Übereinkommen entstehen, vorweg auf das zitierte hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0419. Zur Frage des Familiennachzuges führte er unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0424, aus, insoweit auf Art. 8 EMRK und die dort vorgesehene Interessenabwägung sowie auf Art. 14 EMRK verwiesen werde, sei darauf hinzuweisen, dass diese behauptete Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu überprüfen sei; das Vorbringen zu Art. 8 EMRK sei überdies schon Gegenstand der ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof erhobenen und von diesem abgetretenen Beschwerde gewesen. Der Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention, auf deren wesentlichen Bestimmungen das Asylverfahren aufbaue, sowie des zu seiner Umsetzung geschlossenen Dubliner Übereinkommens liege im Schutz vor Verfolgung im ersten sicheren Staat, den ein Flüchtling erreicht habe, nicht jedoch in der Familienzusammenführung bzw. der sich daraus pro futuro ergebenden Verwurzelung im Familienverband mit sich bereits im Lande aufhaltenden Familienangehörigen.
In einem weiteren Erkenntnis vom 7. September 2000, Zlen. 2000/01/0243 bis 0246, verwies der Verwaltungsgerichtshof zur Beantwortung der Frage, ob und welche subjektiv-öffentlichen Rechte aus § 5 AsylG bzw. aus dem Dubliner Übereinkommen entstehen, wieder auf das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0419. Betreffend die vom (damaligen) Beschwerdeführer geltend gemachte Trennung der Familie durch seine Abschiebung verwies der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0424 - wiederum auf den Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention, auf deren wesentlichen Bestimmungen das Asylverfahren aufbaue, sowie des zu seiner Umsetzung geschlossenen Dubliner Übereinkommens, nämlich den Schutz vor Verfolgung im ersten sicheren Staat, den ein Flüchtling erreiche, nicht jedoch die Familienzusammenführung.
In seinem Beschluss vom 21. September 2000, Zl. 99/20/0574, führte der Verwaltungsgerichtshof zur Begründung der Kostenentscheidung unter Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0419, sowie vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0090, aus, aus Art. 3 Abs. 4 Dubliner Übereinkommen erfließe dem Antragsteller kein subjektiv-öffentliches Recht dahin, dass ein nach den Zuständigkeitskriterien des Dubliner Übereinkommens für die Prüfung des Asylantrages nicht zuständiger Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages übernehme; diese Bestimmung richte sich ausschließlich an die Mitgliedstaaten.
Im hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 99/01/0336, blieb die Frage der Auslegung des § 5 AsylG unter Beachtung des Art. 8 EMRK dahingestellt, weil der Ehegattin des damaligen Asylwerbers vor Erlassung des bekämpften Bescheides gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt und der Berücksichtigung des Familienlebens in einer derartigen Konstellation nach dem österreichischen Asylgesetz durch das Institut der Asylerstreckung Rechnung getragen worden sei.
4. Der Verfassungsgerichtshof führte in seinem Erkenntnis vom 8. März 2001, G 117/00 u.a., betreffend einen Gesetzesprüfungsantrag der belangten Behörde (hinsichtlich des letzten Satzes im § 5 Abs. 1 AsylG sowie der Wortfolge "1 und" im § 5 Abs. 3 AsylG) zu den verfassungsrechtlichen Bedenken, die genannten Normen stünden im Widerspruch zu Art. 3, 8 und 13 EMRK sowie zu Art. 83 Abs. 2 und Art. 129c Abs. 1 B-VG - soweit für die vorliegende Beschwerde von Relevanz - aus:
"§ 5 (- diese Paragraphenbezeichnung bezieht sich im folgenden stets auf das AsylG 1997 idF BGBl. I 4/1999 -) ist - wie sich aus dem im Abs 1 bezüglich der Annahme der Zuständigkeit eines anderen Staates gebrauchten Adverb "vertraglich" zwingend ergibt - verfassungsrechtlich nicht isoliert, sondern nur in Zusammenschau mit in die österreichische Rechtsordnung generell transformierten Staatsverträgen zu beurteilen. Als derartiger (auf die Zuständigkeit eines anderen Staates bezughabender) Vertrag kommt nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsordnung ausschließlich das Dubliner Übereinkommen in Betracht; eine gleichsam abstrakte Berücksichtigung vom Gesetzeswortlaut an sich mitumfaßter allfälliger anderer zukünftiger Staatsverträge (und damit ein eventuell anderes inhaltliches Verständnis des § 5) verbietet sich von vornherein, weil die verfassungsrechtliche Wertung schon zufolge des Sinngehaltes der Art 140 und 140a B-VG nur auf dem Boden einer bestehenden (unter bestimmten Umständen einer bestandenen), nicht aber einer fiktiven gesetzlichen bzw. staatsvertraglichen Rechtslage vorgenommen werden kann. Zieht man also das Dubliner Übereinkommen mit in Betracht, so ist (und darin pflichtet der Verfassungsgerichtshof der von der Bundesregierung dargelegten Rechtsauffassung bei) im Zusammenhang mit der Beurteilung, ob § 5 im Einzelfall überhaupt anzuwenden ist, auch das in Art 3 Abs 4 festgelegte Eintrittsrecht Österreichs als Mitgliedstaat des Dubliner Übereinkommens zwingend zu berücksichtigen. Diese in die österreichische Rechtsordnung kraft genereller Transformation eingegangene Vertragsbestimmung schafft nicht etwa ein durch innerstaatliche Rechtsvorschriften ausschaltbares Recht österreichischer Staatsorgane, die betreffende Asylsache an sich zu ziehen, sondern verpflichtet die zuständige Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 vorzunehmen und von der Annahme einer negativen Prozeßvoraussetzung in der Asylsache abzusehen. Das von der Bundesregierung durch Judikaturhinweise (s. etwa das zitierte Erk. VfSlg. 15.199/1998) belegte, vom Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung bekräftigte Prinzip der verfassungskonformen Gesetzesauslegung gebietet es, auch den Sinnzusammenhang zweier Vorschriften in der Weise zu berücksichtigen, daß durch eine bestimmte Auslegung der einen Vorschrift die sonst eintretende Verfassungswidrigkeit der anderen ausgeschlossen wird. Der Verfassungsgerichtshof stimmt der Bundesregierung auch darin zu, daß eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs 1 durch die Heranziehung des Art 3 Abs 4 des Dubliner Übereinkommens von der Asylbehörde zu vermeiden ist; Art 3 Abs 4 ist - als ins innerstaatliche Recht transformierte, unmittelbar anwendbare Norm betrachtet - nicht etwa als eine Ermächtigung zur Ermessensübung, sondern als eine durch sämtliche in Betracht kommende Verfassungsvorschriften zielgerichtete und daher unter dem Aspekt des Legalitätsprinzips ausreichend determinierte Rechtsvorschrift zu werten. Damit erledigen sich die vom antragstellenden Bundesasylsenat aus dem Blickwinkel der Art 3 und 8 EMRK vorgebrachten Bedenken ... "
(Vgl. in weiterer Folge etwa auch die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2001, B 1541/00 sowie
B 1749/00, sowie das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2001, Zl. 98/18/0306.)
5. Der Verwaltungsgerichtshof hält an den in seinen eingangs zitierten Erkenntnissen dargelegten Rechtssätzen, wonach § 5 AsylG keiner verfassungskonformen Auslegung im Sinn einer Bedachtnahme auf Art. 3 und 8 EMRK zugänglich sei und dem Asylbewerber (Antragsteller) kein subjektiv-öffentliches Recht auf Eintritt eines nach dem Wortlaut des Dubliner Übereinkommens unzuständigen Mitgliedstaates (Österreich) in die Prüfung des Asylantrages zustehe, nicht fest, sondern schließt sich der wiedergegebenen Ansicht des Verfassungsgerichtshofes an.
6. Ausgangspunkt für die Überlegung, ob die Asylbehörde eine Zurückweisung nach § 5 AsylG vornehmen darf oder eine Entscheidung in der Sache vorzunehmen hat, ist demnach - fallbezogen - vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK die Frage, ob mit einer Zurückweisung nach § 5 Abs. 1 AsylG ein Eingriff in das Privat- und Familienleben eines Asylwerbers verbunden wäre. Gegebenenfalls ist ein solcher Eingriff nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nur dann statthaft, wenn er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer notwendig ist.
Die erste Voraussetzung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK, dass der Eingriff in das Privat- und Familienleben "gesetzlich vorgesehen" sein muss, ist in der Bestimmung des § 5 Abs. 1 AsylG erfüllt.
Darüber hinaus erfordert Art. 8 Abs. 2 EMRK für die Zulässigkeit des Eingriffes, dass dieser zur Wahrung der dort näher bezeichneten Interessen in einer demokratischen Gesellschaft "notwendig" ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist darunter zu verstehen, dass der Eingriff
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Ziele verfolgt, die voll mit der EMRK in Einklang stehen, und
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in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, dh einem zwingenden sozialen Bedürfnis entspricht und gegenüber dem verfolgten Ziel verhältnismäßig ist (vgl. etwa die Urteile des EGMR vom 26. März 1992 - Beldjoudi, ÖJZ 1992/33 (MRK), vom 13. Juli 1995 - Nasri, ÖJZ 1995/48 (MRK), sowie vom 24. April 1996 - Boughameni, ÖJZ 1996/30 (MRK)).
Das öffentliche Interesse an einer Zurückweisung des Asylantrages und Ausweisung des Asylwerbers nach § 5 Abs. 1 AsylG liegt in der Umsetzung der "vertraglichen" Zuständigkeit, dh hier der Zuständigkeitsordnung des Dubliner Übereinkommens. Dieses Übereinkommen wiederum hebt in seiner Präambel als Ziele insbesondere die Harmonisierung der Asylpolitiken der Vertragsstaaten in einem Raum ohne Binnengrenzen, jedoch in Verbundenheit mit der humanitären Tradition der Vertragsstaaten und gemäß den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention, und die Gewährleistung von Asylverfahren in einem der Mitgliedstaaten in angemessener Dauer hervor. Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben nach Art. 8 Abs. 2 EMRK im Grunde des § 5 Abs. 1 AsylG ist nach dem Gesagten nur insoweit zulässig, als die genannten Ziele des Dubliner Übereinkommens dem Schutz der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen dienen und sich die Umsetzung des Dubliner Übereinkommens - und daher die Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs - im konkreten Fall als zur Wahrung dieser öffentlichen Interessen notwendig und verhältnismäßig erweist.
7. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass mit der Vollziehung der erstinstanzlichen Entscheidung ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Mitbeteiligten verbunden gewesen wäre.
Unter Zugrundelegung dessen vermag die Beschwerde Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen.
Soweit der Beschwerdeführer die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin sieht, von ihm näher wiedergegebene, eingangs zitierte öffentliche Interessen an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme - etwa auf Grund von unrechtmäßiger Einreise oder unrechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet -schlügen gegenüber den durch Art. 8 EMRK geschützten Rechten der Mitbeteiligten durch, braucht auf diese ins Treffen geführten öffentlichen Interessen im vorliegenden Fall schon deshalb nicht eingegangen zu werden, weil in der (vorliegend aufgehobenen) Zurückweisung des Asylantrages und Ausweisung der Mitbeteiligten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG nicht das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen (iSd Erfordernisses einer angemessenen Reaktion auf Verstöße gegen fremdenrechtliche Vorschriften) zum Ausdruck gelangt, wie dies im Fremdengesetz 1997 der Fall ist, sondern jenes an der Umsetzung der völkerrechtlich vereinbarten Zuständigkeit der Vertragsstaaten zur Durchführung von Asylverfahren, sodass sich von da her die Frage einer Reaktion auf Verstöße gegen das Fremdenrecht nicht stellt und auf die vom Beschwerdeführer zitierte Judikatur dazu im vorliegenden Zusammenhang nicht einzugehen ist. Wie bereits ausgeführt, zielt das Dubliner Übereinkommen nicht auf die Regelungen des (jeweils nationalen) Fremdenwesens ab, sondern auf die Harmonisierung der Asylpolitiken - unter Bekräftigung der humanitären Tradition und der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention.
Weiters sieht der Beschwerdeführer die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, die belangte Behörde habe es unterlassen, ihr "Ermessen" an Art. 8 Abs. 2 EMRK zu orientieren. Dieser Argumentation kann der Verwaltungsgerichtshof schon deshalb nicht folgen, weil dem angefochtenen Bescheid eine Ermessensübung nicht zu entnehmen ist und es - unter Zugrundelegung des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes - auch nicht in das "Ermessen" der Asylbehörde gestellt ist, von der Zurückweisung des Asylantrages und der Ausweisung des Asylwerbers Abstand zu nehmen und eine Sachentscheidung zu treffen, sondern einzig die in Art. 8 Abs. 2 EMRK vorgesehenen Interessen gegeneinander abzuwägen sind.
Der Beschwerdeführer rügt diesbezüglich, die belangte Behörde habe keine Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK vorgenommen, vielmehr scheine sie auf die Existenz des Abs. 2 der genannten Bestimmung überhaupt nicht Bedacht genommen zu haben. Dem Beschwerdeführer ist insofern zu folgen, als die belangte Behörde - ausgehend vom Gegenstand des Berufungsverfahrens nach § 32 Abs. 2 AsylG (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175) - verpflichtet ist, eine abschließende Beurteilung vorzunehmen, ob die von der Erstbehörde angenommene Unzuständigkeit vorliegt; sie hatte daher auch unter Berücksichtigung der konkreten Interessen zu beurteilen, ob - in verfassungskonformer Interpretation des § 5 AsylG - eine Pflicht der Erstbehörde zum Selbsteintritt in die materielle Prüfung des Asylantrages bestand. Der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf ist jedoch insofern unberechtigt, als die belangte Behörde die Behebung der von der Erstbehörde ausgesprochenen Zurückweisung des Asylantrages insbesondere damit begründete, der Erstbescheid lasse jegliche Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK und Bedachtnahme auf das Privat- und Familienleben der Mitbeteiligten vermissen, und davon ausging, im vorliegenden Fall wäre das Selbsteintrittsrecht auszuüben, um zu einem verfassungskonformen Ergebnis zu gelangen. Daraus erhellt, dass die belangte Behörde die maßgeblichen Interessen gegeneinander abwog.
Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf das hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zlen. 2000/01/0094 bis 0096, und die dort erörterte Frage nach dem Zweck der Genfer Flüchtlingskonvention verweist, sei diesbezüglich wiederholt, dass eine Zurückweisung nach § 5 Abs. 1 AsylG nur dann zulässig ist, wenn die Umsetzung des Dubliner Übereinkommens zur Wahrung eines der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen im eingangs dargelegten Sinn "notwendig" ist. Annahmen in Bezug auf die Zwecke der Genfer Flüchtlingskonvention finden hierbei als solche keinen Eingang in die Interessenabwägung zu Lasten des Asylwerbers, weshalb den vom Beschwerdeführer zitierten Äußerungen - ausgehend von der nunmehrigen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes - keine Bedeutung mehr beizumessen ist. Auch vermögen die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten öffentlichen Interessen schon von ihrer Natur her keine Verstärkung des nach § 5 Abs. 1 AsylG einzig relevanten öffentlichen Interesses an der Umsetzung des Dubliner Übereinkommens zu bewirken.
Schließlich geht auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1999, Zl. 98/18/0230, betreffend eine Ausweisung nach § 33 FrG, ins Leere, bezog sich doch die in diesem Erkenntnis einer Überprüfung unterzogene Interessenabwägung im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG auf das bereits dargelegte öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und damit ausschließlich auf Ausweisungen nach den §§ 33 Abs. 1 oder 34 Abs. 1 und 3 FrG (oder Aufenthaltsverbote) als Reaktion auf fremdenrechtlich verpöntes Verhalten, worauf hier nicht einzugehen ist, nicht jedoch auf das öffentliche Interesse an der Verwirklichung der Zuständigkeitsordnung nach dem Dubliner Übereinkommen und an einer allfälligen (mit der Zurückweisung verbundenen) Ausweisung nach § 5 Abs. 1 AsylG.
Die abschließende Anmerkung des Beschwerdeführers, eine Trennung des Kindes von der Mutter könne in Anwendung des Art. 9 Dubliner Übereinkommen verhindert werden, indem Italien (auch) das Kind übernehme, lässt u.a. unberücksichtigt, dass Art. 9 dieses Übereinkommens für den Übergang der Zuständigkeit auch den diesbezüglichen Wunsch des Asylbewerbers voraussetzt, ein diesbezügliches Begehren der minderjährigen Tochter der Mitbeteiligten jedoch weder den vorgelegten Verwaltungsakten, dem angefochtenen Bescheid noch dem Vorbringen der Amtsbeschwerde zu entnehmen ist und eine solche Vorgangsweise überdies das Interesse des Kindes an seinem Familienleben mit dem Vater völlig unberücksichtigt ließe.
Nach dem Gesagten war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 23. Jänner 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000010498.X00Im RIS seit
19.03.2003