TE Vwgh Erkenntnis 2003/1/23 99/20/0454

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Veröffentlicht am 23.01.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des MB in B, geboren 1981, vertreten durch Dr. Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwalt in 2560 Berndorf, Hernsteinerstraße 2/1/3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. Juni 1999, Zl. 205.233/22-II/06/99, betreffend § 6 Z 2 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der kurdischen Volksgruppe zugehöriger türkischer Staatsangehöriger, reiste am 28. Mai 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 2. September 1998 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen an, in seinem Heimatdorf gebe es eine "türkische nationalistische Mafia", die die Kurden ablehne. Von den kurdischen Burschen in seinem Dorf seien in letzter Zeit zwei verschwunden. Der Cousin des Beschwerdeführers sei vor etwa fünf Monaten getötet worden, wobei der Beschwerdeführer annehme, dass er von Türken getötet worden sei. Der Beschwerdeführer habe Angst, auf die Straße zu gehen, "weil wir immer geschlagen wurden, doch nach diesem Vorfall hatten wir ganz große Angst". Der Beschwerdeführer gab an, er selbst sei zweimal auf der Straße geschlagen worden:

"Beim ersten Mal ereignete sich dies am Markt. Das war vor etwa zwei Monaten. Ein Türke wollte am Markt eine Zigarette von mir und gab ich ihm keine Zigarette. Daraufhin schlug er mich. Es war auch noch ein zweiter Türke dabei. Sie schlugen mich mit der Faust.

Beim zweiten Mal war ich wieder am Markt. Diesmal waren es drei Leute, die mich schlugen. Sie schlugen mich wieder mit Händen und Fäusten. Sie schlugen mich grundlos. Sie fragten nur, aus welchem Grund ich in ihren Bezirk käme und dann schlugen sie mich. Ich wollte auf dem Markt einkaufen.

Mit den Behörden oder der Regierung hatte ich niemals Probleme."

Auf die Frage, aus welchem Grund der Beschwerdeführer die "türkisch-nationalistische Mafia" ins Treffen geführt habe, antwortete dieser, dass die Mafia die jungen Türken gegen die Kurden aufhetze. "Ohne diese Mafia hätten wir keine Probleme. Es ist ortsbekannt, dass diese Mafia die Leute gegen uns aufhetzt".

Anlässlich einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 16. Dezember 1981 gab der Beschwerdeführer, der gemeinsam mit seinem Bruder nach Österreich gelangt war, unter anderem an:

"Wir hatten Angst, dass man uns in der Türkei verschwinden lässt."

Mit Bescheid vom 4. September 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig. Das Bundesasylamt legte diesem Bescheid die folgenden Feststellungen zugrunde:

"Sie verließen Ihr Heimatland, weil Sie in Ihrem Heimatort zweimal von Kurden geschlagen wurden und Ihr Cousin vor fünf Monaten getötet wurde, wobei Sie davon ausgehen, dass diese Tötung durch Türken erfolgte. Sie hatten niemals Probleme oder Schwierigkeiten mit den Behörden oder der Regierung Ihres Heimatlandes."

Diesen Sachverhalt würdigte das Bundesasylamt dahin, dass die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten "Probleme mit ethnischen Türken" in seinem Heimatort jedenfalls nicht unter einen der in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe zu subsumieren seien. Die Verweigerung des Abschiebungsschutzes begründete das Bundesasylamt u.a. damit, der Beschwerdeführer habe vorgebracht, Verfolgung lediglich von Seiten Dritter, nämlich von ethnischen Türken, zu befürchten; dabei handle es sich um Bedrohungen durch Privatpersonen. Der Beschwerdeführer habe auch nicht vorgebracht, dass der Staat diese Maßnahme gebilligt habe.

In seiner gemeinsam mit seinem Bruder, dessen Asylantrag ebenfalls abgewiesen worden war, erhobenen Berufung gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer vor, bei der niederschriftlichen Befragung am 2. September 1998 sei nicht zur Sprache gekommen, wie gefährlich für ihn und seinen Bruder eine Abweisung des Asylantrages wäre. In seiner Heimat würden Kurden durch "die Gendarmerie" nicht geschützt; diese sei der "Türkenmafia" zugehörig. Würden der Beschwerdeführer und sein Bruder aus Österreich ausgewiesen, müssten sie um ihr Leben bangen.

Bei der von der belangten Behörde am 7. Juni 1999 über die Berufungen des Beschwerdeführers und seines Bruders durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung gab der Bruder des Beschwerdeführers unter anderem an, die Gendarmerie "toleriert gar nicht, was wir Kurden machen, wir werden niedergeschlagen. Die Gendarmerie gehöre zur "Grauen Wolf-Organisation" und sei deshalb in der Berufung als der "Türkenmafia" zugehörig bezeichnet worden.

Der Beschwerdeführer selbst gab an, im Falle seiner Abschiebung in die Türkei "um sein Leben kämpfen" zu müssen. Er würde wegen seiner Asylantragstellung von den türkischen Behörden geschlagen werden. Weiters würden die türkischen Behörden nach ihm suchen, weil er seinen Militärdienst ableisten müsse. Auch er vertrete die Ansicht, die Gendarmen seien Angehörige der "grauen Wölfe". Konkrete Belege dafür könne er allerdings nicht angeben.

Weiters wurde in dieser Verhandlung ein vom Beschwerdeführer vor dieser Verhandlung zum Beweis dafür, dass er und sein Bruder von der Gendarmerie gesucht würden, vorgelegtes, an den Vater des Beschwerdeführers adressiertes Schreiben des Bezirksvorstehers von Kadioglu erörtert. Zu diesem Schreiben hatte der Vertrauensanwalt der österreichischen Botschaft in Ankara der belangten Behörde mitgeteilt, dass "keine strafrechtlichen oder anderen Vormerkungen - also auch keine Suche durch die Militärbehörden der Türkei" - gegen den Beschwerdeführer und seinen Bruder vorlägen.

Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass er wahrscheinlich von der Gendarmerie deshalb gesucht werde, weil er zum Militärdienst eingezogen werden solle.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 ab (Spruchpunkt 1) und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei fest (Spruchpunkt 2). Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Asylteil damit, dass der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung, einen Sachverhalt vorzutragen und glaubhaft zu machen, dem schlüssig die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft entnommen werden könnten, nicht entsprochen habe. Daher sei von einem offensichtlich unbegründeten Asylantrag auszugehen. Der Beschwerdeführer habe im gesamten Verfahren keine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlung behauptet und auch nicht dargelegt, warum sich aus den Ausführungen zur allgemeinen Lage eine gegen ihn selbst gerichtete, individuelle Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität ergebe. Er habe auch nicht schlüssig darlegen können, dass sein Heimatstaat unwillig oder nicht in der Lage sei, ihn vor Verfolgungshandlungen von Seiten Dritter zu schützen. Im Übrigen werde auf die Falsifikation des vorgelegten Beweismittels sowie weitere im Berufungsverfahren angeführte Beweismittel hingewiesen, die die Ausführungen des Beschwerdeführers "klar widerlegten". Weiters verwies die belangte Behörde hinsichtlich beider Spruchpunkte auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides und erhob diese - offenbar unter Einschluss der aktenwidrigen Feststellung, der Beschwerdeführer sei seinem Vorbringen zufolge zweimal "von Kurden" geschlagen worden - zum Inhalt des angefochtenen Bescheides.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach § 6 Z 2 AsylG der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.

Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet nach § 6 Z 2 AsylG setzt voraus, dass die Behörde von den Behauptungen des Asylwerbers ausgeht und auf deren Grundlage beurteilt, ob sich diesem Vorbringen eine Verfolgung aus den in der FlKonv genannten Gründen offensichtlich nicht entnehmen lässt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. Juli 2002, Zl. 2000/20/0108, mwN). Dem oben wiedergegebenen Vorbringen des Beschwerdeführers kann nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keineswegs mit der von § 6 AsylG geforderten Offensichtlichkeit entnommen werden, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen behauptet hätte. Der erstinstanzlichen Einvernahme des - der kurdischen Volksgruppe zugehörigen - Beschwerdeführers kann vielmehr entnommen werden, dass dieser befürchtete, wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe von Türken attackiert zu werden, was er damit begründete, dass die "Türkenmafia" die jungen Türken gegen die Kurden aufhetze. Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, er befürchte, dass man ihn in der Türkei "verschwinden" lasse. Dass er die behauptete Verfolgungsgefahr auf seine Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe zurückführte, kann -

betrachtet man die Aussage des Beschwerdeführers in ihrer Gesamtheit - keinem Zweifel unterliegen. Da sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers somit ausreichende Anhaltspunkte für eine Anknüpfung der behaupteten Verfolgung an seine - einen möglichen Konventionsgrund im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 darstellende -

Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe entnehmen lassen, konnte das Vorliegen von Konventionsgründen jedenfalls nicht als "offensichtlich" im Sinne des § 6 AsylG verneint werden.

Die von der belangten Behörde zur Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers angestellten Überlegungen sind bei Anwendung des § 6 Z 2 AsylG verfehlt, weil der genannte Tatbestand ausschließlich auf das Vorbringen der Asylwerber abstellt und insofern für eine Beurteilung auf Basis ergänzender oder gar gegenteiliger Feststellungen - ebenso wie § 6 Z 1 leg. cit. - keinen Raum bietet (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 18. Juli 2002, sowie u.a. das Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214). Im Übrigen wäre auch das vom Bundesasylamt u.a. herangezogene Argument, die Verfolgung gehe von Privatpersonen aus, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht geeignet, eine auf § 6 AsylG gestützte Entscheidung zu tragen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. August 2001 mwN).

Indem die belangte Behörde insofern die Rechtslage verkannte, hat sie ihren Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 23. Jänner 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:1999200454.X00

Im RIS seit

02.05.2003

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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